OGH 5Ob520/76

OGH5Ob520/7630.3.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sobalik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel, Dr. Marold, Dr. Samsegger und Dr. Griehsler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*AG, *, vertreten durch Dr. Gottfried Eisenberger und Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei P* S*, Student, *, vertreten durch Dr. Hans Kosmath, Rechtsanwalt in Graz, wegen 4.464 S samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 3. Dezember 1975, GZ 3 R 344/75‑15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 16. September 1975, GZ 7 C 686/75‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0050OB00520.76.0330.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 809,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 57,60 S Umsatzsteuer und 32 S Barauslagen) und die mit 1.125,12 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 69,12 S Umsatzsteuer und 192 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte stellte am 14. Jänner 1970 einen seinem Vater Dr. R* S* gehörenden PKW vor dem Hause *L*straße 10, ab. Dort wurde das Fahrzeug am gleichen Tag von einer vom Dach dieses Hauses abgehenden Schneelawine beschädigt. Der Hausbesorger J* S* hatte keine Warnstangen aufgestellt. Er wurde deshalb im Rechtsstreit 16 Cg 423/72 des Landesgerichtes für ZRS Graz rechtskräftig zur Zahlung eines Ersatzbetrages von 17.859 S samt Anhang an Dr. R* S* verurteilt. Die nunmehrige Klägerin zahlte als Haftpflichtversicherer des Hauses für den Hauseigentümer und den mitversicherten Hausbesorger J* S* diese Judikatsschuld an Dr. S*.

Mit der am 26. Mai 1975 eingebrachten Klage machte die Klägerin einen Ausgleichsanspruch im Ausmaße eines Viertels der von ihr geleisteten Entschädigung geltend und begehrt sohin 4.464 S samt Anhang. Dem Beklagten treffe ein mindestens 25 %iges Mitverschulden an der Schadensherbeiführung, weil er den PKW vor diesem Hause abgestellt habe, obwohl er nach den gegebenen Schnee- und Witterungsverhältnissen damit rechnen haben müssen, daß vom Dach dieses Hauses eine Schneelawine abgehen und den PKW beschädigen werde.

Der Beklagte wendete demgegenüber ein, daß eine Gefahrenlage für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Vor dem Hause, L*straße 10, seien keine Warnstangen aufgestellt gewesen. Von der Straße aus sei auch keine Schneelage auf dem Dach zu erkennen gewesen, die auf die Möglichkeit eines Abganges einer Dachlawine hätte schließen lassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Seinen Feststellungen zufolge sind auf dem Dach des dreistöckigen Hauses L*straße 10 Schneefänger nicht angebracht. In der Mitte der etwa 17 m langen Gassenfront befindet sich im ersten Stock ein Balkon. Von der L*straße aus ist das Dach nicht einzusehen. Wohl aber ist aus der schräg gegenüber dem Hause einmündenden N*gasse ein kleiner Teil der linken Dachfläche des Hauses einzusehen.

Am 14. Jänner 1970 herrschten in Graz Temperaturen um den Gefrierpunkt. Schon an den Tagen vorher waren Dachlawinen abgegangen. Durch den Wind war der Schnee auf den Dächern zusammengeweht. Über das Dach des Hauses L*straße 7 hing Schnee vor. Bei den übrigen Häusern aber nicht. In der Nacht zum 14. Jänner ging vom Hause L*straße 10 eine Dachlawine ab, deren Schnee vom Hausbesorger J* S* am Morgen weggeräumt wurde. S* stellte keine Warnstangen auf. Vor allen anderen in der Nähe gelegenen Häusern der L*straße, insbesondere bei den Häusern 6, 8, 12, 7, 5 und 9 waren Warnstangen aufgestellt, dennoch dort aber vereinzelt Autos geparkt. Der Beklagte stellte das Auto seines Vaters, der ihn auf die Gefahr von Dachlawinen aufmerksam gemacht hatte, im Laufe des Vormittages des 14. Jänner 1970 nach einer kurzen Fahrt unter dem in der Mitte des Hauses Nr. 10 gelegenen Balkon ab, da er vor diesem keine Warnstangen sah und ihm dieser Platz nach den örtlichen Verhältnissen am ungefährlichsten erschien. Er ging zur Ecke L*strasse-N*gasse und sah am Dachrand des Hauses Nr. 10 wohl Schnee in der Höhe von 10 bis 15 cm, aber keinen Schneeüberhang. Es war für ihn auch erkennbar, daß das Haus keine Schneefänger aufweise, er achtete aber nicht bewußt darauf.

Das Erstgericht beurteilte diesen Sachverhalt dahingehend, daß dem Beklagten aus der Abstellung des Fahrzeuges trotz Wahrnehmung der Schneelage auf dem Dach bei Berücksichtigung der Wetterlage kein Vorwurf gemacht werden könne, weil ihm der gewählte Abstellplatz mit Recht als am sichersten erscheinen konnte. Dem Beklagten könne sohin aus seinem Verhalten keine ins Gewicht fallende und rechtlich maßgebliche Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit der Herbeiführung des Schadens am PKW seines Vaters angelastet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, änderte das erstgerichtliche Urteil ab und gab dem Klagebegehren statt. Es erkannte der Beweisrüge der beklagten Partei keine Berechtigung zu und übernahm die für unbedenklich befundenen erstgerichtlichen Feststellungen. Eine nähere Präzisierung der Temperaturen am 14. Jänner 1970 zwischen + 0,5 und + 2 Grad sei nicht erforderlich, weil aus der Feststellung des Erstgerichtes, es hätten damals Temperaturen um den Gefrierpunkt geherrscht, in Verbindung mit der weiteren Feststellung, daß schon an den Tagen vorher in G* Dachlawinen abgegangen seien, mit hinlänglicher Deutlichkeit hervorgehe, daß auch am 14. Jänner 1970 mit dem Abgehen von Lawinen gerechnet werden mußte. Der Feststellung, daß dem Beklagten, der für das Abstellen des Fahrzeuges gewählte Platz nach den örtlichen Verhältnissen am ungefährlichsten erschienen sei, komme keine entscheidende rechtliche Bedeutung zu, weil es nicht so sehr darauf ankomme, wie der Beklagte subjektiv die Situation eingeschätzt habe, sondern wie sie objektiv einzuschätzen gewesen wäre. Bei der rechtlichen Beurteilung der Sache erachtete das Berufungsgericht, daß dem Beklagten die Anlage des Daches seines Wohnhauses, insbesondere der Neigungswinkel, aber auch die Schneelage und die herrschende Witterung bekannt gewesen sein mußte. Die generelle Gefahr des Abgehens von Dachlawinen sei bei der herrschenden Temperatur erkennbar gewesen. Der Umstand, daß im Gegensatz zu allen anderen in der Nähe gelegenen Häusern beim Hause L*straße 10 keine Warnstangen aufgestellt waren, habe schon nach der Lebenserfahrung noch nicht die Schlußfolgerung rechtfertigen können, daß von diesem Dache keine Gefahr drohe. Der vom Beklagten am Dachrand wahrgenommene Schnee in Höhe von 10 bis 15 cm habe die Annahme einer Säuberung des Daches vom Schnee ausgeschlossen. Die dem Beklagten zumutbare Beobachtung des Daches von der Straße aus habe ihn sohin unter Bedachtnahme auf die herrschende Temperatur und die in der Umgebung aufgestellten Warnstangen nicht berechtigt, den gewählten Parkplatz für ungefährlich zu halten. Das Abstellen des Fahrzeuges auf diesem Platz habe demnach auf Grund der objektiv wahrnehmbaren Gefahrensituation eine Fahrlässigkeit und somit ein Verschulden des Beklagten dargestellt, das im Verhältnis zum Verschulden des Hausbesorgers S* mit 1 : 3 anzunehmen sei. Die Klägerin sei im Hinblick auf ihre Ersatzleistung als Haftpflichtversicherer für den mitversicherten Hausbesorger J* S* an den Geschädigten im Sinne der ausdehnend auszulegenden Bestimmung des § 67 VersVG berechtigt, den Ausgleichsanspruch (§ 1302 ABGB) des Mitversicherten gegenüber dem Beklagten als Mitschuldigen geltend zu machen. Dafür gelte die 30jährige Verjährungsfrist.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Grunde der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Revisionsanträgen, das angefochtene Urteil abzuändern und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen oder das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Berufungsgerichte die Ergänzung des Verfahrens und die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Revisionswerber macht zunächst geltend, daß die vom Erstgerichte getroffenen und vom Berufungsgerichte übernommenen Feststellungen zum Teil durch unrichtige Beweiswürdigung zustande gekommen seien und der Sachverhalt zudem vom Erstgericht unvollständig festgestellt worden sei.

Da der Beklagte in erster Instanz zur Gänze obsiegte und daher kein Rechtsmittelinteresse hatte, kann er ungünstige Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren bekämpfen, wenn das Berufungsgericht von einer anderen Rechtsansicht ausgehend, eine für ihn ungünstigere Entscheidung gefällt hat. Der Beklagte war demnach nicht genötigt, schon in der Berufungsmitteilung oder Berufungsverhandlung die ihm ungünstigen Feststellungen des erstinstanzlichen Verfahrens zu bekämpfen, wenn er sie im Revisionsverfahren angreifen will (vgl. SZ 26/262, SZ 44/46 u.v.a., zuletzt etwa 2 Ob 292/75). Bei der Überprüfung der rechtlichen Beurteilung ergibt sich aber, daß der Rechtsrüge der Revision schon auf der Grundlage der vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen Berechtigung zuzuerkennen ist.

Auf die klagende Partei, die als Haftpflichtversicherer den von ihrem Versicherungsnehmer bzw. dem Mitversicherten verursachten Schaden im Umfange der Judikatsschuld voll ersetzt hat, ist zufolge der Legalzession nach § 67 Abs 1 VersVG 1958 der Schadenersatzanspruch in dieser Höhe übergegangen (Koziol, Haftpflichtrecht I 217 f.). Für die Verantwortlichkeit mehrerer Personen, die einen Schaden widerrechtlich verursacht haben, ist es gemäß § 1301 ABGB nicht notwendig, daß jeder von ihnen von der Mitwirkung des anderen weiß, oder daß die Verursachung einverständlich erfolgte. Die Haftung tritt vielmehr auch ein, wenn keiner der mehreren Verursacher vom anderen weiß, wenn nur jeder eine Bedingung des Schadens gesetzt hat (vgl. Wolff in Klang2 VI 54; Bydlinski, JBl 1959, 10). Nach § 1302 ABGB haften mehrere fahrlässig handelnde Nebentäter, wenn der von ihnen verursachte Anteil am Gesamtschaden nicht bestimmbar ist, solidarisch (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I 236, 238). Die Klägerin kann demnach einen anteiligen Regreßanspruch gegen Mithaftende auf der Grundlage des § 1302 ABGB geltend machen (vgl. Koziol-Welser, Grundriß I 299). Über das Ausmaß dieses Rückersatzanspruches sagt das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch zwar nichts. Es sind daher die obligationenrechtlichen Bestimmungen über den vertraglichen Solidarschuldner heranzuziehen. Daraus ergibt sich, soferne nicht aus der Schwere der Zurechnungsmomente oder aus einer vertraglichen Beziehung unter den Nebentätern etwas anderes abzuleiten ist, im Sinne des § 896 erster Satz ABGB ein Ausgleichsanspruch unter Zugrundelegung einer Haftung nach Kopfteilen (SZ 39/82; Weiß, Rückgriff im Schadenersatzrecht; JBl 1947, 529; Koziol, Haftpflichtrecht I 239). Im Hinblick darauf, daß die Klägerin eine Judikatschuld ihres Versicherten bezahlt hat, die auf Grund eines erst am 20. Februar 1974 in Rechtskraft erwachsenen Urteiles bestand (16 Cg 423/72 des Landesgerichtes für ZRS Graz), können Probleme der im vorliegenden Fall maßgebenden Verjährungsfrist (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht, I, 242; EvBl 1966/373) keine Rolle spielen.

Daß der Beklagte durch das Abstellen des PKW an einer Stelle, an der der Abgang einer Dachlawine zu gewärtigen war, eine adäquate Voraussetzung für den späteren Schadenseintritt erfüllt hätte, ist unzweifelhaft. Auch die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens zufolge der Gefährdung fremden Eigentums liegt auf der Hand. Schuldhaft handelt, wer ein Verhalten setzt, das er hätte vermeiden sollen und auch hätte vermeiden können. Die im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehende Verschuldensart der Fahrlässigkeit ist dann gegeben, wenn der Täter die gehörige Sorgfalt außer Acht läßt (§ 1297 ABGB). Soweit hiebei der Grad der Aufmerksamkeit zu beurteilen ist, muß ein objektiver Maßstab angelegt werden (vgl. Koziol-Welser a.a.O. 296, 297). Bezüglich der Erkennbarkeit der Gefahrensituation ist nach den Feststellungen der Untergerichte davon auszugehen, daß zwar am 14. Jänner 1970 im allgemeinen mit dem Abgehen von Dachlawinen im Hinblick auf die Temperatur zu rechnen war und an den vorangegangenen Tagen in G* bereits Dachlawinen abgegangen waren. Daß der Beklagte von seinem Vater auf die Gefahr von Dachlawinen beim Hause L*straße 10 aufmerksam gemacht wurde, ist nicht festgestellt worden. Hinsichtlich der konkreten Gefahrensituation bei Abstellung des PKW vor diesem Hause steht fest, daß der Beklagte selbst eine Schneeansammlung in Höhe von 10 bis 15 cm auf dem linken Teil des Daches dieses Hauses wahrgenommen hat. Den Mittelteil des Daches konnte er nicht einsehen. Bei einer Temperatur um den Gefrierpunkt und einer verhältnismäßig geringen Schneelage auf einem Dach war die Gefahr eines Lawinenabganges umso geringer einzuschätzen, als auch kein Schneeüberhang bestand. Aus dem Fehlen von Warnstangen vor dem Haus konnte der Beklagte eher den Schluß ziehen, daß keine Gefahr drohe, weil er nicht von vornherein mit einer Nachlässigkeit des Hausbesorgers rechnen mußte. Damit war bei gehöriger Aufmerksamkeit für ihn nicht eindeutig erkennbar, daß im Bereiche der Straßenfläche vor der Mitte des Hauses L*straße 10 ein Schneeabgang vom Dache her gewärtigt werden mußte.

Da dem Beklagten sohin eine schuldhafte Beteiligung an der Beschädigung des PKWs seines Vaters nicht hinlänglich nachgewiesen wurde, war seiner Revision Folge zu geben und das abweisende erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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