OGH 7Ob18/76

OGH7Ob18/7618.3.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* Versicherungsanstalt, *, vertreten durch Dr. Kurt Weiser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei H* Hotelangestellter, *, vertreten durch Dr. Walter Hofbauer und Dr. Helmut Rantner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 176.668,32 S samt Anhang und Feststellung (Streitwert 10.000,‑‑ S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16. Dezember 1975, GZ. 1 R 332/75‑21, womit das Teil‑Zwischenurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Juni 1975, GZ. 5 Cg 841/73‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00018.76.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teil‑Zwischenurteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

„Die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz ihrer aus Anlaß des Unfalles vom 28. 12. 1970 östlich der Kreuzung * in Innsbruck erbrachten Leistungen bestehen dem Grunde nach zu Recht, jedoch höchstens bis zu einem Betrag von 30.000 S.

Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin einen Betrag von 146.668,32 S samt 4 % Zinsen seit 6. Juli 1972 zu bezahlen, wird abgewiesen“.

Die Entscheidung über die Kosten des bisherigen Verfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Am 28. Dezember 1970 verschuldete der Beklagte mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW., polizeiliches Kennzeichen * in Innsbruck, östlich der Kreuzung * einen Verkehrsunfall. Wegen dieses Unfalles wurde er mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27. Mai 1971, 10 U 705/71, rechtskräftig der Übertretung nach § 335 StG schuldig erkannt. Wegen seiner Weigerung, sich zur Feststellung einer allfälligen Alkoholisierung Blut abnehmen zu lassen, wurde er mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 27. Mai 1971, StV 508/71, wegen Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 6 StVO, bestraft. Die Klägerin mußte wegen dieses Unfalles als Haftpflichtversicherer Leistungen erbringen, deren Ersatz sie im Betrag von 176.668,32 S mit der Begründung begehrt, der Beklagte habe dadurch, daß er die Blutabnahme verweigert habe, eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 der AKHB begangen. Außerdem stellte sie ein Feststellungsbegehren.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach und wendete unter anderem ein, selbst wenn man in seinem Verhalten eine Obliegenheitsverletzung erblicken würde, wäre seine Ersatzpflicht auf 30.000 S zu beschränken.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und erkannte mit Zwischenurteil die Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Es nahm eine vorsätzliche Weigerung des Beklagten, sich trotz bestehenden Verdachtes auf Alkoholisierung Blut abnehmen zu lassen, an und erblickte darin eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, daß sie als Teil‑Zwischenurteil zu bezeichnen sei. Rechtlich vertrat es den Standpunkt, Obliegenheitsverletzungen nach Art. 8 Abs. 2 AKHB sehen keine betragliche Begrenzung der Leistungsfreiheit des Versicherers vor. Es sei Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, daß die Leistungspflicht des Versicherers durch seine Obliegenheitsverletzung nicht beeinflußt und das Regreßbegehren des Versicherers daher unberechtigt sei. Der Beklagte habe diesbezüglich wohl einige Behauptungen auf gestellt, doch seien diese nicht ausreichend. Da jedoch über ein Feststellungsbegehren grundsätzlich nicht mit Zwischenurteil entschieden werden könne, stelle sich das Urteil des Erstgerichtes als Teil‑Zwischenurteil dar.

Dagegen, daß die Ersatzansprüche der Klägerin nicht mit einem Betrag von 30.000 S begrenzt wurden, richtet sich die Revision des Beklagten unter Heranziehung der Revisionsgründe des § 505 Z. 2, 3 und 4 ZPO. Der Beklagte beantragt die Abänderung dahin, daß die Entscheidung zu lauten hat; „Die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz ihrer aus Anlaß des Unfalles vom 28. Dezember 1970 östlich der Kreuzung * in Innsbruck erbrachten Leistungen bestehen bis zu einem Betrag von 30.000 S zu Recht.“

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revi

Rechtliche Beurteilung

sion ist gerechtfertigt.

Der Revisionswerber verkennt das Wesen des Revisionsgrundes der Aktenwidrigkeit, der nur vorliegt, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht auf Grund richtig dargestellter Beweisergebnisse zur Feststellung oder rechtlichen Schlußfolgerung in einer bestimmten Richtung gelangt (Fasching IV, 318 f., JBl 1954, 73 u.a.).

Der Beklagte rügt nicht Abweichungen der Feststellungen vom Akteninhalt, sondern die Ausführungen des Berufungsgerichtes, denen zufolge er einen Nachweis für Behauptungen nicht erbracht habe. Ob ein Nachweis als erbracht anzusehen ist, ist eine Wertung im Rahmen der Tatsachenfeststellung. Diesbezügliche Ausführungen können daher eine Aktenwidrigkeit nicht begründen.

Der Revisionsgrund des § 503 Z. 3 ZPO ist sohin nicht gegeben.

Mit der Verfahrensrüge bemängelt der Beklagte nur seiner Meinung nach erhebliche Feststellungsmängel. Derartige Mängel können aber nicht mit dem Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO, sondern nur mit dem Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO geltend gemacht werden.

Die Klägerin stützt ihr Begehren auf eine behauptete Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB. Hiebei sei ihr zugegeben, daß die Verweigerung der Blutabnahme bei Verdacht auf Alkoholisierung den Tatbestand dieser Bestimmung im allgemeinen erfüllt (SZ 46/104 u.a.). Daß ein solcher Regelfall hier gegeben ist, wird in der Revision nicht mehr bestritten. Nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 AKHB tritt jedoch die Leistungsfreiheit des Versicherers bei den dort genannten Obliegenheitsverletzungen nicht für jene Summe ein, die der Versicherer auch bei Erfüllung der Pflichten durch den Versicherungsnehmer hätte leisten müssen (ZVR 1972/160). Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, daß bei einer Obliegenheitsverletzung der Nachweis dafür, daß diese ohne Einfluß auf die Leistungen des Versicherers war, dem Versicherungsnehmer obliegt, dieser also entsprechende Behauptungen aufstellen und beweisen muß (VersR 1975, 363 u.a.). Dies geht jedoch nicht so weit, daß der Versicherungsnehmer bei seinen Einwendungen auch Fälle in Betracht ziehen müßte, mit denen im Regelfall nicht im entferntesten zu rechnen ist. Grundsätzlich ist nämlich immer von einem Verlauf der Dinge auszugehen, mit dem normalerweise gerechnet werden kann. Will sich eine Partei auf einen gänzlich von der Regel abweichenden und von niemandem zu erwartenden Verlauf berufen, muß sie diesen konkret behaupten und zumindest seine Wahrscheinlichkeit dartun.

Verweigert ein Versicherungsnehmer bezüglich dessen begründeter Verdacht auf Alkoholisierung besteht, die Blutabnahme, so verhindert er hiedurch die Feststellung seiner Alkoholisierung. Da er durch diese Verweigerung eine Obliegenheitsverletzung begeht, ist er gegenüber dem Versicherer so zu behandeln, als ob pflichtgemäßes Verhalten für ihn das ungünstigste Ergebnis erbracht hätte. Bei pflichtgemäßem Verhalten könnte sich. für den Versicherungsnehmer schlimmstenfalls eine Verurteilung wegen Alkoholisierung ergeben. Dies würde nach Art. 6 Abs. 2 lit. c AKHB zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen, die jedoch gemäß Art. 6 Abs. 3 AKHB mit 30.000 S begrenzt wäre. Welche anderen für die Aufklärung des Sachverhaltes zweckdienlichen Umstände als die Alkoholisierung des Versicherungsnehmers die Blutabnahme erbringen und inwieweit die Feststellung der Alkoholisierung zu einem über die Folgen des Art. 6 Abs. 3 AKHB hinausgehenden Ergebnis für die Leistungsfreiheit des Versicherers führen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Klage hat diesbezüglich auch nichts vorgebracht.

Da sohin nach dem normalen Verlauf der Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Versicherungsnehmers nur eine Verminderung der Leistungspflicht des Versicherers um 30.000 S eintreten hätte können, erweist sich die in dieser Revision vertretene Rechtsmeinung als richtig.

Die Untergerichte haben lediglich Zwischenurteile über den Grund des Leistungsbegehrens gefällt. Im Verfahren über den Grund des Anspruches ist jedoch über alle das Bestehen des Anspruches betreffenden Behauptungen der Parteien zu erkennen, also auch über die Einwendung von Haftungsausschlüssen und Haftungsbeschränkungen, wozu auch die teilweisen Haftungsausschlüsse gehören (Fasching III, 591 ff.; EvBl 1969/290, JBl 1959, 156; SZ 26/212 u.a.). Da die Revision sohin eine Abänderung der Entscheidung über den Grund des Anspruches begehrt, ist sie zulässig.

Der Revisionsantrag begehrt nur die Aufnahme der Begrenzung des Anspruches mit 30.000 S. Maßgebend für die Wertung eines Rechtsmittelantrages ist jedoch der gesamte Inhalt der Rechtsmittelschrift. Ergibt sich aus deren Gesamtinhalt eindeutig, was der Rechtsmittelwerber anstrebt, ist dies der Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes zugrunde zu legen (vgl. Fasching IV, 61 ff).

Die Untergerichte haben über das gesamte Leistungsbegehren von 176.668,32 S dem Grunde nach entschieden. Der Beklagte will, wie seine Rechtsmittelausführungen zeigen, erreichen, daß diese Forderung nur bis zu einem Höchstbetrag von 30.000 S als zu Recht bestehend und der darüber hinausgehende Teil als nicht zu Recht bestehend erkannt werde. Ein Zwischenurteil dahin, daß eine Forderung dem Grunde nach nicht zu Recht besteht, ist nicht zu fällen, vielmehr das diesbezügliche Leistungsbegehren abzuweisen. Bei stattgebender Erledigung eines Rechtsmittels gegen ein bejahendes Zwischenurteil hat daher das Rechtsmittelgericht an dessen Stelle ein abweisendes Endurteil zu setzen. Es ist ihm auch nicht verwehrt, die nicht berechtigte Anspruchsquote mit Teilurteil abzuweisen und im Zwischenurteil zum Ausdruck zu bringen, inwieweit es den Anspruch als zu Recht bestehend erachtet (Fasching III, 598). Da eine derartige Vorgangsweise dem durch die sonstigen Rechtsmittelausführungen verdeutlichten Antrag des Beklagten entspricht, konnte der Oberste Gerichtshof den aufgezeigten Weg wählen.

Es war daher wie aus dem Spruche ersichtlich zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des gesamten bisherigen Verfahrens gründet sich auf die §§ 392 Abs. 2 und 52 Abs. 2 ZPO.

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