European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00033.76.0317.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 4.234,‑‑ (darin keine Barauslagen und S 313,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Unter Mißachtung des Vorranges des auf der Bundesstraße 17 nach Westen fahrenden, vom Kläger gelenkten Kombikraftwagens fuhr der Erstbeklagte mit seinem PKW am 7. Mai 1972 im Bereiche von G*-S* aus einer Nebenstraße auf die genannte Bundesstraße, worauf es zwischen den beiden Fahrzeugen zur Kollision kam. Der Erstbeklagte wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung einer Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG schuldig erkannt.
Nach Erlassung des Teilanerkenntnisurteiles vom 15. Februar 1974, das die Feststellung der Haftung der beiden Beklagten für alle künftigen Unfallschäden zum Gegenstand hatte, fordert der Kläger unter Berücksichtigung eines von ihm in vier Teilbeträgen erhaltenen Betrages von S 75.000,‑‑ vom Erstbeklagten und dessen Haftpflichtversicherer, der Zweitbeklagten, einen Betrag von S 302.390,‑‑ s.A., darunter S 240.000,‑‑ Schmerzengeld. Er habe infolge des Unfalles eine Symphysenzerreißung, einen Schambeinbruch links sowie eine Harnröhrenzerreißung erlitten und sich sechsmal in stationärer Spitalsbehandlung befunden. Mehrere zur Durchführung einer Harnröhrenplastik durchgeführte Operationen und zwischendurch aufgetretene Komplikationen seien mit einem großen Ausmaß an Schmerzen verbunden gewesen. Die Harnröhrenplastik habe zu einer Verkürzung der Harnröhre und damit zum Verlust der Beischlafsfähigkeit geführt.
Die Beklagten, von denen ein Mitverschulden des Klägers am Unfall nicht geltend gemacht wird, wenden ein, daß die dem Kläger aus dem Titel Schmerzengeld, Fahrtspesenersatz, Zusatzverpflegung, Pflegekosten und Kleiderschaden allenfalls zustehenden Ansprüche durch den von ihnen bereits bezahlten Betrag von S 75.000,‑‑ zur Gänze abgegolten seien.
Das Erstgericht sprach dem Kläger S 244.069,92 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 58.320,08 ab.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht, der Berufung der Beklagten nur im Kostenpunkt Folge.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Abweisung des über den Zuspruch von S 88.000,‑‑ s.A. hinausgehenden Mehrbegehrens, zumindest aber im Sinne des Zuspruches des Schmerzengeldbetrages von S 200.000,‑‑ als Globalentschädigung zur Abgeltung aller wie immer gearteten, aus dem Verkehrsunfall dem Kläger entstandenen immateriellen Schäden ohne Einschränkung auf den Zeitraum vom 7. Mai 1972 bis 23. April 1974; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis nicht berechtigt. In Ansehung der Schmerzengeldbemessung hat das Erstgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der * 1927 geborene Kläger erlitt beim gegenständlichen Verkehrsunfall vom 7. Mai 1972 einen Bruch des oberen und unteren Schambeinastes links, eine Zerreißung der Schamfuge und eine Schleimhautverletzung der hinteren Harnröhre ohne Kontinuitätsdurchtrennung derselben. Er wurde zunächst an der Unfallstation des Krankenhauses der Stadt Neunkirchen bis 29. Juni konservativ behandelt, wobei die Sprengung der Schamfuge in einer Beckenschwebe und die Verletzung der Harnröhre durch einen Dauerkatheter behandelt wurden. Nach der Entlassung wurde der Kläger einmal im Unfallkrankenhaus Graz untersucht. Da die damals angegebenen Beschwerden weitgehend auf die Harnröhrenverletzung zurückzuführen waren, wurde er sofort an die Urologische Abteilung des Landeskrankenhauses Graz zur weiteren fachärztlichen Behandlung überwiesen. Er stand schließlich in weiterer Folge vom Herbst 1972 bis Frühjahr 1974 fünfmal an der Urologischen Abteilung in stationärer Behandlung, wobei zunächst eine Harnweginfektion bekämpft werden mußte, schließlich wegen einer starken Einengung der hinteren Harnröhre eine Harnröhrenplastik und gleichzeitig eine Harnableitung durch einen Bauchkatheter durchgeführt wurden. Diese erste Harnröhrenplastik hatte nicht den gewünschten Erfolg, es kam vielmehr zur Ausbildung von Blasensteinen, die in zwei operativen Eingriffen entfernt wurden, schließlich zu einer Nebenhodenentzündung und Entzündung des Samenstranges rechts. Erst nach Abklingen dieser Entzündungserscheinungen konnte schließlich im Oktober 1973 eine neuerliche Urethraplastik durchgeführt werden. Diese hatte schließlich Erfolg und führte zur Möglichkeit, selbst zu urinieren. Der Bauchkatheter mußte bis Frühjahr 1974 belassen werden. Auch im März 1974 kam es plötzlich anfallsartig zu einer Harnsperre, offensichtlich bedingt durch eine Schleimhautfalte in der Urethraplastik. Anläßlich der gegenständigen Untersuchung am 23. April 1974 stand der Kläger noch immer in ambulatorischer Behandlung der Urologischen Abteilung des Landeskrankenhauses Graz und war Ende Mai 1974 noch im Krankenstand. Im April 1974 trat neuerlich eine Entzündung im Nebenhoden auf. Anläßlich der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. T* am 23. April 1974 konnten folgende objektivierbare Unfallsfolgen nachgewiesen werden: 1.) Eine Verdickung des rechten Samenstranges mit Druckempfindlichkeit desselben und Empfindlichkeit des Nebenhodens. 2.) Eine leichte Gang-und Belastungsbehinderung beider Beine, mit angegebenen Hautgefühlsstörungen an der Vorderseite beider Oberschenkel. 3.) Eine endgradige Beugebehinderung des rechten Hüftgelenkes bei freier Beweglichkeit aller übrigen Beingelenke. 4.) Ein positives Laseque'sches und Bragard'sches Zeichen an beiden Beinen als Zeichen ausstrahlender lumbaler Wurzelneuralgien. 5.) Im Röntgenbild in guter Stellung knöchern geheilte Brüche des oberen und unteren Schambeinastes links, bei geschlossener Schamfuge.
Beim Kläger besteht ein Zustand nach Harnröhrenplastik mit ausgedehnter Narbenbildung im Bereich der Operationsstelle an der Harnröhre, Zustand nach stattgehabter Orchitis-Epidydimitis mit folgender Atrophie des rechten Hodens, und als Folgezustand abgeschwächte Errektionsfähigkeit, Impotentia Coeundi durch Fehlen der Möglichkeit der immissio auf Grund des Narbenzuges nach Harnröhrenplastik (Abwärtskrümmung des erregierten Gliedes durch Verkürzung der Harnröhre nach der plastischen Operation). Die vom Kläger behauptete Beischlafsunfähigkeit, vor allem die Unmöglichkeit der immissio des erregierten Gliedes beim Geschlechtsakt sowie die heftige Schmerzhaftigkeit in dieser Situation ist ärztlich erwiesen, und durch den objektiven Befund im Bereich der Operationsnarben glaubhaft und folgerichtig. Was die Schmerzen anlangt, so sind die Verletzungen in ihrer Gesamtheit als schwer zu bewerten. Durch die zunehmende Verengung der hinteren Harnröhre sind die Folgen in ihrer Schwere und Dauer als sehr schwere Folgen zu bewerten. Es haben sicherlich im Anschluß an die Verletzung einige Tage starke bis sehr starke Schmerzen bestanden, ebenso zum Zeitpunkt der durchgemachten Lungenentzündung und des Harnweginfektes im Krankenhaus Neunkirchen, ferner starke und sehr starke Schmerzen nach den verschiedenen operativen Eingriffen (zweimal Harnröhrenplastik, zweimal Steinentfernungen), sowie nach den verschiedenen Nebenhodenentzündungen. Zwischendurch und anschließend fanden sich mittelgradige und leichte Schmerzen praktisch vom Unfall bis zur gegenständigen Untersuchung, allerdings mit abklingender Intensität und teilweise auch Perioden weitgehender Schmerzfreiheit mit zunehmendem zeitlichen Abstand von den einzelnen operativen Eingriffen. Nachdem sämtliche Schmerzperioden als nicht ununterbrochen und sich dem Grade nach ablösend, sondern vielmehr als anfallsartig und intermittierend zu verstehen sind, werden sie auf Tage zusammengedrängt. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und der einschlägigen ärztlichen Erfahrung lassen sich vom Unfall bis zur Untersuchung (7. Mai 1972 bis 23. April 1974) folgende komprimierte Schmerzperioden errechnen:
Schmerzen sehr starken Grades 6 Tage
Schmerzen starken Grades 35 Tage
Schmerzen mittleren Grades 50 Tage
Schmerzen leichten Grades 180 Tage
Damit wären die komprimierten Schmerzen, sowohl körperliche als auch unmittelbar durch den Unfall, durch die Heilungsmaßnahmen und die therapeutischen Maßnahmen bedingen seelischen Schmerzen entsprechend berücksichtigt. Im konkreten Fall ist aber auch eine beträchtliche psychische Alteration, die noch schwerer wiegt als bei einer totalen Impotenz, schon deshalb anzunehmen, weil beim heute 48‑jährigen verheirateten Kläger wohl Erektionen auftreten, diese aber auf normalen Wege nicht abgebaut werden können, was sicherlich eine beträchtliche Störung des Ehelebens bedingt und auch andere vegetativ nervöse Störungen beim Kläger auslösen wird. Außerdem ist in Zukunft nicht sicher, daß es nicht jederzeit wieder zu einer Harnsperre und einer Harninfektion kommt. Der Kläger muß diese Komplikation stets mit Sorge vor Augen haben. Außerdem stellen die Narben im Unterbauch und am Damm einen wenn auch nur in bestimmter Situation zum Tragen kommenden kosmetischen Schaden dar. Dieser Zustand des Klägers ist ein irreversibler Dauerzustand und die Potenzstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % einzuschätzen.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß angesichts der Art der unfallsbedingt eingetretenen Verletzungen des Klägers, der Intensität der Schmerzen (6 Tage sehr starke, 35 Tage starke, 50 Tage mittlere und 180 Tage leichte Schmerzen bis zum 23. April 1974) und seiner Beischlafsunfähigkeit ein Schmerzengeld von S 200.000,‑‑ angemessen sei.
Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren für mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte in der Hauptsache auch dessen rechtliche Beurteilung.
Das Schmerzengeld solle den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit er für die Zukunft überblickt werden kann, umfassen. Im konkreten Fall könne allerdings angesichts der Art der unfallsbedingt eingetretenen Verletzungen und des Folgezustandes des Klägers die künftige Entwicklung ebensowenig überblickt werden, wie eine Abschätzung des Schmerzenverlaufes in der Zukunft erfolgen könne. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Gutachten des vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen Dr. * T*, der aus diesem Grund nur für den Zeitraum vom 7. Mai 1972 bis 23. April 1974 (Tag der Untersuchung des Klägers) die Schmerzen des Klägers seiner Begutachtung unterzogen habe. In dieser Zeit, in der sich der Kläger siebenmal in stationärer Spitalsbehandlung befunden habe, habe er 6 Tage sehr starke, 35 Tage starke, 50 Tage mittlere und 180 Tage leichte Schmerzen ertragen müssen. Zu einer Lungenentzündung, einem Harnweginfekt und verschiedenen Nebenhodenentzündungen seien vier operative Eingriffe (zweimal Harnröhrenplastik zweimal Steinentfernung) gekommen. Alle diese gewiß sehr unangenehmen Folgen des Unfalles rückten aber durch die Tatsache in den Hintergrund, daß beim Kläger als Folgezustand der Harnröhrenplastik eine Beischlafsunfähigkeit auf Dauer eingetreten sei. Daß diese bei dem verheirateten, im Zeitpunkt des Unfalles erst 44 Jahre alten Kläger eine erhebliche psychische Alteration hervorgerufen habe, könne ebenso wenig bezweifelt werden, wie die Tatsache, daß der Kläger wegen des jederzeit möglichen Eintrittes einer Harnsperre und einer Harnweginfektion verunsichert sei. Angesichts dieser Situation erscheine ein Schmerzengeld von S 200.000,‑‑ angemessen, wodurch der dem Kläger in der Zeit vom 7. Mai 1972 bis 23. April 1974 entstandene immaterielle Schaden abgegolten sei.
Unter dem Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO rügen die Beklagten die Unterlassung der Beiziehung eines Buchsachverständigen und eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Berufskunde durch das Erstgericht. Da diese angeblichen Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens vom Berufungsgericht nicht als gegeben erachtet wurden, ist den Beklagten deren Geltendmachung im Revisionsverfahren verwehrt (vgl. SZ 27/4, SZ 41/8 uva).
In ihrer Rechtsrüge wenden sich die Beklagten gegen die Bemessung des Schmerzengeldes mit S 200.000,‑‑ mit der Einschränkung auf den Zeitraum vom 7. Mai 1972 bis 23. April 1974 durch das Berufungsgericht, zumal eine solche Einschränkung dem Ersturteil, das ein „Gesamtschmerzengeld“ zuerkannt habe, nicht zu entnehmen sei.
Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für alles Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch soweit er für die Zukunft beurteilt werden kann, umfassen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß das Schmerzengeld vorerst nur für einen bestimmten Zeitraum zuerkannt wird.
Im vorliegenden Fall rechtfertigt jedoch der Umstand, daß der ärztliche Sachverständige nur die bis zum Tage seiner Untersuchung (23. April 1974) aufgetretenen körperlichen und schätzbaren seelischen Schmerzen seinem Gutachten zugrundelegte, keine Begrenzung des Schmerzengeldzuspruches auf den Zeitraum vom Unfall bis zur Untersuchung schlechthin, sondern nur den Ausschluß der für die Zukunft noch nicht überschaubaren Schmerzen. Die bereits jetzt als Dauerfolgen feststehenden Auswirkungen der Unfallsverletzungen, insbesondere die Beischlafsunfähigkeit und die sich daraus ergebenden psychischen Belastungen des Klägers sind mit dem Schmerzengeldzuspruch auch für die Zukunft abgegolten.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände erachtet das Revisionsgericht den von den Vorinstanzen zuerkannten Betrag von S 200.000,‑‑ für angemessen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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