European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00006.76.0302.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.458,— bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin behauptet ungerechtfertigt entlassen worden zu sein. Sie leide an einer rezidivierenden Depression mit symptomatischem, chronischem Alkoholabusus, sodaß die ihr von der beklagten Partei vorgeworfene Vernachlässigung des Dienstes nicht subjektiv verschuldet, sondern objektiv durch Krankheit bedingt gewesen sei. Nach mehreren Anstaltsaufenthalten sei ihr keine Berufsunfähigkeitspension für die Zeit vom 24. Oktober 1972 bis 30. Juni 1973 bewilligt worden. Infolge Vorliegens eines wichtigen Hinderungsgrundes lägen die Voraussetzungen des § 34 Abs 2 lit c VBG. nicht vor. Da die Umwandlung einer auf Verschulden gestützten Entlassung in eine unverschuldete Kündigung im Sinne des § 32 Abs 2 lit b VBG. nicht zulässig sei, fehle der Entlassung die Rechtswirksamkeit. Die Klägerin begehre jedoch nicht die Fortsetzung des Dienstverhältnisses, sondern füge sich dem Auflösungswillen der beklagten Partei. Sie verlange nur die ihr für den Fall einer unverschuldeten Entlassung bzw. einer Kündigung im Sinne des § 32 Abs 2 lit b VBG. zustehende Abfertigung im Ausmaß des vierfachen Monatsentgeltes in der – außer Streit stehenden – Höhe von insgesamt S 16.044,—.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und behauptete, die Entlassung sei gerechtfertigt erfolgt. Die Klägerin habe seit 1967 – auch während der Dienstzeit – in steigendem Maße Alkohol konsumiert, sodaß sie außerstande gewesen sei, ihre Dienstverrichtungen, wenn überhaupt, ordnungsgemäß zu versehen. Durch den Alkoholkonsum seien zahlreiche Krankenstände bedingt worden. Obwohl die Klägerin wiederholt verwarnt worden sei, habe sie am Freitag, dem 5. Mai 1972, während der Dienstzeit beträchtliche Alkoholmengen zu sich genommen. Am 8. Mai 1972 habe sie schon am Vormittag Alkohol bis zur Dienstunfähigkeit konsumiert, sodaß sie von zwei Kollegen habe nach Hause gebracht werden müssen. Am 9. Mai 1972 sei sie dem Dienst unentschuldigt ferngeblieben, worauf sie gemäß dem § 34 Abs 2 lit b und c VBG entlassen worden sei. Die Arbeitsunfähigkeit der unter Trunkenheit leidenden Klägerin sei verschuldet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, es liege eine Geisteskrankheit nicht vor, sodaß der Klägerin ein Verschulden an ihrer Trunksucht und an deren Folgen im Sinne einer einleitenden Fahrlässigkeit treffe. Sie hätte nämlich zu Beginn der Trunksucht „sicherlich“ die Möglichkeit besessen, mit ihren die Trunksucht auslösenden seelischen Spannungen in anderer Weise fertig zu werden. Sie trage daher die Verantwortung dafür, sich durch steigenden Alkoholkonsum in die Lage einer Süchtigen begeben zu haben.
Die bestätigende Entscheidung des Berufungsgerichtes (ON 26) wurde vom Obersten Gerichtshof wegen eines Verfahrensmangels (Verletzung des Neuverhandlungsgrundsatzes hinsichtlich des Zeugen Dr. M*) aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zuruckverwiesen (4 Ob 64/74). Dieses hat die Verhandlung gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durchgeführt (darunter auch durch Vernehmung des vorgenannten Zeugen) und folgende wesentliche Feststellungen getroffen:
Die Klägerin war seit 1958 als Vertragsbedienstete (I/d) beim Finanzamt O* tätig. Nach ihrer im Jahr 1967 erfolgten Ehescheidung verfiel sie in zunehmendem Maße dem Alkohol und wurde schon im Jahr 1968 wegen der sich verstärkenden Alkoholabhängigkeit behandelt. Trotz dieser Behandlungen und der Bemühungen ihrer Mutter hatte die Klägerin immer wieder Rückfälle und wurde zur Gewohnheitstrinkerin. Sie trank schließlich auch heimlich während der Dienststunden. Dies führte zu zahlreichen Krankenständen und mehreren Anstaltsaufenthalten. Die Klägerin unterzog sich nach einer Aussprache mit dem Vorstand des Finanzamtes in der Zeit vom 1. Februar 1971 bis 15. Februar 1971 freiwillig einer Entwöhnungskur in der Anstalt M*, trank aber kurz darauf neuerlich während der Dienstzeit soviel Alkohol, daß sie nicht mehr nach Hause gehen konnte. Diese Rückfälle veranlaßten sie, sich vom 6. März 1971 bis 14. Mai 1971 einer Entwöhnungskur in K* zu unterziehen. Daran schloß sich infolge eines neuerlichen Rückfalles eine weitere Kur vom 30. Mai bis 11. Juni 1971. Vor der Entlassung wurde sie jeweils über die Alkoholabhängigkeit und über die Notwendigkeit totaler Abstinenz belehrt. Über Anregung des Finanzamtes O* wurde die Klägerin wegen ihres auch während der Dienststunden überhandnehmenden Alkoholkonsums von der Finanzlandesdirektion Wien mit Wirkung vom 17. Mai 1971 dem Finanzamt für den 12., 13., 14. und 23. Wiener Bezirk zugeteilt. Während dieser Zuteilungsdauer war die Klägerin noch zweimal im * Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie K* und zwar vom 28. Juni 1971 bis 16. Juli 1971 und vom 25. November 1971 bis 15. Dezember 1971. In beiden Fällen wurde die Anhaltung mangels Geisteskrankheit für unzulässig erklärt. Die Klägerin nahm während der Dienstzeit gelegentlich Alkohol zu sich, ohne daß dies jedoch den Eintritt der Dienstunfähigkeit zur Folge gehabt hätte. Einmal trank sie aber so viel Alkohol, daß sie am späten Nachmittag gegen Dienstschluß einschlief. Dem unmittelbaren Vorgesetzten der Klägerin, Amtsdirektor H*, war aufgefallen, daß die Klägerin während des Dienstes zum Trinken neige. Er versuchte wiederholt, sie durch Zureden und Ermahnungen vom Trinken abzuhalten. Auch der Organisationsleiter des Finanzamtes, Amtsdirektor D*, belehrte sie mehrmals über die Rechtsfolge der Entlassung im Falle übermäßigen Alkoholkonsums während des Dienstes. Da die Klägerin eine fleißige Arbeitskraft war, sollte die Angelegenheit zuerst ohne Meldung an den Dienststellenleiter bereinigt werden. Als sich die Alkoholisierungen häuften, erstattete jedoch H* Meldung mit dem Beifügen, er möchte die Klägerin, deren Arbeit trotz des Alkoholkonsums bis 5. Mai 1972 nicht wesentlich, beeinträchtigt war, noch in seiner Abteilung halten. Am 5. Mai 1972, einem Freitag, trank die Klägerin im Laufe des Vormittags heimlich alkoholische Getränke. Ihrer Kollegin fiel mittags auf, daß die Klägerin betrunken war und ihren Kopf auf den Schreibtisch gelegt hatte, über Anordnung des Amtsdirektors H* wurde sie daraufhin von zwei Kollegen nach Hause gebracht. Derartig betrunken war die arbeitsunfähig gewordene Klägerin im Dienst bis dahin noch nie gewesen. Am 8. Mai 1972 betrank sie sich neuerlich so sehr, daß sie mittags halb auf dem Schreibtisch lag. Der davon verständigte stellvertretende Vorstand des Finanzamtes ließ sie wieder heimbringen, schärfte ihr jedoch vorher noch ein, daß sie sich am nächsten Tag zum Dienst melden müsse, widrigenfalls entsprechende Konsequenzen gezogen würden. Obwohl die Klägerin dies beteuerte und ihr Lebensgefährte ihr zuredete, erschien sie am nächsten Tag nicht, weil sie daheim weitergetrunken hatte. Sie wurde daraufhin am 10. Mai 1972 gemäß dem § 34 Abs 2 lit c VBG wegen erheblicher Vernachlässigung des Dienstes in wesentlichen Belangen entlassen. Anschließend befand sich die Klägerin vom 9. Juni bis 23. August 1972 und vom 3. Oktober bis 18. Oktober 1972 in der Anstalt K*. Alle Krankengeschichten, mit Ausnahme des im Anhalteverfahren am 20. Juni 1972 erstatteten Befundes der Gerichtskommission, stimmen darin überein, daß eine reaktive oder neurotische Depression zum Trinken geführt habe und nicht eine endogene Depression (Geisteskrankheit im engeren Sinn). Durch den seit 1967 zunehmenden Alkoholmißbrauch (bewußter Alkoholkonsum in überhöhtem Ausmaß noch ohne Suchtmechanismus) entwickelte sich bei der Klägerin eine Trunksucht (Alkoholabhängigkeit) noch ohne irreversible organische Schädigung. Dieser Alkoholabhängigkeit lag keine Geisteskrankheit in der Form einer Alkoholpsychose oder einer endogenen Depression zugrunde, sondern eine Zykloidie, das ist eine Bereitschaft zu abnormen Stimmungsschwankungen, kombiniert mit einer schweren neurotischen Störung. Diese Grundstörung ist als psychische Variation, das heißt als nicht verstehbare seelische Abnormität, die nicht auf eine körperliche Krankheit rückführbar ist, nicht aber als psychische Krankheit aufzufassen. Unter einer solchen Krankheit begreift man nicht verstehbare seelische Abnormitäten, die auf körperliche Krankheiten rückführbar sind. Ein Suchtleiden ist grundsätzlich keine psychische Krankheit. Infolge der Wirkung des ständig zugeführten körperlichen Giftes wird es jedoch nach einer gewissen Dauer zu einem Grenzfall zwischen Variation und Krankheit und kann schließlich als körperlich begründbare Psychose oder Persönlichkeitsveränderung ganz in den Bereich der psychischen Krankheit überwechseln. Die auf die erwähnte psychische Grundstörung der Klägerin aufgesetzte prozeßhaft fortschreitende Alkoholabhängigkeit stellte vor dem 5. Mai 1972 keine andauernde psychische Krankheit dar. In diesem Sinn krank war die Klägerin nur periodisch während der sogenannten Kontrollverluste. Die einmal eingetretene Alkoholabhängigkeit eines Menschen bleibt nämlich potentiell für immer bestehen und kann nur unterbrochen werden, wenn das Suchtmittel nicht mehr zur Verfügung steht oder wenn durch psychotherapeutische Maßnahmen die Persönlichkeit so verändert wird, daß die Abstinenz eingehalten werden kann. Ein Rückfall in die psychische Krankheit tritt dann ein, wenn der Alkoholabhängige nicht mehr die absolute Abstinenz einhält. Durch den Eintritt einer auch kleinen Alkoholmenge in den Körper erfolgt ein Verlust der Kontrolle über die weitere Einnahme von Alkohol mit der Wirkung zwanghaften weiteren Alkoholkonsums, die eine weitgehende Unansprechbarkeit für Ermahnungen oder Zureden während des Kontrollverlustes zur Folge hat. Am 5. Mai 1972 trat ein solcher Kontrollverlust bei der Klägerin ein, der jedenfalls bis 9. Mai 1972 andauerte. Die Ermahnungen und Androhungen waren daher zwecklos. Der Klägerin war in dieser Zeit auch eine Unterbrechung des Alkoholkonsums oder der Entschluß, sich einer Behandlung zu unterziehen nicht möglich. Außerhalb des Kontrollverlustes berührt die bloße Alkoholabhängigkeit allein die Entschlußfähigkeit des Alkoholabhängigen zur Durchführung einer Behandlung im Falle des Auftretens eines Verlangens nach Alkohol grundsätzlich nicht.
In rechtlicher Hinsicht ging das Berufungsgericht zunächst von einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten der Klägerin am 5. August und 9. Mai 1972 aus und bejahte schließlich auch deren Verschulden. Der am 5. Mai 1972 infolge des Kontrollverlustes eingetretene Rückfall in die Alkoholkrankheit besitze zwar Krankheitswert im Sinne des § 24 Abs 1 VBG, doch treffe dies nicht auf die vorher bestandene bloße Alkoholabhängigkeit zu. Das Verschulden der Klägerin in der Form der groben Fahrlässigkeit besteht darin, die als wahrscheinlich vorauszusehende Krankheit (Alkoholkrankheit) durch ein auffallend sorgloses Verhalten (Konsum von Alkohol) herbeigeführt zu haben. Als verständiger Mensch habe sie wissen müssen, daß der von ihr nach der Scheidung betriebene Alkoholmißbrauch zur Trunksucht führen müsse. Durch Nichtbeachtung dieser ihr zugänglichen Erfahrung habe sie ihre spätere Trunksucht schuldhaft in Kauf genommen. Dazu komme, daß sie am 5. Mai 1972 trotz Wissens um die Folgen der Nichteinhaltung totaler Abstinenz und in Kenntnis der möglichen Entlassung neuerlich Alkohol zu sich genommen und sich nicht sofort in ärztliche Behandlung begeben habe. Dadurch habe sie den Kontrollverlust und das in diesem Stadium vorher eingenommene pflichtwidrige Verhalten verschuldet. Dieses Verschulden sei nicht in bezug auf eine Vertragspflicht, sondern als ein „Verschulden gegen sich selbst“, das heißt als ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse gebotene Verhalten zu verstehen, dessen Folgen auf den Dienstgeber abzuwälzen unbillig wäre. Die Trunksucht sei im übrigen in der österreichischen Rechtsordnung durchwegs als ein Entlassungstatbestand normiert worden, für den ein objektiv pflichtwidriges Verhalten ausreiche. Es entspreche nämlich nicht der Risikoverteilung, dem Dienstgeber unter Berufung auf dessen Fürsorgepflicht die Weiterbeschäftigung eines Dienstnehmers zuzumuten, der seine Alkoholabhängigkeit grob fahrlässig verschuldet habe und in diesem Zustand Pflichtwidrigkeiten begehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in klagsstattgebendem Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens werden Feststellungsmängel rechtlicher Art geltend gemacht. Die Klägerin vermisst insbesondere Feststellungen darüber, in welchem Maß ihre Alkoholabhängigkeit auch schon vor Eintreten des Kontrollverlustes Zwänge geschaffen und für Verhalten beeinflusst habe und welcher Raum ihrer „Willensfreiheit“ verblieben sei. Nur dann könnte, so führt die Klägerin aus, die vom Berufungsgericht unterlassene Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit vorgenommen werden.
Auf diese Ausführungen wird im Rahmen der Erörterung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung einzugehen sein.
Mit der Rechtsrüge wendet sich die Revisionswerberin zunächst gegen eine „Gleichsetzung von Kontrollverlust und psychischer Krankheit“, wie sie vom Berufungsgericht im Gegensatz zum Sachverständigengutachten des Univ.‑Prof. Dr. K* vorgenommen worden sei. Mit diesen Ausführungen bekämpft jedoch die Klägerin, ohne den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit ausdrücklich geltend zu machen, in Wahrheit den von ihr behaupteten Widerspruch dieser Feststellungen mit der Aktenlage. Sie übersieht hiebei allerdings, daß der Sachverständige in seinem in der Berufungsverhandlung vom 20. Oktober 1975 mündlich ergänzten Gutachten in Präzisierung seines schriftlichen Gutachtens ausdrücklich angegeben hat, der „Begriff“ der psychischen Krankheit habe für die Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zeit vor dem 5. Mai 1972 nicht andauernd, sondern wahrscheinlich nur periodisch, sicher aber nach dem 5. Mai 1972 bestanden. Diese Bekundung hat das Berufungsgericht in seine Feststellungsgrundlage einbezogen, sodaß der Frage, ob die Klägerin nur in den Zeiten eines Kontrollverlustes krank war oder ob ihre Alkoholabhängigkeit in Verbindung mit der Grundstörung Krankheitscharakter hatte, schon aus diesem Grund keine entscheidende Bedeutung zukommt. Eine Aktenwidrigkeit im Sinne des § 503 Z 3 ZPO liegt daher nicht vor.
Vor der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit des von der beklagten Partei geltend gemachten Entlassungsgrundes ist zu klären, ob das auf Zahlung der Abfertigung gerichtete Begehren der Klägerin angesichts des dem Arbeitnehmer im Vertragsbedienstetengesetz eingeräumten Entlassungs- und Kündigungsschutzes im konkreten Fall an sich möglich ist. Die Klägerin verneint nämlich die Berechtigung ihrer Entlassung sowie die Zulässigkeit einer Konversion der Entlassung in eine ein Verschulden nicht voraussetzende Kündigung und nimmt konsequenterweise selbst den Standpunkt ein, daß die ungerechtfertigte Entlassung daher rechtsunwirksam sei. Der Anspruch auf Abfertigung im Sinne des § 35 VBG setzt jedoch grundsätzlich ein beendetes Dienstverhältnis voraus. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Arbeitnehmer von der Geltendmachung des ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Bestandschutzes seines Dienstverhältnisses Abstand nehmen und stattdessen die für den Fall der (ungerechtfertigten) Beendigung vorgesehenen Ansprüche geltend machen kann.
Die Klägerin hat schon in der Klage ausdrücklich erklärt, sie begehre nicht die Fortsetzung ihres Dienstverhältnisses, sie füge sich dem Auflösungswillen ihres Dienstgebers. Da die Bestimmungen des Vertragsbedienstetengesetzes über die Entlassungs- und Kündigungsgründe Schutzbestimmungen zugunsten des Vertragsbediensteten sind, steht es diesem frei, auf die Geltendmachung dieses Schutzes im konkreten Fall zu verzichten und sich stattdessen auf die oben erwähnten Ansprüche zu beschränken, zumal er nicht gezwungen werden soll, ein durch die ungerechtfertigte Auflösungserklärung allenfalls belastetes Dienstverhältnis gegen den erklärten Willen seines Dienstgebers fortzusetzen. In diesem Fall löst auch die an sich rechtsunwirksame Entlassung oder Kündigung das Dienstverhältnis auf (Kuderna, Entlassungsrecht, 22; ähnlich auch Floretta im ArbVG.‑Handkommentar, 837). Da gemäß dem § 35 Abs 2 Z 4 VBG ein Abfertigungsanspruch dann nicht besteht, wenn den Vertragsbediensteten an der Entlassung (§ 34 Abs 2 VBG) ein Verschulden trifft, steht dem den Entlassungsschutz nicht in Anspruch nehmenden ungerechtfertigt Entlassenen ebenso wie dem auf Grund eines Entlassungstatbestandes, der ein Verschulden nicht verlangt (gerechtfertigt) Entlassenen der Abfertigungsanspruch zu (vgl. Arb 5639).
Entscheidend ist somit die Beantwortung der Frage, ob die Klägerin gerechtfertigt entlassen wurde, das heißt, ob die Klägerin, wie ihr von der beklagten Partei vorgeworfen wird, ihren Dienst in wesentlichen Belangen erheblich vernachlässigt (§ 34 Abs 2 lit c VBG) bzw. eine besonders schwere Verletzung ihrer Dienstpflichten begangen (§ 34 Abs 2 lit b VBG) hat. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß das objektive Verhalten der Klägerin dem Tatbild dieser beiden im wesentlichen übereinstimmenden Entlassungstatbestände entspricht. Sie war sowohl am 5. als auch am 8. Mai 1972 während des Dienstes derart alkoholisiert, daß sie nicht imstande war, ihren Dienst zu verrichten. Am 9. Mai 1972 ist sie zum Dienst nicht erschienen, weil sie am Vortag daheim weitergetrunken hatte. Daß dieses Verhalten alle Merkmale der beiden vorerwähnten Tatbestände aufweist, muß nicht erst näher erörtert werden.
Im vorliegenden Fall hat jedoch die Klägerin ein Verschulden an dieser Pflichtenverletzung mit der Begründung verneint, sie habe an einer krankhaften Alkoholabhängigkeit gelitten, sodaß sie an der Erfüllung ihrer Dienstpflichten unverschuldet und auf eine die Pflichtwidrigkeit ausschliessende Weise gehindert gewesen sei. Das Berufungsgericht hat sich dieser Auffassung zwar für die Zeit vom 5. Mai bis 9. Mai 1972 hinsichtlich des Vorliegens einer Krankheit angeschlossen, hat aber ein Verschulden der Klägerin an dieser Krankheit angenommen, sodaß sich die Klägerin auf einen sie entschuldigenden und die Pflichtwidrigkeit ausschließenden Hinderungsgrund nicht berufen könne.
Für die Beurteilung des gegenständlichen Falles ist mit Rücksicht auf die vorerwähnte Bestimmung des § 35 Abs 2 Z 4 VBG, wonach das Bestehen des von der Klägerin geltend gemachten Abfertigungsanspruches vom Fehlen eines Verschuldens an der Entlassung abhängig ist, die Frage zu prüfen, ob die Klägerin ein Verschulden an ihrer die Dienstpflichtverletzung bedingenden Alkoholabhängigkeit trifft. Ein solches etwaiges Verschulden ist aber entgegen der in Anlehnung an die Entscheidung des deutschen Bundesarbeitsgerichtes vom 7. Dezember 1972, AP 1973, H 9/10, Bl 419, zu § 1 LohnfG vertretenen Auffassung des Berufungsgerichtes nicht als „Verschulden gegen sich selbst“ zu verstehen. Dies widerspräche nämlich dem Wesen des Rechts als einer Ordnung zwischenmenschlicher Lebensbeziehungen (vgl. Küchenhoff in der Besprechung der oben zitierten Entscheidung des BAG., a.a.O., und die dort angeführte Literatur). Die Schädigung der eigenen Person ist, wenn dadurch keine fremde Rechtssphäre berührt wird, grundsätzlich nicht schuldhaft. Die an sich schuldlose Handlung gegen die eigenen Interessen wird jedoch in dem Augenblick, in dem aus dem Schaden Ersatzansprüche abgeleitet werden, vom Standpunkt des in Anspruch genommenen Dritten aus gesehen schuldhaft (Werner in Staudinger, Komm. zum BGB, II, I c, 10./11. Auflage, S. 132).
Betrachtet man die Verschuldensfrage im vorliegenden Fall in bezug auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen, dann ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verbunden ist, im Falle einer unverschuldeten Verhinderung des Arbeitnehmers an der Erbringung seiner Arbeitsleistung, insbesondere im Falle einer Krankheit, das Arbeitsverhältnis für eine bestimmte Dauer unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts fortzusetzen und außerdem für die Gesundheit des Arbeitnehmers an dessen Arbeitsplatz zu sorgen. Hingegen ist der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Treuepflicht verbunden, Arbeitsverhinderungen, insbesondere auch durch Krankheit bedingt nach Tunlichkeit zu vermeiden, um seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber voll zur Verfügung stellen zu können. Gegen diese Verpflichtung hat jedoch die Klägerin zumindest in grob fahrlässiger Weise verstoßen. Dem Berufungsgericht ist darin beizustimmen, daß ein verständiger Mensch wissen muß, daß wiederholter Alkoholmißbrauch in aller Regel, insbesondere wenn er über längere Zeit hindurch anhält, zur Trunksucht führt. Handelt er daher gegen diese Erkenntnis, dann nimmt er entweder die Trunksucht und deren Folgen in Kauf (Vorsatz in der Form des dolus eventualis) oder er läßt die (im Rahmen der vorerwähnten Treuepflicht zu beobachtende) pflichtgemäße Sorgfalt außer Acht, obwohl er den Eintritt der Alkoholabhängigkeit und deren mit der Einhaltung seiner Dienstpflichten kollidierenden Folgen als wahrscheinlich voraussehen mußte (grobe Fahrlässigkeit). Wenn ein Arbeitnehmer im Einzelfall behauptet, es habe ihm an seiner Alkoholabhängigkeit und an der dadurch hervorgerufenen Pflichtenverletzung aus besonderen Gründen kein Verschulden getroffen, dann obliegt ihm hiefür der Beweis (§ 1298 ABGB).
Einen solchen Beweis hat die Klägerin jedoch nicht erbracht. Aus dem Verlauf ihrer Alkoholabhängigkeit, insbesondere aus den wiederholten Verletzungen ihrer Dienstpflichten, waren ihr die Folgen ihres Alkoholmißbrauchs sowohl hinsichtlich der immer mehr zunehmenden Alkoholabhängigkeit als auch hinsichtlich deren schädlichen Auswirkung auf das Dienstverhältnis bekannt. Sie wurde außerdem wiederholt über die Notwendigkeit totaler Abstinenz und über die Folgen der Nichteinhaltung dieses Gebotes nach jeden Anstaltsaufenthalt belehrt. Die Nichtbeachtung all dieser in den Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten fallenden Erfahrungen, Erkenntnisse und Gebote hat sie als Verschulden, und zwar zumindest in der Form der groben Fahrlässigkeit, zu verantworten. Außerhalb des Kontrollverlustes berührt nach den Feststellungen der Untergerichte die bloße Alkoholabhängigkeit allein nicht die Entschlußfähigkeit des Alkoholabhängigen zur Durchführung einer Behandlung im Falle des Auftretens eines Verlangens nach Alkohol. Der Klägerin, die bei Beobachtung der pflichtgemäßen Sorgfalt sowohl am Beginn des Alkoholmißbrauchs als auch am 5. Mai 1972 die Folgen ihres Alkoholkonsums voraussehen mußte, kann daher nicht bloß der Verschuldensgrad der leichten Fahrlässigkeit angelastet werden, sodaß sich die von ihr in diesem Zusammenhang vermißten Feststellungen über Zwänge außerhalb des Kontrollverlustes und über den ihr verbliebenen Raum der Willensfreiheit erübrigen.
Da die Klägerin somit, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, ein Verschulden an ihrer Entlassung trifft, besitzt sie gemäß dem § 35 Abs 2 Z 4 VBG keinen Anspruch auf Abfertigung, sodaß das Klagebegehren mit Recht abgewiesen wurde.
Der unberechtigten Revision mußte daher ein Erfolg versagt werden.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41, 50 ZPO begründet.
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