European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00509.76.0130.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.224,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen S 600,—, Umsatzsteuer S 194,40) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der am * 1970 verstorbene Dipl.‑Ing. F* B* errichtete ein Testament, in dem er die Beklagte (seine Gattin) zur Alleinerbin einsetzte und den Kläger (seinen Sohn) sowie dessen Bruder W* B* auf den Pflichtteil beschränkte. Hinsichtlich seiner Tochter I* G* ordnete er an, daß sie keinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen habe.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Bezahlung seines Pflichtteils in der Höhe von S 82.450,– samt Anhang (1/8 des Reinnachlasses von S 659.602,14). Der von ihm am 10. Jänner 1972 abgegebene Pflichtteilsverzicht sei mangels Einhaltung der vorgeschriebenen Form und mangels Annahme durch die Beklagte ungültig. Außerdem sei der Verzicht nur durch den von der Beklagten veranlaßten Irrtum, daß die Verlassenschaft passiv sei, zustandegekommen und beinhalte überdies nur eine Stundung des Pflichtteilsanspruches. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung mit der Behauptung, daß der Kläger rechtswirksam auf seinen Pflichtteil verzichtet habe.
Das Erstgericht wies das Klagsbegehren ab. Nach seinen Feststellungen beauftragte die Beklagte Dr. W* S* (Substitut des öffentlichen Notars Dr. S*) mit der Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens nach ihrem verstorbenen Gatten. Der Genannte empfahl ihr, sich im Hinblick auf ihre schlechten finanziellen Verhältnisse bei ihren Söhnen um einen Pflichtteilsverzicht zu bemühen. Am 10. Jänner 1972 erschienen der Kläger und sein Bruder in der Kanzlei des Notars Dr. S*, um die Verlassenschaftsabhandlung und deren Durchführung zu besprechen. Hiebei wurde der Kläger in Kenntnis gesetzt, daß ihn sein Vater auf den Pflichtteil beschränkt hatte. Dr. W* unterrichtete hierauf den Kläger und dessen Bruder W* B* über das Verlassenschaftsvermögen, dessen wesentlichen Bestandteil der Hälfteanteil an der Liegenschaft EZ * KG * bildete, und über die vorhandenen Passiven. Bei Erörterung des Pflichtteilsverzichtes informierte Dr. S* den Kläger, daß die Verlassenschaft bei Zugrundelegung des Einheitswertes für die Liegenschaftshälfte allenfalls passiv sei. Sein Pflichtteilsanspruch verändere sich aber, wenn über Antrag des Klägers eine Schätzung stattfinde, weil dann statt des Einheitswertes der Schätzwert der Berechnung zugrundegelegt werde. Über den vermutlichen Schätzwert wurde nicht gesprochen. Auf Anraten Dris. S* verzichteten dann der Kläger und sein Bruder W* B*, um der Beklagten ihre schwierige Lage zu erleichtern, auf ihren Pflichtteilsanspruch und auf eine Schätzung des Liegenschaftsanteiles. Die Beklagte nahm diese Erklärung zustimmend zur Kenntnis. Hierauf wurde das vom Kläger und W* B* unterfertigte Schreiben vom 10. Jänner 1972 (Beilage 2) verfaßt, das wie folgt lautet:
„ E R K L Ä R U N G
In der Verlassenschaftssache nach dem am * 1970 verstorbenen Herrn Dipl.‑Ing. F* B*, zuletzt *, geben wir gefertigten erbl. Söhne a) F* B*, geboren 1942, *,
b) W* B*, geboren 1950, *,
die Erklärung ab, daß wir auf die Geltendmachung des uns zustehenden Pflichtteiles nach unserem verstorbenen Vater verzichten.
Wir werden jedoch die entsprechenden Pflichtteilsansprüche in der seinerzeitigen Verlassenschaftsabhandlung nach unserer Mutter geltend machen.
Auf eine Schätzung des Nachlaßvermögens unseres Vaters verzichten wir.…“
Während des Gespräches am 10. Jänner 1972 wurde weder von der Beklagten noch vom Kläger über irgendwelche Bedingungen des Verzichtes gesprochen. Die Beklagte hatte damals noch nicht die Absicht, die Liegenschaft zu verkaufen. Es wurde auch nicht davon gesprochen, daß sie die Liegenschaft nicht verkaufen dürfe. I* G* verzichtete nicht auf ihren Pflichtteil und beantragte eine Schätzung des Nachlasses, die auch durchgeführt wurde. Im Hinblick auf diese Forderung der I* G* waren die finanziellen Verhältnisse der Beklagten weiterhin schlecht. Diese entschloß sich deshalb zu einer Veräußerung der geerbten Liegenschaftshälfte.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß der vom Kläger abgegebene Pflichtteilsverzicht zu seiner Gültigkeit weder der Aufnahme eines Notariatsaktes noch der Beurkundung in einem Gerichtsprotokoll bedurft habe. Der Kläger habe sich auch bei Abgabe des Verzichtes nicht in einem Irrtum über den Schätzwert des Nachlasses befunden.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstrichters als unbedenklich und teilte auch dessen Rechtsansicht.
Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO und beantragt, es dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionswerber beharrt auf seinem bereits vor den Vorinstanzen vertretenen Standpunkt, daß sein Pflichtteilsverzicht nicht rechtswirksam sei. Ein solcher setze nämlich eine an den Begünstigten gerichtete Offerte voraus, die von diesem angenommen werden müsse. Die Annahme könne nicht dadurch ersetzt werden, daß die Verzichtserklärung durch den Begünstigten stillschweigend zur Kenntnis genommen werde. Nur eine an die Beklagte gerichtete Verzichtserklärung hätte außerdem verhindern können, daß sich durch den Verzicht die Pflichtteilsquote der I* G* erhöhe.
Den Ausführungen des Revisionswerbers ist nur insofern beizupflichten, daß der nach dem Tode des Erblassers vom Pflichtteilsberechtigten erklärte Pflichtteilsverzicht einen mit dem Erben abgeschlossenen Vertrag zur Voraussetzung hat. Der Pflichtteilsberechtigte hat nämlich gegen den Erben ein Forderungsrecht auf Auszahlung eines Geldbetrages in der Höhe eines entsprechenden Anteiles am Reinnachlaß, auf das die Vorschriften über die Schuldverhältnisse Anwendung zu finden haben (Weiß in Klang2 II S 833 f., Gschnitzer Erbrecht S 88, EvBl 1955/127, 1 Ob 28/69, 7 Ob 52/73). Ob ein gültiger Pflichtteilsverzicht vorliegt, richtet sich daher nach den gesetzlichen Bestimmungen über den Schulderlaß (§ 1444 ABGB). Nach der nunmehr herrschenden Vertragstheorie bedarf die vom Verzichtenden abgegebene Entsagungserklärung wohl der Annahme des Schuldners (EvBl 1968/297, 1971/229, RZ 1968/108, 1 Ob 28/69), die jedoch von diesem als empfangsbedürftige Willenserklärung auch stillschweigend angenommen werden kann (Deinlein, Verfügung über den Pflichtteil in Not.Ztg 1956, S 167, SZ 18/184, EvBl 1960/6, 1971/229). Nach den Feststellungen der Unterinstanzen hat aber die bei der Besprechung am 10. Jänner 1972 anwesende Beklagte, die vom Revisionswerber abgegebene Verzichtserklärung stillschweigend zur Kenntnis genommen. Dies reicht für das wirksame Zustandekommen eines Verzichtes (Schulderlasses) aus. Ein ausdrücklicher Hinweis des Revisionswerbers, daß der Verzicht zugunsten der Beklagten erfolgt, war entbehrlich, weil sich dies schon aus der Natur und dem Zweck des vereinbarten Pflichtteilsverzichtes ergibt. Die Rechtsansicht des Revisionswerbers, daß ein Pflichtteilsverzicht zur Erhöhung der Pflichtteilsquoten der anderen Pflichtteilsberechtigten führe, wenn er nicht eine Widmung zugunsten des Erben enthält, ist unzutreffend, weil eine solche Rechtswirkung nur dem Erblasser gegenüber in Form eines erbrechtlichen Vertrages abgegebenen Erbverzicht (§ 767 ABGB) zukommt. Auch der Entscheidung GlUNF 4480 lag ein solcher Erbteilsverzicht zugrunde (Deinlein in NZ 1956/100). Hingegen werden durch einen vom Noterben vor oder nach dem Tode des Erblassers abgegebenen Pflichtteilsverzicht die Pflichtteile der übrigen Noterben nicht berührt, sondern bleiben ihrer Höhe nach unverändert (Deinlein S 168).
Der Revisionswerber ist ferner der Ansicht, der von ihm abgegebene Pflichtteilsverzicht sei schon deshalb ungültig, weil er nicht in einem gerichtlichen Protokoll oder durch einen Notariatsakt beurkundet worden sei.
Auch diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Nach der herrschenden Lehre sind allerdings die Formvorschriften für den Erbverzicht (§ 551 Satz 2 ABGB) auch auf den Pflichtteilsverzicht anzuwenden (Weiß in Klang2 III S 178, Deinlein S 102). Die Bestimmungen der vorgenannten Gesetzesstelle gelten aber nur für den zwischen dem Erblasser und dem (künftigen) Pflichtteilsberechtigten vereinbarten Pflichtteilsverzicht (Weiß in Klang² III S 177 f, Deinlein S 102). Verzichtet hingegen der Pflichtteilsberechtigte dem Erben gegenüber auf den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch, so handelt es sich, wie bereits dargelegt, um einen schuldrechtlichen Vertrag (Schulderlaß), für dessen Abschluß keine Formvorschriften bestehen. Nach der mit der herrschenden Lehre (Klang² VI S 531, Ehrenzweig2 II/1 S 370 f, Deinlein S 167) übereinstimmenden ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bedarf nämlich ein unentgeltlicher Verzicht nicht der Notariatsform (Spr. 15 alt, JBl 1950, 509, EvBl 1974/79, RZ 1968, 108 u.a.m.).
Die Formvorschriften des § 1278 Abs 2 ABGB für den Erbschaftskauf (Aufnahme eines Notariatsaktes oder Beurkundung durch gerichtliches Protokoll), die die Lehre und Rechtsprechung auch auf die Erbschaftsschenkung anwendet (Wolff in Klang2 V S 1008 f, SZ 14/2, 30/64) können für den Pflichtteilsverzicht auch nicht analog herangezogen werden. Die Rechtsprechung betrachtet allerdings auch den Verzicht auf eine bereits angefallene Erbschaft zugunsten von Personen, denen diese bei Wegfall des Verzichtes nicht zur Gänze zugefallen wäre, bei Unentgeltlichkeit des Verzichtes als Erbschaftsschenkung und bei dessen Entgeltlichkeit als Erbschaftskauf und unterstellt ihn den Formvorschriften des § 1278 Abs 2 ABGB. Gegenstand des Erbschaftskaufes oder der Erbschaftsschenkung ist aber das Erbrecht des Erben (SZ 30/64). Es muß daher ein Erbe vorhanden sein, in dessen Rechtsstellung als Gesamtnachfolger des Erblassers der Erbschaftskäufer oder der Beschenkte eintritt. Dieser erwirbt daher auch den Besitz an der Erbschaft nicht schon durch Übergabe der einzelnen Vermögensbestandteile, sondern erst durch die Einantwortung (Wolff in Klang2 V S 1010, SZ 30/64, EvBl 1964/361). Der Pflichtteilsberechtigte ist aber nicht Erbe. Ihm steht vielmehr nur ein Forderungsrecht gegen den Erben zu. Im Hinblick auf diesen wesentlichen Unterschied zwischen der Ruhestellung des Erben und des Pflichtteilsberechtigten sind die Formvorschriften des § 1278 Abs 2 ABGB auf den Pflichtteilsverzicht nicht anwendbar, sondern unterliegt dieser den Normen über den Schulderlaß, der völlig formfrei abgeschlossen werden kann. Wenn daher die Untergerichte einen rechtswirksamen Pflichtteilsverzicht des Revisionswerbers bejahten, so kann hierin ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden.
Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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