European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021150049.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Masseverwalter der H GmbH, über deren Vermögen am 11. März 2016 ein Konkursverfahren eröffnet wurde.
2 Aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 1‑11/2013 bei der H GmbH wurden Vorsteuerbeträge in Höhe von 906.455,69 € nicht anerkannt. Die Prüferin ging davon aus, dass die H GmbH Teil eines Umsatzsteuerbetruges gewesen sei und der Geschäftsführer der H GmbH nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehandelt habe.
3 Das Finanzamt folgte der Prüferin und versagte mit Umsatzsteuerbescheid vom 12. Juni 2015 die Anerkennung der geltend gemachten Vorsteuern. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin ein Vorlageantrag gestellt wurde.
4 Das Bundesfinanzgericht wies mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab. Es führte nach Wiedergabe des Verfahrensganges, der aus einer beinahe 150 Seiten umfassenden Zusammenstellung von umfassenden Auszügen aus dem Betriebsprüfungsbericht, Beschwerde, Beschwerdevorentscheidung, Vorlageantrag und diverser E‑Mails und Stellungnahmen besteht, aus, dass Geschäfte mit vier Unternehmen strittig seien, wobei die Lieferung eines Shredders, von Notebooktaschen und gebrauchten Textilien sowie Haushaltsgeräten in die Ukraine betroffen seien. Die H GmbH sei in einen Umsatzsteuerbetrug involviert gewesen, bei denen die HO GmbH als „missing trader“ und die vier Unternehmen, die Geschäftspartner der H GmbH, als „buffer“ installiert worden seien. Der Geschäftsführer der H GmbH habe ‑ mit näherer Begründung ‑ nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes walten lassen. Die H GmbH habe zudem die Verfügungsmacht über die Waren nie gehabt und daher auch nicht verschaffen können. Der Vorsteuerabzug stehe somit nicht zu.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, dass der Sachverhalt nicht ordnungsgemäß festgestellt worden sei und das Erkenntnis nicht den Vorgaben der Rechtsprechung entsprechen würde. Weiters sei Voraussetzung für die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei Erfüllen der materiell‑rechtlichen Voraussetzungen das nachweisliche Vorliegen einer tatsächlich begangenen strafbaren Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette. Eine solche strafbare Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette nach § 33 bzw. § 40 FinStrG gebe es bei den den Ausfuhrlieferungen vorgelagerten Umsätzen nicht, da alle Vorlieferanten der H GmbH ihre Umsatzsteuer unstrittig angemeldet hätten. Damit sei die Annahme der strafbaren Umsatzsteuerhinterziehung ausgeschlossen und damit auch eine Beteiligung daran. Weiters habe das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Zeitpunkt für den subjektiven Tatbestand des Vorsteuerabzugs bzw. der Betrugsbekämpfung des EuGH verkannt. Die H GmbH habe im Zeitpunkt der Eingangslieferung nichts von den Umständen gewusst, die zur Annahme des Mehrwertsteuerkarussells geführt hätten. Weiters wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts betreffend die fehlende Sorgfalt. Das Bundesfinanzgericht habe zusammenhanglos festgestellt, dass die H GmbH keine Verfügungsmacht über die Waren erlangt habe. Die Verfügungsmacht habe Relevanz bei der Frage ob die H GmbH die Ware für das Unternehmen überhaupt erhalten habe. Hätte sie keine Verfügungsmacht an den revisionsgegenständlichen Waren erhalten, wäre bereits aus diesem Grund das Vorsteuerabzugsrecht zu verneinen gewesen. Die H GmbH habe mit dem Antrag auf Vernehmung des Zeugen B den Nachweis erbringen wollen, dass die H GmbH tatsächlich Verfügungsmacht erlangt habe. Die Ablehnung dieses Beweisantrages stelle eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung und der Revisionswerber weitere Äußerungen erstattet haben, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Gericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Mit der dazu erforderlichen zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint, sondern die Anführung jenes Sachverhaltes, den das Verwaltungsgericht als Ergebnis seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt. Die zusammenhängende Darstellung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes kann nicht durch den bloßen Hinweis auf „Aktenmaterial“ oder auf den Verfahrensgang ersetzt werden (vgl. VwGH 28.2.2014, 2013/16/0053; 17.5.2023, Ro 2023/13/0008).
9 Ein Begründungsmangel führt nur dann zur Zulässigkeit der Revision, wenn dieser relevant ist, der Mangel also den Revisionswerber an der Verfolgung seiner Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert (vgl. z.B. VwGH 19.4.2021, Ra 2020/13/0105, mwN).
10 Dies liegt im Revisionsfall vor. Für den Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund der Ausführungen im Erwägungsteil nicht erkennbar, welchen gesamthaften Sachverhalt das Bundesfinanzgericht seinen Erwägungen zugrunde gelegt hat. Die Sachverhaltsfeststellungen enthalten zahlreiche Verweise auf den fast 150 Seiten umfassenden Verfahrensgang, auf Niederschriften und Einvernahmeprotokolle, die teils nicht einmal im Verfahrensgang wiedergegeben wurden, sowie andere Aktenteile. Diese Verweise vermögen eigene Feststellungen des Bundesfinanzgerichts nicht zu ersetzen, die es dem Verwaltungsgerichtshof etwa ermöglichen würden nachzuvollziehen, welches Betrugsmodell das Bundesfinanzgericht konkret angenommen hat oder welche Taten bei den vorgelagerten Umsätzen angenommen wurden, die zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs bei der H GmbH führen müssen. Die Feststellungen des Bundesfinanzgerichts zum Betrugsmodell beziehen sich im Wesentlichen auf Details mit zahlreichen Verweisen auf Verfahrensgang und Aktenteile, ohne aber zusammenhängend und nachvollziehbar darzustellen, welches Modell dem angenommenen Umsatzsteuerbetrug zugrunde lag. Unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ finden sich keine beweiswürdigenden Erwägungen zu dem festgestellten Sachverhalt; die Beweiswürdigung wird bereits mit den Sachverhaltsfeststellungen vermischt. Zudem ist nicht eindeutig erkennbar, ob das Bundesfinanzgericht von einem Wissen oder einem Wissen-Müssen des Geschäftsführers der H GmbH ausgegangen ist. Des weiteren ist unklar, ob das Bundesfinanzgericht den Vorsteuerabzug deshalb versagt hat, weil es von der Beteiligung der H GmbH an einem Umsatzsteuerbetrug ausgegangen ist oder weil die H GmbH keine Verfügungsmacht über die Waren hatte.
11 Insgesamt ist dem Verwaltungsgerichtshof daher die Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses nicht möglich, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. September 2023
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