VwGH Ra 2022/13/0078

VwGHRa 2022/13/007823.8.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der c gmbh & co kg in G, vertreten durch Dr. Kurt Fassl und Mag. Alexander Haase, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Grieskai 98/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 4. Mai 2022, Zl. LVwG 61.11‑2354/2021‑9, betreffend Kanalisationsbeitrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art18
KanalabgabenG Stmk 1955 §2
KanalabgabenG Stmk 1955 §3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022130078.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 24. April 2020 schrieb der Stadtsenat der Stadt Graz der Revisionswerberin für eine an das öffentliche Kanalnetz gesetzlich anschlusspflichtige Liegenschaft einen Kanalisationsbeitrag samt Umsatzsteuer vor. In der Begründung wurde ausgeführt, die Liegenschaft befinde sich im Anschlussverpflichtungsbereich an die öffentliche Kanalanlage. Beim vorliegenden nunmehr fertiggestellten Bauvorhaben handle es sich weder um eine Wiedererrichtung einer zerstörten, abgetragenen oder beschädigten Baulichkeit noch um einen Zu‑ oder Umbau einer Baulichkeit, sondern um einen beitragspflichtigen Neubau. Abbruchflächen dürften daher bei der Vorschreibung keine Berücksichtigung finden.

2 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Beim vorliegenden Projekt handle es sich um einen Um‑ und Zubau bzw. eine Wiedererrichtung. Zu einem ausführlichen Vorhalt der Behörde führte sie zusammengefasst aus, dass sich die Gesamtbebauung der zu beurteilenden Liegenschaft durch die Projektumsetzung nicht vermehrt, sondern reduziert habe. Es sei daher keine „Kanalaufschließungsgebühr“ vorzuschreiben.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. Juni 2021 gab der Stadtsenat der Beschwerde teilweise Folge und reduzierte den Kanalisationsbeitrag. In der Begründung wurde darauf verwiesen, dass bei einem der Gebäude nur eine kleinere Fläche als ursprünglich angenommen neu errichtet worden sei; in diesem Umfang sei der Abgabenbescheid abzuändern gewesen.

4 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Revisionswerberin im Umfang der Beschwerdevorentscheidung Folge. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

6 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei Alleineigentümerin der näher bezeichneten Liegenschaft. Die Liegenschaft liege im Anschlussverpflichtungsbereich an das bestehende öffentliche Kanalnetz der Stadt Graz. Da die Liegenschaft aber zunächst nicht in diesem Verpflichtungsbereich gelegen war, sei im Jahr 1965 ein Widmungskanal errichtet worden, der auch im Jahr 1965 durch die Stadt Graz übernommen worden sei. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich auf der Liegenschaft ein Bürogebäude mit Anbauten und eine Lagerhalle befunden. Auf Grund des Beschlusses des Stadtsenates vom 16. April 1963 seien für diese Gebäude keine Kanalanschlussgebühren vorgeschrieben worden.

7 Im Jahr 1981 sei ein dreigeschoßiger Zubau an das bestehende Betriebsgebäude (Halle) bewilligt worden. Gemäß dem Beschluss des Stadtsenates vom 16. April 1963 seien hiefür keine Kanalanschlussgebühren vorgeschrieben worden.

8 Im Jahr 1985 sei die Bewilligung für den Aufbau eines Bürogeschoßes auf einem bestehenden Gebäude erteilt worden; auch hiefür seien auf Grund des Beschlusses des Stadtsenates vom 16. April 1963 keine Kanalanschlussgebühren vorgeschrieben worden.

9 Im Jahr 1994 sei die Errichtung eines Containerbüros bewilligt worden. Für dieses Gebäude sei sodann erstmals ein Kanalisationsbeitrag mit Bescheid vom 28. Dezember 1994 (für eine Fläche von 648 m²) vorgeschrieben worden. Dieses Containerbüro sei im Zuge des nunmehrigen Neu‑ bzw. Umbaus komplett abgerissen worden.

10 Mit Bescheid des Stadtsenates vom 30. März 2016 sei der Revisionswerberin die Bewilligung zur Errichtung des Gebäude 1 (Um‑ und Zubauten mit teilweiser Nutzungsänderung), des Gebäudes 2 (Um‑ und Zubauten für eine Nutzungsänderung auf Parkdeck) und des Gebäudes 3 (Um‑ und Zubauten für Wohnzwecke) erteilt worden.

11 Mit Bescheid des Stadtsenates vom 10. Mai 2016 sei der Revisionswerberin die Bewilligung zum Abbruch eines Lagergebäudes (Halle und Nebenräume) mit einer Bruttogeschoßfläche von ca. 1.868 m² erteilt worden; das Lagergebäude sei in der Folge zur Gänze abgetragen worden.

12 Mit Bescheid des Stadtsenats vom 5. September 2016 sei der Revisionswerberin die Bewilligung zur Durchführung von Um‑ und Zubauten bei den bestehenden Gebäuden 1 und 3 sowie zur Errichtung zweier Wohngebäude erteilt worden. Das bewilligte Bauprojekt, sowohl die Um‑ und Zubauten als auch der Neubau, sei ausgeführt worden. Fertigstellungsanzeigen seien im Oktober 2017 und Jänner 2018 erfolgt.

13 Bei zwei Gebäuden handle es sich um Neubauten, während es sich bei zwei anderen Gebäuden um Um‑ bzw. Zubauten handle; insoweit sei für den Kanalisationsbeitrag nur die neugeschaffene Bruttogeschoßfläche berücksichtigt worden.

14 Im Revisionsfall sei die Hausentwässerung zunächst über den im Jahr 1965 errichteten Widmungskanal erfolgt. Nach § 47e Abs. 3 der damals anwendbaren Grazer Bauordnung 1881 habe bei Vorliegen eines Widmungskanals eine Kanalanschlussgebühr nicht vorgeschrieben werden können. Mit der Novelle zum Kanalabgabengesetz, LGBl. Nr. 40/1971, seien die Bestimmungen des § 47e Grazer Bauordnung 1881 mit Wirksamkeit vom 16. Februar 1971 außer Kraft getreten.

15 Im Zeitpunkt der Errichtung des Widmungskanals habe § 3 Kanalabgabengesetz normiert, dass von der Entrichtung des Kanalisationsbeitrages jene Liegenschaften ausgenommen seien, für welche bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ein Kanalisationsbeitrag an die Gemeinde geleistet worden sei; sonstige Leistungen des Abgabepflichtigen zur Kanalherstellung seien in den Kanalisationsbeitrag einzurechnen gewesen. Durch den Entfall des § 3 Kanalabgabengesetz mit der Novelle LGBl. Nr. 80/1988 sei es in der Folge zur Nichtberücksichtigung von Eigenleistungen bei der seinerzeitigen Kanalerrichtung im Falle der nunmehrigen Erfüllung des Abgabentatbestandes gekommen. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragseinhebung sei auf die Anrechnungsvorschriften des § 2 Abs. 3 letzter Satz sowie des § 4 Abs. 4 Kanalabgabengesetz eingeschränkt worden.

16 Der erfolgte Abbruch der bestandenen Lagergebäude unter gleichzeitiger Neuerrichtung der Wohngebäude sei nicht vergleichbar mit jenem Fall, wo eine zerstörte oder beschädigte Baulichkeit wieder errichtet werde. Es handle sich daher hier um keine Wiedererrichtung. Eine Berücksichtigung der Bruttogeschoßflächen des Altbestandes gemäß § 2 Abs. 3 letzter Satz Kanalabgabengesetz komme daher nicht in Betracht.

17 Hingegen handle es sich bei zwei Häusern um Um‑ bzw. Zubauten; es seien daher nach der Anrechnungsbestimmung des § 4 Abs. 4 Kanalabgabengesetz die bereits vorhandenen Bruttogeschoßflächen zu berücksichtigen; nur für die neu geschaffenen Flächen sei ein ergänzender Kanalisationsbeitrag vorzuschreiben.

18 Aus den in den Verfahrensakten befindlichen Unterlagen ergebe sich, dass die Stadt Graz einen geringen Beitrag zur Errichtung des Widmungskanals geleistet habe; die Bauführung sei dem Widmungswerber oblegen. Nach anstandsloser Qualitätskollaudierung sei der Kanal in das Eigentum der Stadtgemeinde übergegangen. Dies habe zur Folge gehabt, dass seither die Stadt Graz für die Erhaltung dieses Widmungskanals zuständig gewesen sei. Befreiungs- oder Anrechnungsbestimmungen im Zusammenhang mit einem Widmungskanal bestünden seit der Novelle 1988 nicht mehr.

19 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.

20 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

21 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

22 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

23 Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, die Revision sei zulässig, weil der Rechtsfrage, ob der Kanalisationsbeitrag rückwirkend trotz vormaliger Befreiung vorgeschrieben werden könne, grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsauslegung zukomme. Die Rechtsprechung zur Frage der Wiedererrichtung iSd Kanalisationsbeitrags sei nicht einheitlich gelöst, wobei nicht der konkrete Einzelfall zu beurteilen sei, sondern das Verhältnis des gesetzlich nicht näher definierten „Neubaus“ zur „Wiedererrichtung“. Der Verwaltungsgerichtshof habe bisher ausgesprochen, dass rechtskräftige Bescheide auch andere Behörden binden und baurechtlichen Begriffen der dortige Sinn zu unterstellen sei; das Verwaltungsgericht sei hievon abgewichen. Es liege ein öffentlich‑rechtlicher Vertrag vor, welcher durch Beschlüsse des Gemeindegremiums gedeckt sei. Zur Wirkung derartiger Vereinbarungen auf die gesetzliche Verpflichtung, die nachträglich geschaffen worden sei, liege keine Rechtsprechung vor.

24 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.

25 Zunächst ist darauf zu verweisen, dass in den „gesonderten“ Gründen zur Zulässigkeit der Revision (§ 28 Abs. 3 VwGG) bezogen auf den vorliegenden Fall konkret darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. z.B. VwGH 13.9.2017, Ra 2017/13/0058; 13.10.2021, Ra 2020/13/0091; 7.1.2022, Ra 2021/13/0032, je mwN). Dieser Anforderung entspricht das Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision, das keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anführt, obwohl u.a. behauptet wird, dass eine Frage in der Rechtsprechung nicht einheitlich gelöst sei, weitgehend nicht.

26 Entgegen dem Vorbringen in der Revision liegt keine rückwirkende Vorschreibung eines Kanalisationsbeitrags vor; der Kanalisationsbeitrag wurde vielmehr im Hinblick auf die im Zeitraum 2016 bis 2017 errichteten Baulichkeiten vorgeschrieben. Dass diese Vorschreibung trotz vormaliger Befreiung im Sinne der Bestimmungen über Widmungskanäle nach der damals anwendbaren Bestimmung des § 47e Grazer Bauordnung 1881 zu erfolgen hat, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.9.2006, 2003/17/0088; 15.11.2012, 2011/17/0301).

27 Zur Frage des Begriffs der „Wiedererrichtung“ iSd Kanalabgabengesetzes liegt entgegen der nicht substantiierten Behauptung keine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (vgl. neuerlich VwGH 15.11.2012, 2011/17/0301, mwN). Es ist auch nicht erkennbar, in welcher Weise ein Verstoß gegen die Bindung an rechtskräftige Bescheide (hier offenbar gemeint an die Baubewilligungsbescheide) vorliegen soll; das Verwaltungsgericht hat (wie bereits die belangte Behörde im Rahmen eines ausführlichen Vorhalts und in der Beschwerdevorentscheidung) darauf verwiesen, dass bei Um‑ und Zubauten (entsprechend den Baubewilligungsbescheiden) jeweils nur die neugeschaffenen Flächen berücksichtigt worden seien.

28 Wenn schließlich behauptet wird, es liege keine Rechtsprechung zur Frage vor, welche Wirkungen ein öffentlich‑rechtlicher Vertrag auf eine nachträglich geschaffene gesetzliche Verpflichtung habe, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach durch den Entfall des früheren § 3 Kanalabgabengesetz Eigenleistungen des Abgabepflichtigen zur Kanalherstellung (gerade auch in Bezug auf „Widmungskanäle“) nicht mehr zu berücksichtigen sind (vgl. neuerlich VwGH 15.11.2012, 2011/17/0301, mwN).

29 Im Übrigen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Abmachungen zwischen dem Abgabengläubiger und dem Abgabenschuldner über den Inhalt der Abgabenschuld ohne abgabenrechtliche Bedeutung. Zulässig sind solche Vereinbarungen nur dann, wenn die Gesetze sie ausdrücklich vorsehen, wobei sich diese gesetzlichen Ermächtigungen nur dann als verfassungskonform erweisen, wenn die öffentlich‑rechtlichen Verträge lediglich die Modalitäten der Abgabenerhebung (Berechnung der Bemessungsgrundlage, Fälligkeit, etc.) und nicht die Steuerpflicht selbst betreffen, wenn im Gesetz Voraussetzungen und Inhalt hinreichend bestimmt sind und wenn in Streitfällen eine bescheidförmige Erledigung vorgesehen ist, sodass eine Prüfung der Gesetzmäßigkeit möglich ist. Insbesondere kann die Behörde ohne gesetzliche Ermächtigung auf die Erhebung von Abgaben nicht verzichten. Abmachungen über den Inhalt einer Abgabenschuld stehen ‑ soweit sie nicht im Gesetz ausdrücklich zugelassen sind ‑ in Widerspruch zu dem aus Art. 18 B‑VG abzuleitenden Erfordernis der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung der Abgabenvorschrift (vgl. VwGH 26.4.2018, Ro 2018/16/0008, mwN).

30 Eine (auch frühere, etwa § 47e Grazer Bauordnung 1881) Rechtsgrundlage für derartige Vereinbarungen wird von der Revisionswerberin nicht genannt und ist auch nicht erkennbar. Der Beschluss des Stadtsenates vom 16. April 1963 wiederholte im Übrigen lediglich die gesetzliche Regelung, wonach bei Anschluss an Widmungskanäle die Kanalanschlussgebühr entfiel (vgl. VwGH 28.9.2006, 2003/17/0088).

31 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. August 2022

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