VwGH Ra 2021/21/0071

VwGHRa 2021/21/007130.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Q I, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Jänner 2021, W212 2215749‑1/22E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs2
MRK Art8
TilgG 1972 §1 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs3 Z2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210071.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, kam erstmals im Jänner 2005 im Alter von zwanzig Jahren nach Österreich zu seinen hier lebenden Eltern und Geschwistern. Er stellte einen Asylantrag, der im Instanzenzug mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Oktober 2007 abgewiesen wurde; die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 9. November 2007 ab. Der Revisionswerber war während dieses Verfahrens im Jahr 2006 wegen des Handels mit Heroin zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Seine Abschiebung in den Herkunftsstaat erfolgte dann Mitte 2009. In der Folge hielt sich der Revisionswerber nur zu Besuchen im Bundesgebiet auf.

2 Der Revisionswerber, der ab Ende August 2016 wieder (im Wesentlichen) durchgehend in Österreich hauptgemeldet war, heiratete hier Ende Oktober 2016 eine rumänische Staatsangehörige. Im Hinblick auf diese Ehe, die dann Anfang Februar 2020 wieder geschieden wurde, erhielt der Revisionswerber eine Aufenthaltskarte mit Gültigkeit ab 10. November 2016.

3 Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 22. Oktober 2018 wegen des als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) begangenen Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren (davon zwei Jahre bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt. Der Revisionswerber verbüßte den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe (unter Anrechnung der Vorhaft) vom 24. Mai 2018 bis zu seiner bedingten Entlassung am 4. März 2019.

4 Bereits davor, nämlich mit Bescheid vom 8. Februar 2019, hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

5 Der Revisionswerber, der kurz nach seiner Enthaftung wieder unselbständig erwerbstätig war, heiratete Anfang August 2020 eine (andere) rumänische Staatsangehörige, die über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt; im April 2020 war die gemeinsame Tochter, die rumänische Staatsangehörige ist, geboren worden. Die Genannten leben zusammen mit dem vierzehnjährigen Sohn der Ehefrau des Revisionswerbers in einer Mietwohnung im gemeinsamen Haushalt.

6 Über die gegen den Bescheid vom 8. Februar 2019 erhobene Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 19. November 2020 eine mündliche Verhandlung durch. Hierauf erging das Erkenntnis vom 27. Jänner 2021, mit dem der Beschwerde insofern stattgegeben wurde, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 25a Abs. 1 BFA‑VG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig erweist.

8 Gemäß der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10 In dieser Hinsicht wird in der Revision zunächst bemängelt, das BVwG habe das angefochtene Erkenntnis entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nach dem Schluss der Verhandlung verkündet. Der Revisionswerber beruft sich dazu auf § 47 Abs. 4 letzter Satz VwGVG, wonach in Verwaltungsstrafverfahren der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung „nach Möglichkeit“ sofort zu beschließen und zu verkünden sind, und auf zu dieser Bestimmung ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

11 Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um eine Verwaltungsstrafsache, sodass § 29 Abs. 2 VwGVG einschlägig gewesen wäre. Danach hat das Verwaltungsgericht bei einer Verhandlung in Anwesenheit der Parteien das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen „in der Regel“ sogleich zu verkünden (vgl. dazu etwa VwGH 29.10.2020, Ra 2020/11/0039, Rn. 18, mwN). Indem die sofortige mündliche Verkündung nicht zwingend nach dem Schluss der Verhandlung zu erfolgen hat, lässt das Gesetz dem Gericht einen (weiten) Spielraum, zumal dazu korrespondierend in der Z 2 des § 29 Abs. 3 VwGVG nur ganz allgemein normiert wird, die Verkündung des Erkenntnisses entfällt, wenn es nicht sogleich nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefasst werden kann. Der dem Verwaltungsgericht hierdurch eingeräumte Spielraum wurde im vorliegenden Fall vom BVwG, das sich zur Begründung der Unterlassung der Erkenntnisverkündung auch ausdrücklich auf die zuletzt genannte Gesetzesstelle bezogen hatte, nicht überschritten, wenn es offenbar noch weitere („reifliche“) Überlegungen für die Entscheidungsfindung nach der Verhandlung auch auf Basis der darüber erstellten Niederschrift und allenfalls auch noch nach neuerlichem Aktenstudium für erforderlich hielt.

12 Im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung wird in der Revision des Weiteren bemängelt, dass das BVwG auch die getilgte Verurteilung aus dem Jahr 2006 berücksichtigt habe. Das widerspreche § 1 Abs. 4 TilgG, wonach der Verurteilte als gerichtlich unbescholten gilt, wenn eine Verurteilung getilgt ist.

13 Allerdings geht es bei der hiermit angesprochenen Gefährdungsprognose nicht um die Frage der formellen Unbescholtenheit, sondern um das Gesamtverhalten des Fremden. Insofern ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass zur Begründung einer Gefährdung öffentlicher Interessen auch das einer getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten berücksichtigt werden darf (vgl. etwa VwGH 30.11.2020, Ra 2020/21/0355, Rn. 8, mwN). Der diesbezügliche Einwand in der Revision geht daher ebenso ins Leere wie die in diesem Zusammenhang vertretene Meinung, zu dieser Frage liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.

14 In Bezug auf die Gefährdungsprognose wird in der Revision darauf hingewiesen, dass die Freiheitsstrafe von drei Jahren im unteren Drittel des möglichen Strafrahmens bemessen, überdies ein Teil von zwei Jahren bedingt nachgesehen und der Revisionswerber bereits nach neun Monaten und zehn Tagen aus der Strafhaft bedingt entlassen worden sei. Vom BVwG sei jedoch nicht festgestellt worden, dass dem Revisionswerber ein Strafrest von zwei Monaten und zwanzig Tagen erlassen worden sei. Es hätte aber berücksichtigen müssen, dass das Strafvollzugsgericht die Persönlichkeit des Revisionswerbers so einschätzte, dass weitere Straftaten auch „nach Reduzierung der einjährigen Freiheitsstrafe“ nicht zu erwarten seien.

15 Dieses Vorbringen ist nicht zielführend, wird dabei doch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht gelassen, wonach das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. aus der letzten Zeit zu einem gleichartigen Revisionsvorbringen VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0305, Rn. 9, mwN).

16 In der Revision werden dann noch verschiedene Aspekte ins Treffen geführt, die aus der Sicht des Revisionswerbers für einen mittlerweile eingetretenen Wegfall der Gefährdung sprechen. So habe der Revisionswerber in Bezug auf seine Straftat Schuldbewusstsein gezeigt, seine damalige Spielsucht überwunden, sofort nach seiner Enthaftung eine unselbständige Erwerbstätigkeit begonnen, seine Schulden getilgt, eine Familie gegründet und er sei in keiner Weise mehr straffällig geworden. Auf den dadurch gezeigten Gesinnungswandel sei vom BVwG jedoch nicht Bedacht genommen worden.

17 Zu dieser Frage verwies das BVwG vor allem darauf, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. in diesem Sinn neuerlich VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0305, nunmehr Rn. 8, mwN) der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich an Hand seines Wohlverhaltens in Freiheit zu beurteilen sei, wobei je nach Schwere des gesetzten Fehlverhaltens eine umso längere Dauer erforderlich sei. Da der Revisionswerber massiv straffällig geworden sei und die Entlassung aus der Strafhaft erst weniger als zwei Jahre zurückliege, könne ein Wegfall der von seiner Person ausgehenden Gefährdung noch nicht erkannt werden.

18 Diese noch mit weiteren Überlegungen, insbesondere auch mit dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck, begründete Einschätzung des BVwG kann vor dem Hintergrund der dem Revisionswerber zur Last liegenden Straftat nicht als unvertretbar angesehen werden (siehe zu diesem für das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG in Bezug auf Gefährdungsprognosen maßgeblichen Kalkül etwa den einen insoweit ähnlichen Fall betreffenden Beschluss VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0457, Rn. 18, mwN). So liegt dem Schuldspruch zugrunde, der Revisionswerber habe dadurch, dass er den drei unmittelbaren Tätern Informationen über die Wohn‑ und Lebensverhältnisse des weiblichen Opfers weitergegeben und sie dann am 25. Jänner 2017 mit einem Fahrzeug zum und vom Tatort gebracht habe, zur Ausführung des Raubes, bei dem das Opfer mit Kabelbindern gefesselt und wiederholt bedroht worden sei sowie Bargeld und Schmuck im Gesamtwert von zumindest 300.000 € erbeutet worden seien, beigetragen. Auch wenn der Revisionswerber die Qualifikation der Verwendung einer Waffe und die beim Opfer bewirkte posttraumatische Belastungsstörung nicht zu verantworten hatte, kann angesichts dessen, dass er schon durch seine Informationstätigkeit maßgeblich in die Planung und Organisation eingebunden war, nicht nur ‑ wie es in der Revision heißt ‑ von einer „untergeordneten“ Beteiligung „als Fahrer“ die Rede sein.

19 Schließlich wird in der Revision noch als Begründungsmangel geltend gemacht, dass das BVwG unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA‑VG („Bindungen zum Heimatstaat des Fremden“) keine Feststellungen getroffen habe. Der Revisionswerber wäre „geradezu entwurzelt“, müsste er nach Serbien zurückkehren.

20 Abgesehen davon, dass der Revisionswerber dazu im Beschwerdeverfahren kein konkretes Vorbringen erstattet hatte, werden dabei die vom BVwG unter diesem Gesichtspunkt ohnehin getroffenen Feststellungen ‑ insbesondere Schulbesuch und Berufsausbildung zum Schlosser, Möglichkeit zur Teilnahme am Erwerbsleben und zur Erwirtschaftung eines ausreichenden Einkommens sowie Aufenthalt von 2009 bis 2016 in Serbien und Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen ‑ außer Acht gelassen. Im Übrigen hat der Revisionswerber Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in Serbien im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten der in Rede stehenden Art hinzunehmen. Gleiches gilt für eine allfällige Trennung von seinen Familienangehörigen, wobei das BVwG zu Recht den Umstand einbezog, dass das Familienleben im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG während einer prekären aufenthaltsrechtlichen Situation nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides begründet wurde. Im Übrigen wird der alternativen Annahme des BVwG, dem Revisionswerber stünde mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind ein gemeinsames Familienleben auch in Serbien oder in Rumänien offen, in der Revision nicht entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund ist weder die Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG noch die Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes mit sechs Jahren als unvertretbar anzusehen (siehe zu diesem Maßstab für das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG auch in Bezug auf diese beiden Fragen noch einmal VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0457, Rn. 18, mwN).

21 Insgesamt gelingt es der Revision somit nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 30. April 2021

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