VwGH Ra 2021/21/0025

VwGHRa 2021/21/002518.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 20. November 2020 mündlich verkündete und mit 7. Dezember 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W282 2236925‑1/16E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: Z A D, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock),

Normen

AVG §56
BFA-VG 2014 §22a Abs3
EURallg
FrPolG 2005 §76 Abs2 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3 idF 2018/I/056
FrPolG 2005 §76 Abs6
FrPolG 2005 §76 Abs6 idF 2015/I/070
FrPolG 2005 §76 idF 2015/I/070
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwRallg
32008L0115 Rückführungs-RL
32013L0033 Aufnahme-RL
32013L0033 Aufnahme-RL Art8 Abs3 litd
32013L0033 Aufnahme-RL Art8 Abs3 litf
32013R0604 Dublin-III
32013R0604 Dublin-III Art28
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2
62011CJ0534 Arslan VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210025.L00

 

Spruch:

1. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird teilweise, nämlich Spruchpunkt A.II. zur Gänze und Spruchpunkt A.IV., soweit damit der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Zuspruch von Aufwandersatz abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

2. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit damit auch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses bekämpft wird, zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, der am 20. Oktober 2020 in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, entfernte sich am 28. Oktober 2020 aus dem zugewiesenen Quartier und reiste danach über Ungarn nach Österreich weiter. Hier wurde er am 2. November 2020 von Polizeiorganen nach einer Kontrolle, bei der vom Mitbeteiligten keine Dokumente vorgewiesen werden konnten, festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum in Wien eingeliefert.

2 In der Folge verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Mandatsbescheid vom 3. November 2020 über den Mitbeteiligten gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zu seiner Rücküberstellung nach Rumänien. Noch am selben Tag wurde das Konsultationsverfahren mit den rumänischen Behörden eingeleitet.

3 Während der Anhaltung in Schubhaft stellte der Mitbeteiligte am 4. November 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierauf wurde ein ‑ in einer dem Mitbeteiligten verständlichen Sprache insoweit übersetzter und ihm sodann auch ausgehändigter ‑ Aktenvermerk verfasst, wonach das BFA (evident im Sinne des § 76 Abs. 6 FPG) davon ausgehe, der Antrag auf internationalen Schutz sei von ihm ‑ weil erst nach der Inhaftierung ‑ (nur) zur Verzögerung der Außerlandesbringung gestellt worden und die Schubhaft werde daher aufrechterhalten. Daran anschließend findet sich eine nähere Begründung dieser Einschätzung.

4 Am 16. November 2020 langte von Seiten Rumäniens die Zusage zur Wiederaufnahme des Mitbeteiligten ein.

5 Am selben Tag hatte der Mitbeteiligte eine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 3. November 2020 und gegen die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhoben. Darüber führte das BVwG am 20. November 2020 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende es das angefochtene Erkenntnis verkündete. Damit wurde die Beschwerde mit Spruchpunkt A.I. „hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft am 03.11.2020 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA‑VG iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und Art. 28 Abs. 2 VO (EU) 604/2013 als unbegründet abgewiesen.“ Mit Spruchpunkt A.II. wurde die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft „für den Zeitraum von 04.11.2020 bis 20.11.2020“ sowie „der Schubhaftbescheid“ gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA‑VG iVm § 76 Abs. 6 FPG für rechtswidrig erklärt. Des Weiteren wurde mit Spruchpunkt A.III. gemäß § 22a Abs. 3 BFA‑VG iVm § 76 Abs. 6 FPG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Schließlich wurde mit Spruchpunkt A.IV. sowohl der Antrag des Mitbeteiligten als auch der Antrag des BFA auf Zuerkennung von Aufwandersatz gemäß § 35 VwGVG abgewiesen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG mit Spruchpunkt B. noch aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei. Über fristgerechten Antrag des Mitbeteiligten wurde dieses Erkenntnis datierend mit 7. Dezember 2020 schriftlich ausgefertigt.

6 Gegen dieses Erkenntnisses, und zwar gegen die Spruchpunkte A.I., A.II. und A.IV, allerdings erkennbar nur soweit damit der Aufwandersatzantrag des BFA abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende Revision des BFA. Darüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ erwogen:

7 Die Amtsrevision erweist sich ‑ wie die weiteren Ausführungen zeigen ‑ entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ‑ außer in Bezug auf die (zugunsten des Mitbeteiligten vorgenommene) Bekämpfung des Spruchpunktes A.I. des angefochtenen Erkenntnisses ‑ als zulässig; sie ist insoweit auch berechtigt.

8 Gemäß § 61 Abs. 1 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz (u.a.) gemäß § 5 AsylG 2005, somit wenn ein anderer Staat aufgrund der Dublin III‑VO zur Prüfung des (in Österreich gestellten) Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, zurückgewiesen wird (Z 1) oder wenn er in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser Mitgliedstaat aufgrund der Dublin III‑VO zur Prüfung dieses Antrags zuständig ist (Z 2).

Die gegenständliche Schubhaft wurde vom BFA mit Bescheid vom 3. November 2020 auf Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt, die weitere Anhaltung nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz am 4. November 2020 dann offensichtlich auf § 76 Abs. 6 FPG. Zweck der Schubhaft war jeweils die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 FPG, und zwar zunächst zur Sicherung der Erlassung einer solchen Überstellungsentscheidung im Sinne der Dublin III‑VO gemäß der Z 2 und dann gemäß der Z 1 der genannten Bestimmung des FPG.

9 Nach der Darstellung in der Amtsrevision wurde gegen den Mitbeteiligten eine entsprechende Anordnung zur Außerlandesbringung (nach Rumänien) ‑ in Verbindung mit der Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG 2005 ‑ dann mit Bescheid des BFA vom 3. Dezember 2020 erlassen und der Mitbeteiligte wurde in Umsetzung dieser Entscheidung am 13. Jänner 2021 nach Rumänien überstellt.

10 Zum Verständnis der Argumentation des BVwG wird zunächst der Inhalt des mit „Schubhaft“ überschriebenen § 76 FPG in der seit 1. September 2018 geltenden Fassung des FrÄG 2018 (auszugsweise) wiedergegeben:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin‑Verordnung vorliegen.

[...]

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA‑VG gelten sinngemäß.“

Mit dem in § 76 Abs. 6 FPG vorgenommenen Verweis auf die entsprechenden, sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen des BFA‑VG wird vor allem zum Ausdruck gebracht, dass dem in Schubhaft angehaltenen Fremden ein Aktenvermerk auszuhändigen ist, der in einer ihm verständlichen Sprache den „Spruch“, also die Mitteilung über die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Grunde des § 76 Abs. 6 FPG, zu enthalten hat.

Der den Inhalt des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG bestimmende Art. 28 der Dublin III‑VO normiert im Abs. 1, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung, dürfen die Mitgliedstaaten zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

11 Vor diesem rechtlichen Hintergrund kam das BVwG in Bezug auf Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, das BFA sei zu Recht von der Notwendigkeit der Sicherung der Rücküberstellung des Mitbeteiligten nach Rumänien im Rahmen des Dublin‑Regimes und vom Vorliegen der von Art. 28 Abs. 2 Dublin III‑VO geforderten „erheblichen Fluchtgefahr“ ausgegangen. Die Verhängung der Schubhaft durch das BFA am 3. November 2020 sei daher zu Recht erfolgt; sie sei auch verhältnismäßig gewesen.

12 Für den von Spruchpunkt A.II. erfassten Zeitraum ab der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz am 4. November 2020 bis zur Erlassung des Fortsetzungsausspruches in der Verhandlung am 20. November 2020 ging das BVwG davon aus, das BFA habe mit dem Aktenvermerk vom 4. November 2020 die Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der Schubhaft auf § 76 Abs. 6 FPG geändert. Allerdings bemängelte das BVwG, dass das BFA den Mitbeteiligten „aufgrund einer ansteckenden Krankheit“ weder vor noch nach seiner Asylantragstellung vernommen habe. Ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks über die Motive für die Asylantragstellung hätte das BFA aber nicht bloß aufgrund des diesbezüglich „eher dürftigen Akteninhalts“ von einer ausschließlichen Missbrauchsabsicht ausgehen dürfen. Das BFA habe daher nicht „per se“ von der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz durch den Mitbeteiligten ausschließlich zum Zweck der Verhinderung bzw. Behinderung seiner Rücküberstellung nach Rumänien und somit auch nicht vom gesicherten Vorliegen des Tatbestandes nach § 76 Abs. 6 FPG ausgehen dürfen. Die Begründung im Aktenvermerk vom 4. November 2020 vermöge daher „aufgrund der grob unzureichenden Ermittlungen“ die Aufrechterhaltung der Schubhaft auf Basis dieser Bestimmung nicht zu tragen. Daran ändere nichts, dass mit Spruchpunkt A.III. ebenfalls auf Basis des § 76 Abs. 6 FPG ein (positiver) Fortsetzungsausspruch getroffen worden sei, weil sich der Richter des BVwG nun eben diesen persönlichen Eindruck verschafft und den Mitbeteiligten zu den diesbezüglichen Voraussetzungen befragt habe. Das BVwG habe den Aktenvermerk nur einer nachträglichen Kontrolle zu unterziehen; eine rückwirkende Sanierung des Ermittlungsverfahrens des BFA sei daher nicht möglich, auch wenn das BVwG letztlich zum gleichen Ergebnis gelange wie zuvor das BFA. Hätte das BFA den Mitbeteiligten zu seiner Asylantragstellung vernommen, hätte es zulässigerweise ‑ wie nun das BVwG ‑ zu dem Ergebnis kommen können, dass der Mitbeteiligte „keinen glaubwürdig nachvollziehbaren Alternativgrund“ für seine Asylantragstellung „außer jener der Verhinderung oder Verzögerung seiner Rücküberstellung nach Rumänien“, wohin er seinen Angaben zufolge „keinesfalls zurückmöchte“, vorbringen habe können.

13 Auf diese zuletzt geäußerte, im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründete Einschätzung stützte das BVwG dann auch die Feststellung in Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gegen den Mitbeteiligten vorlägen. Im Rahmen dieses Begründungsteils ging das BVwG aber ausdrücklich auch davon aus, es liege unverändert weiterhin „erhebliche Fluchtgefahr“ vor, die durch die zwischenzeitlich eingelangte Zusage der rumänischen Behörden zur Rückübernahme des Mitbeteiligten und damit dem „Näherrücken“ der Überstellung nach Rumänien, die der Mitbeteiligte unbedingt verhindern wolle, zusätzlich erhöht sei. Des Weiteren legte das BVwG noch dar, weshalb die Fortsetzung der Schubhaft seiner Ansicht nach verhältnismäßig und ein gelinderes Mittel im gegenständlichen Fall nicht ausreichend sei.

14 Zu Spruchpunkt A.I. wird in der Amtsrevision bemängelt, das BVwG habe über die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft am 3. November 2020 entschieden, ohne zuvor über die Rechtmäßigkeit des Schubhaftbescheides zum Zeitpunkt seiner Erlassung „unmittelbar vor der Anhaltung“ abzusprechen.

15 Diesem Vorbringen ist zunächst zu erwidern, dass nach der Begründung des BVwG zu diesem Spruchpunkt nicht zweifelhaft sein kann, dass damit auch die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid, der von Spruchpunkt A.II. auch nur für den Zeitraum ab 4. November 2020 erfasst sein sollte (siehe dazu noch Rn. 24), abgewiesen werden sollte. Der Umstand, dass diese Absicht nicht auch ausdrücklich im Spruch einen Niederschlag gefunden hat, führt nicht dazu, dass die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Anhaltung am 3. November 2020 schon deshalb rechtswidrig und dieser Spruchpunkt ‑ wie in der Amtsrevision beantragt wird ‑ vom Verwaltungsgerichtshof aufzuheben wäre. Insoweit war die Revision daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Fünfersenat zurückzuweisen.

16 In Bezug auf Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses wird in der Amtsrevision zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Hinweis auf die Erkenntnisse VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013, und VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0080, geltend gemacht. Danach sei § 76 Abs. 6 FPG bei einer auf Art. 28 Dublin III‑VO gestützten Schubhaft nicht anwendbar. Für die Aufrechterhaltung der Schubhaft sei daher in diesen Fällen kein Aktenvermerk nach § 76 Abs. 6 FPG erforderlich und es wäre daher vom BVwG das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Bestimmung auch nicht zu prüfen gewesen.

17 Im Fall des erstgenannten Erkenntnisses Ro 2017/21/0004, 0013, hatte das BFA über den dort Mitbeteiligten, der vor seiner Einreise in Ungarn, nicht jedoch dann in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG [entspricht nunmehr § 76 Abs. 2 Z 3 FPG] die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz während der Anhaltung wurde die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten. Diesem Erkenntnis lag somit insoweit ein gleichgelagerter Sachverhalt wie im vorliegenden Fall zugrunde, sodass auf dessen diesbezügliche Entscheidungsgründe (Rn. 13 bis 23) zunächst gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann.

18 In diesem Erkenntnis Ro 2017/21/0004, 0013, führte der Verwaltungsgerichtshof unter Rn. 17 aus, er habe in seinem grundlegenden Erkenntnis VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, in Rn. 17 und 18 iVm Rn. 15 festgehalten, dass nach den dort zitierten ErläutRV zum FrÄG 2015 (582 BlgNR 25. GP  21 ff) mit der Neufassung des § 76 FPG unionsrechtlichen Vorgaben entsprochen werden sollte, wobei in diesem Zusammenhang in den Gesetzesmaterialien die Aufnahme‑RL (Richtlinie 2013/33/EU ) und die Rückführungs‑RL (Richtlinie 2008/115/EG ) sowie die Dublin III‑VO ausdrücklich erwähnt worden seien. Es könne kein Zweifel bestehen, dass im jeweiligen Anwendungsbereich der Aufnahme‑RL und der Rückführungs‑RL auch eine an deren Regelungen zur Haft orientierte unionsrechtskonforme Auslegung des § 76 FPG Platz zu greifen habe.

19 Mit dem die „Dublin‑Konstellationen“ erfassenden Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 2 [nunmehr: Z 3] FPG ‑ so wurde im Erkenntnis Ro 2017/21/0004, 0013, dann unter Rn. 20 festgehalten ‑ sei der Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. f der Aufnahme‑RL und mit § 76 Abs. 6 FPG sei im Wesentlichen der Haftgrund des Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme‑RL umgesetzt worden. Diese Bestimmungen lauten:

„(3) Ein Antragsteller darf nur in Haft genommen werden,

[...]

d) wenn er sich aufgrund eines Rückkehrverfahrens gemäß der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zur Vorbereitung seiner Rückführung und/oder Fortsetzung des Abschiebungsverfahrens in Haft befindet und der betreffende Mitgliedstaat auf der Grundlage objektiver Kriterien, einschließlich der Tatsache, dass der Antragsteller bereits Gelegenheit zum Zugang zum Asylverfahren hatte, belegen kann, dass berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass er den Antrag auf internationalen Schutz nur beantragt, um die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu verzögern oder zu vereiteln;

e) [...]

f) wenn dies mit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, in Einklang steht.“

20 Angesichts des Inhalts der zitierten Bestimmungen des Art. 8 Abs. 3 der Aufnahme‑RL und des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung folgerte der Verwaltungsgerichtshof dann im Erkenntnis Ro 2017/21/0004, 0013, unter Rn. 21:

„Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme‑RL gilt nur für den Fall, dass sich der Fremde im Rahmen eines Verfahrens im Sinne der Rückführungs‑RL in Schubhaft befindet (siehe in diesem Zusammenhang auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 30. Mai 2013, C‑534/11, Rs ‚Arslan‘). Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf die vorliegende Konstellation, dass die Schubhaft in einem der Dublin III‑VO unterliegenden Fall wegen Vorliegens von erheblicher Fluchtgefahr angeordnet wurde und nach späterer Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz aufrechterhalten werden soll; diese Fallgestaltung ist vielmehr von Art. 8 Abs. 3 lit. f der Aufnahme‑RL iVm Art. 28 Abs. 2 der Dublin III‑VO erfasst. Demzufolge ist auch § 76 Abs. 6 FPG ‑ mag dessen Wortlaut generell jeden Fall der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz während der Anhaltung in Schubhaft erfassen ‑ richtlinienkonform in diesem (eingeschränkten) Sinn zu verstehen, zumal kein Anhaltspunkt ersichtlich ist, dass der österreichische Gesetzgeber von den unionsrechtlichen Vorgaben abweichen wollte. Demnach kann eine gemäß Art. 28 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 [nunmehr: Z 3] FPG angeordnete Schubhaft auf Basis dieser Bestimmungen unter den dort genannten Voraussetzungen, insbesondere dem weiteren Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr, ohne Weiteres auch nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz aufrechterhalten werden. Hierfür kommt es auf das Vorliegen einer Verzögerungsabsicht iSd § 76 Abs. 6 FPG und auf die Erfüllung der dort (wegen der damit verbundenen Änderung des Haftgrundes) vorgesehenen verfahrensrechtlichen Kautelen nicht an.“

Demnach wäre es ‑ so der Verwaltungsgerichtshof dann zusammenfassend in Rn. 23 ‑ in dem dort gegenständlichen Fall nicht auf die Voraussetzungen gemäß § 76 Abs. 6 FPG angekommen. Auf das vom BVwG unterstellte Fehlen dieser Bedingungen hätte somit die mit der dort erhobenen Amtsrevision bekämpfte Feststellung der (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Schubhaft nicht gegründet werden dürfen.

21 Auch dem vom BFA des Weiteren ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0080, lag ein gleichgelagerter Sachverhalt ‑ Schubhaftverhängung gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 [nunmehr: Z 3] FPG und Aufrechterhaltung der Schubhaft nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 76 Abs. 6 FPG durch Mitteilung im Rahmen einer Vernehmung ‑ zugrunde. Dazu merkte der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das schon erörterte, am selben Tag beschlossene Erkenntnis Ro 2017/21/0004, 0013, in Rn. 18 an, auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG wäre es in dieser Konstellation nicht angekommen, weil eine gemäß Art. 28 Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 [nunmehr: Z 3] FPG angeordnete Schubhaft auf Basis dieser Bestimmungen unter den dort genannten Voraussetzungen, insbesondere dem weiteren Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr, ohne Weiteres auch nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz aufrechterhalten werden könne.

22 Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Demzufolge hätte das BVwG die Anhaltung des Mitbeteiligten im Zeitraum ab der Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz am 4. November 2020 bis zur Erlassung des in das angefochtene Erkenntnis aufgenommenen (positiven) Fortsetzungsausspruches (Spruchpunkt A.III.) in der mündlichen Verhandlung am 20. November 2020 nicht deshalb für rechtswidrig erklären dürfen, weil seiner Ansicht nach die Annahme des BFA zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG auf einem unzureichenden Ermittlungsverfahren beruht habe.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hatte in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 76 Abs. 6 FPG (siehe dazu grundlegend VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204) unter dem Gesichtspunkt eines ausreichenden Rechtsschutzes keine Bedenken gegen die in dieser Bestimmung vorgesehene verfahrensrechtliche Vorgangsweise. Weil es nämlich (nur) um die Fortsetzung einer schon angeordneten Schubhaft geht, muss kein neuer Bescheid erlassen werden, sondern es genügt, dass dem Fremden in verständlicher und nachvollziehbarer Weise zur Kenntnis gebracht wird, dass nunmehr vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 76 Abs. 6 FPG ausgegangen wird. Dafür reicht ‑ wie gesetzlich vorgesehen ‑ ein entsprechender, diese Annahme dokumentierender und insoweit auch übersetzter, dem Schubhäftling auszuhändigender Aktenvermerk, der überdies nachvollziehbar zu begründen ist (vgl. zum Bestehen einer diesbezüglichen Begründungspflicht die Einleitung in Rn 15 in VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, „ ... bei der gebotenen Begründung für die Annahme, die weitere Anhaltung in Schubhaft sei nach § 76 Abs. 6 FPG gerechtfertigt, ...“). Im Hintergrund bildet weiterhin der Schubhaftbescheid als konstitutiver Akt die maßgebliche Rechtsgrundlage, ergibt sich doch daraus unverändert neben dem Sicherungszweck vor allem das Vorliegen von Fluchtgefahr. Demzufolge ist es auch gerechtfertigt, in Fällen wie dem vorliegenden davon auszugehen, dass die vom BFA beabsichtigte Umstellung auf diesen Schubhafttatbestand mangels Anwendbarkeit des § 76 Abs. 6 FPG ins Leere ging und dass daher der Schubhaftbescheid nach wie vor den maßgeblichen Titel für die Anhaltung des Mitbeteiligten auch nach Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz bildete (vgl. im Ergebnis ebenso schon die oben dargestellten Erkenntnisse VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013, Rn. 23, und VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0080, Rn. 18).

24 Es bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall die im Zeitpunkt der Schubhaftanordnung auch nach Meinung des BVwG vorgelegenen Voraussetzungen für die Anhaltung des Mitbeteiligten auf Basis des Art. 28Dublin III‑VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 3 FPG mit der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz weggefallen sein könnten. Vielmehr ist das BVwG auch bei der Begründung des Fortsetzungsausspruchs ausdrücklich von deren weiterem Vorliegen ausgegangen. Demzufolge hätte das BVwG die Beschwerde auch hinsichtlich des von Spruchpunkt A.II. erfassten Zeitraums abweisen müssen. Das angefochtene Erkenntnis war daher in Stattgebung der Amtsrevision in Bezug auf diesen Spruchpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit wird auch die vom BVwG in diesem Spruchpunkt betreffend des dort genannten Zeitraums überdies noch vorgenommene Rechtswidrigerklärung des Schubhaftbescheides beseitigt. Für eine solche Feststellung fehlt ‑ wie die Amtsrevision im Ergebnis zutreffend aufzeigt ‑ eine gesetzliche Grundlage und sie steht im Widerspruch zu den oben in Rn. 23 angestellten Erwägungen. Aus all dem folgt aber schließlich noch, dass auch die von einem teilweisen Obsiegen beider Parteien ausgehende Entscheidung des BVwG über den Aufwandersatz in Spruchpunkt A. IV., soweit damit der diesbezügliche Antrag des BFA abgewiesen wurde, ebenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

25 Zur Vollständigkeit ist angesichts der Ausführungen des BVwG zur eingeschränkten Kontrollbefugnis einer vom BFA auf § 76 Abs. 6 FPG gegründeten Aufrechterhaltung der Schubhaft noch Folgendes anzumerken:

Das BVwG bezog sich dabei erkennbar auf Rn. 11 im Erkenntnis VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, wonach es nur Aufgabe des BVwG sei, die ab der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz vom BFA auf § 76 Abs. 6 FPG gegründete Anhaltung in Schubhaft einer nachträglichen Kontrolle zu unterziehen. Daraus war aber ‑ wie klarzustellen ist ‑ nicht abzuleiten, dass eine unzureichende Begründung des Aktenvermerks oder diesbezüglich mangelhafte Ermittlungen schon für sich genommen die Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft nach sich ziehen. Dem Aktenvermerk kommt ‑ wie in Rn. 23 dargelegt ‑ in erster Linie Rechtsschutzfunktion zu und er stellt keinen die Schubhaft anordnenden Bescheid dar. Dass das BVwG in Bezug auf den Schubhaftbescheid nur eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des „konkret erlassenen Bescheides“ vorzunehmen hat (vgl. dazu aus der letzten Zeit etwa VwGH 12.11.2020, Ra 2020/21/0279, Rn. 7, mwN), lässt sich daher auf den Aktenvermerk im Sinne des § 76 Abs. 6 FPG nicht übertragen. Es ist zwar auch in Bezug auf die vom BFA vorgenommene Heranziehung des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 6 FPG vom BVwG zu klären, ob es aus damaliger Sicht rechtens war, dem Schubhäftling bei Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine Verzögerungs‑ oder Vereitelungsabsicht im Sinne der genannten Bestimmung zu unterstellen. In diesem Sinn ist vom BVwG auch nur eine „nachträgliche Kontrolle“ durchzuführen, die sich allerdings nicht auf die Tragfähigkeit der Begründung des diesbezüglichen Aktenvermerks beschränkt; lediglich erst nach diesem Zeitpunkt eingetretene Tatsachen dürften vom BVwG nicht berücksichtigt werden. Kommt das BVwG daher ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ nach den von ihm als geboten angesehenen ergänzenden Ermittlungen zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen des § 76 Abs. 6 FPG seien schon bei der Umstellung des BFA auf diesen Schubhafttatbestand gegeben gewesen (und lägen auch weiterhin vor), so dürfte es dann nicht ‑ entgegen diesem Ergebnis ‑ von der Rechtswidrigkeit der vom BFA auf das Vorliegen einer solchen Missbrauchsabsicht gegründeten Aufrechterhaltung der Schubhaft ausgehen (vgl. dazu VwGH 29.9.2020, Ro 2020/21/0011, Rn. 15 iVm Rn. 10, und VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0079, Rn. 14 iVm Rn. 7).

26 Im Übrigen ist dem BVwG auch darin nicht zu folgen, dass vor der Aufrechterhaltung der Schubhaft nach § 76 Abs. 6 FPG immer und ausnahmslos einer Vernehmung des Schubhäftlings, mag sie auch häufig zweckmäßig sein, erforderlich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar schon dargelegt, dass es in Bezug auf die Annahme einer Missbrauchsabsicht im Sinne des § 76 Abs. 6 FPG zumindest einer Grobprüfung der Motive für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die zu dessen Begründung vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen, bedürfe. Es sei insoweit eine (inhaltliche) Grobprüfung dieses Antrags vorzunehmen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten ließen (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ro 2020/21/0011, Rn. 16, mwN). Diese Beurteilung kann aber auch auf Basis einer ausreichenden Aktenlage, insbesondere auch aufgrund der Angaben bei der Erstbefragung zum Antrag auf internationalen Schutz, erfolgen. Dabei darf vor allem auch berücksichtigt werden, ob der Fremde schon vor seiner Festnahme und vor der Anhaltung in Schubhaft Gelegenheit gehabt hätte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Diese Tatsache zählt nämlich nach Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme‑RL ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs‑ oder Vereitelungsabsicht (siehe dazu VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0079, Rn. 14). Indizien für eine solche Missbrauchsabsicht können somit insbesondere sein, dass es keine Rechtfertigung dafür gibt, den Antrag trotz früherer Gelegenheit erst zu diesem (späten) Zeitpunkt zu stellen oder dass die Begründung des Antrags ihn von vornherein aussichtslos erscheinen lässt oder dass im Falle der wiederholten Antragstellung keine maßgeblichen Sachverhaltsänderungen ‑ wobei diese auch unter dem Gesichtspunkt der (weiteren) Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu prüfen sind (vgl. zu diesem Gesichtspunkt VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204, Rn. 15) ‑ ins Treffen geführt werden. Im Übrigen ist noch darauf hinzuweisen, dass das BVwG im angefochtenen Erkenntnis wiederholt von einem Asylfolgeantrag ausging, dabei jedoch außer Acht ließ, dass das nach § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 definitionsgemäß das (hier nicht gegebene) Vorliegen eines bereits rechtskräftig erledigten Antrags auf internationalen Schutz vorausgesetzt hätte.

Wien, am 18. Februar 2021

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