European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180388.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Araber zugehöriger irakischer Staatsangehöriger, stellte am 13. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass seine Familie in seinem Heimatland von schiitischen Milizen bedroht worden sei. Zudem sei er im Laufe des Beschwerdeverfahrens zum Christentum konvertiert, weshalb ihm nunmehr bei einer Rückkehr in den Irak insofern Verfolgung drohe.
2 Mit Bescheid vom 22. Oktober 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Irak fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dem Revisionswerber sei es aus näher dargelegten Gründen weder gelungen, eine persönliche Verfolgung aufgrund der Tätigkeit seines Vaters durch schiitische Milizen noch aufgrund seiner behaupteten Konversion glaubhaft zu machen.
5 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG habe sich nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass dem Revisionswerber in der Türkei vom UNHCR ein „Refugee Certificate“ ausgestellt worden sei. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit einer solchen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bindende Wirkung oder zumindest „Indizwirkung“ zukomme. Schließlich habe das BVwG hinsichtlich der Konversion des Revisionswerbers eine spekulative und somit unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen und dessen psychischen Gesundheitszustand nicht berücksichtigt. Dazu hätte ein medizinischer Sachverständiger bestellt werden müssen.
6 Die Revision erweist sich als nicht zulässig.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst geltend, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, welche Wirkung einem Zertifikat des UNHCR betreffend Flüchtlingseigenschaft zukomme.
11 Mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer bestimmten Frage wird jedoch noch nicht dargelegt, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre. Um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, ist auf die vorliegende Rechtssache bezogen darzulegen, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nämlich nicht zuständig (vgl. VwGH 17.9.2020, Ra 2020/18/0207, mwN).
12 Diesen Anforderungen wird die Revision schon insofern nicht gerecht, als sie in ihrer Zulässigkeitsbegründung weder darlegt, aus welchen Gründen dem Revisionswerber im Jahr 2015 in der Türkei dieses Refugee Certificate ausgestellt worden sei, noch inwieweit im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die damals vom UNHCR berücksichtigte asylrelevante Bedrohung noch aufrecht sei (vgl. auch VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0479).
13 Darüber hinaus hat sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, warum es zum Entscheidungszeitpunkt von keinem aktuellen Verfolgungsrisiko durch schiitische Milizen für den Revisionswerber ausgehe. Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit dieser Beweiswürdigung hat die Revision nicht aufgezeigt.
14 Des Weiteren rügt die Revision die Beweiswürdigung des BVwG in Bezug auf die vom Revisionswerber vorgebrachte Konversion.
15 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung der eine Konversion behauptenden Person an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Wesentlich ist dabei, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. etwa VwGH 20.10.2020, Ra 2020/18/0357, mwN).
16 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens‑ bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. erneut VwGH 20.10.2020, Ra 2020/18/0357, mwN).
17 Im vorliegenden Fall setzte sich das BVwG mit dem Vorbringen des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eingehend auseinander und kam in einer vertretbaren Beweiswürdigung, in der es auch die Aussagen des einvernommenen Zeugen würdigte, zu dem Ergebnis, dass sich der Revisionswerber dem christlichen Glauben nicht aus ernsthafter innerer Überzeugung zugewandt habe, sondern von einer Scheinkonversion auszugehen sei. Dabei stützte es sich darauf, dass der Revisionswerber, befragt nach seinem persönlichen Bezug zu der neuen Religion, lediglich allgemeine und oberflächliche Antworten gegeben habe, und beim erkennenden Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung aufgrund der Angaben des Revisionswerbers der Eindruck entstanden sei, dass die Taufe für diesen lediglich ein „strategischer“ Formalakt und nicht Ausdruck eines inneren Bedürfnisses gewesen sei. Der Revisionswerber habe zwar einige Wissensfragen beantwortet, zu den essenziellen Grundinhalten der Religion habe er jedoch keine substantiierten Angaben machen können. Er habe in der mündlichen Verhandlung eine glaubhafte eigene Beschäftigung mit den christlichen Glaubensinhalten vermissen lassen und keine eigenen spirituellen Gedanken oder Eindrücke schildern können, wie sie von einer Person zu erwarten wären, die sich aus freien Stücken einem neuen Glauben, welcher in Österreich frei gelebt werden könne, zugewandt und für die Taufe entschieden habe.
18 Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende gravierende Mangelhaftigkeit dieser Beweiswürdigung des BVwG vermochte die Revision nicht aufzuzeigen (vgl. zum diesbezüglichen Prüfumfang VwGH 29.10.2020, Ra 2020/18/0374).
19 Wenn die Revision vorbringt, das BVwG hätte bezüglich der Narben, die beim Revisionswerber aufgrund der Verletzungen durch seinen Vater entstanden seien, ein Sachverständigengutachten einholen müssen, um seine Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Abkehr vom Islam besser beurteilen zu können, macht es einen Ermittlungsmangel geltend. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0432, mwN).
20 Angesichts des Umstandes, dass das BVwG hinsichtlich der behaupteten Konversion in seiner Beweiswürdigung auch das Vorbringen des Revisionswerbers betreffend den streng gläubigen Vater, der ihn zum Beten gezwungen haben soll, berücksichtigte, ist nicht ersichtlich, dass das BVwG in diesem Kontext durch die Nichtbestellung eines medizinischen Sachverständigen von der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.
21 Sofern die Revision schließlich vorbringt, das BVwG habe in Bezug auf das Aussageverhalten den psychischen Gesundheitszustand des Revisionswerbers nicht angemessen berücksichtigt und aktenwidrige Feststellungen vorgenommen, ist auszuführen, dass sich das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen auch mit dem psychischen Zustand des Revisionswerbers auseinandersetzte. Ausgehend von dem vorgelegten psychologischen Befund vom 25. Juni 2020, der inhaltlich jedoch lediglich auf einen ‑ vom BVwG ebenfalls berücksichtigten ‑ Befund vom 16. September 2019 verweist, keine aktuelle Diagnose beinhaltet und zudem darauf hinweist, dass der Revisionswerber die 2019 vereinbarten Behandlungstermine nicht wahrgenommen hat, kam das BVwG in einer nicht als unschlüssig zu wertenden Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass der Revisionswerber zwar an einer mittelgradig depressiven Episode gelitten habe, jedoch kein aktueller Behandlungsbedarf belegt worden sei.
22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 22. Februar 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)