VwGH Ra 2020/15/0071

VwGHRa 2020/15/007110.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision 1. der N M und 2. der D GmbH beide in W, beide vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 (4. OG), gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. April 2020, Zl. RV 7500569 /2019, betreffend Verwaltungsübertretungen gemäß § 3 des Wiener Glücksspielautomatengesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien),

1. zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §44 Abs5
VwGVG 2014 §44 Abs6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150071.L00

 

Spruch:

Die Revision der Erstrevisionswerberin wird als unbegründet abgewiesen.

2. den Beschluss gefasst:

Die Revision der Zweitrevisionswerberin wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben der Stadt Wien Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom 6. Juni 2019 legte der Magistrat der Stadt Wien der Erstrevisionswerberin als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Zweitrevisionswerberin (einer GmbH) zur Last, sie habe es unterlassen, die Glücksspielautomatenabgabe Dezember 2017 für vier im Betrieb (an einer näher genannten Anschrift) gehaltene Glücksspielautomaten bis zum Fälligkeitstermin zu entrichten. Sie habe dadurch § 3 des Wiener Glücksspielautomatenabgabegesetzes in Zusammenhalt mit § 9 Abs. 1 VStG verletzt. Gemäß § 4 des Wiener Glücksspielautomatenabgabegesetzes wurden hierfür vier Geldstrafen in Höhe von je 350 € (im Falle der Uneinbringlichkeit vier Ersatzfreiheitsstrafen von je 16 Stunden) über die Erstrevisionswerberin verhängt. Ferner wurden ihr Kosten von jeweils 35 € auferlegt. Ausgesprochen wurde, dass die Zweitrevisionswerberin für die verhängten Geldstrafen und die Verfahrenskosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand hafte.

2 Die Erstrevisionswerberin erhob gegen das Straferkenntnis vom 6. Juni 2019 Beschwerde und führte zur Begründung aus, die „Zweitbeschwerdeführerin“ (Anm: die zur Haftung herangezogene GmbH) habe keine Spielapparate gehalten, durch deren Betätigung ein Gewinn in Geld oder Geldeswert erzielt werden könne. Zum Nachweis dafür wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme der Anzeigerin beantragt.

3 Eine Ladung zu der für den 28. April 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung erfolgte mittels eines mit 8. April 2020 datierten Schriftsatzes. Zum Zeitpunkt der Zustellung dieser Ladung an die Erstrevisionswerberin hat das Verwaltungsgericht keine Feststellungen getroffen.

4 Mit Schriftsatz vom 17. April 2020 wurde dem Bundesfinanzgericht mitgeteilt, dass die revisionswerbenden Parteien nunmehr ausschließlich von einem der beiden zuvor bevollmächtigten Rechtsanwälte vertreten werden. Das Gericht habe eine mündliche Verhandlung für den 28. April 2020 anberaumt, weshalb sich der Beschwerdeführervertreter erlaube anzufragen, ob der Termin nach wie vor Gültigkeit habe.

5 Mit einem Schriftsatz vom 20. April 2020 gab der Rechtsanwalt, der weiterhin Vertreter der revisionswerbenden Parteien geblieben ist, dem Bundesfinanzgericht zudem bekannt, der Verhandlungstermin am 28. April 2020 gehe für ihn in Ordnung.

6 Die am 28. April 2020 abgehaltene mündlichen Verhandlung wurde von einem bereits im Schriftsatz vom 20. April 2020 avisierten Substituten besucht. Die über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift enthält keinen Hinweis, dass sich jemand gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung an diesem Tag ausgesprochen hat.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesfinanzgericht ‑ mit der Begründung, „eine Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Beschwerdeschrift nicht genannt, daher gibt es keine Zweitbeschwerdeführerin“ ‑ über die Beschwerde der Erstrevisionswerberin ab und gab dieser keine Folge. Eine Revision erklärte es für nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorliege und der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen sei.

8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das Bundesfinanzgericht habe mit Schreiben vom 8. April 2020, dem Vertreter der Revisionswerber am 17. April 2020 zugestellt, die Ladung für den mündlichen Verhandlungstermin am 28. April 2020 bekanntgegeben. Gemäß § 44 Abs. 6 VwGVG seien die Parteien so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stünden. Nachdem den Revisionswerbern entgegen § 44 Abs. 6 VwGVG keine zweiwöchige Vorbereitungszeit zugestanden sei, verstoße das Erkenntnis gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 24.1.2019, Ra 2018/09/0166).

9 Der Magistrat der Stadt Wien hat nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattet. Dass die Ladung vom 8. April 2020 auch dem Magistrat verspätet zugestellt worden sei, wird in der Revisionsbeantwortung nicht behauptet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

12 § 44 VwGVG lautet:

„Verhandlung

§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung absehen, wenn

1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

4. sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes‑ oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

(6) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen.“

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafverfahren grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (vgl. z.B. VwGH 26.4.2019, Ra 2018/02/0260).

14 Gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. Durch die Wortfolge „wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten“ wurde vom Gesetzgeber klargestellt, dass es hierbei auf eine ausdrückliche Willenserklärung der Parteien ankommt (vgl. z.B. VwGH 19.3.2018, Ra 2017/17/0871).

15 Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in § 44 Abs. 5 VwGVG verwendete Wortfolge hat der Verwaltungsgerichtshof etwa ausgesprochen, dass der Entfall der mündlichen Verhandlung nicht damit begründet werden könne, dass sich die Parteien auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts nicht zu einem Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung geäußert hätten (vgl. z.B. VwGH 19.3.2018, Ra 2017/17/0871; und 30.8.2018, Ra 2017/17/0724).

16 Aus der gesetzlichen Regelung, dass die Parteien auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung überhaupt verzichten können, ist der Schluss zu ziehen, dass eine Partei, der gegenüber die Frist des § 44 Abs. 6 VwGVG für den Zeitraum zwischen Ladung und mündlicher Verhandlung nicht eingehalten worden ist, ausdrücklich auf die Ausschöpfung dieser in § 44 Abs. 6 VwGVG vorgesehenen Vorbereitungszeit von zwei Wochen verzichten kann (vgl. auch Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 44 VwGVG, K 19).

17 Nach den Ausführungen in der Revision ist der Schriftsatz vom 8. April 2020, mit dem das Bundesfinanzgericht die Ladung für den mündlichen Verhandlungstermin am 28. April 2020 bekanntgegeben hat, dem Vertreter der revisionswerbenden Parteien am 17. April 2020 zugestellt worden. Der Vertreter der revisionswerbenden Parteien hat mit einem Schriftsatz vom selben Tag beim Bundesfinanzgericht angefragt, ob dieser Termin „nach wie vor Gültigkeit hat“. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 20. April 2020 hat er dem Bundesfinanzgericht mitgeteilt, der Verhandlungstermin gehe für ihn in Ordnung.

18 Der Schriftsatz des Vertreters vom 20. April 2020 stellt einen ausdrücklichen Verzicht auf die Einhaltung der in § 44 Abs. 6 VwGVG normierten zweiwöchigen Vorbereitungszeit dar, welcher durch den in weiterer Folge erfolgten Besuch der mündlichen Verhandlung noch bekräftigt wurde, in der sich im Übrigen niemand gegen deren Durchführung an diesem Tag ausgesprochen hat.

19 Die Revision der erstrevisionswerbenden Partei erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

20 Aus dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses ergibt sich ‑ auch in Zusammenhang mit dessen Begründung ‑ unzweifelhaft, dass das Bundesfinanzgericht ausschließlich über die Beschwerde der erstrevisionswerbenden Partei abgesprochen hat. Wurde das angefochtene Erkenntnis nicht gegenüber der zweitrevisionswerbenden Partei erlassen, fehlt es ihr aus diesem Grund an der Berechtigung zur Erhebung einer Revision (vgl. VwGH 14.5.2020, Ra 2020/11/0043).

21 Die Revision der zweitrevisionswerbenden Partei war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung mit Beschluss zurückzuweisen.

22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. Mai 2021

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