Normen
PSchEGG §13 Abs3a idF 2016/056
SchPflG 1985 §1
SchPflG 1985 §11
SchPflG 1985 §11 Abs4
SchPflG 1985 §12
SchPflG 1985 §2
SchPflG 1985 §24
SchPflG 1985 §24 Abs1
SchPflG 1985 §24 Abs2
SchPflG 1985 §24 Abs4
SchPflG 1985 §3
SchPflG 1985 §4
SchPflG 1985 §5
SchulG Wr 1976 §46 Abs2
SchulsprengelV öff allgemeinbildenden Pflichtschulen Wr 1977 §6 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018100040.L00
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Dritt- und Viertmitbeteiligten sind die (erziehungsberechtigten) Eltern der Erst- und Zweitmitbeteiligten.
2 Mit Bescheiden des Stadtschulrats für Wien (des Revisionswerbers) je vom 30. Oktober 2017 wurde angeordnet, dass die Erst- und Zweitmitbeteiligten die allgemeine Schulpflicht im Schuljahr 2017/2018 an näher genannten öffentlichen Schulen (Erstmitbeteiligter: Volksschule 1050 Wien, Pannaschgasse 6; Zweitmitbeteiligter: Neue Mittelschule 1050 Wien, Viktor‑Christ‑Gasse 24) spätestens ab 6. November 2017 gemäß § 5 Abs. 1 Schulpflichtgesetz zu erfüllen hätten (jeweils Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Dritt- und Viertmitbeteiligten gemäß § 24 Abs. 1 Schulpflichtgesetz (SchPflG) verpflichtet sind, im Schuljahr 2017/2018 für den regelmäßigen Schulbesuch der Erst- und Zweitmitbeteiligten an den genannten Schulen und für die Mitnahme der erforderlichen Unterrichts-, Lern- und Arbeitsmittel durch die Erst- und Zweitmitbeteiligten zu sorgen (jeweils Spruchpunkt II.). Die aufschiebende Wirkung einer rechtzeitig und zulässig eingebrachten Beschwerde wurde jeweils gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (jeweils Spruchpunkt III.).
3 Begründend wurde ausgeführt, dass die im Jahr 2008 bzw. 2005 geborenen Erst- und Zweitmitbeteiligten ihren dauernden Aufenthalt in Österreich hätten, daher im Schuljahr 2017/2018 schulpflichtig und somit verpflichtet seien, ihre Schulpflicht an der jeweils im Spruch genannten Schule zu erfüllen.
4 Gegen diese Bescheide erhoben die Dritt- und Viertmitbeteiligten sowohl in Vertretung der Erst- und Zweitmitbeteiligten als auch im eigenen Namen Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeerhebung „im vollen Bewusstsein“ erfolge, „dass wir, wenn wir unsere Söhne weiterhin nicht in die Schule schicken gegen die herrschende Gesetzgebung verstoßen.“ Es sei der freie Wille ihrer Kinder, sich selbstbestimmt und außerhalb der Institution Schule zu bilden und sie als Eltern respektierten diesen Willen. Der Revisionswerber habe sich trotz mehrfachen Ersuchens mit dem Thema „Gleichwertigkeitsfeststellung“ im häuslichen Unterricht nicht auseinandergesetzt. Die Bedingungen der aktuell vorgesehenen Externistenprüfung für junge Menschen, die sich gemäß ihres eigenen Entwicklungsplanes bildeten, stellten einen großen Stressfaktor für die gesamte Familie dar und liefen den Ideen des „Freilernens“ zuwider. Die einzige Reaktion des Revisionswerbers auf die „Schulpflichtverletzung“ der Mitbeteiligten sei gewesen, einen Antrag auf Entziehung der Obsorge beim zuständigen Bezirksgericht zu stellen. Die Erst- und Zweitmitbeteiligten würden sich auch im Schuljahr 2017/2018 frei und selbstbestimmt bilden; das Recht der Mitbeteiligten auf „freie Bildung“ werde weiterhin in Anspruch genommen. Im Falle der zwangsweisen Einschulung seien schwerwiegende Folgen für die Lernfreude und Selbstmotivation der Erst- und Zweitmitbeteiligten zu befürchten.
5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen hob das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide ersatzlos auf und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof jeweils für nicht zulässig.
6 Begründend stellte das Verwaltungsgericht zunächst die Schulpflicht der Erst- und Zweitmitbeteiligten fest und führte sodann im Wesentlichen aus, die im § 5 SchPflG angeführten möglichen Arten der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht bezögen sich auf den Regelfall, dass die Schulpflicht durch den Besuch öffentlicher oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteter Schulen erfüllt werde. Welche der im § 5 angeführten Schulen im Einzelfall für die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht in Betracht komme, richte sich einerseits nach der Altersstufe, andererseits nach der Erfüllung der Aufnahmsvoraussetzungen der betreffenden Schulart. Beim Besuch einer öffentlichen Pflichtschule sei im Sinne des § 13 Pflichtschulerhaltungs‑Grundsatzgesetz (PflSchErhGG) und den entsprechenden Landesausführungsbestimmungen auch auf den Schulsprengel Bedacht zu nehmen. Im Rahmen dieser schulrechtlichen Bestimmungen stehe im Übrigen die Wahl der Schulart und der Schule den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten zu. Das Gesetz verpflichte die Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten dazu, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln für die Erfüllung der Schulpflicht durch ihre Kinder zu sorgen. Könne ein schulpflichtiges Kind eine bestimmte Schule nicht besuchen, so hätten die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten für den Besuch des Kindes in einer anderen für die Erfüllung der Schulpflicht geeigneten Schule bzw. für häuslichen Unterricht gemäß § 11 SchPflG zu sorgen (Hinweis auf VwGH 12.8.2010, 2008/10/0304).
7 Mit den angefochtenen Bescheiden habe der Revisionswerber in die verfassungsgesetzlich geschützten Rechte der Erziehungsberechtigten eingegriffen und bestimmt, in welcher Schule die Mitbeteiligten ihre Schulpflicht zu erfüllen hätten. Ein solcher Eingriff in die Obsorge komme nach den Bestimmungen des ABGB jedoch nur den ordentlichen Gerichten zu, nicht jedoch dem Amtsrevisionswerber, dem es unbenommen bleibe, ein entsprechendes Verfahren zur Entziehung oder Einschränkung der Obsorge beim zuständigen Pflegschaftsgericht anzuregen. Mangels Zuständigkeit des Amtsrevisionswerbers und mangels Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide seien diese ersatzlos aufzuheben gewesen.
8 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die gegenständlichen Amtsrevisionen, in denen zur Zulässigkeit jeweils ua. ausgeführt wird, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es die Zuständigkeit der Schulbehörde zur Vollziehung des SchPflG verneint habe.
9 Die Dritt- und Viertmitbeteiligten erstatteten in den vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren jeweils gleichlautende Revisionsbeantwortungen.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegenständlichen Revisionsfälle infolge ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und sodann erwogen:
11 Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.
12 Die maßgeblichen Bestimmungen des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76 (WV) idF BGBl. I Nr. 56/2016 (SchPflG), lauten (auszugsweise):
„Personenkreis
§ 1. (1) Für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, besteht allgemeine Schulpflicht nach Maßgabe dieses Abschnittes.
(2) ...
Beginn der allgemeinen Schulpflicht
§ 2. (1) Die allgemeine Schulpflicht beginnt mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.
(2) ...
Dauer der allgemeinen Schulpflicht
§ 3. Die allgemeine Schulpflicht dauert neun Schuljahre.
...
Öffentliche und mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen
§ 4. Unter den in den §§ 5 bis 10 genannten Schulen sind öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen zu verstehen.
Schulbesuch in den einzelnen Schuljahren
§ 5. (1) Die allgemeine Schulpflicht ist durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen (einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Fachschulen und der höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten) zu erfüllen.
(2) Schüler, die dem Pflichtsprengel einer Hauptschule bzw. Neuen Mittelschule angehören und den schulrechtlichen Aufnahmebedingungen für dies Hauptschule bzw. Neue Mittelschule genügen, können die allgemeine Schulpflicht im 5. bis 8. Schuljahr nicht durch den Besuch einer Volksschule erfüllen.
...
Besuch von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und häuslicher Unterricht
§ 11. (1) Die allgemeine Schulpflicht kann ‑ unbeschadet des § 12 ‑ auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
(2) Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule ‑ ausgenommen die Polytechnische Schule ‑ mindestens gleichwertig ist.
(3) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten haben die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht dem Landesschulrat jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Der Landesschulrat kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht innerhalb eines Monats ab dem Einlangen der Anzeige untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist.
(4) Der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes ist jährlich vor Schulschluß durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat der Landesschulrat anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 zu erfüllen hat.
Besuch von Schulen, die keiner gesetzlich geregelten Schulart entsprechen
§ 12. (1) Die allgemeine Schulpflicht kann auch durch den Besuch von Schulen, die keiner gesetzlich geregelten Schulart entsprechen, erfüllt werden, wenn,
1. dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen vorgesehen ist, oder
2. in dem vom zuständigen Bundesminister erlassenen oder genehmigten Organisationsstatut (§ 14 Abs. 2 lit. b des Privatschulgesetzes, BGBl. Nr. 244/1962, in der jeweils geltenden Fassung) die Schule als zur Erfüllung der Schulpflicht geeignet anerkannt wird und die Schule das Öffentlichkeitsrecht besitzt.
(2) ...
Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Schulpflicht und Strafbestimmungen
§ 24. (1) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht, insbesondere für den regelmäßigen Schulbesuch und die Einhaltung der Schulordnung durch den Schüler bzw. in den Fällen der §§ 11, 13 und 22 Abs. 4 für die Ablegung der dort vorgesehenen Prüfungen zu sorgen. ...
(2) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten eines der allgemeinen Schulpflicht unterliegenden Kindes sind weiters nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, das Kind für den Schulbesuch in gehöriger Weise, insbesondere auch mit den notwendigen Schulbüchern, Lern- und Arbeitsmitteln, soweit diese nicht von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beigestellt werden, auszustatten. ...
(3) ...
(4) Die Nichterfüllung der in den Abs. 1 bis 3 angeführten Pflichten, hinsichtlich der Pflicht zum regelmäßigen Schulbesuch jedoch erst nach erfolgloser Durchführung der Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 2 bis 6, stellt eine Verwaltungsübertretung dar und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 440 €, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.“
13 § 13 Pflichtschulerhaltungs‑Grundsatzgesetz, BGBl. Nr. 163/1955 idF BGBl. I Nr. 56/2016 (PflSchErhGG), lautet (auszugsweise):
„§ 13. (1) Für jede öffentliche Pflichtschule hat ein Schulsprengel zu bestehen.
(2) Der Schulsprengel kann für Haupt- und Sonderschulen sowie für Neue Mittelschulen - unbeschadet der die Schulpflicht regelnden Vorschriften - in einen Pflichtsprengel und einen Berechtigungssprengel geteilt werden.
(3) Die Schulsprengel der Volksschulen und der Polytechnischen Schulen sowie zumindest die Berechtigungssprengel der Hauptschulen und der Neuen Mittelschulen ... haben lückenlos aneinander zu grenzen.
(3a) Bestehen in einer Gemeinde oder im Gebiet des Gemeindeverbandes mehrere Schulen derselben Schulart, so kann für mehrere oder alle Schulen derselben Schulart ein gemeinsamer Schulsprengel festgelegt werden. In diesen Fällen hat die Landesausführungsgesetzgebung zu bestimmen, wer zur Entscheidung darüber zuständig ist, welche dieser Schulen die sprengelangehörigen Schüler zu besuchen haben.
...
(6) Jeder Schulpflichtige ist in die für ihn nach der Schulart in Betracht kommenden Schule, deren Sprengel er angehört, aufzunehmen. Die Aufnahme eines dem Schulsprengel nicht angehörenden Schulpflichtigen kann, außer in den Fällen des § 8 Abs. 2 Z 1 und 2, vom gesetzlichen Schulerhalter der um Aufnahme ersuchten Schule nicht verweigert werden. Die Landesgesetzgebung kann weitere Fälle vorsehen, in denen die Aufnahme eines dem Schulsprengel nicht angehörigen Schulpflichtigen vom gesetzlichen Schulerhalter der um die Aufnahme ersuchten Schule nicht verweigert werden kann, oder die Verweigerung gänzlich ausschließen.
(7) Sprengelangehörig sind jene Schulpflichtigen, die im Schulsprengel, wenn auch nur zum Zwecke des Schulbesuches, wohnen.“
14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Schulgesetzes, LBGl. Nr. 20/1976 idF LGBl. Nr. 6/2015 (WrSchG), lauten (auszugsweise):
„Festsetzung des Schulsprengels
§ 46. (1) Für jede Pflichtschule ist ein Schulsprengel festzusetzen. Die Schulsprengel haben lückenlos aneinanderzugrenzen. ...
(2) Zur besseren Ausnützung des Schulraumes und zur Erzielung einer höheren Organisationsform kann für mehrere Schulen derselben Art ein gemeinsamer Schulsprengel festgesetzt werden. In diesem Fall hat die Gemeinde Wien nach Anhörung des Stadtschulrates für Wien die im Schulsprengel wohnhaften Schulpflichtigen insbesondere unter weitgehender Bedachtnahme auf den Schulweg der Kinder und die bereits die Schule besuchenden Geschwister auf die einzelnen Schulen aufzuteilen.
(3) Die Festsetzung (Bildung, Änderung und Aufhebung) der Schulsprengel für Pflichtschulen erfolgt durch Verordnung der Landesregierung. ...
Sprengelangehörigkeit
§ 47. (1) Sprengelangehörig sind jene Schulpflichtigen, die im Schulsprengel, wenn auch nur zum Zweck des Schulbesuches, wohnen. ...
(2) Unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 46 Abs. 2 ist jeder Schulpflichtige in eine für ihn nach der Schulart in Betracht kommende Schule, deren Schulsprengel er angehört, aufzunehmen.
...“
15 Die Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Bildung der Schulsprengel der Wiener öffentlichen allgemeinbildenden Pflichtschulen, LGBl. Nr. 20/1976 (im Folgenden: SprengelVO), lautet auszugsweise:
„§ 1. Der Schulsprengel der Volksschulen, der Hauptschulen und der Allgemeinen Sonderschulen umfaßt den Gemeindebezirk, in dem die Schule liegt, sowie die angrenzenden Gemeindebezirke.
...
§ 6. (1) Jeder Schulpflichtige ist in die für ihn nach der Schulart in Betracht kommende Schule, deren Schulsprengel er angehört, aufzunehmen.
(2) Befinden sich in einem Schulsprengel zwei oder mehrere Schulen der gleichen Art, so hat die Gemeinde Wien nach Anhörung des Stadtschulrates für Wien die im Schulsprengel wohnenden Schulpflichtigen auf diese Schulen aufzuteilen. Bei der Aufteilung ist auf den Schulweg der Schüler (§§ 32 bis 35 Wiener Schulgesetz), auf die bereits die Schule besuchenden Geschwister und auf die schulorganisatorischen Erfordernisse Bedacht zu nehmen.“
I. Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht
16 Die Erst- und Zweitmitbeteiligten sind unstrittig schulpflichtig. Unstrittig ist weiters, dass sie die Schulpflicht in keiner der nach §§ 5, 11 und 12 SchPflG möglichen Formen erfüllen. Insbesondere kommt die Erfüllung der Schulpflicht der Erst- und Zweimitbeteiligten durch Teilnahme an häuslichem Unterricht im Sinne des § 11 Abs. 2 bis 4 SchPflG nicht in Betracht. Die Dritt- und Viertmitbeteiligten räumen in den Beschwerden eine „Schulpflichtverletzung“ auch explizit ein.
17 Für diesen Fall ist die Schulbehörde im Grunde der §§ 1 bis 3 sowie § 5 SchPflG ermächtigt, die Anordnung zu treffen, dass das Kind seine Schulpflicht nach Maßgabe des § 5 leg. cit., also durch den Besuch einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule iSd § 4 SchPflG, zu erfüllen habe (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung zu § 11 Abs. 4 SchPflG etwa VwGH 28.4.1997, 97/10/0060; VwGH 25.4.2001, 2000/10/0187; 29.1.2009, 2008/10/0332; VwGH 27.3.2014, 2012/10/0154).
18 Die erstinstanzlichen Bescheide des Revisionswerbers vom 30. Oktober 2017 erweisen sich daher insoweit als rechtmäßig, als damit die Erfüllung der Schulpflicht der Erst- und Zweitmitbeteiligten an einer Schule im Sinne des § 5 SchPflG angeordnet wurde. Davon ausgehend ist auch der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in den Bescheiden (Spruchpunkt III.) nicht zu beanstanden. Die ersatzlose Aufhebung der erstinstanzlichen Bescheide durch das Verwaltungsgericht erfolgte insoweit zu Unrecht.
19 Durch die (vollständige) Aufhebung der Spruchpunkte I. und die Aufhebung der Spruchpunkte III. der erstinstanzlichen Bescheide hat das Verwaltungsgericht die in Revision gezogenen Erkenntnisse mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
II. Festlegung der konkreten Schulen
20 Strittig ist hingegen, ob der Revisionswerber in den vorliegenden Fällen auch zur Entscheidung darüber zuständig war, welche Schulen die Erst- und Zweitmitbeteiligten konkret zu besuchen haben.
21 Das ist nicht der Fall.
22 Vorauszuschicken ist, dass zunächst den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten die Pflicht - und auch das Recht - zukommt, eine für die Erfüllung der Schulpflicht geeignete Schule (im Rahmen schulorganisationsrechtlicher Möglichkeiten) zu bestimmen. Das Gesetz verpflichtet nämlich die Eltern und Erziehungsberechtigten, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln „für die Erfüllung der Schulpflicht“ durch ihre Kinder zu sorgen (vgl. VwGH 12.8.2010, 2008/10/0304). In den Fällen der Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht haben die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten daher eine nach § 5 leg. cit. in Betracht kommende Schule zu bestimmen.
23 Für den Fall, dass die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten dem nicht entsprechen, erfordert die rechtlich gebotene Einschulung der Kinder jedoch ‑ unbeschadet eines allenfalls anhängigen zivilgerichtlichen Verfahrens zur Entziehung des Obsorgerechts ‑ die Bestimmung einer geeigneten Schule im Verwaltungsweg. Die zuständige Behörde hat dabei den Besuch an einer nach der Sprengeleinteilung in Betracht kommenden zuständigen öffentlichen Pflichtschule (Sprengelschule) vorzusehen (vgl. auch VwGH 13.5.2011, 2010/10/0139, wonach die Erfüllung der Schulpflicht an einer bestimmten Pflichtschule durch die Behörde angeordnet wurde).
24 Die den angefochtenen Erkenntnissen zu Grunde liegende Auffassung, durch die Bestimmung einer bestimmten Schule im Verwaltungswege werde in die verfassungsgesetzlich geschützten Rechte der Dritt- und Viertmitbeteiligten als Erziehungsberechtigte eingegriffen, steht mit der hg. Rechtsprechung nicht im Einklang, derzufolge mit dem Elternrecht auf häuslichen Unterricht etwa die periodische Prüfung der Kinder durch staatliche Organe, aber auch die Einschulung bei Nichterreichung des Unterrichtszieles vereinbar sind (vgl. das zitierte Erkenntnis VwGH 25.4.2001, 2000/10/0187; vgl. zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Vorschreibung der Erfüllung der Schulpflicht gemäß § 11 Abs. 4 iVm § 5 SchPflG weiters das ‑ auch vom Verwaltungsgericht zitierte ‑ Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2015, E1993/2015 = VfSlg 19.958).
25 Die für die Einschulung an einer konkreten Schule zuständige Behörde ist in Wien aber nicht der Revisionswerber:
26 Zwar wurde weder in den Beschwerden noch in den Revisionsbeantwortungenbestritten, dass es sich bei den in den genannten Bescheiden festgelegten öffentlichen Pflichtschulen jeweils um in Betracht kommende Sprengelschulen für die Erst- und Zweitmitbeteiligten im Sinne des § 13 Abs. 6 und 7 PflSchErhGG iVm § 47 Abs. 1 WrSchG und § 1 SprengelVO handelt.
27 Der Revisionswerber weist in den Revisionen allerdings selbst darauf hin, dass in Wien für mehrere Schulen derselben Schulart durch die SprengelVO jeweils ein gemeinsamer Schulsprengel festgesetzt wurde. Demnach kommen in den Revisionsfällen mehrere Sprengelschulen in Betracht, an denen die Erst- und Zweitmitbeteiligten eingeschult werden können.
28 Gemäß § 13 Abs. 3a PflSchErhGG iVm § 46 Abs. 2 WrSchG und § 6 Abs. 2 SprengelVO obliegt die „Aufteilung“ der Schüler auf die einzelnen Schulen diesfalls aber der „Gemeinde“. Dies gilt auch in den Fällen des § 11 Abs. 4 letzter Satz SchPflG. Die in den vorliegenden Revisionsfällen ‑ gegebenenfalls bescheidmäßig ‑ zu treffende Entscheidung darüber (vgl. § 13 Abs. 3a PflSchErhGG), welche Schule die Erst- und Zweitmitbeteiligten jeweils zu besuchen haben, obliegt sohin der zuständigen Behörde der Gemeinde Wien; dem Revisionswerber kommt dabei bloß ein Anhörungsrecht zu.
29 Soweit in den Revisionen in diesem Zusammenhang ausgeführt wird, dass die nach den genannten Bestimmungen vorgesehene Aufteilung bzw. Zuteilung von schulpflichtigen Kindern auf die einzelnen Pflichtschulen in Wien „von der regionalen Schulaufsicht (Pflichtschulinspektor, vormals Bezirksschulinspektor) wahrgenommen wird“, ist anzumerken, dass diese Vorgangsweise in § 46 Abs. 2 WrSchG iVm § 6 Abs. 2 SprengelVO keine Deckung findet.
30 Der Revisionswerber war daher zur Festlegung der vom Erstmitbeteiligten zu besuchenden Volksschule bzw. der vom Zweitmitbeteiligten zu besuchenden Neuen Mittelschule in den Bescheiden vom 30. Oktober2017 nicht zuständig. Die ersatzlose Aufhebung durch das Verwaltungsgericht erfolgte insoweit ‑ wenn auch nur im Ergebnis ‑ zu Recht.
III. Bescheidmäßige Festlegung von Verpflichtungen nach § 24 SchPflG
31 Die in § 24 Abs. 1 und 2 SchPflG normierten Verpflichtungen der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz; die Nichterfüllung dieser Pflichten stellt gemäß § 24 Abs. 4 leg. cit. eine von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafende Verwaltungsübertretung dar (vgl. VwGH 23.9.1993, 93/10/0005; 12.8.2010, 2008/10/0304; vgl. dazu auch die in den Verfahrensakten erliegenden Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien vom 4. Juli 2016 sowie vom 12. Oktober 2017, jeweils betreffend Bestrafung der Drittmitbeteiligten nach § 24 Abs. 4 SchPflG).
32 Dies schließt indes nicht aus, dass die Behörde diese Verpflichtungen bescheidmäßig konkretisiert. Die Dritt- und Viertmitbeteiligten wurden durch die Spruchpunkte II. der erstinstanzlichen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt.
33 Auch in dieser Hinsicht ist im Übrigen der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in den Spruchpunkten III. der Bescheide nicht zu beanstanden.
34 Die ersatzlose Aufhebung durch das Bundesverwaltungsgericht erfolgte daher auch im Umfang der Spruchpunkte II. (in Verbindung mit den Spruchpunkten III.) der erstinstanzlichen Bescheide zu Unrecht.
35 Die angefochtenen Erkenntnisse waren nach dem Gesagten sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 24. April 2018
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