Normen
BauO Tir 2001 §29 Abs1;
LBauO Tir §45;
BauO Tir 2001 §29 Abs1;
LBauO Tir §45;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 29. Mai 1961 übermittelte der Rechtsvorgänger der Revisionswerber mit dem Betreff "Bauanzeige" eine Eingabe an das Gemeindeamt St. Jakob i.D., in der er zur Kenntnis brachte, dass er "in der (O.-alpe) ca. 200 m nord-östlich der Alphütte eine kleine Jagdhütte aufstelle." Die Zustimmung der Agrargemeinschaft O. hab er bereits eingeholt. Dieses Schreiben enthält den Eingangsvermerk der Gemeinde St. Jakob i.D. vom 29. Mai 1961 sowie den weiteren Vermerk "Zur Kenntnis genommen:
Der Bürgermeister:" und die Unterfertigung durch den Bürgermeister.
2 Mit Bescheid der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom 27. September 2016 wurde über Antrag der Revisionswerber gemäß § 29 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2011 (TBO 2011) festgestellt, dass das Vorliegen der Baubewilligung für die (oben genannte) bauliche Anlage auf Grundstück Nr. X EZ A und Grundstück Nr. Y EZ B, KG S., welcher als Freizeithütte verwendet werde, nicht zu vermuten sei.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) vom 9. Jänner 2017 wurde die von den Revisionswerbern gegen den Bescheid vom 27. September 2016 erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis für unzulässig erklärt.
4 Den insoweit unbekämpften Feststellungen des LVwG zufolge handelt es sich beim gegenständlichen Gebäude um ein im Eigentum der Revisionswerber stehendes Superädifikat an der Grenze der beiden im Flächenwidmungsplan als Freiland ausgewiesenen und jeweils im Alleineigentum zweier Agrargemeinschaften stehenden Grundstücke Nr. X und Y, allenfalls ist die Grundgrenze durch das gegenständliche Gebäude auch überbaut. Es handelt sich um ein erdgeschossig errichtetes Holzhaus im Ausmaß von 6,0 m mal 8,7 m. Abzüglich des südostseitigen Gebäuderücksprunges ergibt sich für das Gebäude eine geschätzte Bruttogrundfläche von ca. 40 bis 45 m2. Die maximale Gebäudehöhe beträgt ca. 3,0 bis 3,5 m. Die Hütte wird von den Eigentümern des Gebäudes (Revisionswerber) genutzt.
5 In seiner rechtlichen Begründung hielt das LVwG mit näheren Ausführungen u.a. fest, dass für das in Rede stehende, zum Zeitpunkt seiner Errichtung und auch zum jetzigen Zeitpunkt bewilligungspflichtige Gebäude keine Baubewilligung vorliege bzw. kein Baukonsens zu vermuten sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 § 29 TBO 2011, LGBl. Nr. 57/2011, lautet:
"§ 29
Feststellungsverfahren
(1) Die Behörde hat hinsichtlich jener bewilligungspflichtigen baulichen Anlagen, für die die Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann, im Zweifel von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers mit Bescheid festzustellen, ob das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist oder nicht. Das Vorliegen der Baubewilligung ist zu vermuten, wenn aufgrund des Alters der betreffenden baulichen Anlage oder sonstiger besonderer Umstände davon auszugehen ist, dass aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind, und überdies kein Grund zur Annahme besteht, dass die betreffende bauliche Anlage entgegen den zur Zeit ihrer Errichtung in Geltung gestandenen baurechtlichen Vorschriften ohne entsprechende Bewilligung errichtet worden ist. Anlässlich der Feststellung, wonach das Vorliegen der Baubewilligung zu vermuten ist, ist weiters der aus der baulichen Zweckbestimmung der betreffenden baulichen Anlage hervorgehende Verwendungszweck festzustellen.
(...)"
10 § 45 der im Zeitpunkt der Bauanzeige im Jahr 1961 geltenden Tiroler Landesbauordnung 1901 (TLBO 1901) idF LGBl. Nr. 10/1960 lautet (Anmerkung: Zur unrichtigen Zitierung dieser Bestimmung in der Revision als "§ 44" TLBO 1901 wird auf die mit LGBl. Nr. 11/1928 erfolgte Änderung der Bezeichnung hingewiesen):
"§ 45
Bauten, zu welchen eine Bewilligung erforderlich ist.
Zur Führung von Neubauten, Zubauten und Umbauten, sowie zur Vornahme wesentlicher Abänderungen an bestehenden Gebäuden ist die Bewilligung des Gemeindevorstehers erforderlich.
Zu den wesentlichen Abänderungen werden diejenigen gerechnet, wodurch in irgendeiner Weise auf die Festigkeit und Feuersicherheit des Gebäudes, wie bei Neuanlagen oder Abänderung von Feuerstätten, Oefen und Rauchleitungen, auf die Gesundheit seiner Bewohner oder auf die Rechte der Nachbarn Einfluss geübt wird.
Ausbesserungen und Abänderungen geringerer Art sind ohne Einholung einer Baubewilligung dem Gemeindevorsteher bloß anzuzeigen, bevor sie in Angriff genommen werden. Diesem bleibt es jedoch vorbehalten, erforderlichen Falles die Ausführung dieser Ausbesserungen und Abänderungen von der Vorlegung und Genehmigung eines Planes abhängig zu machen. Ausbesserungen einzelner schadhafter baulicher Gegenstände, wodurch der allgemeine Baustand keine Änderung erleidet, bedürfen auch keiner Anzeige."
11 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt, es seien die grundsätzlichen Rechtsfragen zu lösen, "ob
- die (Bau)anzeige eines Bauprojektes nach der TLBO 1901 und die ausdrücklich schriftlich erklärte Zurkenntnisnahme dieser (Bau)anzeige eines Bauprojektes durch den Bürgermeister ohne die Durchführung weiterer Erhebungen, Aufträge oder Zurückweisungen einen konsensmäßigen Zustand hergestellt hat;
- die (Bau)anzeige eines Bauprojektes nach der TLBO 1901 und die ausdrücklich schriftlich erklärte Zurkenntnisnahme dieser (Bau)anzeige eines Bauprojektes durch den Bürgermeister ohne die Durchführung weiterer Erhebungen, Aufträge oder Zurückweisungen eine Ermessensentscheidung nach § 44 vierter Satz TLBO 1901 darstellt, sodass das Bauprojekt rechtsverbindlich als bloß anzeigepflichtig einzustufen ist und dadurch ein konsensmäßiger Zustand hergestellt wurde;
- im Falle der Qualifikation des gegenständlichen Bauprojektes als konsenslos dennoch dieses Verhalten des damaligen Bürgermeisters - die ausdrücklich schriftlich erklärte Zurkenntnisnahme dieser (Bau)anzeige - einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der dazu geführt hat, dass ein konsensmäßiger Zustand hergestellt wurde bzw. die Gemeinde (S.) sich nicht mehr uns gegenüber auf einen konsenslosen Zustand berufen kann;
- eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dadurch vorliegt, dass die belangten Behörden nach der (Bau)anzeige eines Bauprojektes 1961 keine Nachforschungen durchgeführt hat (haben), ob eine Übung gleichartiger Vorgänge im Jahr 1961 bestanden hat."
12 Der grundsätzlichen Entscheidung zur angezogenen Rechtsfrage - so legen die Zulässigkeitsausführungen weiter dar - komme Bedeutung auch für andere angezeigte Bauprojekte im Bereich des gesamten Bundeslandes Tirol zu, die vor vielen Jahrzehnten verwirklicht worden seien. Ferner beträfen die zu lösenden Rechtsfragen das verfassungsrechtlich und nach der EMRK geschützte Recht auf Eigentum. Darüber hinaus dürfe die Bevölkerung grundsätzlich darauf vertrauen, dass der faktische Bestand eines Gebäudes nach der (Bau)anzeige eines Bauprojektes nach der TLBO 1901 und die ausdrücklich schriftlich erklärte Zurkenntnisnahme dieser (Bau)anzeige eines Bauprojektes durch den Bürgermeister auch rechtlich legitim sei. Ein negatives Ergebnis im Feststellungsverfahren zerstöre somit das jahrzehntelange Vertrauen der Bevölkerung in die Legitimation des Faktischen. Weiters dienten die aufgezeigten Rechtsfragen der Klärung, ob ein Vertrauensschutz für rechtsunterworfene Bürger gegenüber Erklärungen der öffentlich-rechtlich handelnden Behörden bestehe. Diese Rechtsfrage betreffe jede Behörde und im Wesentlichen auch jedes öffentlich-rechtliche Handeln und sei daher von fundamentaler allgemeiner Bedeutung, die weit über das Feststellungsverfahren nach § 29 TBO 2011 hinausgehe. Schließlich habe nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu "88/05/027" die Behörde im Feststellungsverfahren Nachforschungen zur Frage der Vollständigkeit der Verwaltungsakten durchzuführen. Der vorliegende Fall sei zwar nicht vollkommen ident, weil ein Verwaltungsakt vorgefunden worden sei, Nachforschungen seien aber im Sinne der Judikatur ebenfalls geboten, um die Entscheidungspraxis des damaligen Bürgermeisters in vergleichbaren Fällen zu ermitteln. Insofern seien die belangten Behörden von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen bzw. sei diese Judikatur noch nicht ausreichend gefestigt.
13 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
14 Verfahrensgegenständlich ist allein ein mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigter Feststellungsbescheid nach § 29 Abs. 1 TBO 2011, mit dem ausgesprochen wurde, dass das Vorliegen der Baubewilligung nicht zu vermuten sei. § 29 Abs. 1 TBO 2011 sieht die Erlassung eines Feststellungsbescheides hinsichtlich jener bewilligungspflichtigen baulichen Anlagen vor, "für die die Baubewilligung nicht nachgewiesen werden kann". Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung setzt die Vermutung des Vorliegens einer Baubewilligung u.a. voraus, dass "aktenmäßige Unterlagen darüber nicht mehr vorhanden sind".
15 Die Revisionswerber, die in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag vom 22. Mai 2016 ausdrücklich die Feststellung nach § 29 TBO 2011 begehrt hatten, behaupten aber gar nicht, dass gegebenenfalls früher bestandene Unterlagen betreffend das gegenständliche Gebäude im Akt der Baubehörde nicht mehr vorhanden wären. Vielmehr bringen sie in der vorliegenden Revision vor, dass "(d)as Schreiben (ihres Rechtsvorgängers) vom 29.05.1961 samt Zusätzen des damaligen Bürgermeisters" als Bescheid zu qualifizieren sei, mit dem die Baubewilligung erteilt werde. Damit gehen die Revisionswerber aber selbst nicht vom Bestehen aller für die Vermutung des Vorliegens einer Baubewilligung in § 29 Abs. 1 TBO 2011 normierten Voraussetzungen bzw. vom Vorliegen eines Falles aus, in dem "die Baubewilligung nicht nachgewiesen" werden kann.
16 Auch mit dem an anderer Stelle der Revision erstatteten Vorbringen, das erwähnte Schreiben vom 29. Mai 1961 hätte vom damaligen Bürgermeister in einen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung umgedeutet werden müssen, wenn er tatsächlich Zweifel daran gehabt hätte, dass das angezeigte Bauvorhaben bewilligungspflichtig sei, wird nicht behauptet, dass aktenmäßige Unterlagen über das in Rede stehende Gebäude nicht mehr vorhanden seien.
17 Davon ausgehend wird mit dem Zulässigkeitsvorbringen keine Abweichung von der hg. Rechtsprechung dargetan und somit insoweit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.
18 Die Revisionswerber haben offenkundig einen Bescheid vor Augen, mit dem festgestellt würde, dass der genannte Aktenteil (Schreiben vom 29. Mai 1961 samt Kenntnisnahmevermerk) als Bescheid, mit dem eine Baubewilligung erteilt worden sei, zu werten wäre. Ein diesem Ansinnen entsprechender Bescheid stellte aber keine "Vermutung" des Vorliegens einer Baubewilligung im Sinne des § 29 Abs. 1 TBO 2011 dar. Nur ein Feststellungsbescheid nach § 29 TBO 2011 ist entsprechend dem von den Revisionswerbern gestellten Antrag jedoch Gegenstand des angefochtenen Erkenntnisses. Überdies wäre die Frage, ob für ein Bauwerk ein entsprechender Konsens besteht, auch in dem nach den Feststellungen des LVwG im Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Erkenntnisses anhängigen Beschwerdeverfahren betreffend den baupolizeilichen Auftrag zur Entfernung des Holzhauses zu klären (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2016, 2013/05/0047).
19 Liegen - wie dargestellt - nicht alle erforderlichen Voraussetzungen für eine Vermutung des Vorliegens einer Baubewilligung nach § 29 Abs. 1 TBO 2011 vor, sondern geht es den Revisionswerbern vielmehr um eine Interpretation der vollständig vorliegenden Bauakten, zeigt auch ihr weiteresVorbringen keine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil die Fragen, ob aufgrund des Verwaltungsgeschehens im Jahre 1961 das Vorliegen eines Bewilligungsbescheides, ein von den Baubehörden geschaffener Vertrauenstatbestand, eine Bindung der Behörde, dass bloß eine anzeigepflichtige Maßnahme vorgelegen wäre, sowie ob eine Ermessensentscheidung nach § 45 TLBO 1901 gegeben sei, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des von den Revisionswerbern beantragten Bescheides nach § 29 TBO 2011 nicht maßgeblich sind. Die Entscheidung über die Revision hängt somit nicht von der Lösung dieser Fragen ab.
20 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. März 2017
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