VwGH Ra 2015/08/0016

VwGHRa 2015/08/001624.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des Bezirkshauptmanns des Bezirkes G gegen die Erkenntnisse des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichtes vom 22. Dezember 2014 1. Zl. LVwG-300546/2 und 2. Zl. LVwG-300547/2, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: D G, H), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31;

 

Spruch:

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit zwei Bescheiden der beschwerdeführenden Partei jeweils vom 23. September 2014 wurde die mitbeteiligte Partei für schuldig erkannt, sie habe im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit "Handel mit Pyrotechnikartikel" als Dienstgeberin im Sinn des § 35 Abs. 1 ASVG zwölf bzw. sieben namentlich genannte Personen in näher bezeichneten Zeiträumen mit dem Verkauf von Feuerwerkskörpern an mobilen Verkaufsständen als vollzeitbeschäftigte Dienstnehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen ein Pauschalentgelt von EUR 100,-- pro Arbeitstag plus einer zehnprozentigen Umsatzbeteiligung bei einem Gesamtumsatz von mehr als EUR 5.000,-- beschäftigt. Sie habe die genannten Personen nicht beim zuständigen Sozialversicherungsträger zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemeldet, sondern jeweils mit Beschäftigungsbeginn 27. Dezember 2011 falsche Meldungen von in der Unfallversicherung teilversicherten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen mit einem die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG nicht übersteigenden Monatsbezug von EUR 140,-- brutto inklusive Provisionen erstattet. Sie habe dadurch gegen § 33 Abs. 1 ASVG verstoßen und werde gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG mit zwölf bzw. sieben Geldstrafen von je EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 112 Stunden) bestraft.

2. Mit den angefochtenen Erkenntnissen hat das Verwaltungsgericht den gegen diese Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden der mitbeteiligten Partei Folge gegeben. Es hob die bekämpften Bescheide gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 VStG auf und stellte die Verwaltungsstrafverfahren ein (Spruchpunkte I). Gemäß § 25a VwGG wurde die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärt (Spruchpunkte II).

Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Falschmeldungen auf einem "Verständigungsfehler" mit dem Steuerberater der mitbeteiligten Partei beruhten. Es sei von vornherein klar gewesen, dass die genannten Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer vollversichert gewesen seien.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht in beiden Erkenntnissen gleichlautend aus, die Strafbarkeitsverjährungsfrist von drei Jahren gemäß § 31 Abs. 2 VStG würde in den angeführten Fällen mit 27., 28. bzw. 30. Dezember 2014 enden. Die Akten seien am 18. Dezember 2014 beim Landesverwaltungsgericht eingelangt und der erkennenden Richterin am 19. bzw. 22. Dezember 2014 vorgelegt worden. Unter den gegebenen Umständen sei es - bei Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen zur Führung eines ordnungsgemäßen Verfahrens - dem Verwaltungsgericht nicht möglich, ohne Beeinträchtigung der Parteieninteressen das Verfahren bis zum Ablauf der Verjährungsfrist durchzuführen. Damit könnten die der mitbeteiligten Partei zur Last gelegten Taten nicht erwiesen werden. Die Verwaltungsstrafverfahren seien einzustellen.

3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die Revisionen. Das Landesverwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Die mitbeteiligte Partei hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:

1. Die revisionswerbende Partei bringt vor, gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG werde die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt werde, in die dreijährige Frist der Strafbarkeitsverjährung nicht eingerechnet. Durch die Anzeige des Finanzamtes G an die Staatsanwaltschaft Wels sei die Verjährung für die Dauer des Strafverfahrens bei der Staatsanwaltschaft gehemmt gewesen. Die Anzeige sei der Staatsanwaltschaft am 11. Juni 2013 zugegangen. Die Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft vom 11. Juni 2014 sei dem Finanzamt G am 18. Juni 2014 zugestellt worden. Gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG sei die Verjährungsfrist vom 11. Juni 2013 bis zum 18. Juni 2014 (für die Dauer von 372 Tagen) "unterbrochen" gewesen. Unter Berücksichtigung der Unterbrechung trete die Strafbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 VStG am 3. bzw. 4. Jänner 2016 ein. Bis zum Ablauf dieser Frist hätte ein ordnungsgemäßes Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht durchgeführt werden können.

2. Die Revision ist zulässig, weil die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen. § 31 VStG in der hier maßgeblichen, am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet samt Überschrift:

"Verjährung

§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

(2) Die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung erlischt durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;

2. die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird;

3. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

4. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.

(3) Eine Strafe darf nicht mehr vollstreckt werden, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union;

2. Zeiten, in denen die Strafvollstreckung unzulässig, ausgesetzt, aufgeschoben oder unterbrochen war;

3. Zeiten, in denen sich der Beschuldigte im Ausland aufgehalten hat."

3. § 1 Abs. 2 VStG steht einer Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war. Ein allgemeines, die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip lässt sich auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1990, Zl. 89/02/0120, mwN).

4. Ausweislich des Verwaltungsaktes wurden die zur Rede stehenden Dienstnehmer von der steuerlichen Vertretung der mitbeteiligten Partei am 27. Dezember 2011 mit Beschäftigungsbeginn 27. Dezember 2011 als geringfügig Beschäftigte angemeldet. Der Lauf der Frist für die Verjährung der Strafbarkeit von drei Jahren hat bei Erstattung einer falschen Meldung mit dem Einlangen dieser Meldung beim Versicherungsträger begonnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2013, Zl. 2012/08/0300).

5. Das Verwaltungsgericht hat in Verkennung der Rechtslage in den Erkenntnissen vom 22. Dezember 2014 einen unmittelbar bevorstehenden Eintritt der Strafbarkeitsverjährung bzw. die Nichterweisbarkeit der Taten in einem ordnungsgemäßen Verfahren angenommen, ohne Feststellungen über die in die Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG nicht einzurechnende Zeit zu treffen, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft geführt wurde.

6. Die angefochtenen Erkenntnisse waren gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. April 2015

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