European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1986080082.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,‑‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im Bescheid der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse vom 19. Juni 1985 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 113 Abs. 1 ASVG als Dienstgeber (Bevollmächtigter, meldepflichtige Person bzw. Stelle) im Sinne der §§ 35 ff ASVG ein Beitragszuschlag in der Höhe von S 200,‑‑ vorgeschrieben.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer u.a. mit der Begründung Einspruch, daß seit 1974 seine gesamte Lohnverrechnung sowie auch seine steuerliche Beratung und Vertretung von der namentlich genannten Steuerberaterin vorgenommen worden sei. Insbesondere würden von ihr als Bevollmächtigter des Beschwerdeführers alle Meldungen gemäß §§ 33 ff ASVG durchgeführt. Der Beschwerdeführer habe eindeutig die Erfüllung der ihm nach §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf seine Bevollmächtigte seit über 10 Jahren übertragen. Namen und Anschrift der Steuerberaterin seien der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse seit mehr als 10 Jahren bekannt.
Dieses Einspruchsvorbringen ergänzte der Beschwerdeführer in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30. September 1985 dahin gehend, daß die der Steuerberaterin erteilte Vollmacht bereits in den Jahren 1974 oder 1975 der Gebietskrankenkasse vorgelegt worden sei. Offenbar sei diese Spezialvollmacht im Zuge der Übersiedlung der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse verloren gegangen. Es könne dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die erhaltene Vollmacht im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG aus den Jahren 1974 oder 1975 im Zuge der Übersiedlung der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse in Verstoß gerate.
Der Einspruch des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse gemäß §§ 413, 414 und 355 ASVG bestätigt. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides liege eine die Eigenverantwortlichkeit des Beschwerdeführers allenfalls ausschließende bzw. einschränkende Vollmacht gemäß § 35 Abs. 3 ASVG nach Auskunft der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse nicht vor.
Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach den Beschwerdeausführungen sehe der § 35 Abs. 3 ASVG lediglich vor, daß der Dienstgeber die Erfüllung der ihm nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf einen Bevollmächtigten übertragen könne. Name und Anschrift dieses Bevollmächtigten seien unter dessen Mitfertigung dem zu ständigen Versicherungsträger bekanntzugeben. Schon allein nach dem Gesetzeswortlaut seien an die Vollmachtserteilung keine besonderen Formvorschriften gebunden. Es sei nicht einmal die Vorlage einer gesetzlich normierten Vollmacht, wie etwa der Prozeßvollmacht etc., erforderlich. Auch sehe der Gesetzgeber nicht die sogenannte Schriftform vor. Es genüge lediglich die Bekanntgabe als Wissenserklärung. Lediglich die Mitfertigung sei neben der Namens‑ und Anschriftsangabe das einzige Formmerkmal. Keinesfalls handle es sich dabei um eine Spezialvollmacht im Sinne des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Der Beschwerdeführer werde bei der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse ständig von der Steuerberaterin vertreten. Schon dadurch allein sei der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse bekannt gegeben worden, daß die Steuerberaterin auch Vertreterin im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG sei. Verfahrensvorschriften seien auch dadurch verletzt worden, daß der Beweisantrag des Beschwerdeführers unerledigt geblieben sei. Bei Durchführung dieses Beweisantrages hätte sich herausgestellt, daß der Beschwerdeführer seiner Steuerberaterin eine Spezialvollmacht erteilt habe. Es sei in keiner Weise ernstlich nach dieser Vollmacht gesucht worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Dem Dienstgeber obliegt gegenüber dem Versicherungsträger gemäß § 33 ASVG die An‑ und Abmeldung der Pflichtversicherten und nach § 34 ASVG die Meldung von Änderungen.
Gemäß § 35 Abs. 3 ASVG kann er die Erfüllung der ihm nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf Bevollmächtigte übertragen. Name und Anschrift dieser Bevollmächtigten sind unter deren Mitfertigung dem zuständigen Versicherungsträger bekanntzugeben.
Da eine solche Übertragung gegenüber dem zuständigen Versicherungsträger erst mit der Bekanntgabe wirksam werden kann, muß in dieser vom Bevollmächtigten mitgefertigten Bekanntgabe die geschehene Übertragung der Erfüllung der dem Dienstgeber nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf den nach Namen und Anschrift bezeichneten Bevollmächtigten deutlich erklärt werden. Die Vorlage einer vom Dienstgeber ausgestellten Vollmacht, durch welche der sie mitfertigende Bevollmächtigte „bevollmächtigt“ wird, des Dienstgebers „Eingaben an die Gebietskrankenkasse zu unterfertigen“, wird diesem Erfordernis nicht gerecht. Der Bevollmächtigte mag auf ihrer Grundlage berechtigt sein, namens des Dienstgebers jede schriftliche Erklärung gegenüber dem bezeichneten Versicherungsträger abzugeben. Die Übertragung der Erfüllung der dem Dienstgeber nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten aber kommt in ihr keinesfalls zum Ausdruck (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Juni 1974, Zl. 1948/73, Slg. N. F. Nr. 8640/A). Wenn ein Steuerberater als „Vollmachtnehmer“ eine Vollmacht nicht eigenhändig mitunterfertigt, sondern diese allenfalls lediglich mit dem Abdruck seiner Unterschriftenstampiglie versehen ist, so wird schon dadurch dem Erfordernis der „Mitunterfertigung“ im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG nicht entsprochen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. September 1974, Zl. 149/74, auf das unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird).
Auch für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes, ob eine der Vorschrift des § 35 Abs. 3 ASVG entsprechende Bekanntgabe erfolgte, gelten die Grundsätze der Amtswegigkeit unter der Erforschung der materiellen Wahrheit. Die Behörde darf die Übertragung der Erfüllung der dem Dienstgeber nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf einen Bevollmächtigten nicht nur deswegen verneinen, weil der Dienstgeber die Vorlage einer derartigen Vollmacht nicht nachweisen kann. Vielmehr hat die Behörde auch von sich aus ihr zumutbare Ermittlungen durchzuführen, wobei allerdings die Partei eine Mitwirkungspflicht trifft.
In der vorliegenden Angelegenheit hätte daher die belangte Behörde ‑ so wie im dieselben Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffenden Beschwerdefall, der mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1986, Zl. 85/08/0176, erledigt wurde ‑ durch gezielte Befragung des Beschwerdeführers und der Steuerberaterin bei deren zeugenschaftlicher Vernehmung die Aufklärung versuchen müssen, ob in der der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse angeblich vorgelegten Vollmacht die Übertragung der Erfüllung der dem Beschwerdeführer als Dienstgeber nach den §§ 33 und 34 ASVG obliegenden Pflichten auf .die Steuerberaterin deutlich erklärt werden und diese Bekanntgabe von der Steuerberaterin eigenhändig mitunterfertigt ist. Dies insbesondere deshalb, weil die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse in ihrer schriftlichen Stellungnahme zum Einspruch des Beschwerdeführers mitteilt, daß „der Kasse keine Spezialvollmacht im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG vorgelegt wurde“. In seiner schriftlichen Gegenäußerung dazu erklärt der Beschwerdeführer, „diese Spezialvollmacht“ vorgelegt zu haben. Damit behauptet der Beschwerdeführer, daß alle Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 ASVG erfüllt worden seien.
Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens solcher Art zu einem anderen als dem angefochtenen Bescheid gekommen wäre, ist dieser schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf die Frage, ob überhaupt ein Meldeverstoß vorliegt, war somit nicht einzugehen.
Der Kostenausspruch stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens ist in der sachlichen Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG begründet.
Wien, 29. Jänner 1987
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)