European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1986020053.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.540,‑‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 13. Februar 1986 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, am 13. August 1985 um 14.30 Uhr, in W, W‑gasse vor ONr. X, 1.) durch gänzliche Verlegung des Gehsteiges in der gesamten Breite in einem Ausmaß von ca. 3 m x 2m x 1 m mit Schnittholz den Fußgängerverkehr insofern an der vorschriftsmäßigen Benützung des Gehsteiges gehindert zu haben, als die Fußgänger auf die Fahrbahn treten mußten, und 2.) durch die Lagerung dieses Schnittholzes, insbesondere durch eine große Menge Holzsplitter und Holzspäne, den Gehsteig gröblich verunreinigt und dadurch Verwaltungsübertretungen zu 1.) nach § 99 Abs. 4 lit. i in Verbindung mit § 78 lit. c StVO 1960 und zu 2.) nach § 99 Abs. 4 lit. g in Verbindung mit § 92 Abs. 1 leg. cit. begangen zu haben. Über den Beschwerdeführer wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von je S 800,‑‑ (Ersatzarreststrafen je 30 Stunden) verhängt sowie ihm Kosten des Strafverfahrens erster Instanz von je S 80,‑‑ vorgeschrieben.
In Hinsicht auf den festgestellten Sachverhalt stützte sich die belangte Behörde auf die Zeugenaussagen des meldungslegenden Polizeibeamten D. sowie der weiteren Polizeibeamten W. und M. und lehnte die Durchführung eines Lokalaugenscheines ab, weil die im Zeitpunkt der Tat gewesene Situation nicht mehr in allen wesentlichen Phasen wiederherstellbar sei.
Zur Strafbemessung wurde unter anderem ausgeführt, es sei dabei der Umstand berücksichtigt worden, daß dem Beschwerdeführer der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht mehr zugute komme.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Dieser hat erwogen:
Gemäß § 78 lit. c StVO ist auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten unter anderem verboten, den Fußgängerverkehr insbesondere durch das Verstellen des Weges zu behindern.
Nach § 92 Abs. 1 erster Satz leg. cit. ist jede gröbliche oder die Sicherheit der Straßenbenützer gefährdende Verunreinigung der Straße durch feste oder flüssige Stoffe, insbesondere durch Schutt, Kehrich, Abfälle und Unrat aller Art, sowie das Ausgießen von Flüssigkeiten bei Gefahr einer Glatteisbildung verboten.
Im Hinblick auf die demonstrative Aufzählung in dieser Vorschrift kann eine derartige Verunreinigung ‑ entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ‑ auch durch Holzspäne und Holzsplitter erfolgen.
Was unter einer „gröblichen“ Verunreinigung im Sinne des § 92 Abs. 1 erster Satz StVO zu verstehen ist, wird in dieser Vorschrift nicht definiert. Der Verwaltungsgerichtshof versteht darunter im Sinne des Schrifttums (vgl. Dittrich‑Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, Fußnote 3 zu § 92 StVO, und dem folgend Demmelbauer, Das Verbot der Verunreinigung von Straßen, ZVR 1970, S. 31) eine solche Verunreinigung, die über das allgemein übliche Maß hinausgeht (vgl. dazu auch OGH vom 17. Mai 1973, ZVR 1974/51).
Folgt man den Feststellungen der belangten Behörde in Hinsicht auf das Ausmaß der gelagerten Holzmenge, so kann davon ausgegangen werden, daß durch Holzsplitter und Holzspäne eine solche Verunreinigung hervorgerufen wurde, welche im soeben erwähnten Sinn als „gröblich“ zu verstehen ist.
Der Beschwerdeführer rügt allerdings zu Recht, daß das Verfahren in der Frage, ob der Beschwerdeführer selbst als Täter die ihm vorgeworfenen Handlungen begangen habe, mangelhaft geblieben ist.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides beschäftigt sich vornehmlich mit dem äußeren Tatbestand einerseits der Verlegung des Gehsteiges mit Schnittholz und der dadurch hervorgerufenen Hinderung des Fußgängerverkehrs, andererseits der gröblichen Verunreinigung dieses Gehsteiges. Feststellungen dahin, daß der Beschwerdeführer selbst diese Tathandlungen gesetzt habe, fehlen. Die Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses enthält ebenfalls keine Feststellung in dieser Richtung, sie beruft sich vielmehr auf dem vom Beschwerdeführer nicht widerlegten Inhalt der Anzeige. Aus dieser ergibt sich aber im Zusammenhalt mit der Verantwortung des Beschwerdeführers, daß das Schnittholz viele Stunden vor der festgestellten Tatzeit (14.30 Uhr) dem Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Betreiber des Restaurants „A“ geliefert und auf dem Gehsteig abgelagert worden war. Eine Feststellung, daß der Beschwerdeführer die Ablagerung des Holzes selbst, händisch oder mit mechanischer Hilfe, durchgeführt habe, fehlt. Die Anzeige vertritt (Aktenseite 1 verso) die Ansicht, der Beschwerdeführer habe „den Übelstand verursacht“. Dies mag im Sinne der Kausalität zutreffen, befreit die belangte Behörde aber nicht von der Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer selbst als Täter der ihm vorgeworfenen beiden Delikte anzusehen ist oder in der Form der Anstiftung die Begehung dieser Verwaltungsübertretung vorsätzlich veranlaßt hat.
Aus der im Verwaltungsstrafgesetz ausdrücklich angeführten Bestimmung des § 7 ergibt sich, daß es rechtlich, was den Spruchteil nach § 44 a lit. b VStG 1950 betrifft, nicht gleichgültig ist, ob jemand den Tatbestand der Verletzung einer Verwaltungsvorschrift selbst verwirklicht oder durch Anstiftung oder Beihilfe hiezu beiträgt. Hat der Beschwerdeführer den Gehsteig nicht selbst verstellt und verunreinigt, so käme er als Täter der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht in Betracht. Zu untersuchen wäre ‑ eine rechtzeitige Verfolgungshandlung vorausgesetzt ‑ ob er einen anderen zur Begehung dieser Verwaltungsübertretungen vorsätzlich veranlaßt hat.
In dieser Richtung bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung.
Hingegen hält der Verwaltungsgerichtshof die weiteren, sich auf die Schuldfrage beziehenden Beschwerdegründe für nicht gegeben:
Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers hatte der in Rede stehende Holzhaufen ein Ausmaß von ca. 2 m x 0,5 m x 0,5 m und verlegte ca. die halbe Breite des Gehsteiges. Dem stehen allerdings die drei übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten über ein Verstellen des gesamten Gehsteiges durch die Holzlagerung entgegen. Diese Aussagen erschöpfen sich keineswegs in einem bloßen Hinweis auf die Anzeige, sondern nehmen ausführlich auf den gegenständlichen Vorfall Bezug. Mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. April 1982, Zl. 81/02/0019, ist für den Beschwerdeführer daher nichts gewonnen. Ein Gleiches gilt für das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte hg. Erkenntnis vom 23. März 1972, Slg. Nr. 8198/A: Von einer „persönlichen“ Differenz zwischen den Polizeibeamten und dem Beschwerdeführer kann nämlich in Hinsicht auf den hier entscheidungswesentlichen Sachverhalt schon deshalb keine Rede sein, weil die insoweit maßgeblichen Feststellungen bereits vor jenen Vorfällen getroffen wurden, die schließlich zur Festnahme des Beschwerdeführers geführt haben.
Es trifft zwar zu, daß die belangte Behörde einen vom Beschwerdeführer der Beschwerde beigelegten Schriftsatz vom 27. November 1985, der sich nicht im Verwaltungsakt befindet, nicht in ihre Überlegungen einbezogen hat. Dieser Schriftsatz bezieht sich allerdings auf ein Lichtbild, welches der Beschwerdeführer für seinen Standpunkt nicht ins Treffen führen kann: Daraus ist nämlich entnehmbar, daß die Aufnahme desselben erst nach der Tatzeit erfolgt sein muß. Dies ergibt sich aus dem durch die Aktenlage gedeckten Umstand, daß die darauf abgebildeten Halteverbotstafeln auf der Fahrbahn sowie das vor dem Holzhaufen aufgestellte Gefahrenzeichen gemäß § 50 Z. 16 StVO erst über Veranlassung der Polizeibeamten aufgestellt wurden. Der insoweit gerügte Verfahrensmangel ist daher nicht wesentlich.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde die Durchführung eines Augenscheines zu Recht abgelehnt, weil ein solcher unterbleiben kann, wenn eine Rekonstruktion des Geschehens nachträglich nicht mehr möglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1985, Zl. 84/03/0220). Dies trifft für das hier strittige Ausmaß der Holzlagerung und der damit verbundenen Verstellung des Gehsteiges zu. Von einer unzureichenden Begründung in dieser Hinsicht (der Beschwerdeführer verweist dazu auf das hg. Erkenntnis vom 11. Juli 1963, Zl. 149/62) kann keine Rede sein. Zusammenfassend vermag der Verwaltungsgerichtshof die auf die insoweit durchaus schlüssigen Aussagen der drei Polizeibeamten getroffenen Feststellungen, bezogen auf den hier maßgeblichen Sachverhalt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Zu Unrecht rügt der Beschwerdeführer auch die Verletzung des Parteiengehörs, weil die Behörde die ihm vor Fällung des „Straferkenntnisses“ (gemeint wohl: des Berufungsbescheides) nicht Gelegenheit geboten habe, Stellung zu nehmen. Gemäß § 45 Abs. 3 AVG 1950 ist nämlich den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und „dazu“ Stellung zu nehmen. Daß dem Beschwerdeführer hiefür keine Gelegenheit geboten worden sei, behauptet er selbst nicht. Die von ihm ins Treffen geführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. März 1950, Slg. Nr. 1287/A, und vom 30. September 1955, Slg. Nr. 3840/A (Bei der Anführung eines Erkenntnisses vom 18. Jänner 1968, Zl. 12221/67, handelt es sich um ein Fehlzitat) besagen nichts anderes, als daß der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu gewähren ist.
Zur Rüge in der Straffrage ist folgendes zu sagen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Strafbemessung um eine Ermessensentscheidung. Einen Fehler in dieser Hinsicht vermag der Verwaltungsgerichtshof allerdings ‑ abgesehen von der unten behandelten Vorhaftanrechnung ‑ nicht zu erkennen. Selbst wenn nämlich nur „einige wenige Passanten“ von der Gehsteigbehinderung betroffen gewesen sein sollten, ist der Unrechtsgehalt nicht als gering anzusehen. Auch vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, daß sein Verschulden deshalb gering sei, weil der vorgesehene Arbeiter „in der Früh völlig überraschend“ nicht zur Arbeit erschienen sei. Der Beschwerdeführer bringt nämlich selbst vor, er „hätte“ diesen Arbeiter beauftragt, das Holz wegzuschaffen, Daraus ist zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer die Absicht hatte, dem Arbeiter erst bei seinem Erscheinen den entsprechenden Auftrag zu erteilen. Das Nichterscheinen dieses Arbeiters hätte dem Beschwerdeführer bei entsprechender Vorsorge daher auffallen müssen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers läßt auch der Umstand, daß die belangte Behörde darauf hingewiesen hat, dem Beschwerdeführer komme der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit nicht mehr zugute, nicht auf einen Ermessensfehler bei der Strafbemessung schließen.
Allerdings ist der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, die belangte Behörde habe die aktenkundige Vorhaft nicht gemäß § 19 a VStG 1950 auf die verhängten Strafen angerechnet, im Ergebnis im Recht:
Gemäß § 19 a Abs. 1 VStG 1950 sind die verwaltungsbehördliche und eine allfällige gerichtliche Verwahrungs‑ oder Untersuchungshaft auf die zu verhängende Strafe insoweit, als sie nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet worden sind, anzurechnen, wenn sie der Täter 1. wegen der Tat, für die er bestraft wird, oder 2. sonst nach der Begehung dieser Tat wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung erlitten hat. Nach Abs. 4 dieses Paragraphen ist eine Anrechnung gemäß Abs. 1 nur vorzunehmen, wenn der Behörde die anzurechnende Haft bekannt ist oder der Beschuldigte eine Anrechnung vor Erlassung des Straferkenntnisses beantragt.
Nach der Aktenlage war der belangten Behörde die anzurechnende Haft bekannt, so daß die soeben erwähnte negative Voraussetzung wegfällt.
Die belangte Behörde führt allerdings in der Gegenschrift für die Unterlassung der Anrechnung der Vorhaft ins Treffen, es sei mit der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vereinbart worden, daß die Anrechnung der Vorhaft durch diese erfolge, da die Verhaftung nicht wegen der Übertretungen der Straßenverkehrsordnung, sondern im Zusammenhang mit der Verwaltungsübertretung gemäß Art. IX (Abs. 1 Z. 2) EGVG 1950 erfolgt sei und eine Anrechnung durch die belangte Behörde daher verfehlt gewesen wäre.
Diese in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zum Ausdruck kommende Ansicht übersieht die erwähnte Vorschrift der Z. 2 des § 19 a Abs. 1 VStG 1950, welche im vorliegenden Fall durchaus zur Anwendung gelangen könnte: Es trifft nach der Aktenlage zwar zu, daß der Beschwerdeführer nicht wegen der in Rede stehenden Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, sondern im Zusammenhang mit der Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG 1950 in Haft genommen wurde. Diese Haft erlitt der Beschwerdeführer allerdings nach Begehung der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung 1960, so daß die belangte Behörde nur dann von der Anrechnung dieser Vorhaft Abstand nehmen konnte, wenn sie bereits auf eine andere Strafe angerechnet wurde, was die belangte Behörde zu ermitteln unterließ. Die bloße „Vereinbarung“ mit der anderen Verwaltungsbehörde über die Vorhaftanrechnung entbindet nicht von der Verpflichtung, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Anrechnung selbst vorzunehmen.
Der angefochtene Bescheid war zur Gänze aufzuheben. Sowohl hinsichtlich seines Schuldspruches als auch in der Frage der unterlassenen Vorhaftrechnung ist er nach dem Vorgesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, 10. Juli 1986
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