LVwG Wien VGW-102/013/9381/2020

LVwG WienVGW-102/013/9381/202031.5.2021

VStG 1991 §53b Abs2
VStG 1991 §54 Abs1
VStG 1991 §54b Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.102.013.9381.2020

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn A. B., vertreten durch Dr. C. D., gem. Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch seine Anhaltung in der Polizeiinspektion E.-gasse aufgrund einer Vorführung zum Strafantritt bis zur Feststellung der Haftuntauglichkeit durch den Polizeiamtsarzt am 29.7.2020 in Wien, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 3.12.2020 und am 31.5.2021 zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand, EUR 57,40 für Vorlageaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 887,20 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung bei sonstigem Zwang zu leisten.

 

III. Die Revision ist nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe

 

1. Mit Email vom 31.7.2020, sohin rechtzeitig, erhob der Einschreiter durch seinen Rechtsfreund Beschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:

 

„Mit diversen Straferkenntnissen von Verwaltungsstrafbehörden wurden über den Beschwerdeführer Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. Diese Straferkenntnisse sind allesamt in Rechtskraft erwachsen. Der Beschwerdeführer hat Aufforderungen zum Antritt der Freiheitsstrafen erhalten und hegen bei der belangten Behörde Vorführungen zum Strafantritt, vor.

Mit Eingabe vom 22.07.2020 an die belangte Behörde legte der Beschwerdeführer über seinen umseits bezeichneten Rechtsvertreter gegenüber der belangten Behörde dar, dass er Haftunfähig sei, legte zum Beweis dafür, das ärztliche Attest vom 05.05.2020 des Facharztes DT Dr. med univ. F. G., OA im H.-spital, der belangten Behörde vor und beantragte gemäß § 54 Abs 1 VStG, die mit Straferkenntnissen der Verwaltungsstrafbehörden über den Beschwerdeführer verhängten Ersatzfreiheitsstrafen, infolge Vorliegens einer gebrechlichen und schweren körperlichen Erkrankung, nicht zu vollziehen.

Die belangte Behörde verlangte eine Bestätigung der Haftunfähigkeit durch den Amtsarzt und wurde am 25.07.2020 für den 29.07.2020 um 18.00 Uhr eine Überprüfung durch den Amtsarzt an der Wohnadresse des Beschwerdeführers vereinbart. Der Beschwerdeführer befand sich an diesem Tage in einem außergewöhnlichen Ausnahmezustand und wurde gegen 17.26 Uhr des 29.07.2020 vom Facharzt DI Dr. F. G. fernmündlich empfohlen, die Krankenanstalt K. aufzusuchen. Um 17.56 Uhr des 29.07.2020 um 17.56 Uhr befand sich der Beschwerdeführer bereits am Wege in das Krankenhaus und wurde der Beschwerdeführer vom belangten Organ, trotz Schilderung des Sachverhaltes durch den Mitarbeiter des Rechtsvertreters, L. M., fernmündlich (über Tel Nr …) aufgefordert, sich vorher unbedingt bei der belangten Behörde, in der Polizeiinspektion E.-gasse zur „amtsärztlichen Vorstellung“ einzufinden. Dieser polizeilichen Anordnung wurde vom Beschwerdeführer unmittelbar in Begleitung von L. M. entsprochen.

Nach Feststellung der Identität wurde vom belangten Organ gegen 18.10 Uhr des 29.07.2020 in der Polizeiinspektion E.-gasse die Festnahme gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochen und wurde der Beschwerdeführer in den bei der belangten Behörde befindlichen Polizeiarrest verbracht und dort nach Aufnahme in den Strafvollzug in einem Haftraum weggesperrt. Die Begleitung wurde vom belangten Organ nach dem Ausspruch der Festnahme aus der Polizeiinspektion hinauskomplementiert. Gegen 20.58 Uhr des 29.07.2020 wurde vom Amtsarzt die Haftunfähigkeit attestiert und wurde der Beschwerdeführer freigelassen.

Trotz seines hilflosen Ausnahmezustandes, welcher sich durch die völlig unberechtigte Haftsituation verschärfte, wurde der Beschwerdeführer nach Freilassung von der belangten Behörde einfach auf die Straße vor der Polizeiinspektion E.-gasse gesetzt. In erbärmlichen Ausnahmezustand wurde der Beschwerdeführer von L. M. bei Abholung dort vorgefunden.

L. M. begleitete den Beschwerdeführer direkt vom Abholort (vor dem Eingang zur belangten Behörde) in die Notaufnahme der naheliegenden Krankenanstalt K. und wurde der Beschwerdeführer dort sofort medizinisch betreut und stationär aufgenommen.“

In rechtlicher Hinsicht wird zunächst vorgebracht, eine zwangsweise Vorführung sei unzulässig, wenn keine begründete Sorge einer Fluchtgefahr bestehe. Der Beschwerdeführer sei am 29.7.2020 sogar freiwillig auf Aufforderung des belangten Organes zum Erscheinen in der Polizeiinspektion E.-gasse nachgekommen. Gemäß § 54 Abs. 1 VStG sei der Vollzug von Freiheitsstrafen und psychisch kranken oder körperlich schwer kranken Personen unzulässig. Der Beschwerdeführer habe am 20.7.2020 den Nichtvollzug der verhängten Ersatzfreiheitsstrafe beantragt und ein fachärztliches Attest vorgelegt. Anstatt darüber mit Bescheid abzusprechen, habe die belangte Behörde den Antrag negiert und „trotz erwiesener Haftunfähigkeit“ die Festnahme ausgesprochen und die sofortige Vorführung zum Vollzug der Freiheitsstrafe angeordnet. Die belangte Behörde wäre vielmehr verpflichtet gewesen, mit dem Vollzug so lange zuzuwarten, bis der erwähnte Zustand beendet sei. Darüber hinaus wäre die belangte Behörde bei Zweifel vor Vorführung zum Strafantritt verpflichtet gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es wird daher beantragt, die Anhaltung des Beschwerdeführers ab seinem Eintreffen in der Polizeiinspektion E.-gasse bis zu seiner Entlassung nach der amtsärztlichen Untersuchung kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.

 

2. Die belangte Behörde legte auftragsgemäß den von ihrem PK zu GZ: PAD/…/AA als Auszug aus dem elektronischen Akt vor.

 

2.1. Unter einem erstattete sie zur selben Geschäftszahl eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

 

„Mit der Lenkererhebung vom 28.06.2019 des PK wurde der BF aufgefordert, der Behörde Auskunft darüber zu erteilen, wer am 13.06.2019 um 19:17 Uhr das Kraftfahrzeug in Wien, P.-weg, gelenkt hatte. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass die Nichterteilung bzw. die unrichtige, unvollständige oder nicht fristgerechte Erteilung der Lenkerauskunft als Verwaltungsübertretung strafbar sei und dass die Lenkerauskunft auch dann zu erteilen sei, wenn der BF der Meinung sein sollte, das betreffende Delikt nicht begangen oder den Strafbetrag beglichen zu haben (vgl. AS4). Die Lenkererhebung wurde dem BF am 04.07.2019 zugestellt (vgl. AS 5). Da der BF die Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilte, erging zu der GZ: VStV/…/2019, eine Strafverfügung gegen den BF (vgl. AS 6). Diese wurde dem BF am 23.07.2019 zugestellt (vgl. AS 8).

 

Da der BF den verhängten Strafbetrag nicht fristgerecht leistete, erging am 10.09.2019 eine Mahnung in der der BF ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass im Falle der Nichtbefolgung der Zahlungsaufforderung, der Geldbetrag durch Exekution hereingebracht oder - im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe - die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt würde (vgl. AS 9). Nachdem der BF auch der Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe vom 11.2.2020 (vgl. AS 13) nicht nachkam, wurde am 17.06.2020 die Vorführung angeordnet (vgl. AS 17). Am 22.7.2020 langte bei Frau Rvl R. S. ein E-Mail des Rechtsvertreters des BF ein, dem ein „Attest" vom 5.5.2020 beigeschlossen war. Diesem dreizeiligen Schreiben des Arztes war kein Befund angeschlossen und es enthielt auch keine Diagnose. Hingewiesen wird lediglich auf nicht näher ausgeführte Vorerkrankungen und eine „aktuelle Reanimation" im Rahmen einer Wirbelsäulenoperation. Wann diese stattgefunden hat, ist nicht angeführt. Nachdem das „Attest" beinahe 3 Monate alt war und sich daraus keine bestehende bzw. dauerhafte Haftunfähigkeit ableiten ließ, wurde der Vorführungsbefehl nicht unmittelbar widerrufen. Hinzu kommt, dass dem PK aus einem anderen laufenden Verfahren zu GZ: VStV/…/-2020 bekannt war, dass der BF am 26.01.2020 offensichtlich körperlich noch in der Lage war, ein Kraftfahrzeug zu lenken.

 

Um dem Schreiben dennoch Rechnung zu tragen, wurde verfügt, dass die Vorführung des BF jedenfalls im Beisein eines Amtsarztes erfolgen sollte (vgl. AS 22).

 

Der Rechtsvertreter des BF, Herr M. wurde über diese Vorgehensweise informiert und auch gemeinsam ein Termin (29.07.2020, gegen Abend) vereinbart, zu dem der BF in seiner Wohnung angetroffen werden könne. Allerdings wurde auch an dem vereinbarten Termin nicht geöffnet da, wie sich bei der telefonischen Kontaktaufnahme mit Herrn M. ergab, der BF gerade unterwegs sei, um sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Auf Nachfrage seitens Herrn M., ob der BF dennoch bei der Polizei vorstellig werden müsse, wurde diesem sinngemäß mitgeteilt, dass die belangte Behörde selbstverständlich keine Entscheidung über die Dringlichkeit einer medizinischen Behandlung treffen könne. Dem entgegnete Herr M., dass der BF jedenfalls trotzdem in die PI E.-gasse kommen werde.

 

Sohin erschien der BF am 29.07.2020 in Begleitung seines Rechtsvertreters, Herrn M. in der PI E.-gasse. Dort wurde festgestellt, dass Verwaltungsstrafakte und\darin Strafbeträge aufliegen, welche der BF nicht bezahlen kann. Aus diesem Grund erfolgte um 18:45 Uhr die Festnahme nach dem VStG zur Vorführung vor die Behörde. Am selben Tag um 21:00 Uhr wurde der BF durch den Amtsarzt Dr. med. T. U. bezüglich seiner Haftfähigkeit untersucht. Der Amtsarzt stellte die Haftunfähigkeit des BF fest und wurde dieser umgehend entlassen.“

 

In rechtlicher Hinsicht wird auf § 53 b Abs. 2 VStG verwiesen sowie auf § 54 b Abs. 2 leg.cit. Die Voraussetzungen für die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe sowie die sofortige Aufforderung zum Strafantritt seien im vorliegenden Fall gegeben gewesen. Gegen den Beschwerdeführer habe eine Geldstrafe ausgehaftet, die zum maßgeblichen Zeitpunkt uneinbringlich gewesen sei. Die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer dem Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe entziehen würde, sei ebenso gegeben gewesen, da während der bisherigen gesamten Verfahrensdauer in den beim PK anhängigen Verwaltungsstrafverfahren zumindest im Zeitraum vom Juli 2019 bis Juli 2020 von den Polizeibeamten weder habe an seiner Wohnadresse angetroffen noch telefonisch erreicht werden können. Selbst am 29.7.2020 sei den Polizeibeamten an der Wohnungstüre – trotz einvernehmlich festgelegtem Termin – nicht geöffnet worden, sondern habe RvI S. auf Nachfrage von Herrn M. erfahren, dass dieser mit dem Beschwerdeführer unterwegs sei, da er sich vermutlich in ärztliche Behandlung begeben müsse. Von dem in der Beschwerde nunmehr angeführten „Ausnahmezustand“ sei zu diesem Zeitpunkt keine Rede gewesen.

 

Als der Beschwerdeführer freiwillig auf der Polizeiinspektion E.-gasse erschienen war, obwohl keineswegs angeordnet worden sei, dass er auf jeden Fall erscheinen müsse, sei der Amtsarzt verständigt worden, da das zuvor vorgelegte Attest zum Zeitpunkt der Vorlage bereits beinahe drei Monate alt gewesen sei und wenig Aussagekraft hinsichtlich des aktuellen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers gehabt habe. Abgesehen davon habe der Amtsarzt in seinem Gutachten als Haftunfähigkeitsgründe „bekannte Demenz“ und „desorientiert“ angeführt. Diese Gründe fänden sich weder im Attest vom 5.5.2020 noch im Schreiben des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers.

 

2.2. In seiner Stellungnahme vom 19.10.2020 bringt der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsfreund neuerlich vor, die belangte Behörde hätte aufgrund des Attests die Vorführung widerrufen und ein neuerliches Gutachten einholen müssen. Des Weiteren wird im Wesentlichen wiederholt, seitens des Organs der belangten Behörde sei das Erscheinen angeordnet worden und die Hinweise des Herrn M. auf die Haftunfähigkeit seien ignoriert worden und wegen des Vorliegens eines ordentlichen Wohnsitzes bestünde auch keine Fluchtgefahr.

 

2.3. Da der Beschwerdeführer zum ersten ausgeschriebenen Verhandlungstermin am 3.12.2020 ohne seinen Anwalt oder einen in Besitz einer LU befindlichen Anwärter erschien, sondern nur in Begleitung des Kanzleibediensteten M., wurde letzterer nicht als Vertreter, sondern lediglich als Vertrauensperson zugelassen. Als M. vorbrachte, der Beschwerdeführer habe zwar keinen Erwachsenenvertreter, sei aber schwer dement und könne der Verhandlung wahrscheinlich nicht folgen, ergaben sich Bedenken nicht nur hinsichtlich des betreffenden Verhandlungstermins, sondern auch gegen die Beauftragung eines Anwalts durch den Beschwerdeführer selbst. Die Verhandlung wurde daher auf unbestimmte Zeit vertagt, und beim zuständigen Bezirksgericht Innere Stadt mit Schreiben vom selben Tage die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für den Verkehr mit Behörden und Gerichten angeregt.

 

2.4. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 24.2.2021, GZ … wurde das Prüfungsverfahren eingestellt und ist damit begründet, es gebe abgesehen von dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien keine Angelegenheiten, zu deren Besorgung der Betroffene der Vertretung bedürfe. Die Vollmacht für den im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht einschreitenden Anwalt sei bereits 2018 erteilt worden (Anm.: sohin zwei Jahre vor der in nunmehr in Beschwerde gezogenen Amtshandlung). Ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter dürfe nur dann und insoweit bestellt werden, als die volljährige Person für diese Angelegenheit (sic!) noch keinen Vertreter habe. Unter „Andere Vertreter“ seien nach neuer Rechtslage alle vertretungsbefugten Personen zu verstehen, somit auch alle gewillkürten Vertreter. Eine schlichte Vollmacht bleibe nach Verlust der Entscheidungsfähigkeit grundsätzlich bestehen. Dabei sei es irrelevant, ob die volljährige Person die Tätigkeit des Vertreters noch selbst überwachen und die Vollmacht erforderlichenfalls widerrufen könne. Da es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Vertreter gegen den erteilten Auftrag verstoße, oder sonst gegen die Interessen oder den (hypothetischen) Willen des Vollmachtgebers handle, und andere Angelegenheiten nicht zu besorgen seien, sei das Verfahren gem. § 122 Außerstreitgesetz einzustellen.

 

3. Am 31.5.2021 fand die fortgesetzte mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer mit Herrn Mag. V. als Vertreter, die Zeuginnen RvI S., Insp. X. und der Zeuge RvI Y., J. N. und L. M. ladungsgemäß erschienen sind. Die belangte Behörde wurde durch Frau Mag. Z. vertreten. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

 

3.1. Aufgrund der Angaben der genannten Zeugen, der Parteieneinvernahme und des Akteninhaltes sowie der vorgelegten Unterlagen hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

 

Gegen den Beschwerdeführer lag ein Vorführbefehl zum Strafantritt vom 17.6.2020 vor. Da er zu Hause mehrfach nicht angetroffen wurde, stellte die belangte Behörde aufgrund von Nachforschungen fest, dass er vom Zeugen M. betreut werde. Frau RvI S. vereinbarte mit diesem einen Termin, bei dem der Beschwerdeführer zu Hause aufgesucht werden könne, um zu beurteilen können, ob die amtsärztliche Untersuchung in dessen Wohnung stattfinden solle oder es ausreiche, ihn nach der Vorführung zu untersuchen. Erst am 22.7.2020 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter den Nichtvollzug der Freiheitsstrafen und begründete dies mit einem fachärztlichen Attest des Internisten Dr. G., welches am 5.5.2020 die Haftunfähigkeit bestätigt, jedoch ohne Angabe irgendeines Zeitraumes und ohne Angabe konkreter Erkrankungen (zumal es sich weder bei einer Reanimation noch bei einer Wirbelsäulen-OP um eine Erkrankung handelt, und die OP jedenfalls vor dem 5.5.2020 stattgefunden haben muss). Seitens der belangten Behörde wurde daher entschieden, die Vorführung aufrecht zu lassen, um in deren Zuge die amtsärztliche Untersuchung vorzunehmen.

 

Aufgrund der Vereinbarungen mit RvI S. suchte diese den Beschwerdeführer am 29.7.2020 in seiner Wohnung auf, traf ihn dort aber nicht an. Sie kontaktierte daraufhin telefonisch den Zeugen M., welcher ihr mitteilte, dass er gerade dabei sei, den Beschwerdeführer wegen einer Verschlechterung seines Zustandes in die K. zu bringen. Die Beamtin wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer in der Polizeiinspektion amtsärztlich untersucht werden solle und dass bei Verschlechterung seines Zustandes jederzeit eine Rettung organisiert werden könne. Daraufhin gab der Zeuge M. an, dass er den Beschwerdeführer in der Polizeiinspektion E.-gasse vorbeibringen werde. Es kann weder festgestellt werden, dass es sich bei dieser im Gespräch getroffenen Vereinbarung um eine Anordnung gehandelt hätte, welche ungeachtet des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers erteilt worden wäre, noch, dass die Beamtin in Aussicht gestellt hätte, der Amtsarzt würde bereits auf den Beschwerdeführer warten.

 

Nach der Ankunft des Beschwerdeführers wurde dieser wie üblich nach seinen Daten befragt und informiert, dass er den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen abwenden könne. Dabei war keine offenkundige Behinderung ersichtlich, welche auch für den Laien eine Haftunfähigkeit deutlich gemacht hätte, mag auch der Arrestantenposten aufgrund seiner Erfahrung angenommen haben, dass der Amtsarzt diese wahrscheinlich feststellen werde. Der Amtsarzt wurde unverzüglich verständigt, erschien nach etwas über zwei Stunden und veranlasste aufgrund seiner Untersuchung sofort die Freilassung des Beschwerdeführers, worauf dieser 2 Stunden 45 Minuten nach seinem Erscheinen und seiner Inhaftierung vom Arrestantenposten in den Warteraum der Polizeiinspektion gebracht und dort hingesetzt wurde. Der Arrestantenposten verständigte gleichzeitig wie vereinbart den Zeugen M.; es gab keine Anzeichen, an denen er hätte erkennen können, dass der Beschwerdeführer nicht im Warteraum verbleiben und auf seine Abholung warten würde.

 

3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:

 

Zugrunde gelegt wurden in erster Linie die Aussagen der einvernommenen Polizeibeamten, welche im persönlichen Eindruck glaubwürdig waren und ihre Vorgangsweise schlüssig und nachvollziehbar darlegen konnten. Teilweise stützen sich die Ergebnisse auch auf die Angaben des Zeugen M., welcher allerdings in manchen Aspekten eher zögerlich zur Wahrheitsfindung beitrug und in hohem Maße emotional beteiligt schien. So gab er erst in der Verhandlung an, der Beschwerdeführer wohne meistens bei ihm im … Bezirk und sei deshalb an seiner Meldeadresse nicht angetroffen worden; dies nachdem die vorhandene Meldeadresse als Argument gebraucht worden war, warum beim Beschwerdeführer nicht anzunehmen sei, er könnte sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen. Sein Sohn, der Zeuge N., konnte entgegen der Erwartung des Vaters aus eigenem nicht bestätigen, dass letzterer von RvI S. die Anordnung erhalten hätte, ungeachtet des Zustandes des Beschwerdeführers auf jeden Fall zu erscheinen, da er das Telefonat nicht zur Gänze mitgehört hat, sondern lediglich die von seinem Vater gesprochene Teile. Was die Widersprüche im Inhalt des Telefonats zwischen dem Zeugen M. und der Zeugin RvI S. betrifft, so ist die letztere auf keinen Fall als weniger glaubwürdig zu beurteilen, sodass diesbezüglich keine Feststellungen im Sinne der Aussage des Zeugen M. getroffen wurden, und daher von einem freiwillig vereinbarten Erscheinen des Beschwerdeführers um etwa 18.15 Uhr in der Polizeiinspektion E.-gasse ausgegangen wird. Auch die von M. behauptete Zusage, der Amtsarzt würde bereits warten, ist lebensfremd. Vielmehr ist es nachvollziehbar, dass dieser erst verständigt wird, wenn die zu untersuchende Person tatsächlich erscheint – was ja gerade im Falle des Beschwerdeführers nicht von vornherein zu erwarten war, zumal er bereits eine Vereinbarung gebrochen hatte – und dann nach der Dringlichkeit der ausstehenden Untersuchungen früher oder später erscheint, ohne dass die anfordernde Polizeiinspektion darauf Einfluss hätte.

 

3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:

 

Grundlage für die kurzfristige Inhaftierung war die Vorführung zum Strafantritt der Ersatzfreiheitsstrafen, bei der der Beschwerdeführer nicht eigentlich vorgeführt wurde, sondern freiwillig erschien, und dann nach seiner Befragung und Belehrung im Zellenbereich bis zur Ankunft des Amtsarztes angehalten wurde. Im Gegensatz zur Annahme des Beschwerdeführers stand dessen Haftunfähigkeit vor der Vorführung nicht fest, weil dem sogenannten fachärztlichen Attest weder konkrete Angaben über die Dauer der vor knapp drei Monaten festgestellten Haftunfähigkeit noch über deren Grund zu entnehmen waren. Die von der belangten Behörde gebotene Möglichkeit, gegebenenfalls vor der Vorführung einen Amtsarzt in die Wohnung des Beschwerdeführer zu senden, wurde durch die unmittelbar davor stattgefundene Fahrt Richtung Psychiatrie verhindert. Insofern kam es nach der Verbringung des Beschwerdeführers in die Polizeiinspektion durch Herrn M. zum üblichen Vorgang, indem nach dem Eintreffen unverzüglich der Amtsarzt verständigt wurde, um ein Gutachten über die Haftfähigkeit abzuliefern. Die belangte Behörde wäre keineswegs gehalten gewesen, aufgrund des zeitlich weit zurückliegenden und nichtssagenden Attests im Vorhinein ein Sachverständigengutachten einzuholen und auf das allenfalls freiwillige Erscheinen des Beschwerdeführers zu warten. Vielmehr hat sie in der gebotenen Raschheit selbst die Begutachtung durch einen Amtsarzt veranlasst, wobei die Wartezeit von maximal 2,5 Stunden auf dessen Erscheinen nicht als unverhältnismäßig zu beurteilen ist. Da erst mit dessen Gutachten die Haftunfähigkeit feststand und der Beschwerdeführer danach sofort entlassen wurde – wobei nicht vorhergesehen werden konnte, dass er sich aus dem Polizeiwarteraum, in den er gebracht worden war, entfernen werde – war spruchgemäß zu entscheiden.

 

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG iVm VWG‑Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013.

 

5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

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