Artikel 1
Die Erfahrung hat gelehrt, daß bey mehreren, vorzüglich auf dem flachen Lande errichteten Ehe-Pacten oder so genannten Heiraths-Contracten, worin die Brautpersonen oder die wirklichen Ehegatten, nebst anderen Verfügungen, wie immer das Heirathsgut, die Widerlage, die Güter-Gemeinschaft u. s. w. sich zugleich die Erbfolge versichern, folglich einen Erbvertrag eingehen; dennoch nur die Erfordernisse eines Vertrages überhaupt, nicht aber die Erfordernisse eines schriftlichen Testamentes beobachtet, und daß ins besondere nicht drey, sondern höchstens zwey Zeugen beygezogen werden, wie auch daß die Vertrag schließenden Theile in der Meinung stehen, daß durch den Erbvertrag dem überlebenden Ehegatten ohne alle nachfolgende Erklärung des letzten Willens die ganze Verlassenschaft des anderen Theiles zufalle.
Um nun diesem Irrthume und der daraus entstehenden Entkräftung der getroffenen Anordnungen wirksamer vorzubeugen, werden folgende in dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche enthaltene Vorschriften zur Belehrung ins besondere kund gemacht:
- 1) Ein Erbvertrag, wodurch der künftige Nachlaß oder ein Theil desselben versprochen und das Versprechen angenommen wird, kann zwischen Eheleuten (§. 602) geschlossen werden (§. 1249), folglich auch zwischen Brautpersonen, dafern die Abschließung der Ehe zwischen ihnen erfolgt.
- 2) Zur Gültigkeit eines solchen Vertrages ist jedoch nothwendig, daß er schriftlich (entweder abgesondert oder neben andern Puncten eines Heiraths-Contractes) mit allen Erfordernissen eines schriftlichen Testaments errichtet werde (§. 1249).
- 3) Durch den Erbvertrag kann ein Ehegatte auf das Recht zu testiren nicht gänzlich Verzicht thun. Ein reiner Viertheil, worauf weder der jemanden gebührende Pflichttheil, noch eine andere Schuld haften darf, bleibt Kraft des Gesetzes zur freyen letzten Anordnung immer vorbehalten. Hat der Erblasser darüber nicht verfügt, so fällt er doch nicht dem Vertrags-Erben, wenn auch die ganze Verlassenschaft versprochen worden wäre, sondern dem gesetzlichen Erben zu (§. 1253).
- Ueber die übrigen, auf die Erbverträge sich beziehenden Vorschriften, so wie über die Erfordernisse eines schriftlichen Testamentes müssen die Brautpersonen oder Ehegatten, welche einen Erbvertrag schließen, sich aus dem bürgerlichen Gesetzbuche unmittelbar selbst belehren, oder allenfalls von ihrer Obrigkeit oder andern sachverständigen Männern belehren lassen.
1. Zu den Begriffen Heiratsgut, Widerlage und Gütergemeinschaft siehe die §§ 1218 bis 1229, 1230f und 1233 bis 1237 ABGB, JGS Nr. 946/1811.
2. Ehepakte bedürfen gemäß § 1 Abs. 1 lit. a Notariatszwangsgesetz,RGBl. Nr. 76/1871, zu ihrer Gültigkeit eines Notariatsaktes.
3. Nach dem Hofdekret können auch "Brautleute" (unter der Bedingungder Eheschließung) Erbverträge abschließen; darin liegt eine Erweiterung gegenüber den §§ 602 und 1249 ABGB, JGS Nr. 946/1811.
Schlagworte
Ehepakt, Ehevertrag, Heiratskontrakt, Heiratsgut, Irrtum, ABGB, Formerfordernis, Pflichtteil
Zuletzt aktualisiert am
21.01.2025
Gesetzesnummer
10001627
Dokumentnummer
NOR12019287
alte Dokumentnummer
N2181722640S
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