Anlage C5 Lehrplan der Volksschule

Alte FassungIn Kraft seit 01.9.2020

zum gestaffelten Außerkrafttreten vgl. Art. 1 § 5 Abs. 32

Fassung zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 379/2020

Anlage C5

LEHRPLAN DER SONDERERZIEHUNGSSCHULE

(SONDERSCHULE FÜR ERZIEHUNGSSCHWIERIGE KINDER)

1. PRÄAMBEL

Der Lehrplan der Sondererziehungsschule (Sonderschule für erziehungsschwierige Kinder) gilt für Kinder und Jugendliche mit sozial-emotionaler Benachteiligung und/oder besonderen erzieherischen und unterrichtlichen Bedürfnissen. Einer Beschulung nach diesem Lehrplan geht eine umfassende interdisziplinäre Diagnostik voraus.

Für diese Schülerinnen und Schüler gelten je nach dem Alter und der Bildungsfähigkeit der Lehrplan der Volksschule (Anlage A), Lehrplan der Mittelschule (Art. 1 des NMS-Umsetzungspakets, BGBl. II Nr. 185/2012, in der jeweils geltenden Fassung, Anlage 1), der Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule (Anlage C 1) oder der Lehrplan der Polytechnischen Schule (BGBl. II Nr. 236/1997 in der jeweils geltenden Fassung).

2. ALLGEMEINES BILDUNGSZIEL

Der Lehrplan für erziehungsschwierige Kinder verfolgt verstärkt erziehungsbetonte und sozial integrierende Ziele und stellt dabei verhaltenspädagogische Bemühungen und Arbeitsbedingungen in den Vordergrund.

Über die allgemeinen Bildungsziele der Schularten hinausreichend stellt die Stärkung der sozial-emotionalen Kompetenzen und die Entwicklung der Handlungskompetenz der Schülerinnen und Schüler das spezifische Erziehungsziel der Sondererziehungsschule dar, um ihnen die aktive Teilhabe am schulischen, gesellschaftlichen und künftigen beruflichen Leben zu ermöglichen.

Die Schülerinnen und Schüler sollen

  1. - Einsicht in die eigenen Verhaltens- und Bewältigungsmuster gewinnen und Verhaltensalternativen entwickeln,
  2. - ihre Lebenserfahrung und ihre Lebensbedingungen reflektieren und verstehen,
  3. - Möglichkeiten der Verhaltensänderung kennen lernen und in der Lage sein, Unterstützung anzunehmen,
  4. - sich der eigenen Ressourcen bewusst werden und diese einsetzen sowie nutzen können,
  5. - Selbstwert und Selbstvertrauen sowie Beziehungs- und Bindungsfähigkeit auf- bzw. ausbauen und
  6. - Zukunftsperspektiven entwickeln.

Den Schülerinnen und Schülern soll ein Lernumfeld geboten werden, welches einen Verbleib an der allgemeinen Schule bzw. die Reintegration in diese und den erfolgreichen Abschluss der jeweiligen Schulart sowie die Entwicklung von Berufsperspektiven ermöglicht.

3. ALLGEMEINE DIDAKTISCHE GRUNDSÄTZE

Unter Berücksichtigung der allgemeinen didaktischen Grundsätze, wie sie in den Lehrplänen der Volksschule, der Mittelschule, der Allgemeinen Sonderschule oder der Polytechnischen Schule dargestellt werden, erfordern Erziehung und Unterricht nach dem Lehrplan der Sondererziehungsschule die Beachtung weiterer didaktischer Grundsätze.

Den Lebensumständen und besonderen Bedürfnissen erziehungsschwieriger Kinder ist durch geeignete verhaltenspädagogische Fördermaßnahmen und Beziehungsangebote zu entsprechen.

Die Unterrichtsplanung ist den individuellen Bedürfnissen und der vorhandenen Leistungsfähigkeit anzupassen: Lernumgebung, Zeitstrukturen, Leistungsanforderungen und die Gestaltung des Schul- und Klassenklimas haben sich daran zu orientieren.

Dies beinhaltet die Berücksichtigung nachstehend angeführter schulartspezifischer didaktischer Grundsätze:

3.1 Die Gestaltung von Bindung und Beziehung

  1. - Die Bereitschaft zu Lernen und Kooperation setzt die Herstellung tragfähiger Bindungen und Beziehungen voraus.
  2. - Beziehungen und Bindungen wachsen in einem Klima respektvollen Umgangs, der Anerkennung und Wahrung der persönlichen Integrität und Individualität und bei einem auf Empathie und festen Regeln basierenden Erziehungsstil.

3.2 Berücksichtigung individueller Erziehungs- und Lernvoraussetzungen

  1. - Im Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit besonderen erzieherischen Bedürfnissen sind verminderte Leistungsbereitschaft, eingeschränktes Durchhaltevermögen und mangelndes Regelverständnis zu erwarten.
  2. - Den besonderen lebensgeschichtlichen Umständen und der aktuellen Lebensumwelt ist bei den Verhaltens- und Leistungsanforderungen Rechnung zu tragen.
  3. - Allenfalls vorhandene negative Erfahrungen mit Lernen und Schule sind zu thematisieren. Durch die Fokussierung auf eigene Stärken und Ressourcen sollen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft (wieder) hergestellt und gestärkt werden.
  4. - Im Bewusstsein der ursächlichen, meist multikausal bedingten, einschränkenden und benachteiligenden Umstände bleibt die erfolgreiche Erfüllung der Schulpflicht übergeordnetes Ziel.

3.3 Handlungsorientierter Unterricht

Im Vordergrund stehen konkretes Handeln und Erleben in unterschiedlichen Unterrichtsformen. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler Selbstkompetenz, Sozialkompetenz, Sachkompetenz und Methodenkompetenz entwickeln.

3.4 Kooperation und Vernetzung

  1. - Häufig wird erst nach dem Schuleintritt durch Verhaltensauffälligkeiten und Leistungsverweigerung die individuelle Notlage eines Kindes sichtbar. Deren Abklärung und Behebung ist in vielen Fällen mit den zur Verfügung stehenden pädagogischen Mitteln nicht leistbar.
  2. - Die vorhandenen schulischen und/oder außerschulischen Einrichtungen (Integrative Betreuung verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler durch Psychagogische Betreuerinnen und Betreuer, Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer, Betreuungslehrerinnen und Betreuungslehrer, Schulpsychologie und Bildungsberatung, Schulärztlicher Dienst, Jugendwohlfahrt, Erziehungsberatungsstellen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie usw.) stellen ein essentielles Ressourcensystem zur ganzheitlichen Abklärung und Förderung dar. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit diesen Fachleuten und Institutionen ist daher von besonderer Bedeutung.
  3. - Mit den Erziehungsberechtigten sind Vereinbarungen zur Zusammenarbeit und regelmäßigen Kontaktnahme zu treffen. Dies dient zur Abstimmung und Unterstützung der erzieherischen Ziele und deren Einbindung ins pädagogische Gesamtkonzept.

3.5 Spezifische Förderdiagnostik und individueller Förderplan

Die Planung der Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler mit besonderen erzieherischen Bedürfnissen erfordert eine spezifische Diagnostik. Zur Gewinnung eines mehrdimensionalen Beurteilungsbildes unter Vermeidung vorgefasster Alltagstheorien oder monokausal vereinfachender Erklärungsversuche sind alle diagnostischen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.

Dabei sollen folgende Dimensionen verstärkt Berücksichtigung erfahren:

  1. - umfassende Lebensumweltanalyse,
  2. - pädagogische und psychologische Dimension,
  3. - medizinische und hier insbesondere kinder- und jugendpsychiatrische Dimension.

Die so gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Gestaltung des Unterrichts und die Erstellung des individuellen Förderplans.

Individuelle Förderpläne enthalten eine pädagogische Diagnose, benennen aus ganzheitlicher Sicht Ziele und Maßnahmen der Unterstützung, dokumentieren den individuellen Lern- und Entwicklungsfortschritt und sind im Hinblick auf notwendige Adaptierungen einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen. Zu deren Erstellung und Umsetzung tragen alle mit der Schülerin und dem Schüler befassten Lehrerinnen und Lehrer in gemeinsamer Verantwortung bei.

4. UNTERRICHTSPLANUNG

Die spezifischen Lern- und Leistungsvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit besonderen erzieherischen Bedürfnissen erfordern eine flexible Planung und Gestaltung des Unterrichts.

Dem Entwicklungsstand und den Lernvoraussetzungen der jeweiligen Schülerinnen und Schüler ist durch individualisierende und differenzierende Lernangebote Rechnung zu tragen.

Für die Unterrichtsplanung ergeben sich daraus folgende Aufgabenstellungen und methodisch-didaktische Konsequenzen:

  1. - Planung des Unterrichts in enger Abstimmung mit allen am Unterrichtsgeschehen beteiligten Pädagoginnen und Pädagogen;
  2. - Schaffen einer pädagogischen Atmosphäre von Ermutigung und Erfolgszuversicht, Geduld, Vertrauen und Verständnis, gegenseitiger Achtung und Rücksichtnahme;
  3. - Berücksichtigung der individuellen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, unterschiedlicher Lerntypen, von Vorkenntnissen, Vorerfahrungen und kulturellem Umfeld;
  4. - Bewusstmachen der Stärken und Schwächen im persönlichen Begabungsprofil der Schülerinnen und Schüler, wobei bevorzugt an die Stärken anzuknüpfen ist;
  5. - Einsatz unterschiedlicher Sozialformen;
  6. - Hilfestellung durch Mitschülerinnen und Mitschüler („Peer-Teaching“);
  7. - Überprüfung und Bewertung der getroffenen Maßnahmen und gesetzten Ziele in Zusammenhang mit den Entwicklungsfortschritten der Schülerinnen und Schüler;
  8. - laufende Evaluierung der im individuellen Förderplan definierten Lernziele im Hinblick auf die ehestmögliche Reintegration in die allgemeine Schule.

Besondere Beachtung und pädagogischen Einsatz erfordern Anfangs- und Einbindungsphasen, Übergangsphasen, Stresssituationen, Situationen außerhalb der Schule (zB Lehrausgänge, Wandertage, Projektunterricht) oder akute Konfliktsituationen.

Entsprechend den diagnostisch erkannten und empfohlenen Förderkonzepten können verhaltenspädagogische Maßnahmen im Einzel- oder Kleingruppensetting bzw. im Unterricht für die ganze Klasse vorgesehen und durchgeführt werden. Dabei können je nach den Erziehungsbedürfnissen der einzelnen Schülerinnen und Schüler unterschiedliche methodische Ansätze zum Einsatz kommen.

Die Gestaltung des Klassenraums und das zur Verfügung stehende Raumangebot haben den Bedürfnissen der betroffenen Schülerinnen und Schülern zu entsprechen, um so die pädagogischen Zielsetzungen zu unterstützen.

5. BEMERKUNGEN ZUR STUNDENTAFEL

Die Bildungsdirektionen werden ermächtigt, für einzelne Klassen oder Schulen die Wochenstundenanzahl in den Pflichtgegenständen um insgesamt höchstens drei Wochenstunden zu reduzieren und allenfalls erforderliche Lehrplanadaptierungen vorzunehmen, wenn es im Hinblick auf regionale Gegebenheiten (Infrastruktur, Erreichbarkeit der Schule), im Hinblick auf die Zahl der Schülerinnen und Schüler in einer Klasse oder wegen der besonderen sozial-emotionalen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern notwendig ist, um psychische oder physische, insbesondere zeitliche Überbelastungen zu vermeiden.

Dabei ist Sorge zu tragen, dass die erforderliche sozialpädagogische Förderung in ausreichendem Ausmaß gewährleistet ist.

Zusätzlich zu den Wochenstundenangaben in den Lehrplänen der Volksschule, der Mittelschule, der Allgemeinen Sonderschule oder der Polytechnischen Schule sind für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen vertiefend drei Wochenstunden vorzusehen, die additiv oder integrativ geführt werden können. Dadurch sollen mittels geeigneter Maßnahmen die Selbstwahrnehmung verbessert, Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz vermittelt und zweckmäßige, soziale Interessen berücksichtigende Verhaltensweisen und Haltungen gegenüber anderen Personen, Gruppen und Sachen aufgebaut werden.

In entsprechenden Settings sollen Übungen zur Entfaltung der individuellen Persönlichkeit, zur Erweiterung und zum Aufbau von Kontakt-, Beziehungs- und Gemeinschaftsfähigkeit, zur Übernahme von Selbstverantwortung, zum Abbau von Angst und Aggressivität und zum Erwerb adäquater Konflikt- und Problemlösungskompetenzen angeboten werden.

Fassung zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 379/2020

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2024

Gesetzesnummer

10009275

Dokumentnummer

NOR40226710

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