Anlage 2
Juridisches Protokoll
betreffend die Regelung der Wasserverhältnisse im Grenzgebiet zwischen Österreich und Ungarn, verfaßt vom Grenzregelungsausschuß für die österreichisch-ungarische Grenze unter Beteiligung der Permanenten Technischen Gewässerkommission des ungarischen Donaubeckens, gemäß der Entscheidung des Völkerbundrates, vom 19. September 1922, welche dem Ausschusse von der Botschafterkonferenz mit Note vom 21. Oktober 1922 übermittelt wurde.
Das Protokoll wurde durch den Grenzregelungsausschuß am 3. Juli 1923 endgültig angenommen.
Der Anhang, betreffend die “Frage der Verbindlichkeiten und Zinsen", wurde durch den Ausschuß endgültig am 10. Oktober 1923 angenommen.
Erster Teil. |
Allgemeine Bestimmungen.
§ I. Die Regierungen Österreichs und Ungarns verpflichten sich, im Sinne des Artikels 292 des Vertrages von Trianon keine einseitige, die Wasserverhältnisse im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet berührende Maßnahme zu treffen und keine Arbeiten durchzuführen, durch welche die gegenwärtig auf dem Gebiete des anderen Vertragsstaates bestehenden Wasserverhältnisse geändert würden; sie verpflichten sich, alle zur Aufrechterhaltung der derzeit bestehenden Wasserverhältnisse dienenden wasserbaulichen Anlagen in gutem Stand zu halten.
Diese Verpflichtung beschränkt in seiner Weise das jedem Staate zustehende Recht, auf eigenem Gebiet in voller Unabhängigkeit Arbeiten rein örtlicher Bedeutung, welche auf das Gebiet des anderen Staates ohne Einfluß sind, vorzunehmen.
Zum Schutz gegen Überschwemmungen verpflichten sich die vertragschließenden Regierungen, die zum Schutze der bedrohten Gebiete des Nachbarstaates dienenden Bauten in gutem Stand zu erhalten.
Wenn infolge eines Dammbruches oder irgendeines sonstigen zufälligen Ereignisses das Grenzgebiet des Nachbarstaates durch eine Überschwemmung bedroht wäre, ist die betreffende Lokalbehörde dieses Staates auf dem raschesten Wege zu verständigen.
§ II. Ohne vorhergehendes Einvernehmen zwischen den beiden Staaten darf keine neue Arbeit ausgeführt werden, die eine Änderung des Wasserregimes in den im § I erwähnten Gegenden mit sich bringen würde.
§ III. Im Falle der Ausführung von Arbeiten, die das Gebiet beider Staaten interessieren, verpflichten sich diese grundsätzlich, ihre Staatsangehörigen zu Beitragsleistungen zu den Kosten im Verhältnisse des aus den genannten Arbeiten gezogenen Nutzens zu verhalten.
Es wird betont, daß in jedem einzelnen Falle ein gesondertes Übereinkommen Platz zu greifen hat.
Zweiter Teil. |
Bestimmungen, betreffend das Raabregulierungssyndikat.
§ IV. Entsprechend dem im § I aufgestellten Grundsatze darf ohne vorhergegangenes Einverständnis keine Änderung in den Ausmaßen und der Wasserführung des Hansag-Kanals in seinem gegenwärtigen Zustande und der zu ihm gehörigen Wasserbauwerke (Schleusen, Stauanlagen u. s. w.) vorgenommen werden. Insbesondere wird zum Schutze des gegenwärtig bestehenden Regimes im Hansag das Niveau des Kanals auf der Höhe zu halten sein, die es gegenwärtig während der verschiedenen Jahreszeiten erreicht.
Wenn es die Entwässerungs- und Bewässerungsarbeiten auf dem Österreich neu angegliederten Gebiete erheischen, wird dem Bau der für notwendig befundenen Kanäle auf ungarischem Gebiete kein Hindernis in den Weg gestellt werden. In solchem Falle wird übrigens ein Einvernehmen zwischen den beiden Regierungen herzustellen sein.
Die ungarische Regierung wird auch die Konservierung und die Erhaltung der auf ihrem Gebiete gelegenen Wasserwerke, welche zum Schutze der österreichischen, ehemals zum Raabregulierungssyndikat gehörigen Gebiete dienen, in ihrem gegenwärtigen Zustande sicherstellen.
Die österreichische Regierung verpflichtet sich, ohne vorhergehendes Abkommen mit der ungarischen Regierung auf den obgenannten Gebieten die Ausführung von Wasserbauarbeiten, die eine Änderung im Wasserregime auf ungarischem Gebiete mit sich bringen würden, nicht zu gestatten.
§ V. Es herrscht beiderseits Einverständnis darüber, daß die ehemaligen Mitglieder des Raabregulierungssyndikates, deren Besitzungen nunmehr auf österreichischem Boden liegen, vom 31. Dezember 1922 an nicht mehr jenen Verpflichtungen nachzukommen haben, welche für sie aus dem gegenwärtigen Vertrage hervorgehen.
Die österreichische Regierung anerkennt, daß die in der beiliegenden Liste aufgezählten, vom Raabregulierungssyndikat beigestellten Summen zu Lasten des neuen österreichischen Syndikates gehen; sie verpflichtet sich diese Summen sowie einen den Anteilen der schwebenden Grundsteuerrückvergütung bis Ende 1922 entsprechenden Betrag zurückzuerstatten.
Die ungarische Regierung nimmt davon Kenntnis, daß Österreich die obenerwähnten Mitglieder zwecks Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Wasserregimes in ein oder mehrere Syndikate vereinigen wird.
§ VI. Das Raabregulierungssyndikat wird der österreichischen Regierung auf Verlangen alle Dokumente übergeben, die auf die ausgetretenen Mitglieder und die Österreich zugefallenen Gebiete Bezug haben.
Das Raabregulierungssyndikat bleibt ausschließlicher Besitzer aller auf ungarischem Boden gelegenen Wasserwerke (einschließlich der Überschwemmungsdämme und ihrer Nebenbauten), ohne daß die ausgetretenen Mitglieder auf irgendeine Entschädigung Anrecht hätten. Die auf österreichischem Boden gelegenen Wasserwerke und Materialien werden Eigentum der zu einem oder mehreren neuen österreichischen Syndikaten vereinigten ehemaligen Mitglieder des Raabregulierungssyndikates.
Der Wert der auf ungarischem Boden gelegenen Vermögenschaften des Syndikates, welche weder zu den Wasserwerken noch zu den Materialien gehören, muß gemeinsam festgesetzt werden und der auf die österreichischen Interessen entfallende Teil wird den neuen österreichischen Syndikaten gutgeschrieben.
Zu diesem Zwecke wird nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Übereinkommens von den beiden Regierungen eine gemeinsame Liquidierungskommission aufgestellt werden; sie wird aus einem oder mehreren Regierungsvertretern und aus einem oder mehreren Mitgliedern der respektiven Syndikate bestehen. Es wird insbesondere Aufgabe dieser Liquidierungskommission sein, genau festzustellen, was unter dem oben angewendeten Begriff “Material" zu verstehen sei.
Diese Kommission muß ihre Arbeiten in sechs Monaten beenden. Ihre Anträge müssen der Genehmigung der in Betracht kommenden Regierungen unterbreitet werden, welche sich verpflichten, ihre Entscheidungen binnen einer Frist von drei Monaten bekanntzugeben.
§ VII. Da das Raabregulierungssyndikat auf ungarischem Gebiete gewisse Wasserwerke besitzt, welche beide Länder interessieren, wird die österreichische Regierung den neuen Syndikaten die Verpflichtung auferlegen, zu den Erhaltungskosten dieser Werke in dem Maße beizutragen, als diese Syndikate an jedem dieser Werke interessiert sind.
Keinesfalls darf das Verhältnis, in welchem die neuen Syndikate zu den erwähnten Erhaltungskosten beitragen, jenes überschreiten, welches im Laufe des letzten Rechnungsjahres der gemeinsamen Verwaltung zwischen den Beiträgen der ausgetretenen Mitglieder und der Gesamtsumme der Beiträge bestand.
Die Grundlagen, auf welchen der Gesamtbeitrag, die Höhe der Einzelbeiträge sowie die Modalitäten der Einzahlung errechnet werden, werden von der im Sinne des § VI konstituierten Kommission geregelt werden.
§ VIII. Im Interesse einer engen Zusammenarbeit der im Grenzgebiete tätigen Syndikate werden deren Vertreter, die von den respektiven Regierungen bestätigt sein müssen, sich durch Durchsicht der Projekte, Kostenvoranschläge und Protokolle sowie durch Lokalaugenschein über alle Maßnahmen informieren können, deren Wirkung die Gebietsgrenzen eines einzelnen Syndikates überschreiten würde.
Zur Vermeidung von Zwischenfällen werden die Vertreter stets gemeinsam die Lokalaugenscheine vornehmen.
Dritter Teil. |
Schlußbestimmungen.
§ IX. Im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden vertragschließenden Staaten über eine die Durchführung des vorliegenden Übereinkommens betreffende Frage wird im Sinne der Artikel 292 und 293 des Vertrages von Trianon vorgegangen werden.
§ X. Fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten kann das gegenwärtige Übereinkommen auf Verlangen des einen oder des anderen der beiden vertragschließenden Staaten revidiert werden.
Wird ein solches Verlangen nicht sechs Monate vor Ende dieses Zeitraumes gestellt, so wird der Vertrag als automatisch für einen gleichen Zeitraum erneuert angesehen und so fort.
Zusatzdokumente: image001
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)