VwGH Ra 2022/20/0191

VwGHRa 2022/20/019114.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Horvath und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 7. Juni 2022 mündlich verkündete und mit 15. Juni 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I408 2200870‑1/21E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (Mitbeteiligte: Z A in W), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs6 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200191.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die im April 1987 geborene Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige des Irak, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 29. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 14. Juni 2018 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab, soweit die Mitbeteiligte damit die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begehrt hatte. Es wurde ihr allerdings unter einem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine bis zum 14. Juni 2019 gültige befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt.

3 Die Behörde ging ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Interesse ‑ davon aus, dass die Mitbeteiligte eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Sie habe den Irak wegen der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage verlassen. Es sei ihr aber auch nach § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten nicht zuzuerkennen. Es sei zwar ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter (deren Geburtsdatum wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht festgestellt) der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden. Die Bestimmungen des Familienverfahrens kämen aber hier nicht zur Anwendung. Beim Lebensgefährten, den die Mitbeteiligte im Sommer 2016 in Österreich lediglich nach islamischen Ritus geheiratet habe, handle es sich um keinen Familienangehörigen im Sinn des § 34 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Die Tochter sei zwar als Familienangehörige anzusehen. Von ihr könne die Mitbeteiligte den Status der Asylberechtigten aber nicht ableiten, weil der Tochter dieser Status unter Anwendung des § 34 AsylG 2005 ‑ abgeleitet vom Lebensgefährten der Mitbeteiligten ‑ zuerkannt worden sei.

4 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde, soweit ihr damit die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten versagt worden war. Mit dem nach Durchführung einer Verhandlung am 7. Juni 2022 mündlich verkündeten und über rechtzeitigen Antrag des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl schriftlich mit 15. Juni 2022 ausgefertigten Erkenntnis wurde der Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht stattgegeben und der Mitbeteiligten gemäß § 3 iVm § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte habe ‑ wie sich aus dem Zusammenhang ergibt: nach islamischem Ritus in Österreich ‑ am 16. Dezember 2016 einen asylberechtigten irakischen Staatsangehörigen geheiratet. Am 25. September 2018 sei die standesamtliche Eheschließung vorgenommen worden. Am 7. März 2017 und am 5. November 2021 seien die beiden gemeinsamen Kinder zur Welt gekommen. Diese hätten, abgeleitet von ihrem Vater, Asyl zuerkannt bekommen. Die Anwendung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 auf die Revisionswerberin sei weder aus dem Gesetzestext noch der Judikatur ableitbar und erweise sich als rechtlich falsch. Allerdings merkte das Bundesverwaltungsgericht in der Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung auch an, dass „[u]nter Verkennung der gesetzlichen Bestimmung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG [...] der erkennende Richter der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung ebenfalls Asyl, ohne dabei auf ihr Fluchtvorbringen inhaltlich einzugehen“, zuerkannt habe. Die Erhebung einer Revision sei ‑ so das Bundesverwaltungsgericht abschließend ‑ nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, es treffe zwar zu, dass Eltern den „Asylstatus“ nach § 34 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 grundsätzlich von ihren minderjährigen ledigen Kindern ableiten könnten. Jedoch kämen die Begünstigungen des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 ‑ wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner (in der Revision näher zitierten) Rechtsprechung festgehalten habe ‑ nicht jenen Fremden zu, die den Status als Asylberechtigte im Familienverfahren nur von ihrem minderjährigen Kind ableiten könnten, dem dieser Status seinerseits im Rahmen eines Familienverfahrens zuerkannt worden sei.

9 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie ist auch begründet.

10 § 2, § 3 und § 34 AsylG 2005 lauten (auszugsweise und samt Überschrift):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. ...

...

22. Familienangehöriger:

a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;

c. ...

...

23. ...

...

...

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

...

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

...

Familienverfahren im Inland

§ 34.

(1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) ...

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. ...

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

3. ...“

11 Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorbringen der Mitbeteiligten, weshalb sie im Heimatland asylrechtlich relevante Verfolgung befürchte, nicht befasst hat, weil es davon ausgegangen ist, es sei ihr bereits aufgrund der Vorschriften des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

12 Eine solche Vorgangsweise steht an sich mit dem Gesetz im Einklang. Das Gesetz differenziert nämlich beim Status des Asylberechtigten nicht. Weder kennt das Gesetz einen „originären“ Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur „abgeleiteter“ Status zuzuerkennen wäre. Ist einem Familienangehörigen ‑ aus welchen Gründen auch immer ‑ ohnedies der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären (vgl. VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418).

13 Bei der Beurteilung, ob der Mitbeteiligten aufgrund der Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist, ist dem Bundesverwaltungsgericht aber ein maßgeblicher Fehler unterlaufen.

14 Der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist ‑ anders als etwa bei der Anwendung des § 35 AsylG 2005, der in seinem Abs. 5 festlegt, wer nach dieser Bestimmung als Familienangehöriger anzusehen ist ‑ im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044; 17.5.2022, Ra 2021/19/0209).

15 Die Mitbeteiligte ist ‑ was das Bundesverwaltungsgericht zutreffend erkannt hat und von der revisionswerbenden Behörde auch nicht in Abrede gestellt wird ‑ im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 ein Elternteil von minderjährigen Asylberechtigten, nämlich die Mutter der in den Jahren 2017 und 2021 geborenen Kinder, denen der Status von Asylberechtigten zuerkannt worden war.

16 Das Bundesverwaltungsgericht unterliegt ‑ was ihm offenbar im Zuge der Herstellung der Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses selbst aufgefallen ist ‑ allerdings einem Rechtsirrtum, wenn es davon ausgeht, im vorliegenden Fall sei § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 nicht maßgeblich.

17 § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 sieht vor, dass die Bestimmungen dieses Abschnitts ‑ demnach dem aus § 34 und § 35 bestehenden 4. Abschnitt des 4. Hauptstückes des AsylG 2005 über das Familienverfahren ‑ nicht auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, anzuwenden sind, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind. Damit soll verhindert werden, dass es zu sogenannten „Ketten-Familienverfahren“ und damit über verschiedenste Familienverhältnisse vermittelte Gewährungen von Asyl oder subsidiären Schutz kommt, ohne dass oftmals noch irgendein relevanter familiärer Bezug zum ursprünglichen Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten besteht (vgl. VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0031, mwN samt Hinweis auf die Materialien zu § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005).

18 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beiden minderjährigen Kindern der Mitbeteiligten der Status von Asylberechtigten unter Anwendung der Vorschriften des § 34 AsylG 2005 über das Familienverfahren zuerkannt worden war. Sohin war es bei diesem Sachverhalt nicht zulässig, der Mitbeteiligten den Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 als Mutter ihrer minderjährigen asylberechtigten Kinder zuzuerkennen, weil gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 die Anwendung der (übrigen) Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 für diese Konstellation ausgeschlossen ist.

19 Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Mitbeteiligte den Status der Asylberechtigten im Weg des Familienverfahrens auch nicht von ihrem Ehemann, dem dieser Status zuerkannt worden war, ableiten konnte. Die Ehe wurde nämlich nach den ‑ unbestritten gebliebenen ‑ Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts (erst) am 25. September 2018 rechtsgültig in Österreich geschlossen. Somit hat im hier vorliegenden Fall die Ehe jedenfalls nicht bereits „vor der Einreise“ bestanden, sodass die Mitbeteiligte in Bezug auf ihren Ehemann nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. b AsylG 2005 anzusehen war.

20 Nach dem Gesagten hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 14. September 2022

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