Normen
BFA-VG 2014 §22a Abs2
BFA-VG 2014 §22a Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210181.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Algeriens, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 5. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde - zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 17. Oktober 2016 - vollinhaltlich, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung sowie einem auf drei Jahre befristeten Einreiseverbot, abgewiesen.
2 Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 10. November 2018 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an. 3 Über Vorlage des BFA gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vom 1. März 2019 stellte das BVwG mit Erkenntnis vom 6. März 2019 nach dieser Gesetzesstelle fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt seiner Entscheidung verhältnismäßig sei.
4 Eine inhaltlich entsprechende Entscheidung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG traf das BVwG (über Vorlage durch das BFA vom 1. April 2019) mit weiterem Erkenntnis vom 5. April 2019. 5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 6. Mai 2019 wies das BVwG die neuerliche Vorlage des BFA vom 2. Mai 2019, bezeichnet als "amtswegig in Vorlage gebrachte Beschwerde zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der laufenden Schubhaft" gemäß § 22a Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG als verspätet zurück. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG aus, die Vorlage des Verwaltungsaktes zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der laufenden Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG sei derart verspätet erfolgt, dass ein gesetzmäßiges Prüfungsverfahren durch das Gericht in der verbleibenden Zeit nicht gewährleistet sei. Eine Kompetenz des BFA, die für das BVwG bestehende einwöchige Frist zur ordentlichen Prüfung zu verkürzen, könne dem Gesetz nicht entnommen werden. Hieraus sei abzuleiten, dass der Mitbeteiligte umgehend aus der Haft zu entlassen sein werde, weil ein fristgerecht eingeleitetes Verfahren nicht mehr möglich sei und ein gültiger gerichtlicher Fortsetzungsausspruch nicht vorliege.
7 Auf Grund dieser Entscheidung wurde der Mitbeteiligte am 6. Mai 2019 aus der Schubhaft entlassen; seither ist er unbekannten Aufenthalts.
8 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das BVwG - wie die Revision aufzeigt - mit seiner zurückweisenden Entscheidung die Rechtslage verkannt hat.
9 Der die Inhaftnahme für Zwecke der Abschiebung regelnde Art. 15 Abs. 1 und 3 der Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG - kurz: RL) lautet:
"Inhaftnahme
(1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn
- a) Fluchtgefahr besteht oder
- b) die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung
der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.
Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen (zu) erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.
(2) ...
(3) Die Inhaftnahme wird in jedem Fall - entweder auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen oder von Amts wegen - in gebührenden Zeitabständen überprüft. Bei längerer Haftdauer müssen die Überprüfungen der Aufsicht einer Justizbehörde unterliegen."
10 Zur Umsetzung der nach Art. 15 Abs. 3 der RL somit gebotenen Prüfung der Haft in gebührenden Zeitabständen (so die RV 1078 BlgNR 24. GP 4 und 5) wurde mit dem FrÄG 2011 die Bestimmung des § 80 Abs. 7 neu in das FPG aufgenommen.
§ 22a Abs. 4 BFA-VG als deren nunmehr geltende (inhaltlich ähnliche) Nachfolgebestimmung lautet:
"(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde."
11 Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Nach dem fünften Satz dieser Bestimmung ist das BVwG zu einer Sachentscheidung hierüber verpflichtet.
Dem Gesetz ist hingegen keine Grundlage dafür zu entnehmen, die dem - damals noch in Haft angehaltenen - Fremden zugerechnete Beschwerde mit Bezug auf deren verspätete "Einbringung" zurückzuweisen, zumal auch die These des BVwG, dass angesichts der vom BFA zu vertretenden Fristüberschreitung "ein gültiger gerichtlicher positiver Fortsetzungsausspruch nicht vorliegt" (bezieht sich offenbar auf die vorangegangene Entscheidung des BVwG vom 5. April 2019), keine normative Deckung hat. Insoweit stellt sich die Situation nicht anders als bei "schlichter" Überschreitung der Entscheidungsfrist des § 22a Abs. 2 erster Satz BFA-VG dar (siehe dazu etwa VfGH 25.2.2019, E 1633/2018, Punkt III.1. und 2. der Entscheidungsgründe). 12 Die dennoch erfolgte zurückweisende Entscheidung des BVwG steht somit mit der wiedergegebenen Rechtslage nicht im Einklang. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 24. Oktober 2019
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