Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
32008L0115 Rückführungs-RL Art15 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrÄG 2015;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §76 Abs3 idF 2015/I/070;
FrPolG 2005 §77 idF 2015/I/070;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, beantragte in Österreich am 23. Oktober 2006 unter einer Aliasidentität die Gewährung von internationalem Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 13. März 2007 vollinhaltlich ab und wies den Revisionswerber nach Nigeria aus. Das auf Grund der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde geführte Beschwerdeverfahren wurde eingestellt, weil der Revisionswerber zwischen 16. März 2007 und 4. April 2012 nicht in Österreich gemeldet war. Am 15. April 2011 wurde dem - aus Österreich ausgereisten - Revisionswerber von der nigerianischen Botschaft Madrid ein (bis zum 14. April 2016 gültiger) nigerianischer Reisepass ausgestellt.
2 Nach seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 20. April 2015 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels eine (bis zur bedingten Entlassung am 29. August 2016 vollzogene) zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Revisionswerber zwischen 2009 und 29. Dezember 2014 zahlreichen Abnehmern insgesamt zumindest 467,2 Gramm Heroin und 768,7 Gramm Kokain gewinnbringend verkauft sowie im Jahr 2014 eine dritte Person zum gewinnbringenden Handel mit Heroin und Kokain - während seiner Abwesenheit - bestimmt hatte.
3 Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Zugleich erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei, und verhängte über ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Begründend verwies das BFA insbesondere auf das massive, jahrelang unter Beteiligung einer Komplizin begangene Verbrechen des Suchtgifthandels sowie auf unrichtige Angaben sowohl während des Asylverfahrens (bereits zur Identität) als auch im weiteren Verfahren (etwa die fälschliche Behauptung, ihm wäre Asyl gewährt worden). Das Vorbringen des Revisionswerbers, im Jahr 2009 eine in Spanien lebende französische Staatsbürgerin geheiratet, mit ihr in Spanien in Familiengemeinschaft gelebt und mit ihr eine gemeinsame Tochter zu haben, wobei sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht dokumentiert worden sei, rechtfertige, selbst wenn man diese Ausführungen als glaubhaft ansehe, keinen anderen Ausgang des Verfahrens. Vielmehr sei das Einreiseverbot selbst unter Berücksichtigung der familiären und privaten Anknüpfungspunkte notwendig, um die vom Revisionswerber ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.
Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen - mit Erkenntnis vom 12. September 2016 als unbegründet abwies. Dieses Erkenntnis ist, nach Abweisung an den Verfassungsgerichtshof (zu E 2719/2016) und an den Verwaltungsgerichtshof (zu Ra 2016/21/0315) gestellter Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, unbekämpft geblieben.
4 Mit Bescheid vom 26. August 2016 hatte das BFA über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft unter anderem zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Begründend verwies das BFA auf den schon ursprünglichen Gebrauch einer falschen Identität, das Fehlen familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte bzw. sonstiger nennenswerter Integration des (auch nach der Entlassung aus der Strafhaft) nicht einmal über einen Wohnsitz in Österreich verfügenden, hier aber mehrere Jahre, in denen er die erwähnten Straftaten begangen hatte, unangemeldet lebenden einkommens- und vermögenslosen Revisionswerbers sowie den hohen, sich aus der Begehung der erwähnten Suchtmitteldelikte ergebenden Sicherungsbedarf. Dieser werde auf Grund der schon wegen der Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr noch gesteigert. Eine bloße Anwendung gelinderer Mittel wäre unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens, aus dem fehlende Vertrauenswürdigkeit des Revisionswerbers abzuleiten sei, nicht ausreichend.
Die Schubhaft wurde (im Anschluss an die bedingte Entlassung aus der in Rz 2 erwähnten Freiheitsstrafe) am 29. August 2016 in Vollzug gesetzt.
5 Die gegen die Festnahme, den Schubhaftbescheid sowie (erkennbar) den Vollzug der Schubhaft erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. September 2016 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als unbegründet ab und erklärte die Anhaltung in Schubhaft ab 29. August 2016 für rechtmäßig (Spruchpunkt A.I.). Es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG "iVm § 76 FPG" fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz wies es gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.). Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
Begründend teilte das BVwG im Wesentlichen die zum Sicherungsbedarf vertretene Ansicht des BFA und verwies u.a. auf dessen durchsetzbare, den Herkunftsstaat Nigeria betreffende Rückkehrentscheidung vom 29. Juni 2016. Soweit eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides behauptet werde, sei darauf im vorliegenden Verfahren nicht inhaltlich einzugehen. Der vom BFA konstatierte verdichtete Sicherungsbedarf bestehe bis zu der voraussichtlich kurzfristig bevorstehenden, für den 22. September 2016 angesetzten Außerlandesbringung weiter und habe sich infolge ihrer zeitlichen Nähe sogar noch verstärkt. Auch insoweit sei daher eine aktuell aufrechte Fluchtgefahr aus den Gründen des § 76 Abs. 3 Z 1 und 3 FPG zu bejahen. Eine Sicherung durch Anwendung gelinderer Mittel wäre mangels Vertrauenswürdigkeit des Revisionswerbers nicht ausreichend.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser stellte mit Erkenntnis vom 9. Juni 2017, E 2686/2016-15, fest, dass der Revisionswerber durch Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden sei, weil die Feststellung, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen seien, nicht binnen einer Woche ergangen sei.
Im Übrigen stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der Revisionswerber durch Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei; er wies die Beschwerde daher insoweit ab.
Schließlich lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A.I. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtete, ab.
Soweit die Beschwerde abgewiesen oder ihre Behandlung abgelehnt wurde, trat er sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Die nunmehr erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof erweist sich als unzulässig:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 Unter diesem Gesichtspunkt rügt die Revision vor allem das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und verweist dabei auf eine (aus der Eheschließung mit einer französischen, in Spanien lebenden Staatsbürgerin und der Geburt eines gemeinsamen Kindes abgeleitete) Berechtigung des Revisionswerbers zum Aufenthalt in Spanien, welche seiner Rückführung nach Nigeria und damit auch deren Sicherung durch Schubhaft entgegengestanden wäre.
10 Dabei wird zunächst außer Acht gelassen, dass der durch einen Rechtsanwalt vertretene Revisionswerber in der Beschwerde an das BVwG einen darauf abzielenden Antrag gar nicht gestellt und somit auf den sich aus Art. 47 Abs. 2 GRC ergebenden Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (schlüssig) verzichtet hat (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom 3. September 2015, Ra 2015/21/0054, mwN). Vor diesem Hintergrund durfte die vorliegende Entscheidung schon am Maßstab des § 24 Abs. 1 VwGVG ohne vorhergehende Verhandlung getroffen werden.
11 Im Übrigen ist der Revisionswerber darauf zu verweisen, dass - zumal vor dem Hintergrund der zweiten Alternative des § 52 Abs. 6 letzter Satz FPG - mit der Möglichkeit der für 22. September 2016 geplanten Durchsetzung der in Rz 3 näher dargestellten (damals noch nicht rechtskräftigen, aber durchsetzbaren) Rückkehrentscheidung im Zeitpunkt der Entscheidung durch das BVwG gerechnet werden durfte, was für die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung genügt (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Umstandes ausdrücklich die ErläutRV 582 BlgNR 25. GP 23 zum FrÄG 2015 zur Z 5 des § 76 Abs. 3 FPG unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 28. August 2012, 2010/21/0517; siehe dazu auch das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2017, Ra 2016/21/0369, Rz 7f, mwN).
12 Weiters wendet sich der Revisionswerber gegen die Bejahung einer Fluchtgefahr und die Verneinung des Ausreichens einer Anwendung gelinderer Mittel. Dem ist zu entgegnen, dass in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon wiederholt dargelegt wurde, dass die Frage, ob bei Vorliegen eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 3 FPG dann auch konkret von (erheblicher) Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles sei, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel sei, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das gelte sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen sei, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2017, Ro 2017/21/0004, 0013, Rz 26, mwN).
Das ist vorliegend der Fall, weil die diesbezügliche Beurteilung durch das BVwG vor dem Hintergrund des bereits erfolgten Untertauchens und Lebens im Verborgenen (während der Begehung von Suchtgiftdelikten in Österreich) nicht unvertretbar war.
13 Die Revision erweist sich somit insgesamt mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Wien, am 5. Oktober 2017
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