VwGH Ra 2014/09/0004

VwGHRa 2014/09/00049.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2014, Zl. W136 2001554-1/2E, betreffend Aufhebung eines Disziplinarerkenntnisses nach dem Heeresdisziplinargesetz 2002 (mitbeteiligte Partei: M R, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5), zu Recht erkannt:

Normen

HDG 1994 §24;
HDG 2014 §21;
HDG 2014 §82 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
HDG 1994 §24;
HDG 2014 §21;
HDG 2014 §82 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

Begründung

Der im Jahr 1963 geborene Mitbeteiligte steht als Oberstleutnant in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport tätig.

Mit Disziplinarerkenntnis des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport vom 16. Jänner 2014 wurde der Mitbeteiligte einer Pflichtverletzung nach § 2 Abs. 1 Z. 1 des Heeresdisziplinargesetzes 2002 (HDG 2002) iVm für schuldig erkannt, am 3. November 2013 gegen 22.30 Uhr auf der militärischen Liegenschaft K (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) der Anordnung des in Ausübung des Wachdienstes eingeteilten Wachkommandanten Rekrut T.H., sein Privatfahrzeug umgehend von der Liegenschaft K zu entfernen, nicht entsprochen zu haben, die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von EUR 370,-- verhängt.

Gegen dieses näher begründete Disziplinarerkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde im Umfang des Ausspruches über die Strafe.

Das Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerde "gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG" statt und hob das angefochtene Disziplinarerkenntnis wegen Unzuständigkeit des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport gemäß § 27 VwGVG auf. Zugleich sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Die Aufhebung begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass das Disziplinarerkenntnis vom Bundesminister für Landesverteidigung und Sport "als nach § 12 Abs. 1 Z. 4 lit. a des Heeresdisziplinargesetzes 2002 (HDG 2002) zuständige Disziplinarbehörde" erlassen worden sei. Gemäß § 12 Abs. 1 Z. 4 lit. a HDG 2002 (in der wiederverlautbarten Fassung ebenso § 12 Abs. 1 Z. 4 lit. a HDG 2014) sei der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport gegenüber Soldaten, die der Zentralstelle des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport angehören oder dieser dienstzugeteilt sind, den Einheitskommandanten gleichgestellt und habe somit als solcher das gegenständliche Disziplinarerkenntnis erlassen. Dem Einheitskommandanten komme jedoch gemäß § 59 Abs. 1 Z. 1 HDG 2002 (in der wiederverlautbarten Fassung § 60 Abs. 1 Z. 1 HDG 2014) keine Zuständigkeit für die Erlassung von Disziplinarerkenntnissen, sondern lediglich eine Zuständigkeit für die Erlassung von Disziplinarverfügungen zu. Für die Erlassung eines Disziplinarerkenntnisses sei nach § 59 Abs. 1 Z. 2 HDG 2002 (in der wiederverlautbarten Fassung § 60 Abs. 1 Z. 2 HDG 2014) der Disziplinarvorgesetzte zuständig. Der angefochtene Bescheid sei wegen Unzuständigkeit aufzuheben gewesen, weil der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport als Disziplinarbehörde Einheitskommandant nicht für die Erlassung eines Disziplinarerkenntnisses zuständig sei.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht "im Hinblick auf den eindeutigen und klaren Wortlaut der anzuwendenden Bestimmung des § 27 VwGVG" damit, dass die Unzuständigkeit der Behörde auch dann von Amts wegen wahrzunehmen sei, wenn sie in der Beschwerde nicht geltend gemacht wurde.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der vor dem Bundesverwaltungsgericht belangten Behörde. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher er die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der revisionswerbende Bundesminister hält das angefochtene Disziplinarerkenntnis deswegen für rechtswidrig, weil der Mitbeteiligte am 4. Februar 2014 für die voraussichtliche Dauer von sechs Monaten in den Auslandseinsatz entsendet worden sei. Gemäß § 82 Abs. 2 HDG 2014 gälten Disziplinarverfahren, die vor Beginn eines Einsatzes eingeleitet, jedoch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurden, bis zur Beendigung des Einsatzes als unterbrochen. Das Verfahren sei nach Beendigung des Einsatzes fortzuführen. Dies gelte nach § 6 Z. 1 des Auslandseinsatzgesetzes 2001 (AuslEG 2001), BGBl. I Nr. 55, auch für Disziplinarverfahren in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz. § 21 HDG 2014 stelle weiters klar, dass auch Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Disziplinarverfahren zu qualifizieren seien, weshalb § 82 Abs. 2 HDG 2014 auf das in Rede stehende Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuwenden gewesen sei. Die Revision sei zulässig, weil es zu § 82 Abs. 2 HDG 2014 keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe.

Das Bundesverwaltungsgericht sei für die Dauer des Auslandseinsatzes des Mitbeteiligten zur Entscheidung im vorliegenden Disziplinarverfahren nicht zuständig gewesen.

§ 82 Abs. 2 des Heeresdisziplinargesetzes 2014, BGBl. I Nr. 2/2014, lautet:

"(2) Disziplinarverfahren, die vor Beginn eines Einsatzes eingeleitet, jedoch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurden, gelten bis zur Beendigung des Einsatzes als unterbrochen. Diese Verfahren sind nach Beendigung des Einsatzes fortzuführen."

Die außerordentliche Revision ist - mangels einschlägiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur geltend gemachten Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt und von deren Lösung die Revision abhängt - zulässig und begründet.

Die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Stammfassung des Heeresdisziplinargesetzes 1994, in welcher die Vorschrift in das Heeresdisziplinargesetz eingeführt wurde, enthalten diesbezüglich folgende Ausführungen (1294 BlgNR 18. GP, 56):

"... Daher sollen die vor einem Einsatz begangenen Pflichtverletzungen während des Einsatzes keiner disziplinären Würdigung unterzogen werden dürfen; die entsprechenden Disziplinarverfahren dürfen erst nach der Beendigung der Heranziehung des Betroffenen zum Einsatz eingeleitet oder fortgeführt werden. Diese Aussetzung der disziplinären Ahndung einer Pflichtverletzung für die Dauer des Einsatzes erscheint vertretbar, da die Notwendigkeit dieser Ahndung eines außerhalb des Einsatzes begangenen Deliktes gegenüber dem zwingenden Erfordernis einer unbeeinträchtigten Einsatzverwendung des Betroffenen zurücktritt. Disziplinarverfahren betreffend eine während des Einsatzes begangene Pflichtverletzung, die bis zur Beendigung des Einsatzes nicht rechtskräftig abgeschlossen wurden, sind nach dem Einsatz unter Anwendung der außerhalb eines Einsatzes geltenden Regelungen fortzuführen und abzuschließen. Dies betrifft insbesondere auch einen Übergang der Zuständigkeit auf die im § 24 vorgesehenen Disziplinarbehörden; diese Regelung stellt daher eine sachlich gebotene Ausnahme vom Grundsatz der perpetuatio fori während des gesamten Disziplinarverfahrens im Interesse des Beschuldigten dar. ..."

Gemäß § 21 Heeresdisziplinargesetz 2014 gelten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht betreffend Beschwerden gegen Entscheidungen über Pflichtverletzungen in einem Kommandantenverfahren oder Kommissionsverfahren auch als Disziplinarverfahren nach dem Heeresdisziplinargesetz 2014.

Dass sich der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts im Auslandseinsatz befand, wird von den Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht bestritten. Die gemäß § 82 Abs. 2 HDG 2014 eintretende Wirkung der Unterbrechung des Disziplinarverfahrens hatte daher zur Folge, dass im Disziplinarverfahren keine Verfahrensakte gesetzt werden durften. Die revisionsführende vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde ist daher im Recht, wenn sie die Auffassung vertrat, dass das Bundesverwaltungsgericht während des Einsatzes des Mitbeteiligten zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nicht zuständig war.

Wenn der Mitbeteiligte gegen die Revision ins Treffen führt, die Revisionswerberin habe es wissentlich unterlassen, das Bundesverwaltungsgericht über die Auslandsentsendung des Mitbeteiligten zu informieren und diese Tatsache bewusst verschwiegen, um im Fall eines der Beschwerde stattgebenden Erkenntnisses diesen "Trumpf" auszuspielen, sie habe die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts "ins offene Messer laufen" lassen, so würde dies nichts daran ändern, dass das Disziplinarverfahren als unterbrochen galt und sich auch das Bundesverwaltungsgericht der Erlassung eines Erkenntnisses im vorliegenden Disziplinarverfahren zu enthalten hatte. Die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 82 Abs. 2 HDG 2014 tritt nämlich unabhängig von der Kenntnis der Behörden und Gerichte vom Einsatz des Soldaten ein.

Daher war das angefochtene Disziplinarerkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Wien, am 9. September 2014

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