European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2022:G115.2022
Spruch:
Die Behandlung des Antrages wird abgelehnt.
Begründung
Begründung
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art140 Abs1b B‑VG; vgl VfGH 24.2.2015, G13/2015).
2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
3. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, dass §39 ARHG gegen die Unschuldsvermutung (Art6 Abs2 EMRK und Art48 Abs1 GRC) verstieße, weil – so der Antragsteller – "durch das Abstellen auf 'erhebliche' Bedenken" "ein gänzlicher Freibeweis" verlangt werde: Anlassfall des vorliegenden Antrages ist nicht das Auslieferungsverfahren, das bereits rechtskräftig abgeschlossen ist, und damit auch nicht die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung, sondern nur ein diesbezügliches Wiederaufnahmeverfahren (zur Anwendbarkeit von Art6 EMRK auf Wiederaufnahmeverfahren siehe etwa EGMR 11.7.2017 [GK], Fall Moreira Ferreira, Appl 19867/12).
Abgesehen davon wird auch im eigentlichen Auslieferungsverfahren nicht über die Schuld des Betroffenen iSv Art6 Abs2 EMRK und Art48 Abs1 GRC entschieden. Die Zulässigkeit der Auslieferung ist vielmehr an Hand des Auslieferungsersuchens und seiner Unterlagen zu prüfen (§33 Abs1 ARHG). Ob die betroffene Person der ihr zur Last gelegten strafbaren Handlung nach den Auslieferungsunterlagen hinreichend verdächtig ist, ist nur zu prüfen, wenn insoweit erhebliche Bedenken bestehen, insbesondere wenn Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte (§33 Abs2 ARHG; Prinzip der formellen Prüfung). Die Schuldfrage ist daher nicht im Auslieferungsverfahren zu klären, sondern im Verfahren des ersuchenden Staates (Göth-Flemmich/Riffel, §33 ARHG, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zum StGB², rdb.at, Stand 1.12.2021, Rz 3 mwN). Auslieferungsverfahren im ersuchten Staat betreffen als solche somit nicht die Prüfung einer "strafrechtlichen Anklage" ("determination of a criminal charge"/"bien-fondé de toute accusation pénale") iSv Art6 EMRK und Art48 Abs1 GRC und liegen daher grundsätzlich außerhalb der Schutzbereiche dieser Vorschriften (EGMR 24.4.2008, Fall Ismoilov ua, Appl 2947/06 [Rz 162: "extradition proceedings against them did not concern the determination of a criminal charge, within the meaning of Article 6"]; 4.2.2005, Fall Mamatkuolov und Askarov, Appl 46827/99 ua [Rz 80: "Article 6 §1 was not applicable to the extradition proceedings"]; vgl dazu auch Schallmoser, Anwendungsbereich des Art6 Abs1-3 EMRK in Rechtshilfesachen – Anmerkungen zu OGH 11 Os 28/19f ua, JBl 2020, 223 mwN).
4. Soweit der Antragsteller Bedenken dahingehend geltend macht, dass Auslieferungen nur aus den in §19 Z1 ARHG genannten Gründen unzulässig sind, hat der Antrag im Hinblick darauf, dass die Zulässigkeit der Auslieferung gemäß §33 Abs3 ARHG in rechtlicher Hinsicht einschließlich aller sich aus den zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden Voraussetzungen und Hindernisse für die Auslieferung der betroffenen Person umfassend unter dem Gesichtspunkt der der betroffenen Person nach Gesetz und Bundesverfassung – somit einschließlich der Europäischen Menschenrechtskonvention (BGBl 59/1964) – zukommenden subjektiven Rechte zu prüfen ist (vgl Göth-Flemmich/Riffel, aaO Rz 8 f. mwN; vgl etwa zur Prüfung des Art8 EMRK im Auslieferungsverfahren OGH 13.2.2008, 13 Os 150/07v), keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
5. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung des – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse und Prozessvoraussetzungen geprüften – Antrages abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
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