OGH 9ObA98/24p

OGH9ObA98/24p27.5.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Ingomar Stupar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, Slowenien, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei T* d.o.o., *, Slowenien, vertreten durch Dr. Christoph Dunst, Rechtsanwalt in Wien,wegen (zuletzt) 25.908,46 EUR brutto abzüglich 10.950,19 EUR netto sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. September 2024, GZ 9 Ra 42/24y‑95, mit dem den Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Februar 2024, GZ 5 Cga 38/22t-84, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00098.24P.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Zwischen dem in Slowenien wohnhaften Kläger und der Beklagten bestand von August 2018 bis November 2021 mit Unterbrechungen ein Dienstverhältnis. Die Beklagte als Arbeitgeberin verlieh den Kläger im Zeitraum 3. 5. 2021 bis 31. 12. 2021 als Arbeiter an diverse Unternehmen in Österreich, wobei der Kläger an einer Baustelle als Bauarbeiter eingesetzt war. Während seines Arbeitseinsatzes in Österreich wohnte der Kläger in einem „seitens des Beschäftigers“ zur Verfügung gestellten Containerdorf.

[2] Der Klägerbegehrt aus dem Dienstverhältnis unter anderem Taggeld in Höhe von 31 EUR täglich. Dieser Anspruch ergebe sich aus Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 8 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) in Verbindung mit der Verordnung über die Festsetzung für Dienstverrichtungen im Ausland (BGBl II 2001/434), die für die Gebührenstufe 3 für das Land Slowenien ein Taggeld in der begehrten Höhe vorsehe. In eventu stehe dem Kläger gemäß Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 2 des KVAÜ ein Taggeld von 26,40 EUR täglich zu. Hilfsweise stehe dem Kläger nach § 9 des Kollektivvertrags für Bauindustrie und Baugewerbe (Arbeiter/innen) (KVBau) ein Taggeld in Höhe von 29,60 EUR pro Arbeitstag zu.

[3] Die Beklagte wandte gegen diesen Anspruch ein, dass ausschließlich der KVBau zur Anwendung gelange. Nach dessen § 9 stehe dem Kläger kein Taggeld zu, weil er keinen Hauptwohnsitz in Österreich habe und sein Arbeitsort der Aufnahmeort sei.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in Höhe von 26.003,79 EUR brutto abzüglich 13.464,19 EUR netto sA statt und wies ein Mehrbegehren von 2.418,67 EUR sA ab. Hinsichtlich des Taggeldes betrage der Anspruch des Klägers gemäß Abschnitt VIII Kapitel B Punkt 12 KVAÜ 26,40 EUR täglich.

[5] Das Berufungsgericht gab den von beiden Seiten erhobenen Berufungen der Parteien nicht Folge. Beim nach § 6 Abs 2 und 3 LSD‑BG iVm § 10 AÜG durchzuführenden Günstigkeitsvergleich seien bei der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung die Regelungen des Entsendestaats, des KVAÜ und des Beschäftiger‑KV zu beachten, wobei in sinngemäßer Anwendung des § 3 ArbVG ein Günstigkeitsvergleich im Sinn eines Gruppenvergleichs von Bestimmungen vorzunehmen sei. Es könnten daher für verschiedene Gruppen von Bestimmungen die Regelungen des KVBau und des KVAÜ nebeneinander zur Anwendung gelangen. Gemäß Abschnitt VIII Kapitel B Punkt 12 KVAÜ habe ein Arbeitnehmer Anspruch auf Taggeld von 26,40 EUR, wenn er in einen Betrieb überlassen werde, der mehr als 120 km vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt sei. Anhang III zum KVAÜ stelle klar, dass bei Arbeitnehmern, die ihren ordentlichen Wohnsitz (Lebensmittelpunkt) im Ausland haben, dieser als Wohnsitz gelte und nicht das inländische Quartier. Ein höheres Taggeld stehe dem Kläger jedoch nicht zu, weil nicht ersichtlich sei, warum – wie vom Kläger angenommen – für Österreich der für Slowenien vorgesehene Wert herangezogen werden sollte. Vielmehr ergebe sich aus den Bestimmungen des LSD‑BG und dem der LeiharbeitsRL innewohnenden Grundprinzip, wonach nach Österreich überlassene oder entsandte Arbeitnehmer jenes Entgelt erhalten sollen, das vergleichbare inländische Arbeitnehmer erhalten würden, dass nach Österreich überlassenen Arbeitnehmern jenes Taggeld gebühre, das auch inländische Arbeitnehmer bei Entsendung in weit entfernte Beschäftigerbetriebe in Österreich erhalten würden, sohin gemäß Abschnitt VIII Kapitel B Punkt 12 KVAÜ 26,40 EUR. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Taggeld nach § 9 KVBau, da er ausschließlich für die Baustelle in * überlassen und vom Beschäftiger ausschließlich dort eingesetzt worden sei. Dieser Ort sei als ständiger Betrieb anzusehen.

[6] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu vorliege, ob und unter welchen Voraussetzungen sowie bejahendenfalls in welcher Höhe bei grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich einem Bauarbeiter ein Taggeld nach dem KVAÜ zustehe.

[7] Hinsichtlich des Zuspruchs bzw der teilweisen Abweisung von Taggeld richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger begehrt weitere 432,40 EUR an Taggeld, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag, die Beklagte begehrt die Abweisung des von den Vorinstanzen zugesprochenen Taggeldes in Höhe von 2.481,60 EUR. Der Kläger beantragt in seinerRevisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben. Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revisionen der Streitteile sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

I. Zur Revision des Klägers

[9] 1.1. Die Revision geht weder auf die rechtliche Begründung des Berufungsgerichts, wieso die Gebührenstufe 3 für Slowenien bei einer Entsendung nach Österreich nicht anzuwenden sei, ein, noch gibt sie eine Begründung für ihre Rechtsansicht, wonach der KVAÜ umzudeuten und so anzuwenden wäre, als wäre der Kläger nicht von Slowenien nach Österreich, sondern von Österreich nach Slowenien entsandt worden.

[10] 1.2. Inwiefern die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen § 3 Abs 7 LSD‑BG widersprechen soll, wonach ein entsandter Arbeitnehmer unbeschadet des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts für die Dauer der Entsendung zwingend Anspruch auf zumindest jenen gesetzlichen, durch Verordnung festgelegten oder kollektivvertraglichen Aufwandersatz für Reise-, Unterbringungs- oder Verpflegungskosten hat, die während der Entsendung in Österreich anfallen, der am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt, ist nicht ersichtlich. Die vom Kläger offensichtlich gewünschte Besserstellung ausländischer gegenüber inländischer Leiharbeiter wird von ihm weder begründet, noch ist eine solche aus den nationalen gesetzlichen Bestimmungen oder der Entsende‑RL (RL 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen) ableitbar.

[11] 2. Der Kläger setzt sich in seiner Revision auch nicht mit den rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts zur Nichtanwendbarkeit des BauKV aufgrund eines ständigen Betriebs auseinander, sodass in dieser Hinsicht keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (vgl RS0043605; RS0043603 [T4, T9, T16]). Eine unvertretbare Rechtsansicht wird vom Kläger nicht behauptet.

[12] Im Übrigen stützte der Kläger seinen Anspruch auf Taggeld in erster Instanz ausdrücklich auf Punkt VIII des KVAÜ und nur hilfsweise auf § 9 Bau‑KV.

II. Zur Revision der Beklagten

[13] 1.1. Soweit die Beklagte in ihrer Revision meint, der Kläger habe während seines Arbeitseinsatzes im Containerdorf gewohnt und dürfe der ursprüngliche Wohnort des Klägers schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht herangezogen werden, es sei ein weiterer Mittelpunkt der Tätigkeit bzw ein ständiger Betrieb begründet worden und bestehe deshalb kein Anspruch auf Taggeld, ist sie auf Anhang III zum KVAÜ zu Punkt VIII zu verweisen, wonach bei Arbeitnehmern, die ihren ordentlichen Wohnsitz (Lebensmittelpunkt) im Ausland haben, dieser als Wohnsitz gilt und nicht das inländische Quartier.

[14] Eine von der Beklagten behauptete Besserstellung überlassener Arbeitskräfte gegenüber Stammarbeitskräften wird weder durch die Entsende‑RL (RL 2018/957 ) noch durch § 10 Abs 3 AÜG ausgeschlossen (vgl bereits 9 ObA 157/14z zur Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 11. 2008 über Leiharbeit sowie zu einer möglichen Besserstellung überlassener Arbeitnehmer gegenüber dem Stammpersonal 9 ObA 54/17g = RS0131700).

[15] 1.2. Inwiefern steuerrechtliche Erwägungen Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung der Anwendbarkeit von Kollektivverträgen haben sollen, führt die Revision nicht erkennbar aus.

[16] 2. Die Ausführungen der Beklagten in ihrer Revision zum Werkvertrag sind nicht von den Feststellungen gedeckt, wonach die Beklagte Arbeitgeberin des Klägers war und diesen als Arbeiter an diverse Unternehmen in Österreich verlieh.

[17] III. Insgesamt zeigen die Revisionen somit keine erhebliche Rechtsfrage auf und sind daher zurückzuweisen.

[18] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 40 ZPO. Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung, der Kläger hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen, weshalb seine Revisionsbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte