European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:009OBA00079.24V.0122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war beim beklagten Gemeindeverband, dem der Betrieb des Allgemeinen öffentlichen Bezirkskrankenhauses * (kurz: BKH) obliegt (§ 1 Abs 1 lit b Tir BKH‑GVG), als diplomierte Gesundheits‑ und Krankenpflegerin beschäftigt.
[2] Im Verfahren 75 Cga 54/18g des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht (kurz: Schadenersatzverfahren) begehrt die Klägerin vom Beklagten Schadenersatz (bestehend aus Schmerzengeld, Verdienstentgang sowie Kosten für medizinische Heilbehandlungen, Medikamente, Therapiekosten, Bürobedarf und sonstige Ausgaben) und die Feststellung der Haftung für sämtliche zukünftige Schäden aus der Verletzung der Schutz- und Fürsorgepflichten durch den Beklagten. Im dortigen Schriftsatz vom 5. 10. 2020 behauptete die Klägerin ua, durch „Bossing‑Handlungen“ des Beklagten, insbesondere des Verwaltungsdirektors, bestimmte (im Schriftsatz dargestellte) Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten zu haben. Der Rechtsvertreter des Beklagten übermittelte ua diesen Schriftsatz dem nach § 16 Abs 1 Tir KAG bestellten Verwaltungsleiter (Verwaltungsdirektor) des BKH. Da der Verwaltungsdirektor aufgrund der darin erhobenen Vorwürfe der Klägerin einen Entlassungsgrund verwirklicht sah, versendete er am 15. 10. 2020 eine Einladung an die Mitglieder der kollegialen Führung der Krankenanstalt (§ 10a Tir KAG iVm § 5 Abs 2 Z 3 der – durch die Landesregierung genehmigten – Anstaltsordnung) zur Abhaltung einer Sonderkollegialführungssitzung zum Tagesordnungspunkt „Eventualentlassung“. Die Einladung richtete sich an die stellvertretende Verwaltungsdirektorin, den ärztlichen Direktor und die Pflegedirektorin, wobei gleichzeitig mit der Einladung auch der Schriftsatz vom 5. 10. 2020 übermittelt wurde. Die kollegiale Führung fasste in der Sitzung vom 19. 10. 2020, an der anstelle der Pflegedirektorin deren Stellvertreter teilnahm, den Beschluss zur Entlassung der Klägerin. Mit Schreiben vom 19. 10. 2020, unterfertigt vom Verwaltungsdirektor, sprach der Beklagte die Auflösung des Dienstverhältnisses zur Klägerin mit sofortiger Wirkung aus.
[3] Da die Klägerin in einem anderen zwischen den Streitteilen geführten Verfahren die Ansicht vertrat, die kollegiale Führung des BKH sei nicht zur Entlassung berechtigt (sondern der Gemeindeverbandsausschuss), übermittelte der Verwaltungsdirektor den Schriftsatz der Klägerin an den Gemeindeverbandsobmann des Beklagten (§ 7 Tir BKH‑GVG). In der Folge entsandte die Geschäftsstelle im Auftrag des Gemeindeverbandsobmanns Einladungen für eine außerordentliche Sitzung des Gemeindeverbandsausschusses mit dem Tagesordnungspunkt „Entlassung [Klägerin]“, der ua auch eine kurze Zusammenfassung der von der Klägerin im Schriftsatz vom 5. 10. 2020 erhobenen Vorwürfe angeschlossen war und einige Zitate des Schriftsatzes auszugsweise wiedergegeben waren. An der Ausschusssitzung nahmen der Gemeindeverbandsobmann, seine beiden Stellvertreter, sechs Bürgermeister sowie der Verwaltungsdirektor, seine Stellvertreterin, der ärztliche Direktor und der stellvertretende Pflegedirektor teil. Auch eine Schriftführerin war anwesend. Der Gemeindeverbandsausschuss (§ 4 Abs 3 Tir BKH‑GVG) fasste am 15. 10. 2020 (eventualiter) einen Beschluss zur Entlassung der Klägerin. Mit Schreiben des Beklagten vom 27. 10. 2020, wiederum unterfertigt vom Verwaltungsdirektor, wurde der Klägerin neuerlich die Entlassung mitgeteilt.
[4] Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin den beklagten Gemeindeverband zu verpflichten, es in Hinkunft zu unterlassen, die von der Klägerin in den zwischen den Streitteilen anhängigen Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vorgelegten und durch medizinische Sachverständigengutachten noch zu erhebenden Gesundheitsdaten sowie die sonstigen Verfahrensakten an Nichtorgane des Beklagten, insbesondere an die Mitglieder der kollegialen Führung des BKH sowie an sonstige unbefugte Dritte, wie Mitarbeiter des BKH und/oder Mitglieder des Betriebsrats etc, zur Kenntnis zu bringen (Hauptbegehren); in eventu es in Hinkunft zu unterlassen, die gesetzlich geschützten Verfahrensakten und Verfahrensinhalte der Klägerin aus sämtlichen behängenden verwaltungsbehördlichen/verwaltungsgerichtlichen und aus sämtlichen zivilgerichtlichen und arbeitsgerichtlichen Verfahren zwischen (den) und betreffend die Streitteile(n) sowie die darin enthaltenen Gesundheitsdaten der Klägerin an Nichtparteien (Mitarbeiter im BKH und andere unbefugte Dritte) zur Kenntnis zu bringen (erstes Eventualbegehren). Hilfsweise möge der Beklagte schuldig erkannt werden, in Hinkunft dafür Sorge zu tragen, dass die Patientendaten der Klägerin und die Krankenunterlagen ihres verstorbenen Sohnes (in denen sie selbst als Mutter vorkomme) im BKH vor dem Zugriff Nichtberechtigter datenschutzkonform geschützt werden, indem die vertragswidrig aufgehobenen Sperren vom 23. 11. 2005 wieder gesetzt oder die personenbezogenen und sensiblen Daten der Klägerin und die ihres Sohnes pseudonymisiert würden (zweites Eventualbegehren). Darüber hinaus stellte sie einen auf die Gewährleistungspflicht des Beklagten nach Art 3 EMRK gestützten Antrag.
[5] Das Erstgericht wies den letztgenannten Antrag mit Beschluss und sämtliche Klagebegehren (das erste Eventualbegehren unvollständig unter Auslassung der Wortfolge „und aus sämtlichen zivilgerichtlichen und arbeitsgerichtlichen Verfahren“) mit Urteil ab.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens und gab dem ersten Eventualbegehren in dem vom Erstgericht abgewiesenen Umfang statt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Dieaußerordentliche Revision, in der die Klägerin die Stattgabe des Hauptbegehrens, in eventu des Eventualbegehrens im gesamten Umfang, in eventu des zweiten Eventualbegehrens anstrebt, ist nicht zulässig, weil darin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.
[8] 1. Die gerügte Aktenwidrigkeit und behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[9] 2.1. Soweit sich die außerordentliche Revision umfangreich mit der Frage beschäftigt, ob die kollegiale Führung einer Krankenanstalt, die – wie hier – keine Betriebsgesellschaft (§ 1 Abs 3 lit a Tir BKH‑GVG) gegründet hat, zur Auflösung von (bestimmten) Dienstverhältnissen berechtigt ist, muss darauf in dieser Entscheidung nicht näher eingegangen werden. Auf die Beantwortung dieser Frage kommt es im vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Strittig ist in diesem Rechtsstreit lediglich, ob der Beklagte berechtigt war, Inhalte aus dem Schadenersatzverfahren den im Hauptbegehren genannten Personen zur Kenntnis zu bringen.
[10] 2.2. Ausgehend von der Rechtsauffassung der Klägerin, für die Beendigung ihres Dienstverhältnisses sei der Gemeindeverbandsausschuss zuständig, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 9 ObA 67/21z betreffend den inhaltsgleichen Antrag der Klägerin auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung verneint. An den darin gemachten Ausführungen ist auch im vorliegenden Hauptverfahren festzuhalten:
[11] 2.3. Der Gemeindeverbandsausschuss besteht aus den in § 4 Abs 1 lit a bis d Tir BKH‑GVG aufgezählten Mitgliedern. Der ärztliche Leiter, der Verwaltungsleiter und der Leiter des Pflegedienstes der Krankenanstalt sowie ein vom Betriebsrat (von den Betriebsräten) entsandter Vertreter gehören dem Gemeindeverbandsausschuss mit beratender Stimme an (§ 4 Abs 2 Tir BKH‑GVG). Diese Personen sind daher, auch wenn sie zudem die Mitglieder der kollegialen Führung der Krankenanstalt (§ 10a Tir KAG; § 4 Abs 2 Anstaltsordnung des BKH) sind, keine „unbefugten Dritten“. Daran ändert auch der – erstmals in der außerordentlichen Revision erhobene – Verweis auf die Tiroler Gemeindeordnung 2001 (TGO) nichts. § 30 Abs 1 lit h TGO gilt hier nicht, weil die Zuständigkeit der Auflösung von Dienstverhältnissen im BKH‑GVG geregelt ist (§ 132 TGO).
[12] 2.4. Bereits in der Entscheidung 9 ObA 67/21z (Rz 5) wurde die Rechtsansicht des dortigen Berufungsgerichts, eine Beschlussfassung durch eine Personenmehrheit (ergänzend: auch wenn diese Personen keine Mitglieder des Beklagten iSd § 4 Abs 1 lit a) bis d) Tir BKH‑GVG sind, erfordere die rechtzeitige Verständigung von der geplanten Beschlussfassung und von deren wesentlichen Inhalt sowie die Gelegenheit zur sachlichen Stellungnahme dazu, wobei bei einer Beendigung des Dienstverhältnisses auch die Art der Beendigung (Entlassung oder Kündigung) gehöre (vgl 8 ObA 56/17v), nicht beanstandet. Auch die Teilnahme von Personen mit „beratender Stimme“ (§ 4 Abs 2 Tir BKH‑GVG) an der entsprechenden Beschlussfassung setzt die Kenntnis jener Tatsachen voraus, die der Beschlussfassung zugrunde liegen, ansonsten diese Personen ihr gesetzlich vorgesehenes Beratungsrecht nicht gehörig ausüben können.
[13] 3.1. Ausgehend von der übereinstimmenden Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass jedenfalls Teile des Vorbringens der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 5. 10. 2020 als Gesundheitsdaten im Sinn des Art 4 Z 15 DSGVO anzusehen sind und eine Verarbeitung solcher sensiblen Daten nach Art 9 Abs 1 DSGVO grundsätzlich untersagt ist, macht die außerordentliche Revision als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO geltend, dass das Berufungsgericht im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung zwischen den berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Klägerin und dem Interesse des Beklagten an deren Offenlegung gemäß Art 9 Abs 2 lit f DSGVO im Lichte des Art 8 Abs 1 EMRK (Art 7 GRC) zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass ihre Interessen im konkreten Fall überwiegen. Es stelle sich daher die – vom EuGH zu beantwortende – Frage, inwieweit die Ausnahmebestimmung des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO den (grundrechtlich gewährleisteten – vgl Art 1 DSG; Art 8 GRC) Geheimhaltungsanspruch von Gesundheitsdaten aufweichen könne.
[14] 3.2. Der Erlaubnistatbestand des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO stellt für sensible Daten einen Sonderfall des allgemeinen Erlaubnistatbestands des berechtigten Interesses im Sinne des Art 6 Abs 1 lit f DSGVO dar. Er dient der Gewährleistung des Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art 47 GRC (6 Ob 45/19i Pkt 4.1.). Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich sein. „Erforderlich“ bedeutet, dass ohne die Daten die Geltendmachung des Anspruchs bzw eine Verteidigung dagegen nicht möglich oder wesentlich erschwert wäre. Die Grenze der „Erforderlichkeit“ im Sinn des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO ist aufgrund ihrer Bedeutung für die rechtsstaatliche Durchsetzung von Ansprüchen nicht allzu streng zu handhaben. Etwa im Fall von Prozessvorbringen ist der Tatbestand der Ausnahmeklausel erst bei einer willkürlichen, bewussten Offenlegung von sensiblen Daten, die mit dem Streitstoff in keinerlei Verbindung stehen, nicht mehr gegeben (6 Ob 45/19i Pkt 4.3.).
[15] 3.3. Die Ausnahmetatbestände des Art 9 Abs 2 DSGVO gestatten eine Verarbeitung nur unter Einhaltung der sonstigen Vorgaben der DSGVO, was eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im jeweiligen Einzelfall mit einschließt, sofern die Ausnahmetatbestände dies explizit vorsehen. Die Voraussetzungen des Art 9 Abs 2 DSGVO sind zusätzlich zu den allgemeinen Verarbeitungsvoraussetzungen des Art 6 Abs 1 DSGVO zu beachten (6 Ob 45/19i Pkt 4.4. = RS0132791).
[16] 3.4. Die Klägerin bestreitet nicht, dass die Organe des Beklagten (bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen nach Art 9 Abs 2 lit f DSGVO) grundsätzlich berechtigt sind, die Verfahrensakten des Schadenersatzverfahrens (mit den sensiblen Gesundheitsdaten) zu kennen. Diese dürften auch nach ihrem Vorbringen den „rechtmäßigen“ Parteien vorgelegt werden. Die Klägerin steht bloß auf dem Standpunkt, dass die Weitergabe ihrer sensiblen Daten an den Verwaltungsdirektor, an sonstige Mitarbeiter der Geschäftsstelle und der kollegialen Führung des BKH und des Betriebsrats rechtswidrig sei, weil es sich bei diesen Personen um „Nicht-Organe“ bzw um „unbefugte Dritte“ handle.
[17] 3.5. Dem ist zu entgegnen, dass das (nach Ansicht der Klägerin) für die Beendigung des Dienstverhältnisses der Klägerin zuständige Organ (der Gemeindeverbandsausschuss) keine natürliche Person ist, sondern ein Gremium, dessen Mitglieder landesgesetzlich festgelegt sind. Diesem gehören ua der ärztliche Leiter, der Verwaltungsleiter und der Leiter des Pflegedienstes der Krankenanstalt sowie ein vom Betriebsrat entsandter Vertreter mit beratender Stimme an (§ 4 Abs 2 BKH‑GVG). Diese Personen sind zwar bei Beschlussfassungen dieses Organs nicht stimmberechtigt, aber schon nach dem Gesetz Angehörige des Ausschusses. Dass auch die beratenden Mitglieder des Gemeindeverbandsausschusses Kenntnis vom Sachverhalt haben müssen, um ihre beratende Aufgabe erfüllen zu können, wurde bereits in der Entscheidung 9 Ob 67/21v (Rz 5) festgehalten.
[18] 3.6. Nach den bindenden Feststellungen erlangten daher nur Personen Kenntnis vom Inhalt des Schriftsatzes und den darin enthaltenen sensiblen Daten der Klägerin, die ein Organ der Beklagten bilden, das – nach den Behauptungen der Klägerin – für die Beendigung ihres Dienstverhältnisses zuständig war. Deshalb sind sie keine „unbefugten Dritten“. Dass sie Kenntnis von den im Schriftsatz enthaltenen sensiblen Daten erlangten, ist daher von der erforderlichen Rechtsverteidigung im Sinne des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO gedeckt. Wenn das Berufungsgericht zusammenfassend zum Ergebnis kam, dass an „unbefugte Dritte“ keine Inhalte aus zivil‑ bzw arbeitsgerichtlichen Verfahren weitergegeben wurden, ist dies daher nicht zu beanstanden. Die nicht vom Ausnahmetatbestand des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO gedeckte Weiterleitung des Protokollentwurfs der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 27. 4. 2016 durch den Verwaltungsdirektor an sämtliche an diesem Tag vernommenen Zeugen zur allfälligen Korrektur ist Grundlage der Stattgabe des ersten Eventualbegehrens (in dem vom Erstgericht abgewiesenen Umfang).
[19] 4. Das Berufungsgericht kam in seiner rechtlichen Beurteilung weder zum Ergebnis, dass der Beklagte die Gesundheitsdaten der Klägerin „jeder Person in seiner Sphäre“ zur Kenntnis bringen darf, noch, dass die Klägerin ihr Recht auf Geheimhaltung der in das Verfahren eingebrachten Daten aufgehoben hätte.
[20] 5. Wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, geht es im vorliegenden Verfahren nicht um die Verletzung von Gesundheitsdaten, die dem Beklagten oder der Krankenanstalt im Rahmen eines Behandlungsvertrags mit der Klägerin zur Kenntnis gelangten, sondern um jene Daten, die die Klägerin dem Beklagten anlässlich des von der Klägerin eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahrens offengelegt hat. Die von den Datenschutzbehörden im Zusammenhang mit dem Behandlungsvertrag festgestellten Datenschutzverletzungen können daher das Hauptbegehren in diesem Rechtsstreit nicht begründen.
[21] 6.1. Da sich der Beklagte bei der Verarbeitung der sensiblen Daten der Klägerin auf ein rechtliches Interesse im Sinne des § 9 Abs 2 lit f DSGVO stützen konnte, war noch das Interesse des Beklagten gegen die Geheimhaltungsinteressen der Klägerin abzuwägen (Art 6 Abs 1 lit f DSGVO).
[22] 6.2. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, es lägen keine Umstände vor, die für ein Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses der Klägerin an ihren offengelegten Gesundheits- und sonstigen personenbezogenen Daten gegenüber dem Interesse des Beklagten an der Rechtsverteidigung sprächen, ist aufgrund der konkreten Umstände des Falls vertretbar. Die Verfolgung arbeitsrechtlicher Ansprüche aus einer behaupteten Verletzung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht wiegt hier nicht schwerer als die Abwehr solcher Ansprüche.
[23] 7. Des von der Revisionswerberin angeregten Vorabentscheidungsersuchens bedarf es nicht. Zutreffend ist, dass die Sonderregelungen für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten (auch) dem Schutz spezifischer Grundrechte (ua Art 8 GRC) dienen (vgl Kastelitz/Hötzendorfer/Tschohl in Knyrim, DatKomm [2020] Art 9 DSGVO Rz 13). Eine „uneingeschränkte“ Verarbeitung sensibler Daten – worauf die erste Frage offenbar hinzielt – ist keinesfalls zulässig. Diese Rechtsansicht liegt der Abweisung des Hauptbegehrens auch nicht zugrunde.
[24] Die zweite Frage zielt auf das Zusammenspiel zwischen Art 9 Abs 1 und Art 9 Abs 2 lit f DSGVO ab. Art 9 Abs 2 lit f DSGVO verdrängt Art 9 Abs 1 DSGVO nicht „zur Gänze“, sondern ermöglicht nur in den genannten Ausnahmefällen die Verarbeitung sensibler Daten. Davon, dass die Verarbeitung sensibler Daten nur dann nach Art 9 Abs 2 lit f DSGVO nicht untersagt ist, wenn die Verarbeitung im Sinne des Art 9 Abs 2 lit f DSGVO erforderlich ist, geht auch der erkennende Senat aus. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat im Übrigen bereits ausgeführt, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten für die Verwirklichung des wahrgenommenen berechtigten Interesses auf das absolut Notwendige zu beschränken ist und durch eine Abwägung der Interessen im Einzelfall gerechtfertigt sein muss, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist, diese besonderen Umstände zu würdigen (C‑597/19 , Mircom vs Telenet, Rn 110 f).
[25] 8. Die Ausführungen der außerordentlichen Revision zu dem von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen und vom Erstgericht abgewiesenen Antrag im Zusammenhang mit der Gewährleistungspflicht der Beklagten nach Art 3 EMRK müssen unbeachtlich bleiben, weil die Abweisung dieses Antrags unbekämpft blieb.
[26] 9. Der Anregung der außerordentlichen Revision, beim Verfassungsgerichtshof aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit die Aufhebung des grundsatzgesetz‑ und verfassungswidrigen Zusatzes, des in § 16 Abs 1 Tir KAG ergänzten Wortlauts „personelle“ (in Bezug auf die Angelegenheiten des Verwaltungsleiters) iVm § 11 Abs 1 KAKuG“ zu beantragen, war schon mangels Präjudizialität für das vorliegende Verfahren nicht nachzukommen. Abgesehen davon hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Beschluss vom 25. 2. 2019, E 4231/2018‑15, mit dem eine Behandlung der Beschwerde der Klägerin mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt wurde, ausgeführt, dass der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verstoß des § 16 Abs 4 Tir KAG gegen die Grundsatzbestimmung des § 11 Abs 1 KAKuG nicht vorliegt, weil die in § 11 Abs 1 KAKuG angeführten administrativen Angelegenheiten auch personelle Angelegenheiten umfassen.
[27] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.
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