European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0080OB00007.25Z.0227.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 8. 8. 2012 von einem Händler in Österreich um 37.050 EUR einen am 16. 11. 2012 erstmals zugelassenen Personenkraftwagen der Marke A* (Klagsfahrzeug), in dem ein von der Beklagten hergestellter 2,0 l‑Dieselmotor der Baureihe EA189 mit einer Leistung von 105 kW/143 PS verbaut ist. Das Klagsfahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ).
[2] Das Klagsfahrzeug verfügte ursprünglich über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstandserkennung, welche durch ein Software-Update beseitigt wurde. Weiterhin weist das vom Kläger nach wie vor benützte Klagsfahrzeug aber ein Thermofenster auf, wodurch die Abgasrückführung unter 15 °C und über 33 °C sowie bei einer geodätischen Höhe von mehr als 1.000 m reduziert wird.
[3] Der vom Kläger für das Klagsfahrzeug bezahlte Kaufpreis war branchenüblich und angemessen, wenn man davon ausgeht, dass es den Vorschriften entsprach, also verordnungskonform war. Wären aber zum Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs dem Kläger zwei völlig idente Fahrzeuge angeboten worden – eines mit einer verordnungskonformen Software und eines mit einer zumindest vorerst nicht konformen Software, allerdings mit der Zusage, dass diese illegale Software binnen einer angemessenen Frist durch ein Software-Update behoben beziehungsweise beseitigt wird, ist bezogen auf den Ankaufszeitpunkt von einer fiktiven Wertminderung von etwa 10 % auszugehen, damit das Fahrzeug mit der vorerst illegalen Software gleich gerne gekauft worden wäre wie das von vornherein verordnungskonforme Fahrzeug. Geht man davon aus, dass mit dem Software-Update der Mangel nicht behoben wurde, ist für den weiter bestehenden Mangel eine fiktive Wertminderung von 30 % anzusetzen.
[4] Der Kläger erfuhr nach dem Kauf vom „Dieselskandal“ aus den Medien, bezog diesen jedoch nicht auf sein Fahrzeug. Das Aufspielen des Software-Updates wertete er als eine „Rückrufaktion“. Als im Jahr 2020 die Medien verstärkt über Gerichtsurteile im Zusammenhang mit der Dieselproblematik berichteten, wandte sich der Kläger an die Klagevertreterin und erfuhr, dass sein Fahrzeug davon (weiterhin) betroffen sei. Hätte der Kläger gewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Auto vorliegt, hätte er es nicht um diesen Preis gekauft, sondern um einen geringeren.
[5] Weiters steht fest, dass die der Beklagten zuzurechnenden Personen (Repräsentanten) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass Fahrzeuge mit dem von ihr hergestellten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen waren und an Fahrzeugkäufer wie den Kläger verkauft wurden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen bzw nur einen Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätten.
[6] Der Kläger begehrte die Zahlung von 11.115 EUR – 30 % des Kaufpreises – und die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, welcher ihm aus dem Kauf des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Klagsfahrzeugs künftig entstehe. Der Kläger hätte bei Wissen um die Manipulationen am somit gesetzwidrigen und überteuerten Klagsfahrzeug um 30 % weniger gezahlt. Die Beklagte habe rechtswidrig und schuldhaft, absichtlich, arglistig und sittenwidrig sowie im Wissen um die Schädigung von Verbrauchern, Umwelt und Allgemeinheit gehandelt und hafte nach § 1295 Abs 2 ABGB und § 874 ABGB. Sie hafte weiters wegen Verletzung von Schutzgesetzen, insbesondere §§ 146 ff StGB (Betrug) und Art 5 VO 715/2007/EG .
[7] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte Verjährung ein; das Fahrzeug sei nach der Durchführung einer vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebenen technischen Maßnahme (Software-Update) mängelfrei und entspreche dem vertraglich Geschuldeten.
[8] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt und wies im zweiten Rechtsgang das Feststellungsbegehren ab (was unangefochten blieb). Die Beklagte sei Motorherstellerin und hafte nur nach § 1295 Abs 2 ABGB und § 874 ABGB für die weiterhin unzulässige Abschalteinrichtung. Dieser Mangel begründe einen geringeren Substanzwert, der unter dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis liege. Ihm sei der begehrte Minderwert von 30 % zuzusprechen.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Beklagte hafte wegen Arglist im Zusammenhang mit der Umschaltlogik für den Schaden des Klägers, zu dessen Berechnung die relative Berechnungsmethode heranzuziehen sei. Es gebe keine Hinweise, dass der Kaufpreis nicht dem Wert der geschuldeten Sache entsprochen hätte; es stehe fest, dass die Differenz zwischen diesem Wert und jenem der gekauften Sache 30 % des Kaufpreises betrage.
[10] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Schadenshöhe noch keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.
[11] Die Revision der Beklagten beantragt die gänzliche Klagsabweisung und releviert einerseits, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen im Hinblick auf die erforderlichen Feststellungen zur konkreten Wertminderung nicht der Rechtsprechung entspreche, und andererseits dass konkrete Feststellungen zu arglistigem Verhalten der Beklagten fehlten.
[12] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[14] Vorauszuschicken ist, dass im Revisionsverfahren nur noch Fragen strittig sind, denen zugrunde liegt, dass die Beklagte nicht als Fahrzeugherstellerin, sondern nur als Motorenherstellerin nach § 1295 Abs 2 ABGB und § 874 ABGB, jedoch nicht wegen Schutzgesetzverletzung haftet.
[15] 1.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298; 4 Ob 150/22w Rz 36 ua).
[16] List im Sinn des § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (RS0014837; 10 Ob 31/23s Rz 52 ua). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]): Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (4 Ob 204/23p Rz 40; RS0014827 [T4, T5] ua). Nach § 1295 Abs 2 ABGB ist schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt. Auch dafür genügt bedingter Vorsatz (RS0026603; 6 Ob 161/22b Rz 35 ua).
[17] 1.2. Eine Haftung der Beklagten würde somit voraussetzen, dass ihre Organe oder jene Personen, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung mit selbständigem Wirkungsbereich innehaben, also in verantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion Tätigkeiten für die juristische Person ausüben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind (Repräsentanten; vgl RS0009113; RS0009133; RS0107916; 8 Ob 81/23d Rz 13 ua), es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer verkauft wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollen und ohne diesen Irrtum keinen Kaufvertrag (oder zumindest einen mit anderem Inhalt) schließen würden (10 Ob 31/23s Rz 53).
[18] 1.3. Der Kläger hat sich auf ein derartiges (als arglistig und sittenwidrig zu qualifizierendes) Verhalten, nämlich der Entwicklung eines für den Markt bestimmten „manipulierten“ Motors mit verbotener Abschalteinrichtung, durch die Beklagte bzw ihre (namentlich genannten) Organe und leitenden Mitarbeiter berufen.
[19] Zu ähnlichen Behauptungen hat der Oberste Gerichtshof schon grundsätzlich klargestellt, dass darin eine für den Vertragsabschluss des Fahrzeugkäufers kausale Täuschung liegen kann, wenn er das Fahrzeug sonst nicht erworben hätte (4 Ob 204/23p Rz 36 und 43; 6 Ob 161/22b Rz 31 und 37; 4 Ob 150/22w Rz 33 und 41 ua).
[20] 1.4. Der Revision ist dahin recht zu geben, dass die Feststellungen bloß die allgemeine Umschreibung der in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs umrissenen Haftungsvoraussetzungen wiedergeben, ohne diese auf den konkreten Fall bezogen zu substanziieren, indem sich die Feststellungen des Erstgerichts nicht auf bestimmtes Verhalten konkreter Personen beziehen. Sie tragen daher die Qualifikation als der Beklagten zurechenbares arglistiges Verhalten nicht, was auch in der Revisionsbeantwortung des Klägers nicht in Frage gestellt wird, indem dort auf dieses von der Revision aufgeworfene Thema gar nicht mehr eingegangen wird.
[21] 1.5. Die Revision zeigt mit diesem Fehlen erforderlicher Feststellungen eine erhebliche Rechtsfrage auf, was zur Folge hat, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen schon aus diesem Grund keinen Bestand haben können.
[22] 2. Aus Anlass der – wie dargelegt jedenfalls erforderlichen – Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen sind auch folgende weitere in der Revision aufgezeigte Aspekte aufzugreifen:
[23] 2.1. Der Ersatz für die Verletzung des unionsrechtlichen Schutzgesetzes der „Verordnung (EG) 715/2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge“ wird primär nach unionsrechtlichen Anforderungen bestimmt. Zur darauf gegründeten Höhe des Schadenersatzanspruchs betreffend den Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs judiziert der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 10 Ob 27/23b, dass der zu ersetzende Betrag grundsätzlich im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von einer Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen‑) Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % bis 15 % des Kaufpreises festzusetzen ist (RS0134498). Ebenso wurde aber auch bereits mehrmals entschieden, dass dies nicht ausschließt, dass der Minderwert exakt festgestellt wird und der Käufer dessen Ersatz verlangen kann (RS0134498 [T6]). Dafür bedarf es Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags, insbesondere dazu, welchen Verkehrswert das Fahrzeug in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung aufwies bzw zu welchem Preis ein solches Fahrzeug (damals) gehandelt worden wäre (10 Ob 7/24p mwN = RS0113651 [T6]).
[24] 2.2. Diese Rechtsprechung zur Bandbreite von 5 % bis 15 % kommt für die Berechnung der Schadenshöhe aber nicht zur Anwendung, wenn – wie hier – bei Festhalten am Vertrag der Anspruchsgrund in § 874 ABGB und § 1295 Abs 2 ABGB liegt, weil die arglistig handelnde Beklagte nicht Herstellerin des Fahrzeugs, sondern nur des mit der Abschalteinrichtung versehenen Motors ist. In solchen Fällen hat sie vielmehr nur nach nationalen Regeln, also nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen (RS0134498 [T7]; zB 4 Ob 204/23p Rz 51; 6 Ob 19/24y Rz 16; 2 Ob 158/23h Rz 23; 10 Ob 31/23s Rz 51; 2 Ob 139/23i Rz 25; 4 Ob 88/24f Rz 18).
[25] 2.3. Der Revision ist insofern recht zu geben, als in einem solchen, keine unionsrechtlichen schutzgesetzlichen Implikationen aufweisenden Fall die Feststellung „fiktiver“ Wertminderungen wie hier für die Ermittlung der konkret begehrten Wertminderung des konkreten Klagsfahrzeugs nicht genügen. Ausreichende Feststellungen fehlen insbesondere dazu, welchen Verkehrswert das konkrete Klagsfahrzeug im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung aufwies bzw zu welchem Preis ein solches Fahrzeug (damals) gehandelt worden wäre; relevant ist somit, welcher Preis für entsprechend mangelhafte Fahrzeuge unter der Voraussetzung tatsächlich erzielt worden wäre, dass die Käufer die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf nahmen (10 Ob 7/24p mwN = RS0113651 [T6]). Feststellungen, wie sich „durchschnittliche“ oder „nicht durchschnittliche“ Käufer bei Kenntnis vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung verhalten würden (10 Ob 46/23x Rz 19; 5 Ob 33/24z Rz 25; vgl unlängst 7 Ob 194/24s Rz 2 zu einer nach RS0134498 grundsätzlich möglichen Minderwertsbemessung) oder unpräzise Feststellungen, wie sie hier getroffen wurden, genügen dafür nicht (vgl 8 Ob 95/24i Rz 8 mwN).
[26] 2.4. Soweit die Revision der Beklagten vermeint, mit der Darlegung, dass der Kaufpreis dem Wert der geschuldeten Sache entspreche, sei „eigentlich alles gesagt“, und dies im Widerspruch zu sonstigen Feststellungen sehen will, missversteht sie diese Ausführungen des Berufungsgerichts gänzlich. Es brachte damit bloß zum Ausdruck, dass ein mängelfreies Fahrzeug einen Verkehrswert gehabt hätte, der dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis entsprochen hätte. Hier steht aber fest, dass das Klagsfahrzeug den Anforderungen an „die geschuldete Sache“ – ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung – gerade nicht entsprach. Welchen Wert das solcherart mit Mängeln behaftete Klagsfahrzeug konkret hatte, bleibt hingegen festzustellen.
[27] 2.5. Zur Frage der Wertminderung ist im Übrigen auch darauf hinzuweisen, dass bislang nur feststeht, dass der Kläger das Fahrzeug um einen geringeren Preis erworben hätte. Um welchen konkreten Preis er sich dazu entschlossen hätte, und ob dieser – wie behauptet – mit einem konkreten Minderwert zur Deckung zu bringen wäre, steht hingegen nicht fest, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen auch insofern ergänzungsbedürftig sind.
[28] 3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)