European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00070.76.0602.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
„Die Klagsforderung besteht mit dem Betrag von 13.620,67 S zu Recht, mit dem Betrag von 6.810,33 S nicht zu Recht.
Die Gegenforderung besteht mit dem Betrag von 6.810,33 S zu Recht, im übrigen bis zur Höhe der zu Recht bestehenden Klagsforderung nicht zu Recht.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin den Betrag von 6.810,34 S samt 8,5 % Zinsen seit 12. 12. 1972 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von 13.620,66 S samt 8,5 % Zinsen seit 12. 12. 1972 wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten ein Drittel der mit 15.329 S bestimmten Prozeßkosten, das sind 5.109,67 S (darin die Barauslagen von 1.770,34 S und die Umsatzsteuer von 248 S) sowie ein Drittel der mit 1.392,20 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens, das sind 464,06 S (darin die Barauslagen von 26,66 S und die Umsatzsteuer von 32,40 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.“
Die Klägerin ist weiters schuldig, dem Beklagten ein Drittel der mit 2.054,64 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens, das sind 684,88 S (darin die Barauslagen von 160 S und die Umsatzsteuer von 38,88 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 11. Dezember 1972 ereignete sich um 7 Uhr 45 in * auf der Kreuzung M*gasse-W*straße-J*platz ein Verkehrsunfall. Beteiligt waren das von M* gelenkte Taxi Mercedes 220, *, dessen Halter W* war, und der Beklagte als Lenker und Halter des PKW Alfa Romeo, *. Der Beklagte war durch die M*gasse Richtung T*straße gefahren und hatte die Absicht, auf der Kreuzung nach links einzubiegen. Der Taxilenker kam aus der Gegenrichtung durch die M*gasse, um die Kreuzung geradeaus zu überqueren. W* hat der klagenden Partei seinen der Höhe nach nicht mehr bestrittenen Schaden im Betrag von 20.431 S zediert.
Die Klägerin begehrte nach Klagseinschränkung den Ersatz dieses Schadens mit der Begründung, den Beklagten treffe das Alleinverschulden, weil er ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr nach links eingebogen sei.
Der Beklagte wendete ein, daß dem Taxilenker das Alleinverschulden anzulasten sei; dieser sei infolge überhöhter Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit an das verkehrsbedingt angehaltene Fahrzeug des Beklagten angefahren. Überdies setzte der Beklagte seinen eigenen Unfallsschaden in der unbestrittenen Höhe von 20.431 S dem Klagsanspruch aufrechnungsweise entgegen.
Das Erstgericht wies im ersten Rechtsgang das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß den Taxilenker das Alleinverschulden treffe.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil ohne Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes zur Verfahrensergänzung auf.
Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht – ausgehend von einer Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin – die Klagsforderung mit 6.810,33 S als zu Recht bestehend, die Gegenforderung mit 13.620,67 S als zu Recht bestehend und wies das Klagebegehren daher ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Ausgehend vom gleichteiligen Verschulden der Beteiligten erkannte es die Klagsforderung –unter Vernachlässigung der Groschenbeträge – mit dem Teilbetrag von 10.215 S als zu Recht bestehend, die Gegenforderung in gleicher Höhe als zu Recht bestehend und wies daher das Klagebegehren ab.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z. 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren unter Verneinung der Gegenforderung zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein entsprechender Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise gerechtfertigt.
Das Erstgericht legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Bei der Unfallskreuzung handelt es sich um eine weiträumige Kreuzung, über der diagonal zur Kreuzung zwei Ampeln hängen, die den Verkehr regeln. Die Lichtverhältnisse waren zur Unfallszeit einwandfrei. Die Fahrbahnoberfläche war naß. Beide Fahrzeuge waren bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren. Das Taxi fuhr durch die M*gasse zunächst in einer Kolonne auf der rechten der beiden in Richtung H* führenden Fahrspuren. Diese Kolonne geriet bei der Kreuzung mit dem J*platz ins Stocken, weil die vor dem Taxi befindlichen Fahrzeuge, darunter ein Gelenksautobus der Linie * und dahinter noch LKWs nach rechts abbiegen wollten. Der Gelenksautobus konnte dieses Abbiegemanöver wegen am Fußgängerübergang des J*platzes befindlicher Passanten nicht durchführen. Er blieb daher davor stehen und ragte mit seinem hinteren Ende in die Kreuzung hinein. Der Taxilenker, der die Kreuzung geradeaus überqueren wollte, scherte nun aus dieser Kolonne aus und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h in die Kreuzung ein. Der Beklagte war aus der Gegenrichtung gekommen und wollte nach links Richtung F* abbiegen. Wegen der Fußgänger am Fußgängerübergang blieb er aber im Kreuzungsbereich stehen, wobei er etwa 2,5 m über der gedachten Mittellinie der M*gasse im Kreuzungsbereich auf seiner linken Fahrbahnseite zum Stillstand kam und dort einige Zeit stand. Aus dieser Position wollte der Beklagte das Freiwerden des Fußgängerüberganges abwarten, um sein Abbiegemanöver dann durchzuführen. Plötzlich kam das Taxi hinter dem im Kreuzungsbereich stehenden Gelenksautobus hervor und stieß – obwohl der Taxilenker ein Bremsmanöver eingeleitet hatte – gegen das Fahrzeug des Beklagten, das in dieser Position schon längere Zeit stillstand. Der Anstoß erfolgte am Taxi im Bereich des linken vorderen Kotflügels, am Fahrzeug des Beklagten im Bereich der rechten vorderen Seite. Durch den Anstoß wurde das Fahrzeug des Beklagten, wenn überhaupt, so nur ganz geringfügig zurückgestoßen. Die gegenseitige Sichtbehinderung durch den Gelenksautobus war derart, daß der Beginn der Anhaltestrecke des Taxis vor dem im Kreuzungsbereich stehenden Fahrzeug des Beklagten bei einer Geschwindigkeit von mehr als 30 km/h und unter Berücksichtigung seines Fahrstreifenwechsels im Bereich des Sichtschattens des Gelenksautobusses lag.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß beiden Fahrzeuglenkern ein fahrtechnisches Fehlverhalten anzulasten sei. Der Beklagte habe entgegen den Vorschriften der §§ 13 Abs. 2 und 12 Abs. 1 StVO die für den Gegenverkehr vorgesehene Fahrbahn durch sein Fahrzeug zumindest zum Teil blockiert, anstatt vor dem Kreuzungsmittelpunkt die Durchführbarkeit des von ihm beabsichtigten Abbiegemanövers abzuwarten. Dem Taxilenker sei hingegen zum Vorwurf zu machen, daß er entweder mit nicht genügender Aufmerksamkeit oder nicht auf Sicht gefahren sei, so daß es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, auf das Hindernis auf seiner Fahrbahn unfallsverhütend zu reagieren. Durch den Gelenksbus sei dem Taxilenker die Sicht auf seine Fahrspur genommen worden. Er hätte daher an diesem Fahrzeug nur mit einer solchen Geschwindigkeit vorbeifahren dürfen, die es ihm jederzeit erlaubt hätte, auf ein dahinter befindliches Hindernis unfallsverhütend zu reagieren. Das Verschulden sei daher im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten des Taxilenkers zu teilen.
Das Berufungsgericht übernahm die erstrichterlichen Feststellungen zur Gänze und folgerte aus ihnen insbesondere, daß das Beklagtenfahrzeug schon stand, als der Taxilenker, nachdem er aus dem Sichtschatten des Autobusses herausgefahren war, es erstmalig sehen konnte. Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht insbesondere aus: Am Verschulden des Beklagten könne kein Zweifel bestehen. Er sei entgegen der Vorschrift des § 13 Abs. 2 StVO beim Linkseinbiegen ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr über die Kreuzungsmitte hinausgefahren und habe sich gegenüber dem Taxi gemäß § 19 Abs. 5 StVO im Nachrang befunden. Daran könne der Umstand, daß er vor der Kollision schon „längere Zeit“ gestanden sei, nichts ändern. Auch wenn zunächst keine Fahrzeuge in die Kreuzung eingefahren seien, um diese geradeaus zu übersetzen, hätte der Beklagte sein Einbiegemanöver nur dann beginnen dürfen, wenn er hätte annehmen dürfen, daß er die Kreuzung zügig werde räumen können. Bei der gegebenen Verkehrslage habe er aber damit rechnen müssen, daß er wegen der Fußgänger längere Zeit sein Einbiegemanöver nicht werde beenden können. Er hätte daher nicht über die Fahrbahnmitte fahren dürfen. Da er die für den bevorrangten Verkehr bestimmten Teile der Fahrbahn blockiert habe, habe er den Vorrang des Taxis verletzt.
Aber auch dem Lenker des Taxis sei ein Verschulden anzulasten, weil der PKW des Beklagten schon längere Zeit vor dem Zusammenstoß angehalten worden sei. Ob der Taxilenker vor dem Fahrstreifenwechsel die Möglichkeit gehabt hätte, den PKW des Beklagten zu sehen, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Das Verschulden des Taxilenkers wiege jedoch gleich schwer, gleichgültig, ob er trotz Sichtmöglichkeit auf den stehenden PKW durch Unaufmerksamkeit nicht reagiert habe, oder ob er nicht auf Sicht gefahren sei. So gelangte das Berufungsgericht zur Annahme des gleichteiligen Verschuldens.
Mit ihren Ausführungen zum Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO macht die Klägerin im wesentlichen Feststellungsmängel geltend. Die dem Obersten Gerichtshof vorliegende Tatsachengrundlage reicht jedoch, wie noch darzulegen sein wird, zur abschließenden Beurteilung der Verschuldensaufteilung aus:
Der Revision ist zuzugeben, daß die Feststellung des Erstrichters, wonach der PKW des Beklagten bereits „längere Zeit“ vor dem Zusammenstoß stand, für sich allein betrachtet undeutlich ist. Da jedoch feststeht, daß beide Verkehrsteilnehmer erst nach Beginn der Grünphase in die Kreuzung einfuhren, erscheint der frühest mögliche Zeitpunkt des Stillstandes hinreichend umschrieben. Andererseits hat das Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang des festgestellten Unfallsherganges gefolgert, daß das Kraftfahrzeug des Beklagten jedenfalls schon stand, als der Taxilenker, nachdem er aus dem Sichtschatten des Autobusses herausgefahren war, es erstmalig sehen konnte. Mit dieser der Tatsachengrundlage zuzuordnenden Annahme des Berufungsgerichtes, deren Zustandekommen nicht gerügt wurde, ist aber auch der spätestmögliche Zeitpunkt dieses Stillstandes in einer für die rechtliche Beurteilung ausreichenden Weise bestimmt. Es kann daher auf sich beruhen, ob die auf die Reaktionszeit des Taxilenkers abgestellte Umschreibung dieses Zeitraumes tragfähig ist.
Was die Feststellungen über den Anhalteweg anlangt, so wurde die Wegstrecke umschrieben, die erforderlich gewesen wäre, um das Taxi unter Bedachtnahme auf dessen festgestellte Fahrweise (Geschwindigkeit, Ausschwenken etc) bis zur Kollisionsstelle zum Stillstand zu bringen. Lag aber der Beginn dieses Anhalteweges nach den Feststellungen noch im Bereich des Sichtschattens des Gelenksautobusses, dann folgt hieraus, daß der Taxilenker durch die festgestellte Fahrweise gegen den Grundsatz des Fahrens auf Sicht verstoßen hat. Bedenkt man, daß Sicht, Aufmerksamkeit und Fahrgeschwindigkeit in einem so untrennbaren Zusammenhang stehen, daß nur das richtige Verhältnis dieser drei Komponenten der Bestimmung des § 20 StVO gerecht wird, und berücksichtigt man, daß der Taxilenker, seinen Fahrstreifen wechselnd, mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h in einen uneingesehenen Raum einfuhr, ohne nach der Verkehrslage annehmen zu dürfen, daß dies gefahrlos geschehen könnte, dann fällt ihm ein Verschulden an dem Unfall zur Last, das – entgegen den Revisionsausführungen – nicht vernachlässigt werden darf.
Daß den Beklagten ein Verschulden trifft, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Da die Unfallskreuzung nach den Feststellungen ampelgeregelt war, hat der Beklagte gegen die Bestimmung des § 38 Abs. 4 StVO zuwidergehandelt. Nach dieser Gesetzesstelle dürfen Linksabbieger bei Grünlicht Fußgänger, welche die Fahrbahn im Sinne der für sie geltenden Regelung (§ 76 Abs. 3) überqueren und die Benützer der freigegebenen Fahrstreifen weder behindern, noch gefährden und müssen den entgegenkommenden, geradeaus fahrenden, sowie den entgegenkommenden, nach rechts einbiegenden Fahrzeugen den Vorrang geben. Ebenso wie die Regelung des § 38 Abs. 2, dritter Satz StVO die Regelung des § 19 Abs. 5 StVO bekräftigt (vgl. 2 Ob 7/74 u.a.) entspricht die durch § 38 Abs. 4, dritter Satz, getroffene Regelung jener des § 19 Abs. 5 StVO. Der von der Rechtsprechung diesbezüglich entwickelte Grundsatz, wonach Linksabbiegemanöver nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn mit Sicherheit damit gerechnet werden kann, daß durch sie bevorrangte Verkehrsteilnehmer weder zu einer Ablenkung noch zu einer unvermittelten Bremsung genötigt werden (ZVR 1964/247, 1966/297, 1973/82; 2 Ob 233/74 u.a.), hat somit auch hier Anwendung zu finden. Da der Beklagte im Hinblick auf die von ihm zu beachtenden, bei Grünlicht die Fahrbahn überquerenden Fußgänger und den nach § 38 Abs. 4, 3.Satz, bevorrangten rechtseinbiegenden Autobus keineswegs damit rechnen durfte, daß er die für den nach § 38 Abs. 4 bevorrangten Gegenverkehr bestimmte Gegenfahrbahn ohne dessen Behinderung werde räumen können, durfte er sein Einbiegemanöver nicht in einer Weise beginnen, daß er 2,5 m in die Gegenfahrbahn einbog und dort ein Hindernis für den bevorrangten Gegenverkehr bildete, mit dem nach der Verkehrslage zu rechnen war. Der Umstand, daß der nach rechts einbiegende Autobus dem Beklagten zunächst die Sicht auf das dahinter fahrende bevorrangte Taxi nahm, vermag sein Verhalten nicht zu rechtfertigen.
Der Revision ist somit dahin beizupflichten, daß die dem Beklagten anzulastende Verletzung des dem Taxilenker nach § 38 Abs. 4 StVO gebührenden Vorrangs schwerer wiegt, als das dem Taxilenker anzulastende Fehlverhalten. Unter Bedachtnahme auf den Grad der Fahrlässigkeit und der Bedeutung, die den verletzten Verkehrsvorschriften für die Abwicklung des geregelten Straßenverkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall zukommt (ZVR 1974/218, 247 u.a.), erachtet der erkennende Senat eine Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Beklagten für gerechtfertigt.
Dementsprechend war die Klagsforderung mit zwei Drittel, die Gegenforderung mit einem Drittel als zu Recht bestehend zu erkennen und spruchgemäß zu entscheiden.
Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf dem § 43 Abs. 1 und 2 ZPO, jener über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO.
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