OGH 8Ob66/75

OGH8Ob66/7516.4.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Benisch, Dr. Thoma, Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* S*, Viehhändler, *, vertreten durch Dr. Hans Maxwald, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) J* S*, Schweißer, *, 2.) C*AG., *, beide vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 94.149,75 und S 38.592,09 sowie Feststellung infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 8. November 1974, GZ. 5 R 179/74‑29, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 1. August 1974, GZ. 4 Cg 493/72‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0080OB00066.75.0416.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Den Revisionen beider Parteien wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.164,56 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin die Umsatzsteuer von S 142,56 und die Barauslagen von S 240,— ) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 27. Dezember 1971 um ca. 6,45 Uhr wurde der Kläger auf der Langstögner-Gemeindestraße vor dem Hause Langstögen Nr. 9 von dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW., dessen Halter er war, niedergestoßen und schwer verletzt. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer hinsichtlich dieses PKWs. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles rechtskräftig verurteilt, weil er auf den auf der Fahrbahn als Einweiser stehenden Kläger zu spät reagierte.

Der Kläger begehrt Ersatz eines Schadens von S 167.908,50, darunter ein Schmerzengeld von S 120.000,— und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, hinsichtlich der Zweitbeklagten mit der Beschränkung auf den Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages. Er macht Alleinverschulden des Erstbeklagten geltend, da dieser zu spät reagiert habe.

Die Beklagten wenden ein Mitverschulden des Klägers zu 2/3 ein, da er bei Herannahen des PKWs des Erstbeklagten die Fahrbahn nicht verlassen habe.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von S 73.758,75, stellte die Haftung der Beklagten für die Hälfte der künftigen Schäden des Klägers, hinsichtlich der Zweitbeklagten mit der Beschränkung auf den Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages fest und wies das Mehrbegehren ab.

Das Urteil des Erstgerichtes, das hinsichtlich des Zuspruches von S 35.166,66 und der Feststellung der Haftung für die Hälfte der Schäden unangefochten blieb, wurde im übrigen vom Berufungsgericht bestätigt.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien aus dem Anfechtungsgrunde des § 503 Z 4 ZPO. Der Kläger bekämpft es im abweisenden Teil und stellt die Anträge, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klage zur Gänze stattgegeben werde oder daß dem Kläger ein weiterer Betrag von S 52.172,62 zugesprochen und die Haftung der Beklagten für 3/4 der künftigen Schäden festgestellt werde. Die Beklagten fechten das Urteil insoweit an, als dem Kläger mehr als ein Betrag von S 35.166,66 zugesprochen und die Haftung der Beklagten für mehr als 1/3 festgestellt wurde. Sie stellen die Anträge, das Urteil dahin abzuändern, daß das den Betrag von S 35.166,66 übersteigende Mehrbegehren abgewiesen werde oder es aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Der Kläger stellt den Antrag, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben. Diese haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Untergerichte gingen von folgendem Sachverhalt aus:

Zur Unfallszeit war es noch finster. Der Kläger fuhr mit einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h und abgeblendeten Scheinwerfern durch die Ortschaft Langstögen in Richtung Prambachkirchen. Die Fahrbahn der Gemeindestraße ist im Bereich der Unfallstelle 4,30 bis 4,50 m breit. Nördlich der Fahrbahn ragt die südliche Hausecke des Hauses Langstögen Nr. 9 an die Asphaltfahrbahn bis auf 0,80 m heran. Die Gemeindestraße beschreibt in der Fahrtrichtung des Erstbeklagten einen Rechtsbogen. Der Erstbeklagte wurde durch die Hausecke in seiner Sicht derart behindert, daß er bei der Annäherung an sie erst 8 m vor der Hausecke den weiteren Verlauf der Straße jenseits der Hausecke einsehen konnte. Nach der Hausecke verläuft die Straße vorerst geradeaus, sodaß von der Hausecke aus eine Strecke von mindestens 100 m eingesehen werden kann. Westlich des Hauses Langstögen 9 findet sich eine unebene morastige Wiesenfläche. Als der Erstbeklagte sich der Hausecke näherte, standen auf der beschriebenen Wiesenfläche jenseits der Hausecke zwei LKWs des Klägers. Der Kläger und sein Fahrer J* O* hatten Schweine geladen. Der LKW., den der Kläger selbst lenkte, stand parallel zur westlichen Hausmauer des Hauses Nr. 9 mit der Front nahe der Hausecke. Bei diesem LKW. war das Abblendelicht eingeschaltet, das in einem Winkel von ca. 70 Grad zur Fahrbahnachse quer über die Straße leuchtete. Der andere LKW. stand weiter westlich auf dem Wiesenvorplatz und zwar mit dem Heck in Richtung zur Straße. O* wollte nach rechts auf die Straße zurückfahren, um dann in Richtung Prambachkirchen weiterfahren zu können. Auf dem Vorplatz war Morast, sodaß O* Schwierigkeiten hatte, auf die Straße herauszufahren. Der Kläger wollte dem O* beim Herausfahren als Einweiser behilflich sein. Er begab sich zu diesem Zwecke auf die Fahrbahn. Als der Erstbeklagte sich der Hausecke näherte, bemerkte er das Licht des abgestellten LKWs. Auch sein Vater machte ihn darauf mit den Worten aufmerksam, daß da etwas ankomme. Der Erstbeklagte betätigte noch vor der Hausecke die Hupe, die der Kläger wegen des Lärms, den die Schweine machten, nicht hörte. Erst als der Erstbeklagte an die Hausecke herankam, bemerkte er, daß das Licht von einem außerhalb der Fahrbahn abgestellten LKW. stammte. Den auf der Fahrbahn befindlichen Kläger bemerkte der Erstbeklagte erst, als er sich ihm auf ungefähr 13 m genähert hatte. Es gelang ihm nicht mehr, den PKW. durch Bremsen vor dem Kläger zum Stillstand zu bringen und stieß noch mit einer Restgeschwindigkeit von 17 bis 18 km/h gegen den Kläger. Dieser hatte den herankommenden PKW. überhaupt nicht bemerkt. Er befand sich beim Anstoß ungefähr 2 m vom rechten Fahrbahnrand – in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen – entfernt und zwar ca. 19 m westlich der Hausecke. Der Kläger wurde durch den Anstoß auf den Kofferraumdeckel geworfen und fiel in die Windschutzscheibe, die zerbrach. Eine Blendwirkung durch den abgestellten LKW. war für den Kläger nur gegeben, wenn er vom Fahrbahnverlauf weg in Richtung dieses LKWs, schaute. Das Fahrzeug des Erstbeklagten wurde für den Kläger 3,5 Sekunden vor dem Zusammenstoß sichtbar. Er hätte nach dem Auftauchen dieses Fahrzeuges ausreichend Zeit gehabt, um die Fahrbahn mit einigen Schritten zu verlassen. Nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Erkenntnisses hätte der Erstbeklagte mindestens 3 Sekunden vor der Kollision auf Grund der Position des Klägers auf der Fahrbahn erkennen können, daß ohne sofortiges Anhalten ein Zusammenstoß mit dem Fußgänger drohe. Der Erstbeklagte hätte sein Fahrzeug vor dem Kläger anhalten können, wenn er 2,1 Sekunden früher (15,2 m) den Bremsentschluß gefaßt hätte. Der Kläger erlitt durch den Unfall einen Trümmerbruch des linken Unterschenkels, eine Rißquetschwunde am rechten Handrücken und tiefe Hautabschürfungen in der Stirngegend. Er befand sich 31 Tage im Allgemeinen Krankenhaus Linz. Nach Schockbekämpfung wurde am 28. Dezember 1971 eine Unterschenkelmarknagelung durchgeführt und ein gespaltener Oberschenkelgips angelegt. Am 21. Jänner 1972 wurde der Kläger mit einem Oberschenkelgehgips entlassen. Er befand sich dann bis 28. Juni 1972 in ambulanter Behandlung. Am Anfang hatte der Kläger große Schwierigkeiten beim Gehen mit dem Gips. Nach der Gipsabnahme am 29. März 1972 erhielt der Kläger durch 16 Tage einen Zinkleimverband. In den folgenden Wochen kam es zu einer Sudek'schen Atrophie im Sprunggelenk. Der Kläger wurde deswegen vom 3. Juli bis 7. Juli 1972 neuerlich in das Krankenhaus aufgenommen. Durch gezielte Behandlung wurde eine Besserung der subjektiven Beschwerden erzielt. Bis zur zweiten Krankenhausentlassung mußte der Kläger mit zwei Krücken gehen. Nach der zweiten Krankenhausentlassung konnte er mit einer Krücke und bald darauf bis zum Ende des Jahres 1972 mit einem Stock gehen. Die Beweglichkeit im Knie und Sprunggelenk hatte sich bis dorthin etwas gebessert. Seit Beginn des Jahres 1973 kann der Kläger ohne Stock gehen. Sein Unterschenkel schwillt aber bei Belastung noch an. Die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk ist geringfügig vermindert. Im oberen Sprunggelenk ist die Dorsallflexion ca. um 15 Grad vermindert. Die Bruchstelle ist noch deutlich unter der Haut hervorgewölbt, tastbar und druckschmerzhaft. Auch der innere Knöchel ist druckschmerzhaft. Die Entfernung des Marknagels ist angezeigt. Dadurch dürfte es zu einer Besserung der Bewegungseinschränkung kommen. Als Unfallsfolge besteht ein Knickfuß des linken Beines, der die Verwendung orthopädischer Einlagen notwendig macht. Die Bewegungseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenkes wird sich noch etwas rückbilden. Eine völlige Ausheilung ist aber nicht zu erwarten. Die Sudek’sche Atrophie hat sich inzwischen rückgebildet. Gewisse Durchblutungsstörungen sind aber noch vorhanden, werden sich aber auch zurückbilden. Bis März 1972 war der Kläger völlig arbeitsunfähig. Im landwirtschaftlichen Betrieb ist der Kläger auch heute noch behindert. Bis 31. Juli 1972 erlitt der Kläger 15 Tage starke 25 bis 30 Tage mittelstarke und 2 bis 3 Monate leichte Schmerzen. Infolge der Atrophie hatte der Kläger bis 31. Juli 1973 noch weitere 4 bis 6 Wochen leichte Schmerzen. Vom 1. August 1973 bis 31. Juli 1974 erlitt er noch 40 Tage leichte Schmerzen. Die Marknagelentfernung wird voraussichtlich noch drei Tage mittlere und 1 bis 2 Wochen leichte Schmerzen verursachen.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Verschuldensfrage sowie die Höhe des Schmerzengeldes strittig.

Das Erstgericht führte zur Frage des Verschuldens aus, das Verschulden des Erstbeklagten ergebe sich bindend auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilung. Er habe zu spät auf den auf der Fahrbahn stehenden Kläger reagiert. Diesen treffe ein gleichteiliges Mitverschulden. Er habe als Einweiser keine straßenpolizeiliche Vollmacht gehabt und habe daher nicht darauf vertrauen dürfen, daß andere Verkehrsteilnehmer sich nach ihm richten. Es sei nicht notwendig gewesen, das Einweisen des LKWs. von der Fahrbahn aus durchzuführen. Der Kläger hätte insbesondere den Straßenverlauf in Richtung zur Hausecke beobachten müssen, weil vornehmlich aus dieser Richtung Gefahr gedroht habe. Unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzungen und Schmerzen sei ein Schmerzengeld auf der Bemessungsgrundlage von S 100.000,— zuzusprechen.

Das Berufungsgericht billigte die Ansicht des Erstgerichtes sowohl in der Beurteilung der Verschuldensfrage als auch in der Bemessung des Schmerzengeldes.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht gerechtfertigt.

1.) Zum Verschulden:

Der Kläger hält daran fest, daß ihm kein Mitverschulden angelastet werden könne. Die Verkehrssicherheit habe es erfordert, daß er sich beim Herausfahren des LKWs, als Einweiser betätigt habe. Er habe somit nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig gehandelt. Dem Erstbeklagten sei eine ausreichende Sichtstrecke zur Verfügung gestanden, um rechtzeitig anhalten zu können. Auch das an der Hausecke auf die Fahrbahn leuchtende Abblendlicht des zweiten LKWs, sei für den Erstbeklagten ein deutliches Warnzeichen vor einem möglichen Hindernis auf der Fahrbahn gewesen. Als Einweiser sei er nicht einem Fußgänger im Sinne des § 76 StVO gleichzusetzen. Er habe sich daher auch nicht unbedingt am äußersten Fahrbahnrand aufstellen müssen. Er habe nicht nur den Verkehr beobachten, sondern auch mit dem Lenker des rückwärtsfahrenden LKWs. Kontakt halten müssen.

Der Hinweis des Klägers auf das Verschulden des Erstbeklagten, das nicht strittig ist, ist nicht geeignet, die Annahme eines Mitverschuldens auf seiner Seite völlig auszuschließen. Soweit er auf die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens als Einweiser verweist, ist dem entgegenzuhalten, daß das Mitverschulden des Geschädigten an der Herbeiführung seines eigenen Schadens im Sinne des § 1304 ABGB. (§ 7 Abs 1 EKHG.) nicht die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens voraussetzt, sondern nur die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht I S 183 ff.). Es ist daher für die Beurteilung des Mitverschuldens des Klägers auch nicht entscheidend, ob auf ihn in seiner Funktion als Fahrzeugeinweiser die Verhaltensvorschriften für Fußgänger nach § 76 StVO, anzuwenden sind. Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes herrschte zur Unfallszeit noch Dunkelheit. Der Kläger mußte sich bewußt sein, daß er sich im höchsten Maße selbst gefährdete, wenn er sich fast in der Mitte der Fahrbahn aufstellte. Wie die Untergerichte zutreffend ausgeführt haben, bestand keine Notwendigkeit, daß er sich zur Ausführung seiner Einweisertätigkeit mitten auf die Fahrbahn stellte. Um den vom LKW.‑Lenker durch die vorstehende Hausecke nicht einsehbaren Straßenverlauf beobachten zu können, wäre vielmehr ein Standort des Klägers am linken Fahrbahnrand – in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen – weitaus zweckmäßiger gewesen. Die Möglichkeit der Herstellung des Kontaktes zum Lenker des zurückfahrenden LKWs, wäre dadurch nicht verschlechtert worden. Der Kläger hätte daher nicht zuletzt auch wegen seines gefährlichen Standortes auf der Fahrbahn dem aus Richtung der verkehrsbehindernden Hausecke herankommenden Verkehr besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Tatsächlich hat der Kläger den herankommenden PKW. des Erstbeklagten überhaupt nicht wahrgenommen. Seine mangelnde Aufmerksamkeit hat daher nicht im geringeren Maße an dem Zustandekommen des Unfalles beigetragen, als die ebenfalls auf einen Aufmerksamkeitsfehler zurückzuführende verspätete Reaktion des Erstbeklagten. Bei der gegebenen Sachlage kann auch in der – von beiden Teilen bekämpften – gleichteiligen Schadensaufteilung der Untergerichte ein Rechtsirrtum nicht gefunden werden.

2.) Zum Schmerzengeld:

Der Kläger strebt eine Erhöhung des Schmerzengeldes auf einer Bemessungsgrundlage von S 120.000,—, die Beklagten eine Senkung auf einer Bemessungsgrundlage von S 70.000,— an.

Beide Revisionswerber vermögen für ihre Standpunkte aber keine überzeugende Argumente vorzubringen. Die Untergerichte haben alle für die Bemessung des Schmerzengeldes maßgebenden Faktoren sorgfältig berücksichtigt. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher weder zu einer Erhöhung noch zu einer Herabsetzung des Schmerzengeldes veranlaßt.

Beiden Revisionen mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40, 41 und 50 ZPO.

 

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