European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00005.76.0204.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Beide Parteien haben die Kosten ihres Rekurses aus eigenem zu tragen.
Begründung:
Der Kläger fuhr am 7. September 1973 um 03 Uhr 30 in einem durch Alkoholsierung beeinträchtigten Zustand mit seinem PKW, Marke BMW 2800, in * auf der B*straße stadteinwärts. Vor der Kreuzung B*straße-S*straße hatte die Beklagte auf der Straße eine Baustelle errichtet, wobei eine ca. 60 cm tiefe Baustellenaufgrabung vorhanden war, die zum Unfallszeitpunkt durch eine Leitplanke und durch Fähnchenschnüre abgesichert war. Der Kläger übersah diese Absicherung und fuhr mit seinem PKW in diese Baugrube. Dadurch entstanden an seinem PKW Schäden, deren Behebung 9.181 S kosteten.
Die mit diesen Arbeiten jahrelang betreuten und bestens vertrauten sowie als verläßlich bekannten Arbeiter haben sowohl vor dem Unfall als auch am Unfallstag die Baustelle dadurch abgesichert, daß sie bei Einbruch der Dunkelheit drei Laternen, die mit ausreichendem Brennstoff versehen waren, dort anbrachten. Diese Laternen waren zum Unfallszeitpunkt nicht vorhanden und dürften – was schon mehrmals vorgekommen war – gestohlen worden sein.
Auf Grund dieses Sachverhaltes begehrt der Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes unter Anrechnung eines Eigenverschuldens im Ausmaß von 50 % die Bezahlung eines Betrages von 4.590,50 S samt Anhang. Da während der Bauzeit bis zum Unfallstag rund 40 Lampen von der fraglichen Baustelle gestohlen worden seien, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, nicht nur für die Anbringung der Warnleuchten zu sorgen, sondern auch deren fortdauernde Funktion sicherzustellen.
Demgegenüber wendete die beklagte Partei ein, daß den Kläger das Alleinverschulden am streitgegenständlichen Schadensereignis treffe; er hätte bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit die Baugrube sowohl auf Grund der Straßenbeleuchtung als auch der eigenen Fahrzeugbeleuchtung rechtzeitig wahrnehmen müssen. Daß er die Baustelle zu spät bemerkte, sei ausschließlich auf seinen alkoholisierten Zustand zurückzuführen. Der Unfall hätte sich somit auch ereignet, wenn an der Baustelle im Unfallszeitpunkt Laternen gebrannt hätten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte ohne Berücksichtigung weitergehender Beweisanträge der Beklagten lediglich auf Grund des Erhebungsaktes * der Bundespolizeidirektion * folgendes fest:
Während der 4‑monatigen Bauzeit wurden von der Baustelle bis zum Unfallstag rund 40 Laternen gestohlen. Eine Diebstahlsanzeige hatte die Beklagte über die abhanden gekommenen Laternen nicht erstattet. Der Kläger befand sich im Unfallszeitpunkt allein in seinem PKW. und wurde durch den Unfall nicht verletzt. Die Straßenbeleuchtung reichte zur Beleuchtung der Baustelle nur mangelhaft aus. Ob vor der Baustelle das Gefahrenzeichen „Baustelle“ angebracht war, konnte nicht festgestellt werden, ebenfalls nicht, mit welcher Geschwindigkeit der Kläger gefahren ist. Der Kläger roch bei der Aufnahme des Sachverhaltes um ca. 4 Uhr des Unfallstages aus dem Mund stark nach alkoholischen Getränken, schwankte leicht beim Gehen und hatte gerötete Bindehäute. Die sodann bei ihm durchgeführte Alkoholtestprobe verlief positiv, das Alkoteströhrchen färbte sich bis über die Strichmarke grün. Nach den Angaben des Klägers vor der Polizei trank er in der Zeit zwischen 21 Uhr und 2 Uhr eine halbe Bier, 3/8 Weißwein und 1/8 Rotwein. Er war leicht alkoholisiert.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß die Beklagte die Schutznorm des § 89 Abs. 1 StVO übertreten habe, weil sie trotz vorhersehbarer Diebstahlsgefahr nicht das Notwendige vorgekehrt habe, um sicherzustellen, daß die Baustelle während der ganzen Nacht mit Lampen versehen war. Dem Kläger falle ein Aufmerksamkeitsfehler zur Last, während die beklagte Partei einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung zu verantworten habe, der deshalb als schwerwiegend angesehen werden müsse, weil er eine Gefahr für einen größeren Kreis von Verkehrsteilnehmern mit sich gebracht habe. Die vom Kläger vorweggenommene Schadensteilung von 1 : 1 sei daher berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und hob das Urteil des Erstgerichtes unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehalts zur Verfahrensergänzung auf.
Die in § 89 Abs. 1 StVO normierte Pflicht zur Kennzeichnung eines Verkehrshindernisses treffe den Verfügungsberechtigten, im vorliegenden Fall also die Beklagte. Bei dieser Bestimmung StVO handle es sich um eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB, deren Zweckbestimmung in erster Linie darin liege, durch Beleuchtung auf das Vorhandensein eines Gegenstandes auf der Straße aufmerksam zu machen. Diese Kennzeichnungspflicht bestehe, wie sich aus dem letzten Halbsatz dieser Gesetzesbestimmung ergebe, unabhängig davon, ob die auf der Straße stehenden oder liegenden Gegenstände durch die sonstige Beleuchtung erkennbar seien. Gleichwohl seien nähere Feststellungen darüber, inwieweit die Straßenbeleuchtung für die Wahrnehmbarkeit der Baugrube ausgereicht habe zu treffen, weil dies für die Beurteilung der Fahrlässigkeit des Klägers bedeutsam sein könnte.
Dem Einwand der Beklagten, daß ihr eine schuldhafte Verletzung der in § 89 Abs. 1 StVO normierten Kennzeichnungspflicht nicht angelastet werden könne, weil es unzumutbar sei, die Baugrubenbeleuchtung die ganze Nacht über zu bewachen, könne nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß die Diebstahlsicherung der Warnleuchten auch in anderer Form erfolgen könnte, als durch die ständige Überwachung, könne sie der Einwand wirtschaftlicher Belastung nicht mehr exkulpieren, wenn die Notwendigkeit einer über das bloße Anbringen der Warnleuchten hinausgehenden Sicherheitsmaßnahme feststehe. Daß aber zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären, um den Gesetzesauftrag des § 89 Abs. 1 StVO, zu erfüllen, könne im gegenständlichen Fall nicht zweifelhaft sein, da die Beklagte selbst zugestehe, daß der Diebstahl von Warnleuchten schon mehrmals vorher vorgekommen sei.
Da die Beklagte die Schutznorm des § 89 Abs. 1 StVO schuldhaft übertreten habe, obliege ihr der Beweis, daß der Schaden auch ohne ihr rechtswidriges Verhalten eingetreten wäre. Tatsächlich habe die Beklagte in dieser Richtung Behauptungen aufgestellt und Beweise angeboten, die nicht durchgeführt worden seien. Dem erstinstanzlichen Verfahren hafte somit insoweit eine Mangelhaftigkeit an, als der Beklagten die Möglichkeit genommen worden sei, den Nachweis zu führen, daß sich der streitgegenständliche Unfall wegen der Alkoholisierung des Klägers auch dann ereignet hätte, wenn die Baugrube im Sinne des § 89 Abs. 1 StVO gekennzeichnet gewesen wäre. Darüber hinaus werde das Erstgericht noch weitere Beweisaufnahmen durchzuführen haben, um die Entscheidungsgrundlagen für die Frage der Verschuldensteilung zu schaffen. Die Behauptung eines Alleinverschuldens des Klägers, wie sie die Beklagte erhoben habe, inkludiere nämlich auch die Behauptung eines überwiegenden Verschuldens, wozu die Beklagte ausgeführt habe, daß die Baugrube auf Grund der Straßenbeleuchtung und der eigenen Fahrzeugbeleuchtung bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit des Klägers rechtzeitig zu bemerken gewesen wäre. Um alle für den Grad seines Aufmerksamkeitsfehlers maßgebenden Faktoren festzustellen, werde im Rahmen des Beweisanbotes der Beklagten insbesondere zu klären sein, wo sich die nächste Straßenbeleuchtung befunden habe und inwieweit die Baugrube dadurch ausgeleuchtet gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Rekurse beider Parteien mit dem Antrag, dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
a) Zum Rekurs der Beklagten:
Welche Bedeutung die von der Beklagten ins Treffen geführte Unterscheidung zwischen der Kenntlichmachung eines Gegenstandes durch Lampen und der Beleuchtung eines Gegenstandes für den vorliegenden Fall haben sollte, ist nicht recht erkennbar. Die aus den §§ 89 und 32 Abs. 6 StVO folgende Pflicht des Bauführers zur Verkehrssicherung umfaßt bei Dunkelheit insbesondere auch die Pflicht zur Beleuchtung einer Baugrube (2 Ob 135/67, 2 Ob 60/73 u.a.). Die Bestimmung des § 89 Abs. 1 stellt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Schutznorm dar, gegen die die Beklagte schuldhaft verstoßen hat. Der Beklagten ist der ihr obliegende Exkulpierungsbeweis (ZVR 1975/111 u.a.) nicht gelungen. Der vom Rekurs ins Treffen geführte Umstand, daß die ordnungsgemäß angebrachten Lampen durch Diebe gestohlen worden seien, vermag die Beklagte unter den vorliegenden Umständen nicht zu entlasten. Bedenkt man, daß an die Verkehrssicherungspflicht, insbesondere bei Dunkelheit besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, so durfte sich die Beklagte in Kenntnis wiederholter, vorher erfolgter Lampendiebstähle nicht einfach damit begnügen, allabendlich allenfalls neu beschaffte Lampen anzubringen, ohne daß deren Verbleib in irgendeiner Weise gewährleistet erschien. Der Behauptung des Rekurses, es wären bei den vorher erfolgten Diebstählen nur einzelne Lampen, nicht aber alle drei Lampen auf einmal entwendet worden, kommt keine Bedeutung zu, da die Beklagte sich nicht darauf verlassen durfte, daß die Diebe auf die Verkehrssicherung Rücksicht nehmen würden. Traf aber die Beklagte trotz wiederholter Lampendiebstähle keinerlei Maßnahmen, dann ist ihr die Nichtbeleuchtung der Baustelle zum Verschulden anzurechnen, ohne daß es der vom Rekurs vermißten Feststellungen bedürfte, durch welche konkrete technische Vorkehrungen oder personelle Maßnahmen im einzelnen ihrer Verkehrssicherungspflicht hätte entsprochen werden können.
Daß die Frage der Erkennbarkeit der Unfallsstelle für das Ausmaß des dem Kläger anlastbaren Mitverschuldens von Bedeutung sein kann, hat das Berufungsgericht ohnehin dargelegt. Eine Stellungnahme zu der von der Beklagten erörterten Frage der Verschuldensaufteilung ist verfrüht, weil das Berufungsgericht in diesem Belange nähere Feststellungen der Beurteilungsgrundlagen für erforderlich hielt.
Abschließend ist festzuhalten, daß die Beklagte in ihrer Berufung die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils erwirkt hat. Sie kann daher gegen den Aufhebungsbeschluß zweiter Instanz nur insoweit Rekurs erheben, als sie die rechtliche Beurteilung, von der das Berufungsgericht in seinem Aufhebungsbeschluß ausgegangen ist, bekämpft (vgl. SZ 23/159, 40/109; 8 Ob 223/75 u.a.). Wenn die Beklagte nun die Beurteilung der für den Entlastungsbeweis in Betracht gezogenen Beweismittel durch das Berufungsgericht bekämpft, so wendet sie sich gegen eine, wenn auch vorgreifliche Beweiswürdigung der zweiten Instanz, was ihr im Rahmen ihres Rekurses verwehrt ist.
b) Zum Rekurs des Klägers:
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Beklagten infolge der Übertretung der Schutznorm des § 89 StVO, der Beweis obliege, daß sich der Unfall des Klägers auch dann ereignet hätte, wenn die Baugrube ordnungsgemäß beleuchtet worden wäre, ist richtig. Wenn aber das Berufungsgericht, von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend, das Beweisverfahren in diesem Belange für erforderlich oder ergänzungsbedürftig hält, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten.
Daß aber die Erkennbarkeit der Baugrube einen Gradmesser für den Aufmerksamkeitsfehler des Klägers darstellt, der ebenso wie dessen Alkoholisierung für die Verschuldensaufteilung von Bedeutung sein kann, ist unzweifelhaft. Der Ansicht des Rekurses, daß den Kläger ohne Rücksicht auf die Ergebnisse der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung keinesfalls mehr als die Hälfte des Verschuldens treffen könnte, kann nicht gefolgt werden.
Beiden Rekursen war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Rekurse beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO.
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