European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0080OB00523.76.0526.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich der Abweisung des Begehrens, die Beklagte sei schuldig, die im Haus * im zweiten Stock links befindliche Ehewohnung zu beziehen, als Teilurteil bestätigt.
Im übrigen (somit im Ausspruch über das Räumungsbegehren und im Kostenpunkt) wird das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird das Ersturteil im gleichen Umfange aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die Beklagte leben in aufrechter Ehe; zwei Scheidungsklagen des Klägers blieben erfolglos. Er ist Alleineigentümer des Hauses *. Die im ersten Stock liegende Wohnung wurde seinerzeit von den Ehegatten gemeinsam als Ehewohnung benützt. Seitdem der Kläger die Ehewohnung 1964 verlassen hat, lebt die Beklagte dort allein. Im Juli 1974 bezog der Kläger schließlich die früher von seinen Eltern benützte Wohnung im Parterre des Hauses gemeinsam mit der Nichte seiner Ehegattin, O*.
Der Kläger begehrte mit seiner am 26. 2. 1975 beim Landesgericht für ZRS Graz eingebrachten Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, l) die bisherige Ehewohnung im Hause *, zu räumen und 2) die im Hause *, im zweiten Stock links befindliche Ehewohnung unter Mitnahme ihrer Möbel zu beziehen. Er brachte vor, infolge des unleidlichen Verhaltens der Beklagten und im Hinblick auf seine schwere Krankheit und die notwendige Pflege durch die Nichte seiner Ehefrau sei ihm der bisherige Zustand nicht mehr zumutbar, weshalb er sich in Ausübung seines Leitungsrechtes entschlossen habe, für die Beklagte eine andere Ehewohnung in der * zu mieten, die der bisherigen gleichwertig und standesgemäß sei. Er habe die Beklagte aufgefordert, dorthin zu verziehen, und ihr überdies freigestellt, eine andere Ehewohnung zu suchen. Er habe sich bereit erklärt, Adaptierungskosten bis zu 30.000 S sowie bis zur Scheidung der Ehe den Mietzins bis zu 1.500 S monatlich zu bezahlen.
Die Beklagte bestritt das ihr angelastete Verhalten und wendete ein, daß vielmehr der Kläger durch seine ehewidrigen Beziehungen zu ihrer Nichte und durch Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft schwere Eheverfehlungen gesetzt habe, während sie nach wie vor bereit sei, mit dem Kläger die Ehegemeinschaft wiederaufzunehmen, worauf der Kläger jedoch keinen Wert lege. Die neue Wohnung sei der bisherigen Ehewohnung nicht gleichwertig und schon wegen ihrer Lage der Beklagten nicht zumutbar und aus gesundheitlichen Gründen nicht beziehbar. Das Begehren des Klägers sei sittenwidrig, weil es der Ausweitung der ehewidrigen Verhältnisse mit ihrer Nichte diene.
Das Erstgericht wies die Klage zunächst zurück. Das Begehren zu 2.) sei im Außerstreitverfahren geltend zu machen, weshalb der Rechtsweg verschlossen sei; das Begehren zu 1.) sei für sich allein überbewertet, weshalb bei richtiger Bewertung die sachliche Zuständigkeit des Landesgerichtes nicht gegeben sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge: Nach den maßgeblichen Klagsangaben sei – ohne Rücksicht auf die Berechtigung desselben – das Klagebegehren zu 2.) in Verbindung mit dem nach 1.) im Rechtswege geltend zu machen; nach der maßgeblichen Bewertung des Begehrens durch den Kläger mit S 60.000,—, sei das angerufene Gericht sachlich zuständig.
Das Erstgericht schloß sein Verfahren am 9. 9. 1975 ohne Beweisaufnahme und erkannte mit Urteil vom 24. 9. 1975 zu Recht: Die Beklagte sei schuldig, binnen 14 Tagen Zug um Zug gegen Beistellung einer für die Beklagte als Gattin eines Rechtsanwaltes standesgemäßen Wohnung, die im Eigentum oder in einem kündigungsgeschützten Mietverhältnis der Beklagten stehen müsse, mit der Auflage der Bezahlung sämtlicher Übersiedlungskosten, sowie der Kosten des Erwerbes und der dauernden Erhaltung dieser Wohnung, insbesondere der Kosten des Mietzinses und der Betriebskosten durch den Kläger die Wohnung, *, bestehend aus zwei Zimmern, Küche und Nebenräumen zu räumen. Diese Räumungsverpflichtung erlösche mit Ablauf des 31. Dezember 1975. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die oben genannte Wohnung im Hause * ohne Gegenleistung zu räumen, die Räumungsverpflichtung dauere über 1. 1. 1976 hinaus, sowie die Beklagte sei schuldig, die im Hause *, im zweiten Stock links befindliche „Ehewohnung“, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Vorzimmer, Nebenräumlichkeiten unter Mitnahme ihrer Möbel zu beziehen, werde abgewiesen.
Das Erstgericht war der Auffassung, daß die vom Kläger der Beklagten angebotene Wohnung nach den Klagsangaben nicht gleichwertig sei, weshalb dem Räumungsbegehren Zug um Zug in der oben dargestellten Weise stattzugeben gewesen sei. Die Räumungsverpflichtung erlösche aber mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes, BGBl 1975/412, weil die Ehefrau ab diesem Zeitpunkt nach § 97 ABGB berechtigt sei, vom Ehemann die Unterlassung aller Maßnahmen zu fordern, die zum Verlust der Wohnung führen könnten. Eine urteilsmäßig aufzuerlegende Verpflichtung der Ehefrau, vom Ehemann weg in eine bestimmte andere Wohnung zu ziehen, bestehe nicht.
Infolge Berufung beider Teile wies das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung vom 19. 1. 1976 die Berufung der Beklagten mit Beschluß zurück und gab der Berufung des Klägers mit Urteil nicht Folge. Da das Erstgericht die Räumungsverpflichtung mit 31. 12. 1975 limitiert habe, sei die für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderliche Beschwer im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichtes weggefallen. Die gleichen Überlegungen hätten auch für die dem Kläger auferlegte Zug‑um‑Zug‑Verpflichtung zu gelten, die gleichfalls mit 31. 12. 1975 erloschen sei. Seit 1. 1. 1976 sei durch die geänderte Rechtslage die einseitige Folgepflicht der Ehefrau entfallen, weshalb die ausdrücklich auf § 91 ABGB in der alten Fassung gestützte Klage der Rechtsgrundlage entbehre. Darüber hinaus lege die Bestimmung des § 97 ABGB dem über die Wohnung verfügungsberechtigten Ehegatten die Pflicht auf, alles zu unterlassen und vorzukehren, damit der andere Ehegatte, der auf die Wohnung angewiesen sei, diese nicht verliere.
Gegen das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es im Sinne der Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein entsprechender Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist lediglich hinsichtlich des Räumungsbegehrens im Sinne des Aufhebungsantrages im Ergebnis berechtigt.
Was das Begehren des Klägers anlangt, seine Ehefrau urteilsmäßig zu verhalten, die im Hause *, befindliche „Ehewohnung“ unter Mitnahme ihrer Fahrnisse zu beziehen, so hat der Kläger klargestellt, daß er mit diesem Begehren nicht etwa die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft mit der Klägerin in dieser Wohnung anstrebt, sondern im Zusammenhang mit seinem Begehren, die Ehewohnung in seinem Haus zu räumen erreichen will, ohne die nach seiner Meinung unzumutbaren Belästigungen seitens seiner Ehefrau allein in seinem Hause mit deren Nichte wohnen zu können. Weder nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl Nr 1975/412, noch nach dieser, besteht eine im streitigen Verfahren durchsetzbare gesetzliche Verpflichtung der Ehefrau in eine bestimmte, vom Wohnsitz des Mannes getrennte, andere Wohnung mit ihren Fahrnissen zu verziehen (vgl. EvBl 1968/189 zur alten Rechtslage; Ent in NZ 1975/148 zur neuen Rechtslage). Der Umstand, daß der Kläger sein Begehren auf Bezug der von ihm angemieteten neuen Wohnung mit dem Begehren auf Räumung der bisherigen Ehewohnung verbunden hat, macht die beiden Begehren – entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung – nicht denknotwendig untrennbar. Es ist vielmehr in abstracto rechtlich möglich, dem Räumungsbegehren stattzugeben, das Begehren auf Bezug der neuen Wohnung aber abzuweisen. Es besteht daher kein Hindernis, die Abweisung dieses Begehrens durch die Vorinstanzen infolge seiner Spruchreife als Teilurteil zu bestätigen.
Zum Räumungsbegehren ist von folgenden Erwägungen auszugehen: Umfang und Natur des Klagsanspruches bestimmen sich – von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – nach der Sach- und Rechtslage bei Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz (MietSlg 22.616, 3 Ob 48/72 u.a.; Fasching III, 660). Zufolge der Regelung des Rechtsmittelverfahrens im Zivilprozeß haben Berufungs- und Revisionsgericht bei der Prüfung des Urteils der Unterinstanz grundsätzlich nur zu beurteilen, ob der Klagsanspruch bei Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz berechtigt war; abgesehen etwa von der besonders geregelten Neuerungserlaubnis oder von bestimmten Fällen der Änderung zwingenden Rechts sind nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetretene Sachverhalts- und Rechtsänderungen nicht zu berücksichtigen (Fasching a.a.O.). Da im vorliegenden Fall das Erstgericht das divergierende Vorbringen nicht geprüft hat, das unbestritten gebliebene Vorbringen aber eine Sachentscheidung nach der maßgeblichen Rechtslage nicht ermöglichte, lag Spruchreife über das Räumungsbegehren nicht vor, sodass in diesem Umfang mit Aufhebung vorzugehen ist. Durch die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und den Auftrag zur Fortsetzung der Verhandlung über das Räumungsbegehren durch das Erstgericht tritt aber die Sache in diesem Umfange in den Stand vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, sodass nunmehr das Klagebegehren und die Einwendungen der Beklagten nach der durch das Bundesgesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, BGBl 1975/412, geschaffenen Rechtslage zu prüfen sein wird. Hiezu sei schon jetzt bemerkt, daß die Bestimmung des § 97 ABGB i.F BGBl 1975/412 – entgegen den Revisionsausführungen – keineswegs nur Mietwohnungen erfasst. Eine derartige Beschränkung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck dieses Bundesgesetzes entnehmen. Dieses ist vielmehr auf den Schutz des Wohnbedürfnisses des einen Ehegatten vor nachteiligen Maßnahmen des verfügungsberechtigten anderen Ehegatten gerichtet, wobei es keinen Unterschied machen kann, ob der andere Ehegatte Eigentümer, Wohnungseigentümer, Mitglied einer Genossenschaft oder Mieter ist (GP XIII, RV 851 S 23, AB 1662 S 7; Ent in NZ 1975, 149). Der Revision ist allerdings zuzugeben, daß durch die Änderung des § 91 ABGB und die durch das Bundesgesetz über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe geschaffene Rechtslage eine Räumungsklage nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Nach § 97 ABGB hat der Ehegatte einen – klagsweise oder einredeweise geltend zu machenden – Anspruch darauf, daß der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere; dies gilt allerdings nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des Verfügungsberechtigten durch die Umstände erzwungen wird. Entgegen den Revisionsausführungen kommen allerdings als solche zwingende Umstände weder allfällige Unzukömmlichkeiten seitens der Beklagten, denen in anderer Weise begegnet werden kann, noch der Hinweis darauf in Betracht, daß die von der Beklagten benützte Ehewohnung in dem vom Vater ererbten Hause des Klägers liegt.
Durch die Aufhebung werden die Parteien in die Lage versetzt, ihr Vorbringen entsprechend der durch BGBl 1975/412 veränderten Rechtslage, die nach dem dargestellten Verfahrensstand nunmehr beachtlich geworden ist, entsprechend zu modifizieren.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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