OGH 8Ob150/75

OGH8Ob150/752.7.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Benisch, Dr. Thoma und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallsversicherungsanstalt, *, vertreten durch Dr. Heinz Damian, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W* Versicherunganstalt, *, vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Schadenersatzes und Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. März 1975, GZ. 9 R 33/75‑54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. Dezember 1974, GZ. 33 G 22/71‑46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0080OB00150.75.0702.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.288,72 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Barauslagen von S 1.200,‑‑ und die Umsatzsteuer von S 154,72) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 9. Juli 1968 ereignete sich aus dem Verschulden des O*, des Lenkers des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Mopeds, Kennzeichen *, ein Verkehrsunfall, durch den der bei der Klägerin pflichtversicherte J* W* schwerstens verletzt wurde. Am Zustandekommen des Unfalls trifft den Lenker des Mopeds ein Mitverschulden im Ausmaß von 80 %, J* W* ein solches von 20 %. Die Klägerin erbrachte und erbringt auf Grund dieses Unfalles dem J* W* Pflichtaufwendungen.

Die Klägerin begehrt als Legalzessionar ihres Pflichtversicherten W* nach § 332 ASVG von der Beklagten als Haftpflichtversicherer Ersatz ihrer Pflichtaufwendungen vom 3. Feber 1969 bis Juni 1972 im Betrage von S 75.179,‑‑ samt Anhang, sowie Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Pflichtaufwendungen bis zur Höhe der Versicherungssumme, insoweit diese im Schadenersatzanspruch, den J* W* ohne Bestehen der Legalzession nach § 332 ASVG gegen die Beklagte unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 20 % stellen könnte, Deckung finden.

Die Beklagte bestritt – soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist – das Vorliegen eines ausreichenden Deckungsfonds und wendete ein, daß das Feststellungsbegehren mit der Erreichung des 60. Lebensjahres des J* W* zu begrenzen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen fest: W* erlitt durch den Unfall eine Gehirnquetschung, einen Schädelbasisbruch, einen Bruch des ersten Querfortsatzes am 1. Brustwirbel, eine Lähmung des rechten Armnervengeflechtes, einen Bruch des rechten Augendaches und eine Augapfelprellung. Als wesentliche Folge ist eine praktisch vollständige Lähmung der rechten oberen Extremität zurückgeblieben. Der Arm hängt bewegungsunfähig schlaff herunter; nur mit den Fingern sind minimale Wackelbewegungen möglich. Die Hand ist nicht einmal als Hilfshand verwendbar. Außerdem bestehen noch geringe Beschwerden auf Grund des erlittenen Schädel-Hirn-Traumas, wie gelegentliche Kopfschmerzen und Vergeßlichkeit. Mit einer Besserung dieser Beschwerden ist nicht zu rechnen, wohl aber liegt eine Verschlechterung im Bereiche des Möglichen.

Bis 3. Feber 1969 war W* vollständig arbeitsunfähig, von dann an bis zum 1. März 1970 bestand eine 80 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit, sodann auf Dauer eine 75 %ige.

Bis zum Unfall war W* Maler- und Anstreichergehilfe. Diesen Beruf kann er nicht mehr ausüben. Als Verweisungsberufe kommen nur mehr wenige in Frage, so etwa Portier oder Botengänger. Er ist nur bedingt vermittlungsfähig und bei einer Einstellung auf Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen. Derartige Posten stehen den Arbeitsämtern nie in genügendem Maße zur Vermittlung zur Verfügung. Obwohl W* medizinisch ab 3. Feber 1969 einen solchen Beruf auszuüben in der Lage gewesen wäre, den er bis zum 65. Lebensjahr fortsetzen könnte, gelang es ihm erst, am 22. Jänner 1971 als Portier im Krankenhaus T* unterzukommen. Vom Unfall bis zu diesem Zeitpunkt war er ohne Arbeitsplatz und -einkommen.

Die Klägerin gewährte W* eine Rente, und zwar

vom 3. Feber 1969 bis 28. Feber 1970 monatlich durchschnittlich S 3.092,47

vom 1. März 1970 bis 31. Dezember 1970 monatlich

durchschnittlich S 3.042,20

für Jänner 1971 S 2.715,20

vom 1. Feber 1971 an monatlich

durchschnittlich S 3.194,30.

J* W* war ein tüchtiger und fleißiger Arbeiter, der auf Dauer bei der Firma F* beschäftigt war und ohne den Unfall in dieser Stellung auch verblieben wäre. Er verdiente in der Zeit vom 1. Jänner 1968 bis 31. Juni 1968 ohne Wohnungs- und Familienbeihilfe monatlich durchschnittlich S 3.474,‑‑; daneben führte W* auch Maler- und Anstreicherarbeiten im sogenannten „Pfusch“ über die Wochenenden durch. Die Möglichkeit dafür war infolge der intensiven Bautätigkeit im Gebiete von T* und Umgebung gegeben und dauert weiterhin an. W* verdiente hiedurch laufend wöchentlich netto S 500,‑‑ und könnte ohne den Unfall zumindest diesen Betrag auch weiterhin laufend ins Verdienen bringen.

Unter Heranziehung eines beim gleichen Dienstgeber beschäftigten Arbeiters als Vergleichsperson, der entsprechenden Stundenlöhne, der zu gewärtigenden Überstunden sowie des sogenannten „Pfusch-Einkommens“ ermittelte das Erstgericht das Erwerbseinkommen, das W* ohne den Unfall ins Verdienen gebracht hätte, und zog die entsprechenden Beträge nach Kürzung um die Mitverschuldensquote als Deckungsfonds für die begehrten Sozialleistungen heran.

Da der Zuspruch für die Zeit vom 3. Feber 1969 bis 31. Jänner 1971 im Betrag von S 42.726,‑‑ im Revisionsverfahren nicht umstritten ist, erübrigt sich eine nähere Wiedergabe der erstrichterlichen Feststellungen in diesem Belange. Hinsichtlich des im Revisionsverfahren allein umstritten gebliebenen Betrages von S 32.453,‑‑ für den Zeitraum vom 1. Feber 1971 bis 30. Juni 1972 ermittelte das Erstgericht das fiktive Einkommen W*s in der oben dargelegten Weise mit monatlich S 6.845,80. Von diesem Betrag brachte es den Eigenverdienst W*s als Portier im Krankenhaus T* von monatlich S 4.459,50 in Abuzg, kürzte den so ermittelten Verdienstentgang von monatlich S 2.386,30 um die Mitverschuldensquote W*s auf S 1.909,‑‑. Da die tatsächlich erbrachten Rentenleistungen für den Zeitraum vom 1. Feber 1971 bis 30. Juni 1972 diesen Deckungsfonds überstiegen, sprach das Erstgericht der Klägerin für diesen Zeitraum S 32.453,‑‑ (das ist S 1.909,‑‑ x 17) zu.

So gelangte das Erstgericht zur Stattgebung des auf Zahlung von S 75.179,‑‑ samt Anhang gerichteten Leistungsbegehrens.

Es bejahte das Feststellungsinteresse der Klägerin und lehnte die von der Beklagten geforderte zeitliche Begrenzung des Feststellungsausspruches ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,‑‑ übersteige. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und richtiger Beweiswürdigung zur Gänze und billigte dessen rechtliche Beurteilung.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wird von der Beklagten insoweit mit Revision angefochten, als der Klägerin ein S 42.726,‑‑ übersteigender Betrag zuerkannt und der Feststellungsausspruch nicht mit dem 60. Lebensjahr des Verletzten begrenzt wurde. Sie macht die Anfechtungsgründe des § 503 Z. 2 und 4 ZPO mit dem Antrag geltend, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klägerin lediglich S 42.726,‑‑ oder höchstens S 47.979,68 zuerkannt und der Feststellungsausspruch mit dem 60. Lebensjahr W*s begrenzt werde; überdies wird hilfsweise ein entsprechender Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Unter dem Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO macht die Beklagte geltend, daß keine ausreichende Grundlage für die Annahme der Erhöhung des Einkommens Josef W*s ab 1. Feber 1971 um S 200,‑‑ monatlich vorliege. Damit wendet sich die Beklagte nicht gegen einen Verstoß des Berufungsgerichtes gegen die Prozeßgesetze, sondern gegen einen bei der Sammlung der Beweisergebnisse dem Erstgericht angeblich unterlaufenen Mangel, von dem schon das Berufungsgericht erkannt hat, daß er nicht vorliegt. Die Frage, ob die durchgeführten Beweise für die Gewinnung einer der Tatsachengrundlage zuzuordnenden Annahme ausreichten, fällt in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung.

Unter dem Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO wendet sich die Beklagte gegen die Einbeziehung des Verdienstentganges hinsichtlich der sogenannten „Pfuscher“-Tätigkeit in den Deckungsfonds der Versehrtenrente. Ihre Argumente sind jedoch nicht stichhältig:

Zunächst kann der Ansicht der Revision, wonach der unfallskausale Wegfall dieser nebenberuflichen Tätigkeit deshalb keinen Verdienstentgang begründen könnte, weil diese gegen Bestimmungen der Gewerbeordnung verstoßen haben könnte, nicht gefolgt werden. Wenn die Rechtsprechung den Anspruch auf Leistung eines Entgeltes für eine Tätigkeit trotz ihres allfälligen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung (JBl 1954, 591 u.a.) oder vergleichbaren Vorschriften (JBl 1968, 366, SZ 9/27 u.a.) anerkennt, dann besteht kein Grund, den unfallskausalen Wegfall eines derartigen Arbeitseinkommens nicht als Entgang im Sinne des § 1325 ABGB zu beurteilen (vergleiche JBl 1956, 153).

Der Revision ist zuzugeben, daß der Forderungsübergang nach § 332 ASVG nur dann und insoweit eintritt, als den erbrachten Sozialleistungen kongruente Forderungen des Verletzten nach Schadenersatzrecht gegenüberstehen. Eine solche Kongruenz zwischen der dem Verletzten gewährten Versehrtenrente und seinen Schadenersatzansprüchen wegen seiner Beeinträchtigung in der erwerbswirtschaftlichen Berufstätigkeit haben die Vorinstanzen auch hinsichtlich seiner Nebeneinkünfte zutreffend bejaht. Die von der Klägerin gewährte Versehrtenrente stellt ihrem Wesen nach einen Ausgleich für die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten dar. Eine Einschränkung auf die konkret versicherte Tätigkeit des Verletzten ist nicht zu machen, weil innerhalb eines Schadenersatzanspruches für Erwerbsausfall (§ 1325 ABGB, § 13 EKHG) eine weitere Unterteilung unter dem Gesichtspunkt der Kongruenzdeckung nicht in Betracht kommt. Alle Einnahmen, die dem Verletzten aus seiner Erwerbstätigkeit vor dem Unfall zugeflossen sind, also auch solche aus einer Nebenbeschäftigung, dienen begrifflich der Deckung des Lebensunterhaltes. Hat der Verletzte außer dem Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit, die seine sozialversicherungsrechtliche Stellung begründet, noch Nebeneinkünfte, so gehören auch diese zu seinem Erwerbseinkommen und können als Deckungsfonds für die Rentenleistungen des Sozialversicherungsträgers als Legalzessionar herangezogen werden (Vergleiche 2 Ob 65, 66/70; 2 Ob 318/66 u.a.; Wussow, Das Unfallshaftpflichtrecht12 Punkt 1490 zu dem gleichartigen § 1542 RVOF).

Was schließlich die von der Revision vermißte Einschränkung des Feststellungsauspruches auf das 60. Lebensjahr des Verletzten anlangt, so ist zu erwidern, daß sich das Urteil über das Feststellungsbegehren nach ständiger Rechtsprechung (VSlg. VI Nr. 9580, 2 Ob 271/64, 2 Ob 302/69, 8 Ob 18/75 u.a.) mit der zeitlichen Begrenzung des Ersatzanspruches nicht zu befassen hat, weil es sich diesbezüglich um eine Frage des Ausmaßes und nicht des Grundes der Ersatzpflicht des künftigen Schadens handelt. Da diese Ersatzpflicht nach dem Inhalt des Feststellungsurteils auch in zeitlicher Hinsicht nicht weiterreichen kann, als der Deckungsfonds des Geschädigten reicht, scheint die Beklagte ausreichend davor geschützt, in einem weiteren als dem durch die Grundsätze der zeitlichen und sachlichen Kongruenz bestimmten Umfang von der Klägerin in Anspruch genommen zu werden (8 Ob 179, 180/72). Warum nach der Erreichung des 60. Lebensjahres im Falle einer unfallskausalen Wiedererkrankung des Verletzten etwa ein regreßfähiger Heilungsaufwand der Klägerin nicht in Betracht kommen sollte, ist nicht erkennbar.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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