OGH 8Ob110/23v

OGH8Ob110/23v26.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. W*, 2. H*, 3. R*, 4. A*, 5. Prof. Mag. E*, 6. R*, und 7. E*, alle vertreten durch Dr. Gregor Maderbacher, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der erst-, fünft- und siebtklagenden Parteien (Revisionsinteresse jeweils 5.500 EUR) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2023, GZ 1 R 146/23a‑23, womit infolge Berufung der erst- bis fünft- und der siebtklagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 26. April 2023, GZ 7 C 12/23z‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00110.23V.0926.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wirdFolge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen samt Kostenentscheidungen hinsichtlich der erst-, fünft- und siebtklagenden Parteien werden dahin abgeändert, dass das im Übrigen unberührt bleibende Urteil in seinen Punkten  1., 5. und 7. wie im folgenden Pkt A. und es anstelle der Kostenentscheidungen in seinen Punkten 8., 12. und 14. sowie im zweiten Absatz des Urteilsspruchs des Berufungsgerichts wie im folgenden Pkt B. zu lauten hat:

A. „1. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei die erstklagende Partei an deren Wohnsitz in *, zum Grundversorgungstarif der beklagten Partei im Sinne von § 77 Abs 1 und 2 ElWOG 2010 mit elektrischer Energie zu beliefern hat.

5. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei die fünftklagende Partei an deren Wohnsitzen in *, zum Grundversorgungstarif der beklagten Partei im Sinne von § 77 Abs 1 und 2 ElWOG 2010 und nach Maßgabe der anwendbaren landesgesetzlichen Ausführungsbestimmungen hierzu, jedoch unabhängig davon, ob ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, mit der fünftklagenden Partei einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen, mit elektrischer Energie zu beliefern hat.

7. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei die siebtklagende Partei an deren Wohnsitz in *, zum Grundversorgungstarif der beklagten Partei im Sinne von § 77 Abs 1 und 2 ElWOG 2010 sowie nach Maßgabe der anwendbaren landesgesetzlichen Ausführungsbestimmungen, jedoch unabhängig davon, ob ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen, mit elektrischer Energie zu beliefern hat.“

B. „Die beklagte Partei ist schuldig, der erst- und der siebtklagenden Partei die mit jeweils 1.517,13 EUR (darin 197,02 EUR USt und 335 EUR Gerichtsgebühren) und der fünftklagenden Partei die mit 1.098,36 EUR (darin 127,23 EUR USt und 335 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der erst-, der fünft- und der siebtklagenden Partei zu je einem Drittel die mit 2.456,95 EUR (darin 287,59 EUR USt und 731,40 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 3.696,90 EUR (darin 235,15 EUR USt und 2.286 EUR Gerichtsgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger begehrten jeweils die Feststellung, dass die Beklagte – ein Energieversorgungsunternehmen – sie als Verbraucher an ihrem jeweiligen Wohnsitz zum „Grundversorgungstarif“ im Sinne von § 77 ElWOG 2010 und nach Maßgabe der hiezu anwendbaren landesgesetzlichen Ausführungsbestimmungen mit elektrischer Energie zu beliefern habe. Die Beklagte habe die Anträge der Kläger abgelehnt. Für den geltend gemachten Anspruch sei es irrelevant, ob ein anderer Lieferant bereit wäre, mit den Klägern einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen.

[2] Die Beklagte wandte ein, die Ansprüche der Kläger seien aus der Grundsatzbestimmung des § 77 ElWOG 2010 nicht abzuleiten. Nach § 45 Abs 6 NÖ ElWG 2005 (bzw § 43a Abs 7 WElWG 2005) könne die Beklagte ein Vertragsverhältnis zur Grundversorgung außerordentlich kündigen, wenn es einem sonst anspruchsberechtigten Kunden möglich sei, auch einen Stromlieferungsvertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen. Daraus folge ein Ablehnungsrecht von Anträgen auf Grundversorgung, wenn zur Zeit der Antragstellung bereits ein aufrechter, in keiner Weise gefährdeter Stromlieferungsvertrag vorliege.

[3] Die Feststellungsbegehren seien unzulässig, weil die Kläger ein dem geltenden Gesetz widersprechendes Verhalten der Beklagten gar nicht behaupten würden. Die Klagen seien nur mit dem – für sich allein unzulässigen – Zweck eingebracht worden, die genannten Ausführungsgesetze beim Verfassungsgerichtshof anfechten zu können.

[4] Das Erstgerichtwies die Klagebegehren ab. Die Bestimmung des § 77 ElWOG 2010, die Art 3 Abs 3 und Abs 7 der RL 2009/72/EG umsetzen solle, bezwecke eine Kontrahierungspflicht zur Sicherstellung einer Stromversorgung auch für sozial schwache Kunden, die aus Sicht der Stromlieferanten unerwünscht seien. Bei richtlinienkonformer Interpretation stehe die Grundversorgung nach § 77 ElWOG 2010 daher nicht allen Verbrauchern und Kleinunternehmern nach Belieben offen, sondern nur schutzbedürftigen Personen, die außerhalb der Grundversorgung sonst keine Möglichkeit hätten, einen Stromliefervertrag abzuschließen. Eine gesetzliche Ungleichbehandlung aufgrund sachlicher Kriterien, etwa einer unterschiedlichen finanziellen Lage, sei verfassungsrechtlich unbedenklich.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision hinsichtlich der Erst-, Fünft- und Siebentkläger, bei welchen das Berufungsgericht den Entscheidungsgegenstand, der Bewertung durch diese Kläger folgend, mit jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend bewertet hatte, für zulässig, weil zu den angesprochenen Rechtsfragen noch keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Erst-, Viert- und Fünftkläger, die eine Klagsstattgebung anstreben, ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

[7] 1. Der als Grundsatzbestimmung gefasste § 77 ElWOG 2010 lautet wie folgt (Hervorhebungen hier und in der Folge jeweils durch den Senat):

(1) Stromhändler und sonstige Lieferanten, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden zählt, haben ihren Allgemeinen Tarif für die Grundversorgung von Haushaltskunden in geeigneter Weise (zB Internet) zu veröffentlichen. Sie sind verpflichtet, zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen und zu diesem Tarif Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmen, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern (Pflicht zur Grundversorgung). Die Ausführungsgesetze haben nähere Bestimmungen über die Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG für die Grundversorgung vorzusehen.

(2) Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, zu dem die größte Anzahl ihrer Kunden, die Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG sind, versorgt werden. Der Allgemeine Tarif der Grundversorgung für Unternehmer im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 KSchG darf nicht höher sein als jener Tarif, der gegenüber vergleichbaren Kundengruppen Anwendung findet. Dem Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG der sich auf die Grundversorgung beruft, darf im Zusammenhang mit der Aufnahme der Belieferung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt.

(3) Gerät der Verbraucher während sechs Monaten nicht in weiteren Zahlungsverzug, so ist ihm die Sicherheitsleistung rückzuerstatten und von einer Vorauszahlung abzusehen, solange nicht erneut ein Zahlungsverzug eintritt.

(4)  Bei Berufung von Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmen auf die Pflicht zur Grundversorgung sind Netzbetreiber, unbeschadet bis zu diesem Zeitpunkt vorhandener Zahlungsrückstände, zur Netzdienstleistung verpflichtet . Verbrauchern darf im Zusammenhang mit dieser Netzdienstleistung keine Sicherheitsleistung oder Vorauszahlung abverlangt werden, welche die Höhe einer Teilbetragszahlung für einen Monat übersteigt. Abs. 3 gilt sinngemäß. Im Falle eines nach Berufung auf die Pflicht zur Grundversorgung erfolgenden erneuten Zahlungsverzuges, sind Netzbetreiber bis zur Bezahlung dieser ausstehenden Beträge zur physischen Trennung der Netzverbindung berechtigt, es sei denn der Kunde verpflichtet sich zur Vorausverrechnung mittels Prepaymentzahlung für künftige Netznutzung und Lieferung. § 82 Abs. 3 gilt im Falle des erneuten Zahlungsverzugs sinngemäß. [...]“

[8] Eine Definition der „Grundversorgung“, insbesondere in Bezug auf Bedingungen und Anspruchsberechtigte, enthält das ElWOG 2010 nicht; der Begriff findet sich lediglich ein weiteres Mal im Gesetz, und zwar in § 80 Abs 2b ElWOG 2010, der wie folgt lautet:

Im Falle einer Kündigung gemäß Abs. 2 oder 2a [Anm: durch den Kunden] endet das Vertragsverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen bzw. Entgelten mit dem nach einer Frist von drei Monaten folgenden Monatsletzten ab Wirksamkeit der Änderungen, sofern der Kunde bzw. Verbraucher oder Kleinunternehmer nicht zu einem früheren Zeitpunkt einen neuen Lieferanten (Versorger) namhaft macht und von diesem beliefert wird. Der Versorger hat Verbraucher in einem gesonderten Schreiben über das Recht der Inanspruchnahme der Grundversorgung gemäß § 77 transparent und verständlich aufzuklären , wobei in diesem auch die Kontaktdaten der Anlauf- und Beratungsstellen gemäß § 82 Abs. 7 sowie der Schlichtungsstelle der Regulierungsbehörde anzuführen sind. [...]“

[9] Für die Auslegung des ElWOG 2010 sind jedenfalls die damit umgesetzten einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien und Verordnungen heranzuziehen.

[10] In Art 3 Abs 3 der RL 2009/72/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG wird festgehalten:

Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Haushaltskunden und, soweit die Mitgliedstaaten dies für angezeigt halten, Kleinunternehmen, nämlich Unternehmen, die weniger als 50 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 10 Mio. EUR haben, in ihrem Hoheitsgebiet über eine Grundversorgung verfügen, also das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu angemessenen, leicht und eindeutig vergleichbaren und transparenten und nichtdiskriminierenden Preisen haben. Zur Gewährleistung der Bereitstellung der Grundversorgung können die Mitgliedstaaten einen Versorger letzter Instanz benennen. Die Mitgliedstaaten erlegen Verteilerunternehmen die Verpflichtung auf, Kunden nach Modalitäten, Bedingungen und Tarifen an ihr Netz anzuschließen, die nach dem Verfahren des Artikels 37 Absatz 6 festgelegt worden sind. Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, die Marktstellung der privaten sowie der kleinen und mittleren Verbraucher zu stärken, indem sie die Möglichkeiten des freiwilligen Zusammenschlusses zur Vertretung dieser Verbrauchergruppe fördern.

Unterabsatz 1 wird in transparenter und nichtdiskriminierender Weise umgesetzt, wobei die Öffnung des Marktes gemäß Artikel 33 nicht behindert werden darf.

[11] Im Erwägungsgrund Nr 51 der RL 2009/72/EG wird ausgeführt:

Im Mittelpunkt dieser Richtlinie sollten die Belange der Verbraucher stehen, und die Gewährleistung der Dienstleistungsqualität sollte zentraler Bestandteil der Aufgaben von Elektrizitätsunternehmen sein. Die bestehenden Verbraucherrechte müssen gestärkt und abgesichert werden und sollten auch auf mehr Transparenz ausgerichtet sein. Durch den Verbraucherschutz sollte sichergestellt werden, dass allen Kunden im größeren Kontext der Gemeinschaft die Vorzüge eines Wettbewerbsmarktes zugute kommen . Die Rechte der Verbraucher sollten von den Mitgliedstaaten oder, sofern dies von einem Mitgliedstaat so vorgesehen ist, von den Regulierungsbehörden durchgesetzt werden.

[12] Erwägungsgrund Nr 53 der RL 2009/72/EG lautet:

Die Energiearmut ist in der Gemeinschaft ein wachsendes Problem. Mitgliedstaaten, die davon betroffen sind, sollten deshalb, falls dies noch nicht geschehen ist, nationale Aktionspläne oder einen anderen geeigneten Rahmen zur Bekämpfung der Energiearmut schaffen, die zum Ziel haben, die Zahl der darunter leidenden Menschen zu verringern . Die Mitgliedstaaten sollten in jedem Fall eine ausreichende Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden gewährleisten. [...]“

[13] Die RL (EU) 2019/944 vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU bestimmt auszugsweise Folgendes:

Artikel 5

Marktgestützte Lieferpreise

(1) Den Versorgern steht es frei, den Preis, zu dem sie ihre Kunden mit Elektrizität beliefern, zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, um für wirksamen Wettbewerb zwischen den Versorgern zu sorgen.

(2) Die Mitgliedstaaten sorgen durch sozialpolitische Maßnahmen oder auf andere Weise als durch Eingriffe in die Festsetzung der Stromversorgungspreise für den Schutz der von Energiearmut betroffenen und der schutzbedürftigen Haushaltskunden im Sinne der Artikel 28 und 29.

(3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 dürfen die Mitgliedstaaten in die Festsetzung der Stromversorgungspreise für von Energiearmut betroffene oder schutzbedürftige Haushaltskunden eingreifen. Staatliche Eingriffe dieser Art unterliegen den Bedingungen der Absätze 4 und 5.

(4) Für staatliche Eingriffe in die Festsetzung der Stromversorgungspreise gelten folgende Bedingungen:

a) Sie müssen einem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse dienen und dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Verfolgung dieses allgemeinen wirtschaftlichen Interesses erforderlich ist ;

b) sie müssen klar festgelegt , transparent, diskriminierungsfrei und überprüfbar sein;

c) mit ihnen muss der gleichberechtigte Zugang von Elektrizitätsunternehmen in der Union zu den Kunden sichergestellt werden

d) sie müssen zeitlich begrenzt und für ihre Begünstigten verhältnismäßig sein;

e) sie dürfen nicht in diskriminierender Weise zu Zusatzkosten der Marktteilnehmer führen .

(5) Ein Mitgliedstaat, der gemäß Absatz 3 dieses Artikels in die Festsetzung der Stromversorgungspreise eingreift, muss unabhängig davon, ob eine erhebliche Anzahl seiner Haushalte von Energiearmut betroffen ist, die Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe d und Artikel 24 der Verordnung (EU) 2018/1999 einhalten. [...]

Art 27

Grundversorgung

(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Haushaltskunden und, soweit die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, Kleinunternehmen in ihrem Hoheitsgebiet über eine Grundversorgung verfügen, d.h. das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen haben.

[...]

(2) Absatz 1 wird in transparenter und diskriminierungsfreier Weise umgesetzt, wobei die freie Wahl des Versorgers gemäß Artikel 4 nicht behindert werden darf.

Art 28

Schutzbedürftige Kunden

(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Kunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht. In diesem Zusammenhang definiert jeder Mitgliedstaat den Begriff 'schutzbedürftiger Kunde', der auf Energiearmut abstellen und auf das Verbot, solche Kunden in schwierigen Zeiten von der Energieversorgung auszuschließen, hinweisen kann . Für die Definition des Begriffs 'schutzbedürftiger Kunde' können die Höhe des Einkommens, der Anteil der Energieausgaben am verfügbaren Einkommen, die Energieeffizienz von Wohnungen, die kritische Abhängigkeit von elektrischen Geräten für gesundheitliche Zwecke, das Alter und weitere Kriterien herangezogen werden. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechte und Verpflichtungen im Zusammenhang mit schutzbedürftigen Kunden gewährt bzw. eingehalten werden. Insbesondere treffen sie Vorkehrungen, um Endkunden in abgelegenen Gebieten zu schützen. Die Mitgliedstaaten gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere bei der Transparenz der Vertragsbedingungen, allgemeinen Informationen und Streitbeilegungsverfahren.

[...]“

[14] Nach Art 3 Abs 3 Buchstabe d der VO (EU) 2018/1999 haben die Mitgliedstaaten für ihre integrierten nationalen Energie- und Klimapläne einzuschätzen, „…wie viele Haushalte von Energiearmut betroffen sind, und dabei den Energiedienstleistungen für einen Haushalt, die zur Wahrung des im jeweiligen nationalen Zusammenhang grundlegenden Lebensstandards erforderlich sind, den sozialpolitischen Maßnahmen und anderen einschlägigen Politikbereichen sowie den Orientierungshilfen der Kommission zu relevanten Indikatoren zu Energiearmut Rechnung [zu] tragen.

[15] 2. Der Verfassungsgerichtshof hat aufgrund von Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 sowie des § 124 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 GWG 2011 ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet. Mit Erkenntnis vom 12. 3. 2024, G 1102/2023 ua, sprach er aus, dass die genannten Bestimmungen nicht aufgehoben werden.

[16] Über die Gründe, aus denen sich die im Einleitungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofs im Zuge der Prüfung zerstreut hatten, hat dieser ausgeführt:

3.2. […] § 77 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 konkretisieren [...] das in Art 27 EBRL verankerte Recht aller Haushaltskunden (Verbraucher) auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen, indem Energieversorgungsunternehmen, zu deren Tätigkeitsbereich die Versorgung von Haushaltskunden zählt, verpflichtet werden, Haushaltskunden (Verbraucher), die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu dem von ihnen für diesen Zweck festgelegten und veröffentlichten Tarif zu beliefern (§ 77 Abs 1 ElWOG 2010). Damit stellt die Regelung eine Versorgung der Haushaltskunden zu diskriminierungsfreien Preisen sicher. Dass sich der Grundsatzgesetzgeber für eine solche diskriminierungsfreie Versorgung der Haushaltskunden nicht ausschließlich darauf verlässt, dass sich eine solche Versorgung zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen aus einem wirksamen Wettbewerb zwischen den Energieversorgungsunternehmen und dem (daraus resultierenden) aktuellen Angebot an marktgestützten Lieferpreisen ergibt, sondern eine rechtliche Absicherung durch die Pflicht zur Grundversorgung im Sinne des § 77 Abs 1 Satz 2 ElWOG 2010 unter den Vorgaben des § 77 Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 vorsieht, liegt jedenfalls im Rahmen des durch Art 27 EBRL unionsrechtlich Zulässigen und dient angesichts der Bedeutung von Energie als Leistung der Daseinsvorsorge einem gewichtigen, eine solche rechtliche Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen grundsätzlich sachlich rechtfertigenden öffentlichen Interesse.

Bei der in § 77 Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 vorgesehenen Tarifobergrenze handelt es sich [...] nicht um eine Preisregelung im Sinne des Art 5 EBRL, sondern um eine Konkretisierung des Rechtes auf Grundversorgung zur Sicherstellung, dass diese zu diskriminierungsfreien Preisen erfolgt. Das Energieversorgungsunternehmen entscheidet – insoweit allein unter der Vorgabe, dass dieser Tarif nicht höher sein darf als jener, zu dem das Energieversorgungsunternehmen die größte Anzahl seiner Haushaltskunden beliefert – selbst über den Tarif, den es im Übrigen auch unter der – zu derjenigen der Tarifobergrenze vergleichbaren – Anforderung der Angemessenheit ändern kann (§ 80 Abs 2a ElWOG 2010).

3.3. […] Wie sich insbesondere aus der Stellungnahme der E‑Control ergibt, kommt der Grundversorgung im Sinne des § 77 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 [...] eine am Markt der Versorgung mit Energie deutlich untergeordnete Bedeutung im Sinne einer 'Auffang-Versorgung' [...] zu, wenn etwa nur erheblich unter 1% aller Haushaltskunden diese Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen im Bereich Strom in Anspruch nehmen. Selbst die besondere Situation der Energiekrise, die – [...] kurzfristig – zu einer gewissen preislichen Attraktivität des Grundversorgungstarifes im vorgenannten Sinn geführt hat, hatte – wohl auch vor dem Hintergrund sozialpolitischer Unterstützungsmaßnahmen des Staates – auf diese Auffangfunktion der Grundversorgung keine erheblichen Auswirkungen. [...]

Vor diesem Hintergrund handelt es sich, auch angesichts des Umstandes, dass grundsätzlich eine marktgestützte Versorgung der Verbraucher zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen, wie die genannte Entwicklung der Grundversorgung in Anspruch nehmender Haushaltskunden zeigt, funktionieren dürfte, bei der Regelung der Pflicht zur Grundversorgung in § 77 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 [...] um eine sachlich gerechtfertigte, im Lichte der Erwerbs- und Eigentumsfreiheit der in die Pflicht genommenen Energieversorgungsunternehmen auch sonst verhältnismäßige Regelung, deren Eignung und Erforderlichkeit zur Sicherstellung des dargelegten gewichtigen öffentlichen Interesses der Verfassungsgerichtshof nicht in Zweifel zieht.

[17] 3. Die Beklagte berief sich für ihren Rechtsstandpunkt im Verfahren auf das Kündigungsrecht nach der Durchführungsbestimmung des § 45 Abs 6 des Niederösterreichischen Elektrizitätswesengesetzes (NÖ ElWG 2005) mit dem Wortlaut:

Stromhändler und sonstige Lieferanten sind berechtigt, das Vertragsverhältnis zur Grundversorgung aus wichtigem Grund durch Kündigung zu beenden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn ein Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, einen Liefervertrag außerhalb der Grundversorgung abzuschließen . Davon unberührt bleibt das Recht des Stromhändlers oder sonstigen Lieferanten, seine Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis für den Fall einer nicht bloß geringfügigen und anhaltenden Zuwiderhandlung, wie z. B. Missachtung mehrmaliger Mahnungen, so lange auszusetzen, als die Zuwiderhandlung andauert.“

[18] Der Verfassungsgerichtshof hat aufgrund von Anträgen des Erstgerichts in anderen Verfahren § 45 Abs 6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 (wie oben hervorgehoben) mit Erkenntnis vom 12. 3. 2024, G 122/2023‑24, E 2193/2023‑20, G 129/2023‑23, G 138/2023-21, G 156/2023‑20, G 253/2023‑12, als verfassungswidrig aufgehoben und gemäß Art 140 Abs 6 und 7 Satz 2 B‑VG ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist sowie dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.

[19] In der Begründung dieses Erkenntnisses wird unter anderem ausgeführt:

2.2.2. [...] Wesentliche Vorgabe für die Grundversorgung mit Strom ist gemäß der grundsatzgesetzlichen Bestimmung des § 77 Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 auch, dass die Grundversorgung zu einem Tarif erfolgt, der nicht höher sein darf als jener Tarif, zu dem das vom Haushaltskunden für die Grundversorgung in Anspruch genommene Stromversorgungsunternehmen die größte Anzahl an Haushaltskunden versorgt. Dem widerspricht eine Kündigungsmöglichkeit für das zur Grundversorgung verpflichtete Stromversorgungsunternehmen (einzig) aus dem Grund, dass ein dritter Stromhändler oder sonstiger Lieferant bereit ist, außerhalb der Grundversorgung einen Stromliefervertrag mit dem die Grundversorgung begehrenden Verbraucherkunden abzuschließen, ohne dass für diesen die Tarifobergrenze der Grundversorgung, wie sie in § 77 Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 grundsatzgesetzlich vorgegeben ist, bindend wäre . Eine solche Kündigungsmöglichkeit verstößt damit gegen die grundsatzgesetzlich in § 77 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 ElWOG 2010 geregelte Pflicht zur Grundversorgung für alle Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen.

[20] 4. Die Revision der Kläger macht geltend, die Vorinstanzen hätten die Grundsatzbestimmung des § 77 ElWOG 2010 sowie der Ausführungsnormen § 45 Abs 6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 (und § 43a Abs 7 WElWG 2005) unrichtig, nämlich unions- und verfassungsrechtswidrig ausgelegt.

[21] Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

[22] Der von der Beklagten ins Zentrum ihres Bestreitungsvorbringens gerückte Kündigungsgrund besteht nicht mehr, weil § 45 Abs 6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 vom Verfassungsgerichtshof rückwirkend aufgehoben wurde und nicht mehr anzuwenden ist. Dem Rechtsstandpunkt, die Beklagte könne nicht zur Gewährung der Grundversorgung an die Kläger verpflichtet werden, weil sie diese sofort wegen bestehender Alternativen wieder kündigen könnte, ist damit der Boden entzogen.

[23] Eine andere tragende Begründung für ihre Rechtsansicht, dass das aufrechte und ungefährdete Bestehen eines anderweitigen Stromliefervertrags oder die Möglichkeit, einen solchen auf dem freien Markt abzuschließen, dem Grundversorgungsanspruch entgegenstehe, konnte die Beklagte nicht darstellen.

[24] Eine mit dem weiteren Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs G 1102/2023 ua konforme Interpretation des § 77 ElWOG 2010 führt zum Ergebnis, dass sich eine diskriminierungsfreie Versorgung der Haushaltskunden gerade nicht ausschließlich aus einem wirksamen Wettbewerb zwischen den Energieversorgungsunternehmen und dem aktuellen Angebot an marktgestützten Lieferpreisen ergibt, sondern der Gesetzgeber eine rechtliche Absicherung durch die Pflicht zur Grundversorgung für alle Verbraucher und die gleichgestellten Kleinunternehmer vorsieht. Auch wenn darüber hinaus damit bezweckt wird, jenen besonders schutzwürdigen Verbrauchern einen Strombezug zu ermöglichen, die von den Lieferanten als Kunden ansonsten nicht akzeptiert würden, erschöpft sich § 77 ElWOG 2010 keineswegs darin, sondern enthält keine Einschränkung der Berechtigten auf diesen Personenkreis.

[25] Nach dem Rechtsstandpunkt der Beklagten hätte sie es jederzeit in der Hand, den Grundversorgungsanspruch nach Gutdünken zunichte zu machen, indem sie einem Verbraucher, der sich auf Grundversorgung berufen will, einen regulären Stromlieferungsvertrag zu für sie selbst günstigeren Bedingungen anbieten könnte. Damit würde § 77 ElWOG 2010 aber fast jeglicher Anwendungsbereich entzogen und es würden die dargelegten Gesetzeszwecke verfehlt.

[26] Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Kläger, deren Verbrauchereigenschaft unstrittig ist, gegenüber der Beklagten dann, wenn sie sich darauf berufen, Anspruch auf Grundversorgung nach § 77 ElWOG 2010 haben. Die Feststellung, dass die Kläger derzeit noch über ungekündigte Strombezugsverträge mit anderen Anbietern verfügen, und der unstrittige Umstand, dass sie weder sozial besonders bedürftig noch von einer Stromabschaltung bedroht sind, stehen diesem Anspruch auf Grundversorgung nicht entgegen.

[27] 5. Im Hinblick auf entsprechendes Vorbringen der Beklagten ist auch auf das Feststellungsinteresse der Kläger einzugehen.

[28] Unstrittig ist, dass diese sich gegenüber der Beklagten vor Klagseinbringung vergeblich auf Gewährung der Grundversorgung berufen haben. Die Beklagte hat diesen Anspruch dem Grunde nach verneint. Damit haben die Kläger aber ein rechtliches Interesse auf Feststellung des Grundversorgungsanspruchs ausreichend dargetan (vgl Frauenberger‑Pfeiler in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 III/1 § 228 ZPO Rz 44).

[29] Das Feststellungsbegehren geht auch über ein Leistungsbegehren hinaus. Es wird damit nicht nur geklärt, dass den Klägern konkret und aktuell Grundversorgung zusteht, sondern dass dieser Anspruch generell nicht an die von der Beklagten reklamierten Bedingungen gebunden ist. Durch das Feststellungsurteil kann ein weiterer Streit um das Recht auf Grundversorgung vermieden bzw mit Wirkung auf künftige Streitigkeiten nach Anbieterwechseln bindend entschieden werden. Das Interesse an einer alsbaldigen Klärung der Rechtslage ergibt sich auch aus dem möglichen finanziellen Nachteil durch notwendige Inkaufnahme eines ungünstigeren marktkonformen Strombezugstarifs (Frauenberger‑Pfeiler aaO Rz 90).

[30] 6. Der Revision der Erst-, Fünft- und Siebtkläger war daher Folge zu geben (Pkt A des Spruchs).

[31] Durch die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen waren auch die Kostenentscheidungen nach § 41 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren in Verbindung mit § 50 ZPO, neu zu fassen.

[32] Die Kosten der verbundenen Verfahren erster Instanz waren den Revisionswerbern im Verhältnis ihrer Anteile am damaligen Gesamtstreitwert (je 16,66 %) zuzuerkennen (Pkt B des Spruchs). Hinsichtlich der Fünftklägerin war aufgrund der berechtigten Einwendungen der Beklagten nach § 54 Abs 1a ZPO mangels zweckentsprechender Rechtsverfolgung kein Ersatz von Kosten für den nach der (mit Beschluss vom 6. 3. 2023 erfolgten) Verfahrensverbindung gesondert eingebrachten vorbereitenden Schriftsatz vom 17. 3. 2023 zuzusprechen.

[33] Die Kosten des Berufungsverfahrens waren nur auf Basis der von den Revisionswerbern betriebenen Forderungen zu berechnen, welche jeweils 20 %, insgesamt 60 %, der im Berufungsverfahren betriebenen Forderungen der damals noch sechs Berufungswerber ausmachten; die Kosten für die erfolgreiche Berufung der nunmehrigen Revisionswerberinnen waren daher mit jeweils einem Drittel von 60 % der für jenes Rechtsmittel verzeichneten Kosten zu bestimmen.

[34] Hier ebenso wie für die Revision war aber zu berücksichtigen, dass ein ERV‑Zuschlag nach § 23a Satz 1 RATG von 5 EUR nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für spätere Schriftsätze, darunter alle Rechtsmittelschriftsätze, zusteht (RS0126594).

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