OGH 7Ob825/76

OGH7Ob825/763.3.1977

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der Antragstellerin F*, Betriebsgesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Viktor Cerha, Dr. Karl Hempel und Dr. Dieter Cerha, Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegner 1.) R* (sen.), Pensionist in *, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, 2.) Ing. R* (jun.), Schotterwerksbesitzer in *, vertreten durch Dr. Karl Weiß, Rechtsanwalt in Wien, wegen Festsetzung der Enteignungsentschädigung, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 9. September 1976, GZ 44 R 136/76‑58, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwechat vom 21. April 1976, GZ 2 Nc 109/74‑43, in seinem Punkte 5.) aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0070OB00825.76.0203.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Mit Bescheid vom 5. August 1974, GZ I/7-960/7-1974, erkannte das Amt der NÖ. Landesregierung, daß die beiden Antragsgegner die je zur Hälfte in ihrem Eigentum stehenden, im Grundeinlösungsplan (Beilage ./A) ersichtlichen Grundflächen, deren Inanspruchnahme nach dem Ergebnis der Enteignungsverhandlung vom 11. April 1974 zur Erweiterung des Flughafens * unbedingt notwendig ist, der Antragstellerin abzutreten haben. Diese begehrte hierauf am 5. Dezember 1974 (ON. 1) die Festsetzung der Enteignungsentschädigung nach § 23 EisenbEntG. Der Erstantragsgegner beantragte den Zuspruch eines Entschädigungsbetrages von 960,-- S pro m2 des enteigneten Grundes. Der Zweitantragsgegner begehrte hingegen die Zuerkennung folgender Enteignungsentschädigung:

a) Materialverluste für abbaufähigen

Sand und Schotter und Humus (ON 37

und 41)                                                     8,368.190,-- S

b) Grundstückspreis                                       4,604.340,-- S

c) Wertminderung der verbleibenden

Restflächen                                               1,458.041,-- S

d) Entschädigung für Kaufkraftverlust             1,381.302,-- S

e) Zinsenverlust zusammen                                375.000,-- S

                                                                   16,186.873,-- S.

(Der in der Zusammenstellung im Schriftsatz ON 37 enthaltene Rechenfehler wurde korrigiert).

Das Erstgericht setzte die Enteignungsentschädigung für die den Antragsgegnern enteigneten Grundflächen im Gesamtausmaß von 15 ha 3.478 m2 mit 11,203.894,-- S fest, erkannte die Antragstellerin schuldig, den Antragsgegnern einen Entschädigungsbetrag von je 5,601.947,-- S zu bezahlen, sowie für den Fall der Nichtleistung binnen 14 Tagen nach Rechtskraft seiner Entscheidung 4 % Zinsen vom Entschädigungsbetrag zu entrichten, und wies das Mehrbegehren der Antragsgegner ab (Punkt 5 des Beschlusses ON 58). Das Erstgericht ermittelte auf Grund des von ihm eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Doz. Dipl.Ing. Dr. K* (ON 32) im Hinblick auf die nach § 99 Luftfahrtgesetz, BG vom 2. 12. 1957, BGBl. Nr. 253, (= LFG) zur Anwendung gelangenden Bestimmungen des EisenbEntG den Verkehrswert der enteigneten Grundflächen unter Berücksichtigung der Entwertung der verbleibenden Restgrundstücke mit 73,-- S pro m2. Mit diesem Betrag seien alle den Antragsgegnern durch die Enteignung erwachsenen vermögensrechtlichen Nachteile abgegolten. Für die behaupteten Materialverluste gebühre den Antragsgegnern keine Entschädigung, weil im Zeitpunkte der Enteignung die Verwendung der enteigneten Grundflächen zur Sand- und Schottergewinnung nicht mehr möglich gewesen sei. Auch aus dem Titel der Kaufkraftentwertung und des Zinsenverlustes stehe den Antragsgegnern keine Entschädigung zu.

Das Rekursgericht hob den in seinem stattgebenden Teil unbekämpft gebliebenen Beschluß des Erstgerichtes im Umfange der Abweisung des Mehrbegehrens der Antragsgegner auf und verwies die Rechtssache (in diesem Umfang) an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Das Rekursgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß den Antragsgegnern eine Entschädigung für den Kaufkraftverlust, den behaupteten Zinsenentgang und die entzogenen Humusmengen nicht zustehe. Es billigte auch die vom Erstgericht vorgenommene Bewertung der enteigneten Grundflächen, sofern diese nur für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignet sein sollten. Dies könne jedoch derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Die zum Teil vorhandenen Schotter- und Schleifsandlager könnten nämlich eine Erhöhung des Wertes der enteigneten Grundflächen zur Folge haben, wenn abbauwürdige Lager vorhanden sein sollten. Ob die Antragsgegner bereits die Absicht hatten, den Abbau vorzunehmen, sei bedeutungslos. Bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung komme es nämlich nicht darauf an, in welcher Verwendung die enteigneten Grundflächen im Zeitpunkte ihrer Enteignung gestanden seien, sondern welche Verwendungsmöglichkeiten sie in diesem Zeitpunkte geboten hätten. Die Erweiterung der Flughafengrenzen durch das Bundesministerium für Verkehr und die später erfolgte Enteignung könne die Antragstellerin nicht als Argument gegen die Abbaumöglichkeit der Schotter- und Sandvorkommen ins Treffen führen. Ob eine Abbaumöglichkeit bestanden habe, sei nämlich unter Außerachtlassung der Enteignung und der dieser vorausgehenden und allenfalls vorbereitenden Maßnahmen der Behörde zu beurteilen. Bei der Beurteilung der Verwendungsmöglichkeiten der enteigneten Grundstücke habe daher die Enteignung und die Flughafenerweiterung außer Betracht zu bleiben. Das Erstgericht werde sohin durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu prüfen haben, ob auf den enteigneten Grundstücken tatsächlich Schotter- und Sandlager vorhanden seien und ob diese im Zeitpunkte der Enteignung gewinnbringend hätten genützt werden können. Hierauf werde das Erstgericht den Verkehrs- und Ertragswert der enteigneten Grundflächen festzustellen haben. Der von den Antragsgegnern behauptete Permenverlust (Sand- und Schotterabbauverbot innerhalb eines 20 m breiten Streifens entlang der Flughafengrenze, siehe S. 19) werde allerdings nicht zu berücksichtigen sein, weil es sich hiebei nicht um einen unmittelbar aus der Enteignung entstehenden Nachteil handle.

Die Antragstellerin bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragt, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Zweitantragsgegner beantragt in seiner Äußerung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gilt der im JB 203 ausgesprochene Grundsatz über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen den Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes im Verfahren Außerstreitsachen auch in Enteignungsfällen, wenn die Entschädigung nach dem EisenbEntG festzusetzen ist (SZ 31/184, 33/73, 38/19 u.a.m.).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist jedoch nicht berechtigt. Die Rekurswerberin ist der Ansicht, die vom Rekursgericht angeordnete Verfahrensergänzung sei entbehrlich und die Rechtssache im Sinne einer Bestätigung der Entscheidung des Erstgerichtes spruchreif. Bereits jetzt stehe nämlich fest, daß die enteigneten Grundflächen nur für landwirtschaftliche Zwecke verwendet werden konnten. Maßgebend für deren Schätzung seien nämlich ihre Beschaffenheit und ihre Verwendungsmöglichkeiten im Zeitpunkte der Enteignung (5. 8. 1974). Mit Bescheid vom 28. Dezember 1972 habe aber bereits das Bundesministerium für Verkehr als oberste Zivilluftfahrtbehörde die neuen Flughafengrenzen unter Einbeziehung der später enteigneten Grundflächen der Antragsgegner festgelegt. Im Verfahren zur Erlangung der gewerbebehördlichen Genehmigung zur Errichtung einer Sand- und Schottergewinnungsanlage habe außerdem der Zweitantragsgegner ausdrücklich die enteigneten Grundflächen von seiner Antragstellung ausgenommen. Im Zeitpunkte der Enteignung sei daher eine gewerbliche Nutzung der von den Antragsgegnern behaupteten Schotter und Schleifsandlager rechtlich nicht mehr möglich gewesen. Der Umstand, daß die enteigneten Grundflächen nicht zur Schotter- und Sandgewinnung herangezogen werden können, sei daher keine Folge der Enteignung, sondern eine Folge ihrer im vorgenannten Bescheid des Bundesministeriums für Verkehr ausgesprochenen Widmung für die Flugplatzerweiterung.

Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kommt es bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung nicht auf die tatsächliche Verwendung der enteigneten Sache, sondern stets auf deren Verwendungsmöglichkeiten im Enteignungszeitpunkt an (EvBl 1964/6, ZVR 1958/249, 1963/26, 1971/61, zuletzt 1 Ob 621/76). Hiebei ist von der Sach- und Rechtslage auszugehen, die ohne die Enteignung bestanden hätte. Der Enteignete ist nämlich für alle ihm durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile schadlos zu halten (§ 4 EisenbEntG). Die Enteignung und die sie vorbereitenden Maßnahmen haben daher – wie das Rekursgericht richtig hervorhebt – bei der für den Schätzwert wesentlichen Beurteilung der Verwendungsmöglichkeiten der enteigneten Sache im Enteignungszeitpunkt außer Betracht zu bleiben. Die vom Bundesministerium für Verkehr mit dem erwähnten Bescheid ausgesprochene Festlegung der neuen Flugplatzgrenzen bildete aber erst die Grundlage für die spätere Enteignung der Grundflächen der Antragsgegner. Nach § 97 LFG können nämlich im Bereiche der Zivilluftfahrt das Eigentum und andere dingliche Rechte nur dann entzogen oder beschränkt werden, wenn diese Rechte zur Errichtung oder Erweiterung eines Flughafens unbedingt notwendig sind. Auch die vom Zweitantragsgegner beim Lokalaugenschein im gewerberechtlichen Verfahren abgegebene Erklärung, die enteigenten Grundflächen nicht in die beabsichtigte Sand- und Schottergewinnung einzubeziehen, erfolgte erst, als der Vertreter der obersten Zivilluftfahrtbehörde auf die bereits beschlossene Vergrößerung des F* hingewiesen hatte (siehe Bescheid der Bezirkshauptmannschaft * vom 11. Oktober 1974, Zl. XII-R-32-73 bei ON 14). Die vom Zweitantragsgegner mit der Rekurswerberin im gewerbebehördlichen Verfahren getroffene Vereinbarung über die Beschränkung der Sand- und Schottergewinnung auf die von der Enteignung nicht betroffenen Grundflächen, war daher nur durch die spätere Enteignung bedingt. Diese Vereinbarung und die Festlegung der neuen Flughafengrenzen durch die oberste Zivilluftfahrtbehörde haben demnach bei der Beurteilung der Verwendungsmöglichkeiten der enteigneten Grundflächen im Enteignungszeitpunkt außer Betracht zu bleiben.

Trotzdem kann im Hinblick auf die im Außerstreitverfahren zulässigen Behauptungen der Rekurswerberin in ihrem Rechtsmittel, die enteigneten Grundflächen hätten sich auch vor der Erweiterung der Flugplatzgrenzen innerhalb der Sicherheitszonen des F* befunden und seien im eingereichten Flächenwidmungsplan der Gemeinde * als Grünland vorgesehen, derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Abbau der Schotter- und Sandlager im Enteignungszeitpunkte tatsächlich möglich gewesen wäre. Für die Errichtung von Luftfahrthindernissen innerhalb der Sicherheitszonen (darunter fallen nach § 85 LFG alle Bauten oberhalb der Erdoberfläche) ist nämlich eine Ausnahmegenehmigung erforderlich (§§ 86, 92 LFG). Das Erstgericht wird daher zu prüfen haben, ob bereits vor der Erweiterung der Grenzen des Flughafens die enteigneten Grundstücke innerhalb seiner Sicherheitszonen gelegen waren und ob allenfalls den Antragsgegnern eine Ausnahmegenehmigung für die Errichtung einer Sand- und Schottergewinnungsanlage im Sinne der vorangehenden Bestimmungen des LFG von der obersten Zivilluftfahrtbehörde erteilt worden wäre. Ferner wird das Erstgericht noch zu prüfen haben, ob die enteigneten Grundflächen tatsächlich im Grünland des eingereichten Flächenwidmungsplanes der Gemeinde * liegen, ob dieser Umstand ein Hindernis für den Schotterabbau gebildet hätte, bzw. hiezu eine behördliche Ausnahmegenehmigung erteilt worden wäre. Erst wenn diese Verfahrensergänzung ergeben sollte, daß im Enteignungszeitpunkt ein Schotter- und Sandabbau rechtlich möglich gewesen wäre, wird das Erstgericht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären haben, ob auf den enteigneten Grundflächen auch tatsächlich abbauwürdige Schotter- und Sandlager vorhanden sind. Bejahendenfalls wird das Erstgericht den hiedurch bedingten höheren Verkehrswert und den Ertragswert der enteigneten Grundflächen im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichtes zu ermitteln haben. Der von den Antragsgegnern behauptete Permenverlust wird hingegen bei der Entschädigungsbemessung außer Betracht zu bleiben haben, weil es sich hiebei nicht um einen unmittelbar aus dem Eigentumsentzug stammenden Nachteil handelt (siehe Brunner „Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Enteignungsentschädigung“ in JBl 1975/583). Nur wenn sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen sollte, daß die enteigneten Grundflächen lediglich für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignet waren, wird die Enteignungsentschädigung mit dem vom Erstgericht im Vergleichswertverfahren ermittelten Verkehrswert von 73,-- S pro m2 zu bemessen sein.

Die Rekurswerberin ist schließlich der Ansicht, die Antragsgegner hätten im Hinblick auf die Bestimmung des § 7 Abs. 1 EisenbEntG keinen Anspruch auf Entschädigung für die vorhandenen Sand- und Schottervorkommen. Sie mißversteht jedoch diese Gesetzesbestimmung, nach der bei der Entschädigungsbemessung auf keine Verhältnisse Rücksicht zu nehmen ist, die ersichtlich in der Absicht hervorgerufen worden sind, sie als Grundlage für die Erhöhung der Ansprüche auf Entschädigung zu benützen. Davon kann jedoch hier keine Rede sein, weil die Schotter und Sandvorkommen auf den enteigneten Grundflächen schon vorhanden waren und die Absicht der Antragsgegner, diese abzubauen, gar nicht Voraussetzung für deren Berücksichtigung bei der Entschädigungsbemessung ist (8 Ob 201/70, 5 Ob 210/71 u.a.m.). In der vom Zweitantragsgegner beantragten gewerbebehördlichen Bewilligung kann daher schon aus diesem Grunde die Schaffung eines Verhältnisses im Sinne des § 7 Abs. 1 EisenbEntG nicht erblickt werden.

Der Umstand, daß der Erstantragsgegner als Pensionist die enteigneten Grundstücke zum Zwecke der Schotterentnahme gar nicht nutzen könnte, ist im Hinblick auf die vorangehenden Darlegungen ohne Bedeutung.

Dem Rekurs der Antragstellerin war somit nicht Folge zu geben.

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