European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0070OB00809.76.0113.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung:
Die W* ist Eigentümerin der Liegenschaften EZ * und * KG *. Am 2. 3. 1964 verpachtete sie an H* Grundstücksteile der vorgenannten Liegenschaften zur Errichtung und zum Betrieb einer Treibstofftankanlage.
Punkt VII. dieses Vertrages lautet wie folgt: „Der Pächter hat als Entgelt für sämtliche ihm in diesem Vertrag eingeräumten Rechte als Bestandzins einen Betrag in der Höhe von 2 % der von der vertragsgegenständlichen Tankanlage aus dem Treibstoffverkauf erzielten Bruttoeinnahmen, mindestens jedoch 50.000 S pro Jahr zu bezahlen...“. Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin auf der Verpächterseite, während die Beklagte die Rechtsnachfolgerin des Pächters ist. Nach Einführung der Mehrwertsteuer in Österreich durch das Umsatzsteuergesetz 1972 kam es zwischen den Streitteilen zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des im Punkt VII. verwendeten Begriffes: „...2 % der... aus dem Treibstoffverkauf erzielten Bruttoeinnahmen“. Während die Klägerin auf dem Standpunkt steht, daß sich auch nach Einführung des Mehrwertsteuersystems der Bestandzins nach den die Mehrwertsteuer enthaltenden Bruttoeinnahmen berechne, vertritt die Beklagte den gegenteiligen Standpunkt. Bei Einbeziehung der Mehrwertsteuer in die Einnahmen aus dem Treibstoffverkauf ergibt sich eine Pachtzinsdifferenz von 11.297,83 S für das Jahr 1974 und von 9.003,42 S für das erste Halbjahr 1975, insgesamt daher eine solche von 20.301,25 S, die von der Beklagten nicht bezahlt wurde.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung des vorgenannten Betrages samt Anhang. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, durch das Umsatzsteuergesetz 1972 sei in Österreich an die Stelle der Bruttoumsatzsteuer die Nettoumsatzsteuer getreten. Unter Bruttoeinnahmen sei daher auch nur mehr der Nettoumsatz (Entgelt ohne Umsatzsteuer) zu verstehen.
Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens. Nach seinen Feststellungen wurde die Formulierung (2 % der aus dem Treibstoffverkauf erzielten Bruttoeinnahmen) im Punkt VII. des Bestandvertrages vom 2. 3. 1974 zur Vermeidung komplizierter Berechnungen gewählt. Es sollte daher der Tankstellenabgabepreis die Grundlage (für die Berechnung des Pachtzinses) sein. Das Erstgericht war der Auffassung, bei Abschluß des Bestandvertrages sei die Absicht der Parteien darauf gerichtet gewesen, daß der Berechnung des Bestandzinses die aus dem Treibstoffverkauf erzielten Bruttoeinnahmen zugrunde zu legen seien. Der Tankstellenabgabepreis habe aber sowohl vor als auch nach dem 1. 1. 1973 die Umsatzsteuer enthalten. Durch die Einführung der Mehrwertsteuer sei daher keine Änderung des Tankstellenabgabepreises eingetreten. Der von der Beklagten zu entrichtende Bestandzins sei demnach von den Einnahmen (aus dem Treibstoffverkauf) einschließlich der Mehrwertsteuer zu berechnen. Der Standpunkt der Beklagten hätte eine Verringerung des Bestandzinses seit Einführung der Mehrwertsteuer zur Folge.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es war der Ansicht, daß im Hinblick auf die durch die Einführung des Mehrwertsteuersystems geschaffene Möglichkeit des Vorsteuerabzuges und der offenen Überwälzung der Umsatzsteuer der Bruttopreis einer Ware für den Unternehmer nicht mehr von entscheidender Bedeutung sei, weil die von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer keinen echten Kostenfaktor, sondern in der Regel nur mehr eine durchlaufende Rechnungspost darstelle. Führe aber die Änderung des Umsatzsteuersystems in dem vorgenannten Vertrag im Hinblick auf die vereinbarte Berechnungsmethode zu einer Pachtzinsänderung, so könne an dieser Berechnungsart nur dann festgehalten werden, wenn die Parteien beim seinerzeitigen Vertragsabschluß davon ausgegangen sein sollten, daß trotz möglicher grundsätzlicher Änderung des Steuersystems der Berechnungsmaßstab für den Bestandzins weiterhin verbindlich bleiben soll. Derartige Feststellungen habe jedoch das Erstgericht nicht getroffen. Aus der bloßen Heranziehung der Bruttoeinnahmen als Berechnungsmaßstab könne auf die Weitergeltung desselben trotz wesentlich geänderter Verhältnisse nicht geschlossen werden. Die Rechtssache sei daher noch nicht spruchreif. Sollte sich im zweiten Rechtsgang herausstellen, daß bei Abschluß des Bestandvertrages eine Änderung des damals in Geltung gestandenen Umsatzsteuersystems nicht in Erwägung gezogen worden sei, so werde das Erstgericht die von den damaligen Vertragspartnern nicht bedachte Frage, ob bei Einführung des Mehrwertsteuersystems der Bestandzinsberechnung auch weiterhin der Tankstellenabgabepreis zugrunde zu legen sei, im Wege der Vertragsergänzung zu lösen haben. Im Hinblick auf die in der Mineralölbranche in Tankstellenpachtverträgen relativ häufig vereinbarten umsatzabhängigen Bestandzinse werde das Erstgericht zu prüfen haben, ob sich im Geschäftsverkehr bei der Lösung des durch die Einführung des Mehrwertsteuersystems geschaffenen vorgenannten Problems eine bestimmte Übung herausgebildet habe. Sollte dies der Fall sein, komme diesem Umstand entscheidende Bedeutung zu. Als gleichwertig könnten allerdings nur jene Pachtverträge angesehen werden, bei welchen anläßlich der Umstellung auf das neue Umsatzsteuersystem nur der Begriff des Umsatzes ohne gleichzeitige Relationsänderung zwischen Einnahmen und Bestandzins klargestellt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes bekämpft die Klägerin mit Rekurs, wobei sie beantragt, den Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen.
Der Rekurs ist berechtigt.
Den Ausführungen des Berufungsgerichtes ist insofern beizupflichten, als die Auslegung von Verträgen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdruckes zu haften hat, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (§ 914 ABGB). Versagt daher die Auslegung des in einem Vertrag gebrauchten Ausdruckes nach seinem buchstäblichen Sinn, so ist die Absicht der Parteien zu erforschen und schließlich der Vertrag zu ergänzen bzw. zu korrigieren (Gschnitzer in Klang2 IV/1 S. 404 ff, EvBl 1960/3, MietSlg 25.136 u.a.m.). Das einschneidendere Mittel der Vertragsauslegung ist dabei erst dann heranzuziehen, wenn das mildere nicht zum Ziele führt. Die Vertragsergänzung bzw. Korrektur als das einschneidendere Mittel der Auslegung darf daher grundsätzlich erst dann angewendet werden, wenn die Erforschung des Parteiwillens versagt (Gschnitzer in Klang2 IV/1 S. 411, SZ 42/52, JBl 1971/429, MietSlg 25.136 u.a.m.).
Hier ergab die vom Erstgericht vorgenommene Erforschung des Willens der Vertragsparteien, daß diese unter Bruttoeinnahmen die aus dem Tankstellenabgabepreis erzielten Einkünfte des Tankstellenbetriebes verstanden. Gewählt wurde diese Formulierung von den Vertragspartnern deshalb, weil sie eine einfache Berechnung des Pachtzinses ermöglichte. Da im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (März 1964) im Tankstellenabgabepreis bereits die zu entrichtende Umsatzsteuer enthalten war, mußte sich der damalige Pächter (in dessen Rechtsstellung die Beklagte eingetreten ist) im klaren sein, daß eine Erhöhung der Umsatzsteuer, die auch vor der Einführung des Umsatzsteuergesetzes 1972 einige Male erfolgte, auch eine Erhöhung des von ihm zu entrichtenden Bestandzinses zur Folge haben werde. Wenn er sich daher trotzdem mit der Formulierung des Vertragspunktes VII. des Pachtvertrages vom 2. 3. 1964 einverstanden erklärte, so hat er das hiemit verbundene Risiko in Kauf genommen. Die vom Erstgericht vorgenommene Erforschung des Parteiwillens führt daher zu dem Ergebnis, daß der Berechnung des Pachtzinses die jeweils geltenden Tankstellenabgabepreise zugrunde zu legen sind. Die durch das Umsatzsteuergesetz 1972 bewirkte grundsätzliche Änderung auf dem Gebiete des Umsatzsteuerrechtes ist sohin im Hinblick auf den eindeutigen Willen der Vertragsparteien bei Abschluß des Pachtvertrages ohne Bedeutung. Die vom Berufungsgericht für erforderlich erachtete Verfahrensergänzung ist demnach entbehrlich.
Ob die Weitergeltung des Umsatzsteuergesetzes 1959 die Geschäftsgrundlage für den gegenständlichen Vertragsabschluß bildete, die mit dem Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1972 weggefallen sein könnte, kann dahingestellt bleiben. Bei Wegfall einer typischen Vertragsvoraussetzung können nämlich die Parteien nur vom Vertrag zurücktreten, nicht aber dessen Korrektur begehren (Gschnitzer in Klang2 IV/1 S. 339, vgl auch Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechtes4 S. 108 ff. SZ 45/92, MietSlg. 22.542 u.a.m.). Ein Vertragsrücktritt wegen Wegfalles der Geschäftsgrundlage wurde aber von der Rekurswerberin nicht behauptet. Darüber hinaus kann in einer Änderung der Gesetzeslage nur dann der Wegfall der ursprünglichen Geschäftsgrundlage gelegen sein, wenn der Fortbestand eines bestimmten Gesetzes oder einer bestimmten Rechtslage offensichtlich zur Grundlage eines bestimmten Vertrages gemacht wurde (Klang2 IV/1 S. 339, SZ 43/63, MietSlg 23.076, 23.200, 26.066 u.a.m.). Die Vertragstreue erfordert es nämlich grundsätzlich, daß jeder Vertragsteil die von ihm übernommene Verpflichtung erfüllt und das Risiko des eventuellen Scheiterns seiner Erwartungen tragen muß (SZ 43/63, MietSlg 23.200, 26.066 u.a.m.).
Die Rechtssache ist daher bereits im Sinne einer Bestätigung des Ersturteils spruchreif. Die von der Beklagten in ihrer Berufungsschrift gerügte Aktenwidrigkeit des Ersturteils ist nicht geeignet, dessen Entscheidungsgrundlagen zu verändern (Art. 8488 u.a.m.). Der angefochtene Beschluß war demnach aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen.
Die Entscheidung über die Rekurskosten gründet sich auf § 52 ZPO.
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