European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00652.76.0902.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
In der Tagsatzung vom 4. März 1976 schlossen die Parteien vor dem Erstgericht einen Vergleich, dessen Punkt 2.) wie folgt lautet:
„Dieser Vergleich wird unter der aufschiebenden Bedingung abgeschlossen, daß es beide Streitteile unterlassen, durch Schriftsatz in zweifacher Ausfertigung beim Handelsgericht Wien zu erklären, daß die Wirksamkeit dieses Vergleiches nicht einzutreten hat; der klagenden Partei steht dazu eine Frist bis 14. 4. 1976 und der beklagten Partei eine Frist bis 3. 5. 1976 offen.“
Am 29. 4. 1976 langte folgendes Telegramm der Beklagten beim Erstgericht ein:
„Bedingter Vergleich 10 Cg 323/75 B* gegen B* und Co. wird widerrufen.“
Am 30. 4. 1976 langte beim Erstgericht ein mit „Widerruf“ bezeichneter Schriftsatz der Beklagten folgenden Inhaltes ein:
„Die beklagte Partei widerruft den bei der Streitverhandlung vom 4. 3. 1976 abgeschlossenen bedingten Vergleich“.
Dieser Schriftsatz wurde in einfacher Ausfertigung eingebracht.
Das Erstgericht bestätigte den Eintritt der Rechtswirksamkeit des abgeschlossenen Vergleiches, wobei es den Standpunkt vertrat, dessen Punkt 2.) beinhalte eine materiellrechtliche Bedingung dahin, daß der Widerruf in zweifacher Ausfertigung erfolgen müsse. Mangels Eintrittes dieser Bedingung sei die Rechtswirksamkeit des Vergleiches anzunehmen.
Das Rekursgericht hob mit dem angefochtenen Beschluß den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die Fortsetzung des Verfahrens auf. Es führte hiebei aus, die Frage der Rechtzeitigkeit des Widerrufes spiele hier keine Rolle, weil der entsprechende Schriftsatz unbestrittenermaßen noch vor Ablauf der im Vergleich genannten Frist beim Erstgericht eingelangt sei. Punkt 2.) des Vergleiches könne nur dahin verstanden werden, daß ein Widerruf schriftlich zu erfolgen habe. Diese Voraussetzung habe die Beklagte erfüllt. Der weitere Hinweis auf die zweite Ausfertigung stelle keine erkennbare Bedingung für die Unterbringung der Rechtswirksamkeit des Vergleiches dar.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß dem Rekurs der Beklagten gegen den erstgerichtlichen Beschluß nicht Folge gegeben werde.
Der Rekurs ist nicht gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Ein gerichtlicher Vergleich hat eine Doppelnatur, nämlich einerseits die eines materiellen Rechtsgeschäftes und andererseits die einer Prozeßhandlung (Fasching II, 963; Dolinar in ÖJZ 1970,119 ff, Sprung in ZAS 1971, 97 f, JB1 1970, 320, EvBl 1968/161, SZ 41/55 u.a.). Bezüglich der Funktion als Prozeßhandlung ist die Beisetzung von Suspensivbedingungen derart, daß der Vergleich erst wirksam werden soll, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt widerrufen wird, grundsätzlich zulässig (SZ 23/340 u.a.). Hiebei handelt es sich nicht um eine rein verfahrensrechtliche Frist, sondern um eine zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlußfrist mit materiellrechtlicher Wirkung (Sprung in ZAS 1971, 98, JB1 1969, 667, EvBl 1961/273 u.a.). Demnach ist aber zwischen den Fragen einerseits, ob ein Vergleich einen Prozeß beendet, und andererseits, welche materiellrechtlichen Wirkungen er nach sich zieht, zu unterscheiden. Ob ein Vergleich einen Prozeß beendet, ist ausschließlich nach Prozeßrecht zu beurteilen; ob ein verpflichtender Vertrag zustandegekommen ist, ausschließlich nach materiellem Recht (Fasching II, 967 f).
Wenn die Parteien vereinbaren, daß die Wirksamkeit eines von ihnen abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs durch das Unterbleiben eines schriftlichen Widerrufes suspensiv bedingt sein soll, kann dies nur dahin verstanden werden, daß die prozeßbeendende Wirkung nur einzutreten hat, wenn eine entsprechende schriftliche Erklärung bei Gericht nicht eingelangt ist. Ob die schriftliche Erklärung ihrer Form nach jenen Vorschriften entspricht, deren Einhaltung für Prozeßerklärungen erforderlich ist, ist eine reine Frage des Prozeßrechtes und daher nur nach diesem zu beurteilen. Sollte dagegen die Vereinbarung einer bestimmten Form materieller Inhalt der zwischen den Parteien getroffener Vereinbarung sein, dann müßte sich dies eindeutig aus dem Vergleichstext ergeben. Im Zweifel muß eine Vereinbarung über die Form als prozeßrechtliche Vereinbarung angesehen werden.
Betrachtet man die in Frage stehende Vereinbarung unter den aufgezeigten Gesichtspunkten, so ergibt sich, daß der Widerruf des Vergleiches in anderer als schriftlicher Form nach Prozeßrecht keinesfalls als wirksame Erklärung einer der Parteien hätte angesehen werden können. Der Widerruf ist jedoch in einer dem Prozeßrecht entsprechenden schriftlichen Form erfolgt. Der Zusatz bezüglich der zweiten Ausfertigung entspricht dagegen seinem Wesen nach der Formvorschrift des § 80 Abs. 1 ZPO. Seine Nichtbeachtung kann daher mangels eines aus dem Vergleichstext selbst klar abzuleitenden gegenteiligen Parteiwillens keine anderen Folgen haben als ein Verstoß gegen die erwähnte gesetzliche Bestimmung. Die formellen Vorschriften des § 80 Abs. 1 ZPO dienen nur der Erleichterung des prozessualen Geschäftsganges, ihre Nichteinhaltung kann aber nicht zu der mit der Zurückweisung verbundenen Präklusion materieller Rechte führen (Fasching II, 542). Aus diesen Gründen war der erstgerichtliche Beschluß verfehlt. Der Schriftsatz der Beklagten hat vielmehr, obwohl er nicht in der im Vergleich genannten Anzahl von Ausfertigungen eingebracht worden ist, die Unwirksamkeit des bedingt abgeschlossenen Vergleiches bewirkt.
Dem Revisionsrekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.
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