OGH 7Ob609/76

OGH7Ob609/7610.6.1976

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, Ges.m.b.H. & CO. KG. * vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei W* Versicherungs AG. per Adresse *, vertreten durch Dr. Hellmut Theiss, Rechtsanwalt in Wien, wegen 47.887,52 S samt Nebengebühren, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Dezember 1975, GZ. 4 R 228/75‑11, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien vom 26. Mai 1975, GZ. 37 Cg 752/75‑3, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00609.76.0610.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Rekursgericht die Berufung der Beklagten gegen das erstgerichtliche Versäumungsurteil als verspätet zurück, weil diese Entscheidung dem Vertreter der Beklagten nach dem vorliegenden Rückschein am 14. 8. 1975 zugestellt, die Berufung aber erst am 29. 8. 1975 überreicht wurde und somit unter Bedachtnahme auf § 225 Abs. 2 ZPO verspätet sei.

Der dagegen von der Beklagten erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurswerberin behauptet einerseits, daß die Eingangsbestätigung am Rückschein mit 14. August 1975 infolge Nichtumstellung des Stempels bei der tatsächlich am 18. 8. 1975 geschehenen Übernahme irrig erfolgt sei, und andererseits, daß der Gerichtsbrief, dessen Übernahme mit dem Rückschein bestätigt wurde, wohl die Halbschrift des Wiedereinsetzungsantrages ON 4 und den hierüber ergangenen Beschluß ON 5, nicht aber die am 18. 8. 1975 gesondert zugestellte Ausfertigung des Versäumungsurteiles enthalten habe.

Im Zusammenhang mit der Amtswegigkeit der Zustellung und ihrer Überprüfung ist der Nachweis von Unrichtigkeiten in der Beurkundung der Zustellung zulässig (§§ 87 und 292 Abs. 2 ZPO, Fasching II 603, RZ 1970, 221 ua). Es wäre deshalb sowohl die Richtigstellung eines auf dem Zustellausweis irrig angegebenen Zustelldatums als auch der Nachweis möglich, daß einem Rückscheinbrief trotz seiner Bezeichnung bestimmte Aktenstücke nicht beilagen (GlUNF 420, SZ 18/174).

Der weitere Rechtssatz, daß ein Rechtsmittel bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich hat (EvBl 1974/30 ua), kann allerdings auf Fälle wie den vorliegenden nicht angewendet werden, wo die öffentliche Urkunde (vgl. hiezu Fasching III 364), zunächst vollen Beweis macht. In solchen Fällen muß der Rechtsmittelwerber den Gegenbeweis führen.

Selbst wenn an diesen Gegenbeweis keine besonderen Anforderungen zu stellen wären, ist er der Rekurswerberin in beiden hier strittigen Belangen nicht gelungen. Für die nur als Vermutung aufgestellte These, daß der Rückscheinbrief das Versäumungsurteil nicht enthalten habe, hat sich kein konkreter Anhaltspunkt ergeben. Zwar kann sich weder die Gerichtsbeamtin, die die Abfertigung vorgenommen hat, noch die Angestellte des Beklagtenvertreters an die Einzelheiten des Falles erinnern. Während aber die Gerichtsbeamtin ihre sichere Meinung, daß sowohl das Versäumungsurteil als auch der Beschluß ON 5 gleichzeitig und in einem Rückscheinbrief an den Beklagtenvertreter abgefertigt wurden, plausibel damit begründet, daß Versäumungsurteile stets nur mit Rückscheinbriefen abgefertigt werden und praktisch nie am gleichen Tag zwei verschiedene Sendungen an eine Partei abgehen, konnte die Anwaltsangestellte weder dem Handakt noch ihrer Erinnerung einen Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß sich das Versäumungsurteil und der Beschluß ON 5 nicht im gleichen Umschlag befunden hätten. Die handschriftliche Beifügung der Worte „VU vom 26. 5. 1975 ON 3“ auf dem Rückschein läßt sich dann aber zwanglos in der von der Gerichtsbeamtin geschilderten Weise erklären, daß bei der Abfertigung des Versäumungsurteiles und des Beschlusse ON 5, die nach den unbedenklichen Abfertigungsvermerken am gleichen Tage, nämlich am 8. 8. 1975 stattfand, der Inhalt der vorbereiteten zwei Rückscheinbriefe in dem einen, an den nun ausgewiesenen Vertreter der Beklagten abzufertigenden Umschlag zusammengelegt und bei dieser Gelegenheit die Bezeichnung des Inhalts entsprechend ergänzt wurde.

Die Anbringung von verschieden lautenden Eingangsvermerken in der Kanzlei des Beklagtenvertreters einerseits mit dem Datumsstempel 14. 8. 1975 auf der Ausfertigung des Beschlusses ON 5 und der Halbschrift des Wiedereinsetzungsantrages und andererseits mit dem Stempel des Datums 18. 8. 1975 auf der Ausfertigung des Versäumungsurteiles bleibt allerdings ungeklärt. Aber so wie die Rekurswerberin meint auch die Angestellte ihres Anwaltes ohnehin, daß alle Schriftstücke am gleichen Tage beim Beklagtenvertreter eingelangt seien. Daß dies erst der 18. 8. 1975 gewesen wäre, blieb aber unbewiesen. Die Angestellte des Beklagtenvertreters will zwar die Datierung auf dem Rückschein mit 14. 8. 1975 ebenso wie den erst nachträglich ausgebesserten gleich lautenden Eingangsvermerk auf dem Beschluß ON 5 und der Halbschrift des Schriftsatzes ON 4 mit dem Vergessen der rechtzeitigen Umstellung des Datumsstempels erklären. Sie entnimmt aber umgekehrt diese Ansicht wieder nur aus der Abstempelung des Versäumungsurteiles und der Richtigstellung des Eingangsdatums auf dem Beschluß ON 5 jeweils mit dem Datum 18. 8. 1975, ohne sich an die Sache selbst erinnern zu können. Mangels einer solchen Erinnerung und der rechtzeitigen Aufnahme einer entsprechenden Aktennotiz können die Vermutungen des Beklagtenvertreters und seiner Kanzleiangestellten nicht als ausreichend anerkannt werden, den für sich unbedenklichen Inhalt der öffentlichen Urkunde zu widerlegen.

Dem unbegründeten Rekurs war demnach ein Erfolg zu versagen.

Rekurskosten wurden nicht verzeichnet.

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