European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0050OB00571.77.0512.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Untergerichte werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Die ehelichen Eltern der Minderjährigen, E* und G* B*, leben voneinander getrennt. G* B* wohnt derzeit mit ihrem Kind in der Wohnung ihrer Eltern.
Das Erstgericht bestellte die eheliche Mutter zum besonderen Sachwalter der mj T* B*, überließ ihr antragsgemäß das Kind in Pflege und Erziehung und verpflichtete den ehelichen Vater ab 29. Oktober 1976 (bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit) zur Entrichtung eines monatlichen Unterhaltes von 1.000,‑‑ S an seine Tochter. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes besteht die Wohnung der mütterlichen Großeltern der Minderjährigen aus drei Schlafzimmern, einer Wohnstube, Küche, Bad und WC. In dieser Wohnung leben neben den Großeltern des Kindes und dessen Mutter noch deren sechs Geschwister im Alter von neun bis achtzehn Jahren. Hievon besuchen vier Geschwister die Pflichtschule, während weitere zwei derzeit mangels einer Beschäftigung daheim sind. Eine weitere Schwester der Mutter befindet sich im Erziehungsheim S*. Die Räume der Wohnung der mütterlichen Großeltern machen einen schlampigen und unordentlichen Eindruck. Die Minderjährige liegt in einem Stubenwagen, der nachts im Schlafzimmer der Großeltern und tagsüber im Wohnzimmer steht. In diesem mit Radio und Fernsehapparat ausgestatteten Zimmer spielt sich das gesamte Familienleben ab. Die Minderjährige ist daher einer starken Lärmbelästigung und wegen der vielen Raucher in der Familie auch einer argen Luftverschmutzung ausgesetzt. Trotz dieser ungünstigen Umstände macht jedoch das Kind einen gesunden Eindruck. Die Mutter gibt sich auch Mühe, ihre Tochter nach ihren Vorstellungen bestens zu betreuen. Der eheliche Vater ist noch Mieter der ehelichen Wohnung in *. Er hält sich jedoch vorwiegend bei seinen Eltern auf, die im Hause * über eine modern eingerichtete, in bester Ordnung gehaltene Dreizimmerwohnung verfügen. Die 40 Jahre alte väterliche Großmutter des Kindes ist wohl berufstätig, würde aber ihre Arbeit dem Enkelkinde zuliebe aufgeben, um für dieses voll sorgen zu können. Das Erstgericht war der Ansicht, daß das Wohl eines Kleinkindes, besonders eines Mädchens, am besten bei einer Pflege durch seine Mutter gewährleistet sei. Hinreichende Gründe, von dieser Regel abzuweichen, liegen hier nicht vor. Wenn auch die Wohnverhältnisse der Mutter bei ihren Eltern tatsächlich beengt und die sonstigen äußeren Umstände nicht so günstig wie beim Vater und den väterlichen Großeltern seien, werde das Kind trotzdem von seiner Mutter hinreichend versorgt und gesund gehalten. Bei Abwägung all dieser Umstände sei der Überlassung des noch nicht einjährigen Mädchens an seine Mutter der Vorzug zu geben. Auch der begehrte Unterhalt entspreche den Bedürfnissen des Kindes.
Das Rekursgericht überließ die Pflege und Erziehung des Kindes dem ehelichen Vater, wies den diesbezüglichen Antrag der ehelichen Mutter ab und hob im übrigen den erstgerichtlichen Beschluß auf. Es war der Ansicht, daß die Entwicklung des Kindes bereits jetzt bei den offenbar schlechten sozialen und räumlichen Verhältnissen im Haushalt der mütterlichen Großeltern gefährdet sei, wenn es auch trotz dieser ungünstigen Umstände derzeit noch einen gesunden Eindruck mache. Da sich diese Verhältnisse kaum bessern werden, sei anzunehmen, daß das Kind mit zunehmendem Alter unter diesen Umständen immer mehr leiden werde. Da bei den väterlichen Großeltern alle Voraussetzungen gegeben seien, die das Kind in Zukunft benötigen werde, sei es dem ehelichen Vater in dessen Pflege und Erziehung zu überlassen. Wenn dieser auch ein derartiges Begehren nicht ausdrücklich gestellt habe, sei es aus seiner Stellungnahme zum Antrag der ehelichen Mutter zu entnehmen. Die Bestellung der Mutter zur besonderen Sachwalterin ihres Kindes sei aufzuheben gewesen, weil hiezu kein Anlaß mehr bestehe. Auch für die Unterhaltsverpflichtung des ehelichen Vaters seien die Voraussetzungen weggefallen, weil ihm das Kind in Pflege und Erziehung überwiesen worden sei und es ihm daher überlassen bleiben müsse, seiner Tochter im eigenen Haushalt die Naturalverpflegung zu gewähren.
Die eheliche Mutter bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragt, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen oder die Beschlüsse der Untergerichte aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Nach § 142 ABGB hat das Gericht im Falle einer Scheidung der Ehe der Eltern, wenn diese eine Vereinbarung über die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht getroffen haben, unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Falles mit Bedacht auf die Interessen der Kinder, auf Beruf, Persönlichkeit und Eigenschaften der Kindeseltern und auf die Ursachen der Scheidung zu entscheiden, ob alle und welche Kinder dem Vater oder der Mutter zu überlassen sind. Die vorgenannten Bestimmungen sind analog auch dann anzuwenden, wenn die Eltern bei aufrechtem Bestand ihrer Ehe getrennt leben (SZ 27/83, JBl 1965/147, EvBl 1975/42 uam). Auch in diesem Falle hat daher das Pflegschaftsgericht nach der zwingenden Bestimmung des § 142 ABGB bei seiner Entscheidung, welchem Elternteil die Kinder in Pflege und Erziehung zu überlassen sind, auf die Ursachen der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft Bedacht zu nehmen (RZ 1973/194). Richtig ist allerdings, daß für die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes grundsätzlich das Wohl des Kindes maßgebend ist (EvBl 1972/244 uam). Die Gründe für die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten sind daher für die Frage, welchem Ehegatten die Kinder zu überlassen sind, nur insofern von Bedeutung, als aus ihnen Schlüsse über die Eignung des einen oder anderen Elternteiles zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder gezogen werden können (Wentzel-Plessl in Klang2 I/2 S 54, EFSlg 593, 4.142, JBl 1959/546, RZ 1973, 194 uam).
Die Frage der Ursache der Trennung der Kindeseltern haben aber die Untergerichte nicht untersucht, sondern nur im wesentlichen die derzeitigen Wohnverhältnisse des Kindes im Haushalt seiner mütterlichen Großeltern einer möglichen Unterbringung bei den väterlichen Großeltern gegenübergestellt. Die Untergerichte haben daher auch nicht geprüft, ob die Behauptung der ehelichen Mutter richtig ist, daß sie von ihrem Ehegatten aus der ehelichen Wohnung verwiesen wurde (S l) oder ob sie den ehelichen Vater, wie dieser behauptet, böswillig verlassen und sich um ihr Kind nicht gekümmert hat (S 9 und 14): Gerade diese Umstände wären aber zur Prüfung der Frage, welcher Elternteil zur Pflege und Erziehung seines Kindes besser geeignet ist, von Bedeutung gewesen, weil daraus Rückschlüsse gewonnen werden können, bei welchem Elternteil eine liebevollere und sorgfältigere Erziehung des Kindes zu erwarten ist. Gerade diesem Umstand kommt aber bei der Beurteilung, wem das Kind in Pflege und Erziehung zu übergeben ist, besonderes Gewicht zu. In diesem Zusammenhang wäre auch von Bedeutung, ob die väterliche Großmutter tatsächlich Bedenken in dem Sinne geäußert hat, ob ihr Sohn auch der Vater des Kindes sei, weil auch in diesem Falle die von ihr behauptete besondere Zuneigung zu ihrem Enkelkind bezweifelt werden müßte. Hinzu kommt noch, daß auch im Erhebungsbericht der Bezirkshauptmannschaft * bezweifelt wird, ob die von der väterlichen Großmutter bekundete Bereitschaft zur Betreuung ihres Enkelkindes tatsächlich aufrichtig gemeint ist und die Möglichkeit erwogen wird, finanzielle Gründe und Rachegedanken eine Rolle spielen könnten.
Derzeit kann daher noch nicht abschließend beurteilt werden, welchem Elternteil die Pflege und Erziehung des Kindes zu überlassen sind. Die Beschlüsse der Untergerichte waren demnach aufzuheben. Das Erstgericht wird daher ergänzende Erhebungen im Sinne der vorangehenden Ausführungen durchzuführen und in diesem Zusammenhang auch zu klären haben, ob die von der ehelichen Mutter behauptete Besserung der Wohnverhältnisse bei ihren Eltern in der Zwischenzeit tatsächlich eingetreten ist. Außerdem sei noch erwähnt, daß auch vor einer Scheidung der Ehe der Kindeseltern eine einstweilige Regelung hinsichtlich der Benützung der Ehewohnung in * nach § 19 der 6. DVzEheG. möglich wäre. Nach Ergänzung seines Verfahrens wird daher das Erstgericht neuerlich über die Anträge der ehelichen Mutter zu entscheiden haben. Hiebei wird es darauf Bedacht zu nehmen haben, daß besonders ein Kleinkind der mütterlichen Obsorge und des ständigen Kontaktes mit seiner Mutter bedarf und daher nur besonders schwerwiegende Gründe die Eignung der Mutter zur Pflege und Erziehung ihres Kindes in Frage stellen können (EFSlg 9.668 uam). Sollte es zu einer Übergabe der Minderjährigen in die Pflege und Erziehung ihres Vaters kommen, wird dieser zu einer Unterhaltsleistung für sein Kind für die Zeit, in der es sich bei seiner Mutter befunden hat, dann zu verpflichten sein, wenn er den primär auf Naturalunterhalt gerichteten Anspruch seines Kindes verletzt (EFSlg 7.785, 12.867 uam) oder der vorläufigen Unterbringung des Kindes bei seiner Mutter ausdrücklich oder auch nur konkludent zugestimmt haben sollte (JBl 1965/147 uam).
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