OGH 7Ob30/76

OGH7Ob30/763.6.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Kinzel, Dr. Petrasch, Dr. Kuderna und Dr. Wurz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Landeshauptstadt Linz, vertreten durch Dr. Walter Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Österreichische Bundesbahnen), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, *, wegen S 252.947,50 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 27. Jänner 1976, GZ 4 R 15/76‑10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 31. Oktober 1975, GZ 1 Cg 76/75‑6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0070OB00030.76.0603.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Antrag der Klägerin, eine mündliche Revisionsverhandlung anzuberaumen, wird abgewiesen.

 

2.) zu Recht erkannt:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 5.184,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Mit Enteignungserkenntnis der Landeshauptmannschaft Oberdonau vom 21. Juni 1939 wurden für den Neubau des Personenbahnhofes Linz einige Grundstücke der Klägerin, darunter auch das der Liegenschaft EZ * KG * zugeschriebene Ackergrundstück Nr. *, enteignet. Über die Enteignung hinaus wurden einverständlich weitere Grundstücke einbezogen, sodaß im Endergebnis 54.358 m² von diesem Vorgang betroffen waren. Über die Entschädigung kam es am 4. März 1941 vor dem damaligen Amtsgericht Linz zu einem Übereinkommen, auf Grund dessen an sämtlichen betroffenen Grundstücken das Eigentumsrecht zugunsten des Deutschen Reiches (Reichseisenbahnvermögen) einverleibt wurde. Die Klägerin erhielt die vereinbarte Entschädigung von 135.859 RM noch im Jahre 1941. Im Punkt 5. dieses Übereinkommens wurde auf einen zwischen der damaligen Deutschen Reichsbahn und Adolf Hitler am 18. April 1940 abgeschlossenen Kaufvertrag Bezug genommen. Nach diesem Vertrag wurde das durch den Bau eines neuen Personenbahnhofes freiwerdende Reichsbahngelände in Linz von der Deutschen Reichsbahn an Adolf Hitler verkauft. Für den Fall, daß dieser Verkauf nicht zur Durchführung kommen sollte, verpflichtete sich die Deutsche Reichsbahn, der Stadt Linz eine Nachzahlung je Quadratmeter in Höhe des Unterschiedes zwischen 2,50 RM und dem dann ortsüblichen Handelspreis für Grundstücke in gleicher Lage bzw. mit dem von der Preisüberwachungsstelle beim Reichstatthalter in Oberdonau zugelassenen Höchstpreis zu leisten. Der Verkauf der Deutschen Reichsbahn an Adolf Hitler ist nicht zur Durchführung gekommen. Für das Grundstück Nr. * würde derzeit die Differenz zwischen 2,50 RM pro Quadratmeter und jenem Preis, der im Punkt 5. des Übereinkommens genannt ist, den Gesamtbetrag von S 252.947,50 ausmachen.

Die Klägerin begehrt den Betrag von S 252.947,50 s.A. mit der Begründung, die Beklagte habe, da sie nach wie vor über das Grundstück Nr. * verfüge und der Verkauf an Adolf Hitler nicht zustande gekommen sei, gemäß § 1409 ABGB den Differenzbetrag zu bezahlen. Sollte sich die Beklagte auf die Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG berufen, werde die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen eingewendet.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und macht geltend, nach den Bestimmungen der §§ 4 und 7 des 1. StaatsvertragsdurchführungsG hafte sie nicht für Schulden des Deutschen Reiches der aufgezeigten Art.

Außer Streit wurde ferner gestellt, daß die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Beklagten an dem strittigen Grundstück mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 11. oder 12. Jänner 1957 auf Grund der Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG erfolgte.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, nach § 4 des 1. StaatsvertragsdurchführungsG begründe der Eigentumsübergang auf Grund des Staatsvertrages eine Haftung der Beklagten für die Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches, seiner Einrichtungen, deutscher juristischer oder physischer Personen oder sonstiger Voreigentümer nur nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes. Damit falle eine Haftung nach den §§ 1409 oder 302 ABGB weg. Nach § 7 Abs 1 des 1. StaatsvertragsdurchführungsG hafte die Republik Österreich für Verbindlichkeiten, die zu den auf Grund des Staatsvertrages in ihr Eigentum übergegangenen Vermögenswerten gehören und die nicht Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches oder seiner Einrichtungen seien, nur mit dem Vermögenswert, zu dem die Verbindlichkeiten gehören. Das gesamte, aus dem ehemaligen Eigentum einer deutschen physischen oder juristischen Person für das Eigentum der Republik Österreich übergegangene Vermögen sei als Sondervermögen anzusehen. Hingegen finde sich im 1. StaatsvertragsdurchführungsG keine Bestimmung , nach der die Republik Österreich auch für Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches selbst oder seiner Einrichtungen haften würde. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 1 Abs 2 des 1. StaatsvertragsdurchführungsG müsse auch das fragliche Grundstück, als ehemaliger deutscher Vermögenswert im Sinne des Art 22 des Staatsvertrages angesehen werden. Selbst wenn man diese Bestimmung auf Vermögenswerte, die hoheitsrechtlichen Zwecken dienten, nicht anwenden wolle, sei für die Klägerin nichts gewonnen, weil die deutsche Reichsbahn der Privatwirtschaftsverwaltung diente. Damit sei aber das 1. StaatsvertragsdurchführungsG auch auf das ehemalige Reichsbahnvermögen anzuwenden, weshalb eine Haftung der Beklagten für die Schulden der deutschen Reichsbahnverwaltung nicht in Frage komme.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und billigte zur Gänze dessen rechtliche Beurteilung.

Beide Untergerichte führten aus, daß ihnen eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des 1. StaatsvertragsdurchführungsG verwehrt sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. In erster Linie stellt die Klägerin den Antrag, beim Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des 1. StaatsvertragsdurchführungsG überprüfen zu lassen. Außerdem wird die Aufhebung des angefochtenen Urteiles und die Zurückverweisung an eines der Untergerichte beantragt. Schließlich begehrt die Klägerin die Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung.

Die Beklagte stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung war abzuweisen, weil die Voraussetzungen des § 509 Abs 2 ZPO nicht vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im übrigen nicht gerechtfertigt.

Die Revisionswerberin bestreitet gar nicht die Richtigkeit der Rechtsausführungen der Untergerichte. Sie steht lediglich auf dem Standpunkt, die Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG seien verfassungswidrig, weshalb dieses Gesetz als Grundlage für die rechtliche Beurteilung ausscheide. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden.

Es ist zwar richtig, daß § 365 ABGB Enteignungen nur bei gleichzeitiger Leistung einer Entschädigung vorsieht, doch bildet diese Bestimmung nicht den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentumsrechtes. Dieser verfassungsrechtliche Schutz ist im Art 5 StGG enthalten. Die letztgenannte Bestimmung macht jedoch eine Enteignung nicht von der Leistung einer Entschädigung abhängig. Aus diesem Grunde hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur (Slg NF 2572, 2680 u.a.), sowie ihm folgend auch der Oberste Gerichtshof (EvBl 1975/197 EvBl 1962/55, HS 3198 u.a. ausgeführt, daß entschädigungslose Enteignungen nicht verfassungswidrig sind. Die Judikatur ist demnach jenem Teil der Lehre, die den gegenteiligen Standpunkt einnimmt, (vgl. Pfeifer in ÖJZ 1958 S 255 und 284 f, ÖJZ 1962 S 477 f) nicht gefolgt. Selbst wenn man daher in den in Frage stehenden Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG Enteignungsbestimmungen erblicken sollte, würden diese wegen des Fehlens der Zusage einer Entschädigung nicht gegen die Verfassung verstoßen. Einer Erörterung der Frage, ob durch das erste Zusatzprotokoll zu der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine Änderung der Rechtslage bezüglich entschädigungsloser Enteignungen eingetreten ist, muß nicht Stellung genommen werden, weil dieses Zusatzprotokoll hinsichtlich des Staatsvertrages mit dem Vorbehalt ratifiziert wurde, daß die Bestimmungen des Teiles IV „aus dem Krieg herrührende Ansprüche“ und des Teiles V „Eigentum, Rechte und Interessen“ unberührt bleiben (BGBl 210/1958, EvBl 1967/49). Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat diesen Vorbehalt im weitesten Sinne dahin interpretiert, daß alle Materien, die Gegenstand der Teile IV und V des Staastsvertrages sind, vom Anwendungsbereich des Zusatzprotokolles auszuschließen seien (Ermarcora, „Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte“ S 171). Das 1. StaatsvertragsdurchführungsG ist nichts anderes als eine Interpretation einiger Bestimmungen des Staatsvertrages (EvBl 1957/252, EvBl 1957/125 u.a.). Insbesondere aus seinem § 1 Abs 1 ergibt sich, daß seinen Gegenstand die auf Grund des Staatsvertrages übergegangenen Vermögenswerte bilden. Es bedarf daher keiner näheren Begründung, daß auch die Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG von dem Vorbehalt Österreichs zum Zusatzprotokoll zur Konvention der Menschenrechte umfaßt werden.

Demnach sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen das 1. StaatsvertragsdurchführungsG wegen des Fehlens von Entschädigungsbestimmungen nicht gerechtfertigt.

Inwieweit das 1. StaatsvertragsdurchführungsG gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen soll, läßt auch die Revision nicht erkennen. Dieser Grundsatz verwehrt es dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründete Differenzierungen zu schaffen (VerfGH Slg NF 6410, 5029 u.a.). Nur dann, wenn das Unterscheidungsmerkmal nicht in der Natur der Materie liegt, wenn es willkürlich gewählt ist, ist eine im Gesetz liegende Differenzierung unsachlich und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz (VerfGH Slg NF 4916, 5030 u.a.). Demnach fordert das Gleichheitsgebot nicht, daß sämtliche Staatsbürger in allen Fällen gleich behandelt werden, sondern nur, daß Differenzierungen bei vergleichbarem Sachverhalt nur aus einem sachlich gerechtfertigten Grund erfolgen dürfen. Da die Erfüllung eines Tatbestandes nach dem 1. StaatsvertragsdurchführungsG mit der Erfüllung von Tatbeständen nach anderen Gesetzen nicht gleichgehalten werden kann, wäre eine verschiedene Behandlung von Personen, die einen Tatbestand nach diesem Gesetz erfüllen gegenüber Personen, die einen anderen Tatbestand erfüllen, kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot. Daß Enteignungen grundsätzlich auch im Sinne der Verfassung zulässig sind, ergibt sich aus den Bestimmungen des StGG.

Da das 1. StaatsvertragsdurchführungsG nur eine Interpretation des österreichischen Staatsvertrages darstellt, kann kein Zweifel daran herrschen, daß es dem allgemeinen Wohl dient. Der Staatsvertrag wurde abgeschlossen, damit Österreich seine volle Souveränität erlangt. Der Abschluß war nur infolge Erfüllung verschiedener Bedingungen möglich. Unter anderem mußte Österreich die Verpflichtung zur Leistung umfangreicher Zahlungen auf sich nehmen. Die Überlassung des ehemaligen deutschen Eigentums stellt eine gewisse Gegenleistung dafür dar. Aus diesen Gründen erschien es sachlich gerechtfertigt, Österreich von der Leistung weiterer Zahlungen zu befreien. Diese gesamte Regelung muß als eine Einheit aufgefaßt werden. Daß sie in ihrer Gesamtheit dem allgemeinen Wohl dient, kann nicht zweifelhaft sein.

Es ergibt sich sohin, daß die Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG in keiner Weise Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit erwecken, weshalb eine Unterbrechung des Revisionsverfahrens und die gewünschte Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zu unterbleiben hatten.

Geht man von den Bestimmungen des 1. StaatsvertragsdurchführungsG aus, entspricht die rechtliche Beurteilung der beiden Untergerichte vollinhaltlich der Gesetzeslage, was auch die Revisionswerberin nicht verkennt. Es kann daher auf die zutreffenden Ausführungen bereits des Ersturteiles verwiesen werden.

Der Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO

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