OGH 7Ob154/24h

OGH7Ob154/24h29.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Edgar Veith, Rechtsanwalt in Götzis, wider die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Juli 2024, GZ 4 R 91/24z‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00154.24H.0129.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Ehefrau des mitversicherten Klägers und der Beklagten liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung ARB 2008 – Fassung 1/2008 (R 910) zugrunde. Sie lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art. 23.2.1 und Art. 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

[…]

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

[…]

7. Die Leistungspflicht des Versicherers ist begrenzt wie folgt:

7.1. Die Höchstgrenze der vom Versicherer in einem Versicherungsfall für den Versicherungsnehmer zu erbringenden Leistungen bildet die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles laut Vertrag gültige Versicherungssumme.

7.2. Bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich und zeitlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, steht die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung. Ihre Höhe bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des ersten Versicherungsfalles“.

[2] Der Kläger begehrt Deckung für eine Leistungsklage gegen seine ehemalige Hausverwaltung gestützt auf einen Vergleich, der im davor von ihm gegen diese Hausverwaltung geführten Prozess wegen unterlassener und nicht ordnungsgemäß durchgeführter Hausverwaltertätigkeiten abgeschlossen wurde und eine Haftung für zukünftige Schäden aus diesem Grund beinhaltet. Der für die Bestimmung des Versicherungsfalls relevante Verstoß liege in der nunmehrigen Zahlungsverweigerung. Für dieses Verfahren stehe die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zur Gänze zur Verfügung.

[3] Die Beklagte bestreitet ihre grundsätzliche Deckungspflicht nicht. Sie wendet – soweit im Revisionsverfahren relevant – das Vorliegen nur eines Versicherungsfalls und eines Serienschadens gemäß Art 6.7.2. ARB 2008 ein. Es sei der bereits gegen die Hausverwaltung geführte Prozess, der durch den Vergleich beendet worden sei, zu berücksichtigen und ein bereits beendetes Verfahren gegen eine von der Hausverwaltung beauftragte GmbH. Gegenstand dieser Verfahren seiendieselben Pflichtverletzungen gewesen. Die in den beiden Verfahren bereits erbrachten Leistungen seien von der zum Zeitpunkt des ersten Versicherungsfalls geltenden Versicherungssumme daher in Abzug zu bringen.

[4] DieVorinstanzen gingen von nur einem Versicherungsfall, jedenfalls aber einem Serienschaden und damit einer restlichen Versicherungssumme von lediglich 35.067,97 EUR aus und wiesen das darüberhinausgehende Klagebegehren auf Deckung unter Berücksichtigung der vollen Versicherungssumme ab.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Kläger zeigt mitseiner außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[6] 1. Die Streitteile gehen übereinstimmend davon aus, dass für die vom Kläger begehrte Deckung der Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften (Art 2.3. ARB 2008) als Versicherungsfall gilt.

[7] 1.1. Dieser Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung liegt vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne Weiteres nach außen zu dringen braucht (vgl etwa 7 Ob 42/23m). Ein Verstoß ist das Handeln gegen eine gesetzliche oder vertragliche Rechtspflicht oder das Unterlassen eines rechtlich gebotenen Tuns, also ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001).

[8] 1.2. Bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlichen und zeitlich zusammenhängenden, einheitlichen Vorgang darstellen, steht die Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung. Zweck solcher Serienschadenklauseln ist es, mittels einer Fiktion mehrere Versicherungsfälle unter bestimmten Voraussetzungen als einen Versicherungsfall zu behandeln, und so die vereinbarte Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung zu stellen. Dabei ist nicht entscheidend, ob ein zeitlicher und ursächlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Prozessen besteht, sondern ob dieser zwischen den einzelnen Versicherungsfällen vorliegt. Das ist der Fall, wenn mehrere Versicherungsfälle einem Geschehensablauf entspringen, der nach der Verkehrsauffassung als ein einheitlicher Lebensvorgang aufzufassen ist (RS0133573). Die Zusammenfassung mehrerer zeitlich und ursächlich zusammenhängender Versicherungsfälle zu einem einheitlichen „Leistungsfall“, der die Leistung des Rechtsschutzversicherers bis zur Haftungshöchstsumme nur einmal auslöst, ist dann gerechtfertigt, wenn mehrere Versicherungsfälle einem Geschehnisablauf entspringen, der nach der Verkehrsauffassung als ein einheitlicher Lebensvorgang aufzufassen ist (RS0111811 [T5]).

[9] 2.1. Dem vom Kläger gegen seine frühere Hausverwaltung aufgrund von ihm behaupteter Schlechterfüllung des Hausverwaltervertrags geführten Verfahren lagunter anderem die behauptete unzureichende Sicherheitsüberprüfung nach der ÖNORM B1300 zugrunde. Denselben inhaltlichen Vorwurf erhob der Kläger gegen das von dieser Hausverwaltung im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Kläger mit dieser Sicherheitsüberprüfung beauftragte Unternehmen, weshalb das Berufungsgericht beide Themenkomplexe als einem einheitlichen Geschehnisablauf entspringend und damit auch als einen einheitlichen Lebensvorgang angesehen hat, was nach der oben dargestellten Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig ist.

[10] 2.2. Die beiden hier nach den Behauptungen zugrundeliegenden Verstöße erfolgten auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang: Die Beauftragung durch die Hausverwaltung des Klägers und die Durchführung durch deren Erfüllungsgehilfin folgten unmittelbar aufeinander. Wenn die Vorinstanzen daher im Hinblick auf diese beiden Versicherungsfälle vom Vorliegen eines Serienschadens trotz Anspruchserhebung gegenüber verschiedenen Personen ausgegangen sind, hält sich das damit im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

[11] 3. Die vom Kläger nunmehr begehrte Deckung für eine Leistungsklage gegen seine Hausverwaltung stützt sich aufden Vergleich, der den gegen die Hausverwaltung geführten Prozess beendet hat. Die damals beklagte Hausverwaltung hat darin – ohne Anerkennung des klägerischen Prozessstandpunkts und ohne Präjudiz – ihre „Haftung für sämtliche künftigen Schäden und Nachteile, die aus unterlassenen Tätigkeiten bzw der nicht ordentlichen Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Hausverwaltungsvertrag“ erklärt. Die nach Ansicht des Klägers unterlassenen oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Tätigkeiten waren auch der Prozessgegenstand des durch den Vergleich beendeten Verfahrens.

[12] 3.1. Der Kläger argumentiert, es sei mit dem Vergleich eine neue Rechtsgrundlage geschaffen worden. Die Gegenseite würde nunmehr die Zahlungen aus dem Vergleich verweigern und damit einen neuen Verstoß setzen. Die Versicherungssumme müsste daher neuerlich zur Gänze zur Verfügung stehen.

[13] Auch in diesem Bereich ist die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht korrekturbedürftig.

[14] 3.2. In jedem Fall, in dem – wie hier durch den Vergleich – die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt wird, kann sich die Feststellung notwendigerweise nur auf das haftungsbegründende Verhalten, nicht aber auf einen in Zukunft mit Sicherheit konkret zu erwartenden Schaden und das Bestehen des Kausalzusammenhangs beziehen (RS0038915). Soweit zukünftige Schäden auftreten, muss der Geschädigte – ungeachtet eines Feststellungsurteils – im Leistungsprozess den Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und dem Schadenseintritt unter Beweis stellen (RS0038915 [T1, T5]).

[15] 3.3. Der Kläger begehrt mit seiner beabsichtigten Klage auf Leistung nach wie vor den Ersatz der aus dem haftungsbegründenden Verhalten – der nicht ordentlichen Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Hausverwaltungsvertrag – entstandenen Schäden, die er nunmehr beziffert. Der zugrundeliegende Verstoß ist damit nach wie vor derselbe. Dass die beklagte Hausverwaltung die Kausalität ihrer Tätigkeiten aus dem Hausverwaltungsvertrag für die vom Kläger nunmehr geltend gemachten Schäden bestreitet, ist die Konsequenz aus dem Umstand, dass zwar ihre grundsätzliche Haftung für eine Schlecht-Verwaltung feststeht, der Kläger aber zum Zeitpunkt dieser Feststellung – hier der Vergleich aus dem Jahr 2023 – nicht alle daraus resultierenden Schäden beziffern konnte und daher erst bei deren späterer Geltendmachung die Kausalitätsprüfung erfolgen kann. Die Bestreitung der beklagten Hausverwaltung stellt daher keinen neuen Verstoß dar, sie fordert damit nur die – zeitlich notwendigerweise nach hinten verlagerte – Kausalitätsprüfung für die jetzt geltend gemachten Schäden. Das Berufungsgericht ist daher ohne Korrekturbedarf von keinem neuen Verstoß und damit auch von keinem neuen Versicherungsfall ausgegangen.

[16] 4. Dass die Versicherungssumme damit für alle drei Verfahren nur einmal zur Verfügung steht, ist vor diesem Hintergrund insgesamt nicht korrekturbedürftig.

[17] 5. Die Revision war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

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