European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00152.25S.0925.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Zwischen der gefährdeten Partei (in der Folge Antragsteller) und der Gegnerin der gefährdeten Partei (in der Folge Antragsgegnerin) ist beim Erstgericht seit Oktober 2024 ein streitiges Scheidungsverfahren anhängig. Seitdem hat sich die Wohnsituation und das Zusammenleben für beide Parteien drastisch verschlechtert. Die Antragsgegnerin versucht durch verschiedene Maßnahmen, den Antragsteller zu provozieren und zu einer Kurzschlussreaktion zu treiben, um für sich eine bessere Position im Scheidungsverfahren zu gewinnen.
[2] Am 25. 11. 2024 verständigte die Antragsgegnerin die Polizei und behauptete, der Antragsteller habe sie mit erhobener Faust genötigt, was dessen polizeiliche Wegweisung aus der Ehewohnung zur Folge hatte. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft hob die Wegweisung am 27. 11. 2024 auf, da die Vorwürfe nicht objektivierbar seien, der Antragsteller keinen aggressiven, sondern einen kooperativen Eindruck auf die einschreitenden Polizisten gemacht habe und kein zwingendes Gefährdungspotential gegeben sei.
[3] Am 27. 12. 2024 kam es zu einem weiteren Vorfall zwischen den Parteien, welcher in einem Gerangel mündete und bei dem beide die Polizei verständigten. Die einschreitenden Polizisten verließen die Ehewohnung jedoch ohne konkrete Maßnahmen, weil sie keine unmittelbare Gefährdung oder Verletzungen wahrnehmen konnten.
[4] Die Antragsgegnerin versteckte regelmäßig Gegenstände des Antragstellers, beispielsweise dessen Skihelm und Skibrille, alte Laptops oder Sonnenbrillen, um dadurch psychischen Druck auf ihn aufzubauen. Wenn der Antragsgegner berufsbedingt mehrere Tage abwesend war, verstopfte sie zudem diverse Abflüsse im Haus, damit dieser sie reinigen musste. Weiters ließ sie möglichst viele Haushaltsarbeiten unbeendet, damit der Antragsteller nach seiner Rückkehr möglichst viel Arbeit hatte.
[5] Die Antragsgegnerin hatte stets ihr Handy dabei, um heimlich Audiodateien vom Antragsteller anfertigen zu können. Weiters fertigte sie ein- bis zweimal pro Woche ungewollt Fotos von ihm an, um ihn in nachteiligen Situationen darstellen zu können. Beispielsweise fotografierte sie ihn einmal, Bier trinkend beim Abendessen, um ihn als Alkoholiker darzustellen.
[6] Zudem hatte die Antragsgegnerin noch eine gewisse Zeit lang unberechtigterweise Zugriff auf das Email- und das Amazon-Konto des Antragstellers. Sie nutzte diesen Zugriff, um in seinem Namen Reizwäsche zu bestellen und davon angefertigte Screenshots im Scheidungsverfahren als belastendes Material vorzulegen.
[7] All diese Verhaltensweisen der Antragsgegnerin sind für den Antragsteller psychisch extrem belastend. Er leidet bereits an Schlafproblemen und hat auch körperliche Reaktionen wie Zittern und Herzrasen.
[8] Der Antragsteller begehrt mit dem am 20. 5. 2025 beim Erstgericht eingebrachtenAntrag, der Antragsgegnerin das Verlassen der Ehewohnung aufzutragen, sowie ein Aufenthalts-, Kontaktaufnahme-, Annäherungs- und Überwachungsverbot.
[9] Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag zunächst ohne Anhörung der Antragsgegnerin statt. Aufgrund der bescheinigten psychischen Belastungen, welche von der Antragsgegnerin verursacht worden seien und ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten darstellten, sei dem Antragsteller ein weiterer Kontakt und das weitere Zusammenleben unzumutbar.
[10] Der Antragsgegnerin wurde zunächst eine von der Urschrift abweichende Beschlussausfertigung zugestellt, welche nur den Spruch und nicht die Entscheidungsbegründung enthielt. Dagegen erhob die Antragsgegnerin Widerspruch und einen diesem nachgereihten Rekurs.
[11] In der Folge wurde der Antragsgegnerin eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung zugestellt, welche auch die mit der Urschrift übereinstimmende erstgerichtliche Begründung enthielt. Dagegen erhob die Antragsgegnerin einen (weiteren) Rekurs und einen diesem nachgereihten Widerspruch.
[12] Nach Durchführung eines Widerspruchs- und Bescheinigungsverfahrens wies das Erstgericht den im Schriftsatz gegen die erste Beschlussausfertigung ausgeführten Widerspruch der Antragsgegnerin ab. Dieser Beschluss erwuchs hinsichtlich der Abweisung des Widerspruchs unangefochten in Rechtskraft.
[13] Das Rekursgericht gab in der Folge beiden Rekursen der Antragsgegnerin nicht Folge. Durch die Übermittlung der vollständigen Beschlussausfertigung habe das Erstgericht eine Berichtigung der zunächst zugestellten Ausfertigung iSd § 419 ZPO vorgenommen. Auch wenn das Erstgericht einen Berichtigungsbeschluss dabei nur implizit gefasst habe, sei dessen Wille auf Berichtigung durch Übermittlung der vollständigen Ausfertigung eindeutig erkennbar gewesen. Die Antragsgegnerin habe erst durch die Berichtigung volle Klarheit über den Entscheidungsinhalt erlangt, sodass der von ihr erhobene zweite Rekurs weder durch ihr erstes Rechtsmittel konsumiert noch verspätet sei. Vor diesem Hintergrund seien beide Rekurse als Einheit zu betrachten und meritorisch als Einheit zu erledigen. Eine in den Rekursen insoweit geltend gemachte Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege daher nicht vor. Das bescheinigte Verhalten der Antragsgegnerin bewirke nicht nur eine mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung, sondern stelle ein weit darüber hinausgehendes inadäquates und als „Psychoterror“ zu bezeichnendes Verhalten dar. Dieses Verhalten gehe in seiner Gesamtheit weit über alltägliche Konflikte in Beziehungen hinaus und beeinträchtige die psychische Gesundheit des Antragstellers in einer Weise, die ihm das weitere Zusammenleben unzumutbar mache.
[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekursder Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
[16] 1.1. Die Antragsgegnerin bemängelt, dass die Ausfertigung der einstweiligen Verfügung zunächst ohne Begründung zugestellt wurde und die nachträgliche Übermittlung einer Ausfertigung mit Begründung ohne Berichtigungs- oder Ergänzungsbeschluss erfolgte. Für die Parteien sei nicht erkennbar gewesen, dass das Erstgericht eine Berichtigung gemäß § 419 ZPO vorgenommen habe.
[17] 1.2. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang eine Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens geltend macht, ist ihr entgegenzuhalten, dass auch im Provisorialverfahren die Verneinung eines im Rekursverfahren gerügten Nichtigkeitsgrundes (RS0097225 [T1, T6, T8]) ebenso wenig anfechtbar ist wie ein in zweiter Instanz verneinter Verfahrensmangel (RS0097225 [T7]).
[18] 1.3. Der Revisionsrekurs legt auch nicht die rechtliche Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels dar (vgl RS0116273 [T1]). Nach Zustellung der weiteren Beschlussausfertigung konnte das bereits erhobene Rechtsmittel ergänzt oder durch ein neues ersetzt werden (RS0041778 [T5, T6, T7]). Die Antragsgegnerin bezweifelt dabeiweder die Übereinstimmung der nachträglich übermittelten Beschlussausfertigung mit der Urschrift der einstweiligen Verfügung noch die meritorische Behandlung beider Rekurse als Einheit durch das Rekursgericht. Inwiefern die Qualifikation der weiteren Beschlussausfertigung, die die bis dahin fehlende schriftliche Begründung enthielt, als Berichtigung iSd §§ 419, 430 ZPO der ursprünglich unvollständigen Ausfertigung (vgl 2 Ob 7/21z) sich damit wesentlich auf die Entscheidung im Rekursverfahren auswirken konnte, wird im Revisionsrekurs nicht zur Darstellung gebracht. Die Antragsgegnerin führt letztlich auch nicht aus, warum entgegen der Beurteilung des Rekursgerichts die Voraussetzungen des § 419 ZPO nicht vorgelegen seien und eine vom Erstgericht vorgenommene Berichtigung für die Parteien nicht erkennbar gewesen sei, womit der Revisionsrekurs auch insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
[19] 2.1. Der Antragsteller stützt seinen Antrag auf §§ 382b, 382c und 382d EO. Die Vorinstanzen haben der einstweiligen Verfügung nach diesen Bestimmungen stattgegeben. Der Revisionsrekurs beschäftigt sich hingegen ausschließlich mit § 382b EO.
[20] 2.2. Gemäß § 382b EO kann auf Antrag mit einer einstweiligen Verfügung das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufgetragen und die Rückkehr verboten werden, wenn eine Person einer anderen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht und die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.
[21] 2.3. Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit der gefährdeten Partei erheblich beeinträchtigt wird (RS0121302 [T1]). Neben einem körperlichen Angriff oder der Drohung mit einem solchen ermöglicht also auch ein sonstiges Verhalten des Antragsgegners die Anordnung der in § 382b EO angeführten Sicherungsmaßnahmen, wenn dieses Verhalten eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (7 Ob 38/21w mwN). „Psychoterror“ ist, weil die Zumutbarkeitsfrage entscheidet, nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Von Bedeutung ist aber nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der gefährdeten Partei (RS0110446 [T4, T8, T15]; 7 Ob 38/23y). Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror“ kann aber nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen könnte (RS0121302), sodass etwa die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung regelmäßig nicht die Unzumutbarkeitsschwelle überschreitet (vgl 7 Ob 151/17g). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit der gefährdeten Partei erheblich beeinträchtigt wird (7 Ob 38/23y; vgl RS0121302 [T1]). Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person unzumutbar ist (§ 382b EO), stellt grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO dar (RS0123926; RS0118857 [T1]).
[22] 2.4. Bei Gewalt in der Wohnung steht es der gefährdeten Person frei, ob sie den Gewaltschutz nach § 382b EO oder nach § 382c EO geltend machen will (RS0127363). Während es nach § 382b EO des Nachweises eines dringenden Wohnbedürfnisses bedarf, ist nach § 382c EO demgegenüber zwingend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RS0127363 [T1]). Anders als nach § 382c EO bedarf es somit einer Interessenabwägung bei einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO nicht (RS0127363 [T1]).
[23] 3.1. In der Entscheidung 7 Ob 151/17g (vgl auch 7 Ob 38/23y) erachtete der Oberste Gerichtshof bei dem vom dortigen Antragsgegner zu verantwortenden Überwachen und Ausspionieren der Telefonkontakte der Antragstellerin und seinen „Beweismittelbeschaffungen“ (als Tonaufnahmegerät verwendetes, verstecktes Mobiltelefon in der Ehewohnung, Entnehmen von Haaren von der Haarbürste für einen Suchtmitteltest), die bei der Antragstellerin zu Belastungen und vegetativen Beschwerden führten, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO für gerechtfertigt, weil es sich dabei um schwerwiegende Vertrauensbrüche und unerträgliche Eingriffe in die Privatsphäre eines Ehegatten handelt, die auch im Rahmen eines anhängigen Scheidungsverfahrens keinesfalls zu tolerieren sind und damit der Antragstellerin das weitere Zusammenleben unzumutbar machen. Der vorliegende Sachverhalt ist insoweit ähnlich gelagert.
[24] 3.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das Verhalten der Antragsgegnerin stelle keine bloßen Bagatellhandlungen im Zusammenhang mit geringfügigen, alltäglichen Konflikten dar und habe eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lasse, bedarf keiner Korrektur. Die Antragsgegnerin hatte stets ihr Mobiltelefon für heimliche Audioaufnahmen bei sich und fertigte zusätzlich offen Fotografien des Antragstellers an, womit dieser einer Situation wiederholter Überwachung und ständiger (potentieller) Audio- und Lichtbildaufnahmen ausgesetzt war. Hinzu kommen die in diesem Zusammenhang zu sehenden Bemühungen der Antragsgegnerin, ihn zu provozieren und zu einer Kurzschlussreaktion zu treiben, sowie ihre fortlaufend und wiederholt gesetzten Störhandlungen im gemeinsamen Haushalt. Angesichts dessen und des Umstands, dass der Antragsteller aufgrund dieser für ihn psychisch extrem belastenden Verhaltensweisen bereits an Schlafproblemen und körperlichen Reaktionen leidet, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dem Antragsteller sei das weitere Zusammenleben unzumutbar, jedenfalls vertretbar.
[25] 3.3. Selbst bei der vom Revisionsrekurs angestrebten Berücksichtigung des als bescheinigt angenommenen Verhaltens des Antragstellers wird von der Antragsgegnerin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufgezeigt.
[26] 3.4. Die Rechtsmittelausführungen der Antragsgegnerin, die ein insgesamt nur zweimaliges Verstopfen von Abflüssen und das bloße Mitführen eines Mobiltelefons mit Aufnahme-App unterstellen, gehen nicht von dem als bescheinigt angenommenen, sondern von einem verharmlosend dargestellten Sachverhalt aus.
[27] 3.5. Das dringende Wohnbedürfnis des Antragstellers an der Ehewohnung wird im Revisionsrekurs nicht weiter bezweifelt.
[28] 4. Die Antragsgegnerin macht demnach keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs somit unzulässig und daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 402 Abs 4, 78 EO iVm §§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO).
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