European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00178.24F.0604.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
1. Soweit die Klage vorprozessuale Kosten der Privatbeteiligung (Rechtsanwalts- und Detektivkosten) von 4.462,07 EUR samt 4 % Zinsen seit 8. Juli 2022 geltend macht, werden aus Anlass der Revision die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren, einschließlich der diesbezüglichen Kostenentscheidung des Berufungsgerichts (Punkt I. des Berufungsurteils), als nichtig aufgehoben und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
3. Die Kosten des die Berufung des Klägers betreffenden zweitinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.231,92 EUR (darin 205,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes 15.000 EUR an Schmerzengeld sowie Arztkosten (751,04 EUR), Medikamentenkosten (208,15 EUR) und Kilometergeld (509,88 EUR). Durch vom Beklagten rechtswidrig gegen ihn gesetzte Verfolgungshandlungen (Stalking) habe der Kläger eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert erlitten. Das gegen den Beklagten geführte Strafverfahren sei diversionell erledigt worden. Auch die klageweise geforderten weiteren Beträge an Rechtsanwaltskosten für seine dortige Vertretung als Privatbeteiligter von 2.140,76 EUR sowie die Detektivkosten von 2.321,31 EUR zur Ermittlung des Wohnorts des Beklagten für die Zwecke der Einleitung des Strafverfahrens habe ihm der Beklagte zu ersetzen.
[2] Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte die Teilabweisung des Begehrens betreffend die dem Kläger im Rahmen des Strafverfahrens erwachsenen Kosten durch das Erstgericht und sprach dem Beklagten Kostenersatz für seine Berufungsbeantwortung zu (Spruchpunkt I.). Es teilte insoweit die Rechtsansicht des Erstgerichts, ein Ersatzanspruch bestehe nicht, weil der Privatbeteiligtenanschluss zurückgewiesen worden sei. Die Entscheidung, dass das Schmerzengeldbegehren von 15.000 EUR dem Grunde nach zu Recht bestehe, änderte das Berufungsgericht dahin ab, dass es auch dieses Teilbegehren abwies (Spruchpunkt II.). Ein rechtswidriger Eingriff des Beklagten in die Privatsphäre des Klägers habe nicht vorgelegen.
[3] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, es existiere noch keine gefestigte höchstgerichtliche Judikatur dazu, ob ein „Nachstellen“ mit einem PKW, das in die Privatsphäre des Verfolgten eingreife, gerechtfertigt sein könne, wenn der Täter damit den Zweck verfolge, die Beweislage seiner Stiefkinder in einem Unterhaltsverfahren zu verbessern.
Rechtliche Beurteilung
[4] I. Aus Anlass der Revision des Klägers ist eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit aufzugreifen:
[5] 1. Vorprozessuale Kosten sind bei Akzessorietät zum Hauptanspruch als Kosten im Kostenverzeichnis geltend zu machen, sodass ihrer klagsweisen Geltendmachung die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegensteht (RS0120431). Solche Kosten können erst dann selbständig eingeklagt werden, wenn kein Hauptanspruch mehr besteht (RS0035826; RS0111906) und daher kein Prozess in der Hauptsache mehr eingeleitet werden kann (2 Ob 126/23g [ErwGr 2.2.]; RS0111906).
[6] 2. Auch für die hier eingeklagten vorprozessualen Kosten der Privatbeteiligung (Rechtsanwaltskosten, Detektivkosten zur Wohnsitzermittlung) von 4.462,07 EUR samt Zinsen ist somit der Rechtsweg unzulässig (vgl RS0036070 [T2, T4]; RS0035951). Diese Nichtigkeit (§ 477 Abs 1 Z 6 ZPO) war aus Anlass der (formell statthaften) Revision von Amts wegen wahrzunehmen (RS0041942 [T11, T20]), wobei von der teilweisen Aufhebung auch die diesbezügliche (hier gesondert getroffene) Kostenentscheidung des Berufungsgerichts betroffen ist (vgl 8 Ob 66/24z [ErwGr 13.]). Die bloß implizite Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs durch meritorische Behandlung des Begehrens reicht für die Annahme einer Entscheidung mit bindender Wirkung nach § 42 Abs 3 JN nicht aus (RS0046249 [T7]).
[7] II. Im Übrigen ist die Revision entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[8] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[9] 2. Eine strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten wegen des Tatbestands der beharrlichen Verfolgung nach § 107a StGB erfolgte nicht. Der Verfahrensbeendigung durch Diversion kommt keine Bindungswirkung für nachfolgende Zivilprozesse zu (6 Ob 118/19z; RS0106015 [T2]; RS0074219 [T26]). Die Verwirklichung des Straftatbestands des § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB lässt sich daraus daher nicht ableiten, ebenso wenig aus den hier vom Erstgericht getroffenen Feststellungen. Die im Wesentlichen darauf aufbauende Argumentation der Revision geht damit ins Leere.
[10] 3.1. Bei einer (behaupteten) Verletzung des Rechts auf Achtung der Privatsphäre ist das Rechtswidrigkeitsurteil nur aufgrund umfassender Interessenabwägung zu finden (6 Ob 206/19s [ErwGr 1.1.]; vgl RS0022917). Die gebotene Interessenabwägung hat sich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren (RS0125721). In der Rechtsprechung wurde das Beobachten von Personen zur Erlangung von Beweismitteln für ein Gerichtsverfahren wiederholt für zulässig erachtet (vgl 8 Ob 108/05y; RS0022943 [T26, T27]; RS0022959 [T9, T14]), unter anderem auch zur Abwehr unterhaltsrechtlicher Nachteile (10 Ob 21/21t [ErwGr 2.]; 1 Ob 114/09k).
[11] Der Frage, ob schutzwürdige Interessen des Verletzten beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt, kommt in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu (RS0008990 [T6]). Der bloße Umstand, dass ein gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, bedeutet noch nicht, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RS0107773; RS0110702; RS0102181).
[12] 3.2. Das Berufungsgericht war der Ansicht, die vom Beklagten im Einverständnis mit der obsorgeberechtigten Mutter der unterhaltsberechtigten Kinder gesetzten Schritte seien zum Nachweis höherer Einkünfte und damit auch Unterhaltspflichten des Klägers geeignet gewesen. Das berechtigte Interesse der Kinder an der Erlangung von Beweismitteln für das anhängige Unterhaltsverfahren sei höher zu bewerten als jenes des Klägers, außerhalb seines Wohnbereichs nicht beobachtet zu werden. Dass der Beklagte auf schonendere Weise hätte vorgehen können, habe der Kläger nicht behauptet. Dem Beklagten falle daher kein rechtswidriger Eingriff in die Privatsphäre des Klägers zur Last.
[13] Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze. Einen Korrekturbedarf im Einzelfall zeigt die Revision nicht auf.
[14] 3.3. Bereits das Erstgericht hat darauf hingewiesen, dass der Kläger sein Klagebegehren nicht auf einen Vermögensnachteil durch kreditschädigende Äußerungen des Beklagten gegenüber Kunden des Klägers iSd § 1330 ABGB gestützt hat. Ein solcher Schaden wird im Übrigen auch in der Revision nicht schlüssig dargelegt. Diesbezügliche Feststellungsmängel liegen nicht vor.
[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick auf die teilweise Zurückweisung wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs auf § 51 ZPO, im Übrigen auf den §§ 41, 50 ZPO (zum Teilurteil RS0035972 [T2]).
[16] Der Beklagte hat sich ohne Hinweis auf den teilweise vorliegenden Nichtigkeitsgrund in das Verfahren eingelassen. Für die vom Nichtigkeitsgrund betroffenen Verfahrensteile des Rechtsmittelverfahrens (das sind 23 % des Revisionsinteresses von 19.462,07 EUR) ist daher mit Kostenaufhebung vorzugehen, weil beide Parteien ein Verschulden an der Einleitung und Fortführung des Verfahrens trotz des Nichtigkeitsgrundes trifft (RS0035966; vgl 5 Ob 50/13h [ErwGr 5.]). Das führt hier zur Kostenaufhebung (nur) im die Berufung des Klägers betreffenden zweitinstanzlichen Verfahren und zu einer anteiligen Kürzung der dem Beklagten für die Revisionsbeantwortung sonst zuzuerkennden Kosten um 23 % (vgl 5 Ob 251/15w [ErwGr 8.]; 1 Ob 52/08s; 2 Ob 71/07s). Bemessungsgrundlage war jedoch lediglich das Revisionsinteresse von 19.462,07 EUR.
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