OGH 6Ob177/24h

OGH6Ob177/24h16.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, Dr. Weber und Mag. Nigl LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. M*, 2. Ing. B*, beide vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch lic. iur. Felix A. Hollinger, Rechtsanwalt in Zürich, dieser vertreten durch Mag. Sanjay Doshi, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Unterlassung und Widerruf,über dieRevision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. März 2024, GZ 10 R 71/23a‑72, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6. August 2023, GZ 9 Cg 4/22f‑65, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00177.24H.0916.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Persönlichkeitsschutzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Berechtigung des Anspruchs der Kläger auf Widerruf der Äußerung, sie seien Psychopathen.

[2] Das Berufungsgericht gab dem Begehren auf Unterlassung dieser sowie einer anderen Äußerung und dem Widerrufsbegehren hinsichtlich der anderen Äußerung rechtskräftig statt. Das Widerrrufsbegehren hinsichtlich der Äußerung, die Kläger seien Psychopathen, wies es mangels nachprüfbarer Tatsachenbehauptung ab, weil die Äußerung erkennbar einzig darauf abgezielt habe, die Kläger zu verunglimpfen und zu diffamieren.

[3] Es ließ die Revision nachträglich zu, weil die das Zivilgericht bindende strafrechtliche Verurteilung des Beklagten wegen der auch im vorliegenden Verfahren beanstandeten Äußerungen auch anders als vom Berufungsgericht verstanden werden könnte.

[4] Die Revision macht als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung geltend, das Berufungsgericht habe den Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung sowie die Reichweite der Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten verkannt.

[5] Der Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die Revision der Kläger ist mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[7] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (1 Ob 612/95 [verstärkter Senat]; RS0074219). Diese Bindung des Zivilgerichts an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse wird durch deren materielle Rechtskraft bewirkt und besteht, solange das strafgerichtliche Erkenntnis nicht beseitigt ist (RS0074219 [T25]). Die Bindungswirkung gilt auch für Urteile im Privatanklageverfahren (RS0074219 [T18]).

[8] 1.2. Von der Bindungswirkung ist die Feststellung, dass der Angeklagte (Beschuldigte) eine bestimmte strafbare Handlung begangen hat, umfasst. Der Schuldspruch wird in allen seinen Teilen der Rechtskraft teilhaft, also nicht bloß in der Feststellung der strafbaren Handlung nach deren objektiven Merkmalen, sondern auch in der Feststellung der konkreten – den Schuldspruch notwendigerweise begründenden (RS0074219 [T5]) – Sachverhaltselemente und umfasst auch die rechtliche Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand (RS0074219 [T6, T15]). In diesem Sinn wurde ausgesprochen, dass eine rechtskräftige Verurteilung nach § 115 StGB für das Zivilverfahren bindend die Qualifikation der Äußerungen als Beschimpfungen im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB bewirkt (6 Ob 14/01d [ErwGr 3.] = RS0074219 [T19]; zur Bindung an die Qualifikation als [ehrverletzende] Tatsachenbehauptungen 6 Ob 265/00i).

[9] 1.3. Der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ist das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes beizumessen (RS0074230). Daraus wird abgeleitet, dass auch eine erst nach Schluss der Verhandlung erster Instanz entstandene Bindung an das Strafurteil vom Obersten Gerichtshof zu berücksichtigen ist (6 Ob 21/13a [ErwGr 1.2.]; RS0074230 [T1] = RS0074219 [T31]).

[10] 2.1. Die Revision macht geltend, die Verurteilung des Beklagten nach § 111 StGB binde die Zivilgerichte an die Qualifikation der beanstandeten Äußerungen als Tatsachenbehauptungen, weil nur Tatsachenbehauptungen unter § 111 Abs 1 StGB fielen (vgl zum Meinungsstand Rami in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 111 Rz 5 f). Daraus leitet sie die Berechtigung des nur gemäß § 1330 Abs 2 ABGB, sohin nur bei Vorliegen von Tatsachenbehauptungen, bestehenden Anspruchs auf Widerruf ab.

[11] 2.2. Diese Argumentation vermag in Ansehung des in der Revision angeführten Urteils keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen:

[12] Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung bildet die Frage, welchen Sinn eine Äußerung hat, im Strafverfahren einen Gegenstand der Tatsachenfeststellungen (vgl RS0092588).

[13] Im Privatanklageverfahren * des Landesgerichts * wurde der im vorliegenden Verfahren Beklagte mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 16. 5. 2023 des Vergehens der üblen Nachrede nach § 28 MedienG iVm § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt. Die Tathandlung bestand nach dem Urteilsspruch darin, dass der im vorliegenden Verfahren Beklagte eine wörtlich festgestellte Äußerung auf einem öffentlich einsehbaren Facebookprofil tätigte, nach der seine Frau von einem Mitglied der Organisation, für die die Kläger tätig sind, vergewaltigt worden sei, die Verantwortlichen nicht die Polizei gerufen hätten und keine Untersuchung der Vorwürfe stattgefunden habe, wobei der Beklagte diese Veröffentlichung in der Rubrik „Kommentare“ durch die Anmerkung „Viele Psychopathen finden sich in der [Organisation, für die die Kläger tätig sind] wieder“ ergänzte.

[14] Nach den Tatsachenfeststellungen im Privatanklageverfahren versteht der durchschnittliche Facebook-User den veröffentlichten Inhalt dahin, dass die Kläger eine Vergewaltigung verheimlicht hätten, um die strafrechtliche Verfolgung eines ihrer Kollegen zu vereiteln. Festgestellt wurde weiters, der Angeklagte (also der Beklagte des vorliegenden Verfahrens) habe nach den Feststellungen das Posting und seine in der Rubrik „Kommentare“ gesetzte Anmerkung in genau diesem Sinn verstanden wissen wollen.

[15] 2.3. Die Kläger interpretieren die auf sie bezogene Bezeichnung als „Psychopathen“ nach dem Revisionsvorbringen im Sinn einer Tatsachenbehauptung als „medizinisch gestörte Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten“.

[16] Das Berufungsgericht entnahm den Tatsachenfeststellungen des Urteils im Privatanklageverfahren keine derartige Bedeutung. Das Revisionsvorbringen vermag nicht aufzuzeigen, dass dem Berufungsgericht damit eine Überschreitung des ihm bei der Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall (vgl RS0118891) zukommenden Beurteilungsspielraums unterlaufen wäre.

[17] Angesichts der festgestellten Begründung der strafrechtlichen Verurteilung liegt auch eine – von Amts wegen als Nichtigkeitsgrund aufzugreifende (vgl RS0074230) – Missachtung der Bindungswirkung dieser Verurteilung nicht vor.

[18] Eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO wird daher im Zusammenhang mit der Reichweite der Bindungswirkung der Verurteilung des Klägers im Privatanklageverfahren nicht aufgezeigt.

[19] 2.4. Soweit der im Strafverfahren festgestellte Bedeutungsinhalt der Äußerung des Beklagten, in der Organisation der Kläger fänden sich viele Psychopathen, mangels Eigenschaft als den Schuldspruch notwendigerweise begründendes Sachverhaltselement (RS0074219 [T5]) außerhalb der Bindungswirkung der Verurteilung liegt, gelingt es der Revision nicht, darzutun, dass dem Berufungsgericht bei der Auslegung dieser Äußerung als bloße Verunglimpfung eine im Einzelfall (vgl RS0031883 [T17]; RS0031815) nach § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte