OGH 5Ob89/25m

OGH5Ob89/25m3.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin E*, vertreten durch die Dr. Leitinger & Dr. Leitinger Rechtsanwälte GmbH in Weiz, gegen die Antragsgegner 1. J*, vertreten durch MMag. Lukas Putz, Rechtsanwalt in Weiz, 2. I*, 3. A*, 4. S*, 5. K*, 6. Dr. B*, 7. S*, 8. S*, wegen § 52 Abs 1 Z 1 iVm §§ 9, 10 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 10. April 2025, GZ 5 R 196/24s‑16, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00089.25M.0603.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Mit den 83/1034 Anteilen der Antragstellerin (B‑LNr 34) ist das Wohnungseigentum an der Wohnung W‑9 verbunden.

[2] Das Wohnungseigentum wurde aufgrund des Nutzwertgutachtens vom 28. August 1997 im Jahr 1998 begründet. Auf der Seite 8 dieses Gutachtens wurden der Wohnung der Antragstellerin – ausgehend von einer Nutzfläche von 39,62 m² und einem Bewertungsfaktor von 0,96 – 38 Nutzwerte zugeordnet. Im Zuge der Übertragung in die „Zusammenfassung“ auf der Seite 10 des Gutachtens wurde der Nutzwert unrichtig mit dem Wert von „83“ statt „38“ übernommen.

[3] Die Antragstellerin begehrt die Neufestsetzung der Nutzwerte (in eventu wie in ihrem Antrag angeführt) gemäß § 9 Abs 2 Z 1 WEG, im Wesentlichen mit der Begründung, das Nutzwertgutachten vom 27. August 1998 verstoße gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung. Der im Gutachten für ihre Wohnung angegebene Nutzwert von 83 lasse sich anhand der heranzuziehenden Berechnungsgrundlagen, insbesondere der Nutzfläche als Ausgangswert nicht ermitteln und erscheine willkürlich. Möglicherweise sei ein Wert von 38 gemeint gewesen, der an einer anderen Stelle des Gutachtens aufscheine. Bei diesem Fehler handle es sich um einen vom Gericht zu berichtigenden Rechenfehler.

[4] Das Erstgericht wies den Haupt‑ und den Eventualantrag ab.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

[6] Dass die Nutzwertberechnung der Wohnung der Antragstellerin mit einem Wert von 38 erfolgt sei, begründe keinen Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung iSd § 9 Abs 2 Z 1 WEG. Aufgrund des Übertragungsfehlers mit einem Wert von 83 sei der Tatbestand des § 9 Abs 2 Z 2 WEG erfüllt, weil die Nutzwerte laut Zusammenfassung im Nutzwertgutachten beim Wohnungseigentumsobjekt der Antragstellerin um mehr als 3 von 100 von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichten. Da der Antrag aber außerhalb der Jahresfrist gemäß § 10 Abs 2 WEG gestellt worden sei, sei er abzuweisen gewesen.

[7] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin, in dem sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG anspricht.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Die erstmalige Ermittlung der Nutzwerte erfolgt durch einen dazu qualifizierten Sachverständigen (§ 9 Abs 1 WEG). Auf Antrag sind die Nutzwerte vom Gericht unter anderem dann abweichend von diesem Nutzwertgutachten („neu“) festzusetzen, wenn das Gutachten gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung verstößt (§ 9 Abs 2 Z 1 WEG). In einem solchen Fall kann nach § 10 WEG jeder Miteigentümer die gerichtliche Nutzwert‑(neu‑)festsetzung unbefristet und ohne Bagatellgrenze beantragen (RS0083159 [T15]; RS0083169 [T9]; RS0117708 [T2]; 5 Ob 171/12a; 5 Ob 74/18w).

[9] Als Verstöße gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung hat die Rechtsprechung beispielsweise das Übergehen wohnungseigentumstauglicher Objekte, die Zuweisung eines Nutzwerts für allgemeine Teile der Liegenschaft, die Schaffung eines neuen Wohnungseigentumsobjekts „ohne Nutzwert“ oder die mit keiner baulichen Veränderung einhergehende Umwidmung allgemeiner Teile der Liegenschaft in Objekte, an denen Wohnungseigentum oder Zubehörwohnungseigentum bestehen soll, qualifiziert. Auch die falsche Einordnung in eine der drei grundsätzlichen wohnungseigentumsrechtlichen Kategorien (Wohnungs-eigentumsobjekte, Zubehör und allgemeine Teile der Liegenschaft) stellt einen Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung dar (RS0117710; 5 Ob 225/14w).

[10] Bloße Lese‑, Mess‑ und/oder Rechenfehler oder Bewertungsfragen fallen hingegen nicht darunter (RS0117710 [T4]; 5 Ob 225/14w; 5 Ob 229/17p; 5 Ob 233/22h).

[11] 2. Die Antragstellerin beruft sich insbesondere darauf, dass der vorliegende Übertragungsfehler nicht mit Lese-, Mess- und Rechenfehlern oder Bewertungsfragen gleichzusetzen sei, sondern dadurch gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung iSd § 9 Abs 2 Z 1 WEG verstoßen worden sei.

[12] 3. Der Nutzwert der Wohnung der Antragstellerin wurde – entsprechend den Bewertungsgrundsätzen – mit einem Wert von 38 ermittelt. Gegen welche zwingenden Grundsätze der Nutzwertberechnung der Sachverständige bei der Ermittlung des Nutzwerts mit diesem Wert von 38 verstoßen haben soll, legt die Antragstellerin auch in ihrem Revisionsrekurs nicht dar. Vielmehr geht sie selbst davon aus, dass der Nutzwert von 38 richtig ist. Warum der von ihr beanstandete Übertragungsfehler nicht einem Lese‑, Mess‑ oder Rechenfehler gleichgehalten werden kann, sondern einen Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung darstellen soll, ist damit nicht zu erkennen. Ihren Antrag auf Neufestsetzung der Nutzwerte kann sie daher nicht erfolgreich auf § 9 Abs 2 Z 1 WEG stützen.

[13] 4. Eine Nutzwertfestsetzung nach § 9 Abs 2 Z 2 WEG, die dann zulässig ist, wenn das Gutachten bei einem Wohnungseigentumsobjekt um mehr als 3 % von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht, kann nur innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Bewilligung der Einverleibung des Wohnungseigentums geltend gemacht werden (§ 10 Abs 2 WEG). Aufgrund der Wohnungseigentumsbegründung im Jahr 1998 ist dieser Anspruchsgrund in jedem Fall verfristet.

[14] 5. Damit war der Revisionsrekurs zurück-zuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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