OGH 5Ob5/24g

OGH5Ob5/24g8.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch KS Kiechl Schaffer Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, als Erwachsenenvertreterin, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. November 2023, GZ 38 R 238/23s‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00005.24G.0208.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht erklärte die auf den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gestützte Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 1. Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um unleidliches Verhalten gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG handelt, kommt keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0042984), sofern nicht der gesetzliche Ermessensspielraum überschritten wurde (RS0042984 [T4]) oder eine auffallende, im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RS0042984 [T5; T6; T8]).

[5] Dies ist hier nicht der Fall.

[6] 2. In höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraussetzt, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle verwirklichen den Kündigungsgrund dann, wenn sie schwerwiegend sind; jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand erfüllen (RS0070437, RS0070303, RS0067678). Entscheidend ist das Gesamtverhalten des Mieters, zu dessen Würdigung auch auf länger zurückliegende Ereignisse zurückzugreifen ist (RS0070321; 4 Ob 63/19x). Nicht nur das als Kündigungsgrund angeführte Verhalten, sondern auch das der Kündigung vorangehende und das ihr nachfolgende Verhalten sind einer Würdigung zu unterziehen (RS0067519). Die als erheblich erachtete Rechtsfrage, wie intensiv ein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten des Mieters sein soll, um den Kündigungsgrund zu verwirklichen, ist daher grundsätzlich durch höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt; ob ein konkretes Verhalten eines Mieters darunter subsumiert werden kann, erfordert regelmäßig eine Abwägung im Einzelfall und geht in der Bedeutung über diesen nicht hinaus (RS0042984 [T3, T11]).

[7] 3. In der Entscheidung 1 Ob 39/19w sah es der Oberste Gerichtshof nicht als korrekturbedürftige Fehlbeurteilung an, die Gefährdung von Personen durch Abschalten des Lichts im Keller, die subtile Androhung körperlicher Gewalt und das ungehörige und bedrohliche Verhalten gegenüber der Mieterin und deren Tochter als zur Aufkündigung berechtigendes Verhalten anzusehen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist vergleichbar. Beim Vorfall im Mai 2022 bedrohte der Beklagte die Hausbesorgerin mit dem Umbringen, was dazu führte, dass sie danach um ihre Sicherheit in einem Ausmaß besorgt war, dass sie sich nicht mehr allein in die Waschküche traute. Seit Jahren beschimpfte der Beklagte die Zeugin als Schlampe, die nicht arbeiten wolle. Einem anderen Mieter drohte er an, ihn zu schlagen, weil dieser ihn aufforderte, das Trampeln in der Wohnung zu unterlassen. Selbst die 9‑jährige Tochter dieses Zeugen beschimpfte der Beklagte als Schlampe. Ein derartiges – nicht auf einzelne Vorfälle beschränktes – Verhalten des Beklagten als grob ungehörig und das Zusammenleben verleidend anzusehen, ist nicht korrekturbedürftig.

[8] 4. In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass im Kündigungsstreit, in dem über die Wirksamkeit der Aufkündigung entschieden wird, auf den Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung abzustellen ist (RS0070282), wobei aber bei Kündigungsgründen, die eine Zukunftsprognose erfordern, wegen der Besonderheit dieser Kündigungsgründe auch auf die nach der Zustellung der Aufkündigung eingetretenen Umstände Bedacht zu nehmen ist (RS0044752 [T5]). Eine Verhaltensänderung nach Einbringen der Aufkündigung und damit eine Zukunftsprognose hat aber nur dann einen Einfluss auf das Schicksal der Aufkündigung, wenn der – wieder in Einzelfallbeurteilung zu ziehende Schluss – zulässig wäre, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist (RS0067534 [T2], RS0070340). Auch diesbezüglich kommt den Gerichten ein Beurteilungsspielraum zu (vgl RS0070340 [T3]), den die Vorinstanzen nicht überschritten haben. Aus der Feststellung, die Hausbesorgerin bzw der unter der Wohnung des Beklagten wohnende Zeuge und der Beklagte seien sich seit dem Vorfall im Mai 2022 aus dem Weg gegangen, nicht schließen zu können, die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten (Bedrohungen, aggressives Verhalten, Beschimpfungen) würden mit hoher Wahrscheinlichkeit unterbleiben, wenn sich der Beklagte und die Zeugen doch wieder begegnen, ist keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Allgemeine Aussagen dazu, wann eine positive Zukunftsprognose gestellt werden kann, sind naturgemäß nicht möglich; dies verlangt typischerweise eine Abwägung im Einzelfall (RS0042790). Auch insoweit ist eine erhebliche Rechtsfrage daher nicht zu erkennen.

[9] 5. Damit war die außerordentliche Revision zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 510 Abs 2 ZPO).

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