European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00020.25I.0430.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 602,54 EUR (darin 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger hatte mit der Beklagten, einem Energieversorgungsunternehmen, einen Stromliefervertrag abgeschlossen.
[2] Am 7. 3. 2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit:
„Dabei ist es rechtlich notwendig, dass wir Ihren bestehenden Belieferungsvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von 8 Wochen mit 14.05.2023 kündigen und Sie das vorliegende Angebot annehmen. Damit bieten wir Ihnen volle Transparenz und die Möglichkeit sich aktiv für unser neues Angebot zu entscheiden. […] Sollten Sie mit dem neuen Angebot nicht einverstanden sein, endet Ihre Belieferung mit Strom spätestens am 14.05.2023.“
[3] Der Kläger nahm das Angebot der Beklagten am 14. 3. 2023 an.
[4] Der Kläger begehrte – soweit noch Gegenstand des Revisionsverfahrens – die Feststellung, dass die Kündigung des Stromliefervertrags ein Umgehungsgeschäft in Bezug auf § 80 Abs 2a ElWOG sei und die im Zuge der Kündigung durchgeführte Erhöhung des Arbeitspreises nicht den Bestimmungen dieser Norm entspreche, weshalb die Preiserhöhung nicht rechtsgültig vereinbart worden sei; hilfsweise, dass zwischen den Parteien mit Wirkung ab 15. 5. 2023 ein Preis von 33,2 Cent pro kW/h (brutto) nicht rechtsgültig vereinbart worden sei.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, § 80 Abs 2a ElWOG sei auf die Änderungskündigung nicht anzuwenden.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger sei nicht von einer im § 80 Abs 2a ElWOG genannten einseitigen Preisänderung betroffen. Der Normzweck dieser Bestimmung werde durch die Vorgangsweise der Beklagten nicht vereitelt. Ein Umgehungsgeschäft liege nicht vor.
[7] Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR übersteigend. Die Revision ließ es mit der Begründung zu, in der Entscheidung 3 Ob 10/24b habe der Oberste Gerichtshof ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob das neue Angebot den gesetzlichen Anforderungen oder den vom dortigen Kläger verlangten Informationen entsprochen hätte, weil dieser das Angebot der dort Beklagten nicht angenommen habe. Insoweit unterscheide sich der Sachverhalt von jenem, der seiner Entscheidung zugrunde liege. Die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen 6 Ob 199/23t und 7 Ob 36/24f hätten jeweils ein anderes Begehren zum Gegenstand gehabt. Zu einem Sachverhalt mit gleichem Begehren liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
[8] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, in dem er die Abänderung dahin anstrebt, dass dem Klagebegehren „im vollem Umfang“ (gemeint offensichtlich: soweit er noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist) stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt dann nicht vor, wenn die aufzeigte Frage im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits beantwortet wurde (RS0112769 [T9, T11, T12]). Auch dass ein völlig gleichartiger Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0107773). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nämlich dann nicht vor, wenn die für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung auf den konkreten Sachverhalt anwendbar sind und ohne grobe Subsumtionsfehler auch angewendet wurden (RS0107773 [T3]). Dies ist hier der Fall.
[12] 2. Nach mittlerweile ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (RS0134778) ist § 80 Abs 2a ElWOG nicht und zwar auch dann nicht auf eine unbedingte ordentliche Kündigung anzuwenden, wenn damit ein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen verbunden wird. § 76 Abs 1 ElWOG geht nämlich – schon seinem klaren Wortlaut nach – von der Zulässigkeit einer Vertragskündigung („ordentliche Kündigung“) durch den Lieferanten aus, von dem bei Verträgen mit Verbrauchern im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und mit Kleinunternehmen die Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen verlangt wird. § 80 Abs 2 und Abs 2a ElWOG betreffen hingegen – ebenso nach dem klaren Gesetzeswortlaut und im Einklang mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU – die einseitige Änderung der (...) vertraglich vereinbarten Entgelte“ im aufrechten Vertragsverhältnis, wobei der Kunde berechtigt ist, die „Kündigung des Vertrags (...) kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären“. Der Neuabschluss eines Vertrags unterliegt nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ohnehin der dafür vorgesehenen Geltungs‑ und Inhaltskontrolle, sodass kein Bedarf nach der Anwendung von Vorschriften besteht, die sich allein auf die einseitige Änderung von Vertragspflichten bei aufrecht bleibendem Vertragsverhältnis beziehen (3 Ob 7/24m). All dies gilt gleichermaßen für die Änderungskündigung (9 Ob 59/23a: 6 Ob 199/23t; 7 Ob 36/24f).
[13] 3. Die – auch hier thematisierte – Umgehung der „gesetzlich zwingenden Vorgaben des Preisänderungsrechts nach § 80 Abs 2a ElWOG“ war in einer Reihe von Vorverfahren ebenfalls bereits behauptet worden (3 Ob 7/24m; 3 Ob 10/24b; 3 Ob 238/23f). Dem ist der Oberste Gerichtshof in diesen ausführlich begründeten Entscheidungen nicht gefolgt, in denen er das Vorgehen der Energieversorgungsunternehmen für zulässig erachtete. Zwar hattendie Kläger zu 3 Ob 10/24b und 9 Ob 59/23a die dortigen Anbote jeweils nicht angenommen. Die Erwägungen dieser Entscheidungen sind aber auf den Fall der „Änderungskündigung“ bei Annahme des abgeänderten Anbots gleichermaßen anzuwenden, was mittlerweile klargestellt ist.
[14] 4. Den Entscheidungen 6 Ob 199/23t und 7 Ob 36/24f lagen vergleichbare „Änderungskündigungen“ der Energieversorgungsunternehmen und die Annahme der (neuen) Anbote durch die dortigen Kläger zugrunde. Auch in diesen Verfahren wollten die Kläger den Sachverhalt § 80 Abs 2a ElWOG unterstellt wissen. Der 6. und der 7. Senat wiesen die (jeweils zugelassene) Revision des Klägers unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 7/24m zurück. Auch die Änderungskündigung stellt demnach keine einseitige Änderung der vertraglichen Entgelte dar, sondern verlangt zur Wirksamkeit der Preisänderung ein aktives Tätigwerden des Kunden.
[15] 5. Der in der Zulassungsbegründung erwogene Widerspruch dieser Entscheidungen mit der Entscheidung 3 Ob 10/24b ist nicht zu erkennen. In beiden Entscheidungen wurde vielmehr das Vorgehen der dort Beklagten – das im Wesentlichen demjenigen der Beklagten hier entspricht – als zulässig und nicht schadenersatzbegründend beurteilt. Der Umstand alleine, dass die Klagebegehren dort auf Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden der Kläger aus der Preiserhöhung des Arbeitspreises gerichtet waren, ändert nichts daran, dass die Wertungen dieser Entscheidungen auch hier anzuwenden sind.
[16] 6. Die Frage, ob eine allenfalls umgangene Norm auf das Umgehungsgeschäft trotzdem anzuwenden ist, erfordert die Prüfung des Normzwecks, wobei die Norm nur dann auf das Umgehungsgeschäft anzuwenden wäre, wenn deren Normzweck durch die Zulassung des Umgehungsgeschäfts vereitelt würde (RS0018153). Da aus dem Gesetzestext des ElWOG nicht entnommen werden kann, dass der Gesetzgeber eine unbedingte Kündigungsmöglichkeit des Energielieferanten verhindern hätte wollen (etwa durch die Bindung des Kündigungsrechts nach § 76 ElWOG an bestimmte Voraussetzungen), und der Normzweck des § 80 Abs 2a ElWOG nach der zitierten Rechtsprechung nur darauf abzielt, eine einseitige Vertragsanpassung durch den Energielieferanten zu beschränken, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, im konkreten Fall sei nicht von einem Umgehungsgeschäft auszugehen, auch nicht zu beanstanden.
[17] 7. Dass die Entscheidung 9 Ob 16/18w, die eine nicht vergleichbare gesetzliche Regelung (§ 29 Abs 1 aF bzw § 50 Abs 1 ZaDiG 2018) und den – hier nicht vorliegenden – Fall einer vereinbarten Zustimmungsfiktion betrifft, nicht einschlägig ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (3 Ob 7/24m). Dies gilt gleichermaßen für die zu 3 Ob 614/89 angestellten Überlegungen zum Kündigungsschutz des MRG, die sich ebenso nicht auf die hier relevanten Bestimmungen des ElWOG übertragen lassen.
[18] 8. Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU lautet:
„Artikel 10
Grundlegende vertragliche Rechte
[...]
(4) Die Kunden müssen rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Recht, den Vertrag zu beenden, unterrichtet werden. Die Versorger unterrichten ihre Kunden direkt und auf transparente und verständliche Weise über jede Änderung des Lieferpreises und deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang, zu einem angemessenen Zeitpunkt, spätestens jedoch zwei Wochen, im Fall von Haushaltskunden einen Monat, vor Eintritt der Änderung. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Endkunden freisteht, den Vertrag zu beenden, wenn sie die neuen Vertragsbedingungen oder Änderungen des Lieferpreises nicht akzeptieren, die ihnen ihr Versorger mitgeteilt hat.
[...]“
[19] Mit dem Argument, die Bestimmung sehe keine Einschränkung dahin vor, dass sie nur auf einseitige Preiserhöhungen anzuwenden wäre, hält der Kläger die höchstgerichtliche Rechtsprechung, § 80 Abs 2a ElWOG sei als Umsetzung dieser Bestimmung nur bei einseitigen Preiserhöhungen anzuwenden, für allenfalls unionsrechtswidrig. Der Wortlaut des Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU lässt aber keinen Zweifel daran, dass es dort (nur) um Änderungen eines aufrecht bleibenden Vertrags gehen soll, wäre doch ihr letzter Satz ansonsten sinnbefreit. Da somit keine Zweifel im Zusammenhang mit Fragen aus dem Unionsrecht bestehen, erübrigt sich ein Verfahren gemäß Art 267 AEUV im Sinn der „acte clair“‑Theorie (RS0082949 [T3, T16, T18]; im Ergebnis ebenso zu vergleichbaren Sachverhalten 9 Ob 59/23a; 7 Ob 36/24f).
[20] 9. Die ordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
[21] 10. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Kläger hat ihr daher die verzeichneten Kosten der Revisionsbeantwortung gemäß §§ 41, 50 ZPO zu ersetzen, allerdings nur auf Basis des Revisionsinteresses von 5.100 EUR.
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