European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00170.24X.0306.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Begründung:
[1] Die Klägerin war ein österreichisches Kreditinstitut. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2014 stellte die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) fest, dass die Klägerin als Abbaueinheit gemäß § 3 des Bundesgesetzes zur Schaffung einer Abbaueinheit (GSA) fortgeführt werde.
[2] Mit Mandatsbescheid der FMA vom 1. März 2015 wurde über die Klägerin das Abwicklungsverfahren gemäß dem Bundesgesetz über die Abwicklung und Sanierung von Banken (BaSAG) eingeleitet und am 15. Dezember 2021 in ihrer Hauptversammlung die Auflösung beschlossen. Der von der FMA über die Auflösung gefasste Beschluss wurde mit Ablauf des 31. Dezember 2021 rechtswirksam. Seit 1. Jänner 2022 befindet sich die Klägerin nun in aktienrechtlicher Liquidation.
[3] Am 4. März 2004 hatte die beklagte Partei mit der Klägerin telefonisch ein Swap‑Geschäft mit einer Laufzeit bis 31. Juli 2033 abgeschlossen, wonach die beklagte Partei verpflichtet war, einen fixen Zinsbetrag von 5,245 % jährlich auf den Bezugsbetrag (= Nominal) von 25.000.000 EUR zu zahlen, während die Klägerin halbjährlich variable Zinsen in Höhe des 6‑Monats‑EURIBOR zu zahlen hatte. Der Zinsaustausch begann mit 16. November 2005. Die Bedingungen dieses Swap‑Geschäfts wurden in einer Geschäftsbestätigung vom 19. April 2004 festgehalten.
[4] Beide Parteien gingen davon aus, dass dieses Finanztermingeschäft auf Grundlage eines Rahmenvertrags abgeschlossen wird. Am 10. Mai 2004 schlossen die Parteien diesen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte ab.
[5] Die beklagte Partei hatte vor diesem Swap bereits derartige Geschäfte mit anderen Banken abgeschlossen und war im Rahmen des hier zu beurteilenden Swap‑Geschäfts von einem professionellen Beratungsunternehmen vertreten. Dessen Geschäftsführer hatte am 2. März 2004 um ein Angebot für das Swap‑Geschäft angefragt. Schon anlässlich dieser Anfrage schlug er den österreichischen Standard‑Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte vor. In Bezug auf diesen vorgefertigten Vertragstext reklamierte der Berater für die beklagte Partei Unzutreffendes aus dem Vertrag und stellte der Klägerin Muster aus einem ähnlichen Geschäftsabschluss zur Verfügung. Daraufhin übermittelte die Klägerin am 1. April 2004 einen Entwurf des Rahmenvertrags für Finanztermingeschäfte mit der Bitte um Durchsicht und Kommentierung. Über Wunsch des Beraters der Beklagten kam es zu Änderungen etwa im Zusammenhang mit Kündigungsgründen. Die Beendigungsfolgen des § 8 des Vertrags wurden nicht im Einzelnen besprochen oder verhandelt. Eine vom Vertragstext abweichende und darüber hinausgehende Willenseinigung der Parteien über die Rechtsfolgen für den Fall der Liquidation einer Partei konnte das Erstgericht nicht feststellen.
[6] Die relevanten Teile des vereinbarten Rahmenvertrags lauten wie folgt:
„§ 1 Zweck und Gegenstand des Vertrags
[...]
2. Für jedes Geschäft, das unter Zugrundelegung dieses Rahmenvertrags abgeschlossen wird (nachstehend ꞌEinzelabschlußꞌ genannt), gelten die nachfolgenden Bestimmungen. Alle Einzelabschlüsse bilden untereinander und zusammen mit diesem Rahmenvertrag einen einheitlichen Vertrag (nachstehend der ꞌVertragꞌ genannt); [...]
§ 7 Beendigung
1. Sofern Einzelabschlüsse getätigt und noch nicht vollständig abgewickelt sind, ist der Vertrag nur aus wichtigem Grund kündbar. Die Kündigung muss schriftlich erfolgen. Eine Teilkündigung einzelner und nicht aller Einzelabschlüsse ist ausgeschlossen.
2. Ein wichtiger Grund gemäß Abs 1 liegt insbesondere im Falle der folgenden demonstrativ aufgezählten Kündigungsgründe vor:
a) Vertragsverletzung: [...]
b) Verzug: [...]
c) Falsche Darstellung: [...]
d) Qualifizierter Verzug (ꞌCross Defaultꞌ): [...]
e) Verschmelzung bzw Spaltung: [...]
f) Konzessionsentzug: […]
3. Der Vertrag endet ohne Kündigung, wenn
a) das Konkurs- oder ein sonstiges Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Partei eröffnet wird,
b) eine Partei ihre Zahlungsunfähigkeit bekanntgibt,
c) eine Partei in Liquidation tritt,
d) die Geschäftsaufsicht über eine Partei verhängt wird.
4. Im Fall der Beendigung des Vertrags durch Kündigung gemäß Abs 1 oder aus den in Abs 3 genannten Gründen (nachstehend ꞌBeendigungꞌ genannt) ist keine Partei mehr zu Zahlungen oder sonstigen Leistungen gemäß § 3 Abs 1 dieses Vertrags verpflichtet, die gleichtägig oder später fällig geworden wären; an die Stelle dieser Verpflichtungen treten Forderungen gemäß §§ 8 und 9.
§ 8 Schadenersatz und Vorteilsausgleich
1. Im Fall der Beendigung steht der kündigenden oder solventen Partei (nachstehend ꞌersatzberechtigte Parteiꞌ genannt) ein vom Verschulden der anderen Partei unabhängiger Anspruch auf Schadenersatz zu. Der Schaden wird auf der Grundlage von unverzüglich abzuschließenden Ersatzgeschäften ermittelt, die dazu führen, da ss die ersatzberechtigte Partei alle Zahlungen und sonstigen Leistungen erhält, die ihr bei ordnungsgemäßer Vertragsabwicklung zugestanden wären. Sie ist berechtigt, nach ihrer Auffassung dazu geeignete Verträge abzuschließen. Wenn sie von dem Abschluss derartiger Ersatzgeschäfte absieht, kann sie denjenigen Betrag der Schadensberechnung zugrundelegen, den sie für solche Ersatzgeschäfte auf der Grundlage von Zinssätzen, Terminsätzen, Kursen, Marktpreisen, Indizes und sonstigen Wertmessern sowie Kosten und Auslagen zum Zeitpunkt der Absendung der Kündigung bzw der Kenntniserlangung der Auflösungsgründe des § 7 Abs 3 hätte aufwenden müssen. Der Schaden wird unter Berücksichtigung aller Einzelabschlüsse berechnet; ein finanzieller Vorteil, der sich aus der Beendigung von Einzelabschlüssen (einschließlich solcher, aus denen die ersatzberechtigte Partei bereits alle Zahlungen oder sonstigen Leistungen der anderen Partei erhalten hat) ergibt, wird als Minderung des im übrigen ermittelten Schadens berücksichtigt.
2. Erlangt die ersatzberechtigte Partei aus der Beendigung von Einzelabschlüssen insgesamt einen finanziellen Vorteil, so schuldet sie vorbehaltlich § 9 Abs 2 der anderen Partei einen Betrag in der Höhe dieses ihres Vorteils, höchstens jedoch in Höhe des Schadens der anderen Partei. Bei der Berechnung des finanziellen Vorteils finden die Grundsätze des Abs 1 über die Schadensberechnung entsprechende Anwendung.
§ 9 Zahlungsmodalitäten für die Abschlu sszahlung
1. Rückständige Beträge und sonstige Leistungen und der zu leistende Schadenersatz werden von der ersatzberechtigten Partei zu einer einheitlichen Ausgleichsforderung in EUR zusammengefa sst, wobei für rückständige sonstige Leistungen entsprechend § 8 Abs 1 Sätze 2 bis 4 ein in die Berechnung der Forderung einzubeziehender Gegenwert in EUR ermittelt wird.
2. Eine Ausgleichsforderung gegen die ersatzberechtigte Partei wird nur zahlbar, soweit diese keine Ansprüche aus irgendeinem rechtlichen Grund gegen die andere Partei (ꞌGegenansprücheꞌ) hat. Bestehen Gegenansprüche, so ist deren Wert zur Ermittlung des fälligen Teils der Ausgleichsforderung vom Gesamtbetrag der Ausgleichsforderung abzuziehen. [...]
Die ersatzberechtigte Partei kann mit ihren gemäß Satz 3 dieses Absatzes errechneten Gegenansprüchen gegen die Ausgleichsforderung der anderen Partei aufrechnen. Sofern die ersatzberechtigte Partei die Aufrechnung binnen eines angemessenen Zeitraums nicht erklärt, wird die Ausgleichsforderung fällig.“
[7] Als die Klägerin in Liquidation trat, war sie weder zahlungsunfähig noch insolvent. Sie hatte für das gegenständliche Swap‑Geschäft ein Deckungsgeschäft abgeschlossen, aus dessen Beendigung sie am 4. Jänner 2022 14.775.000 EUR an eine andere Bank gezahlt hat.
[8] Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Zahlung des Klagebetrags mit der Behauptung, der Rahmenvertrag sei aufgrund ihrer Liquidation automatisch beendet worden. Soweit noch wesentlich, brachte sie insbesondere vor, ihr Anspruch auf Ausgleichszahlung gründe sich auf § 8 Abs 2 des Rahmenvertrags (RV), wonach bei einem positiven Marktwert zugunsten einer Partei ein entsprechender Ausgleich vorgesehen sei, der nicht von der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs der ersatzberechtigten Partei abhänge. Die Höhe des Anspruchs ergebe sich aus § 8 Abs 1 dritter Satz RV, wobei der Zweck dieser Bestimmung darin liege, dass eine Seite im Fall der automatischen Beendigung keinen Vorteil erhalte. Dieser liege für die beklagte Partei darin, dass sie sich erheblichen Aufwand, nämlich die Zinszahlung von 5,245 % Zinsen aus 25 Mio EUR erspare und im Gegenzug nur den aktuell deutlich niedrigeren 6‑Monats‑EURIBOR von der Klägerin erhalte. Die beklagte Partei habe aus der automatischen Beendigung des Zins‑Swaps einen Vorteil zumindest in Höhe des Klagebetrags erzielt, während der Klägerin durch die Zahlung an die Drittbank von 14.755.000 EUR ein positiver Schaden in dieser Höhe entstanden sei, der höher sei als der Klagebetrag. Die beklagte Partei sei bei Abschluss durch einen professionellen Berater vertreten gewesen, der den aus vorangegangenen Zinsabsicherungsgeschäften bei anderen Kreditinstituten bekannten Rahmenvertrag vorgeschlagen und Anpassungen im Vertrag vorgenommen habe. Die §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB seien daher nicht anwendbar. Eine Aufklärungspflicht der Klägerin über einen im übrigen bestrittenen anfänglichen negativen Marktwert habe mangels Vorliegens eines Beratungsverhältnisses nicht bestanden.
[9] Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete im Wesentlichen ein, bereits zu Beginn des Zins‑Swaps sei ein negativer Anfangswert zu ihren Lasten vorgelegen, über den sie nicht aufgeklärt worden sei und worüber sie die Klägerin listig in die Irre geführt habe. Die Liquidation liege nur in der Sphäre der Klägerin, weshalb sie nicht berechtigt sei, ein auf die gesamte restliche Vertragslaufzeit berechnetes Erfüllungsinteresse zu fordern. In Fällen des § 7 Abs 3 des RV sei keine Partei mehr zu Zahlungen oder sonstigen Leistungen verpflichtet. § 8 RV sehe einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch nur der ersatzberechtigten Partei vor, also der Partei, die nicht den Grund für die Auflösung des Vertrags gesetzt habe; dies sei nur die beklagte Partei. § 8 Abs 2 RV begrenze den Schadenersatzanspruch der ersatzberechtigten Partei durch eine Vorteilsanrechnung bis zur Höhe des Schadens der anderen Partei, sehe aber keinen selbständigen Gegenanspruch der Klägerin vor. Die Auslegung dieser Klausel durch die Klägerin führe zu deren Unzulässigkeit nach §§ 879 Abs 1 und 3 sowie 864a ABGB.
[10] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Eintritt der Liquidation der Klägerin sei ein Beendigungsgrund nach § 7 Abs 3 lit c RV. Nach § 7 Abs 4 RV sei nach Vertragsbeendigung keine Partei mehr zu Zahlungen verpflichtet. Der Wortlaut des § 8 Abs 1 RV regle nur die Folgen im Fall der Kündigung oder Insolvenz, wobei beide Parteien solvent gewesen seien. Eine Liquidation sei nicht vom Wortlaut der Insolvenz erfasst. Diese Lücke im Vertrag sei durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Nach dem Zweck der Bestimmung und der Systematik des Vertrags sei bei Vertragsbeendigung wegen Liquidation nur die beklagte Partei als nicht in Liquidation befindlich ersatzberechtigt im Sinn des § 8 des RV. Nach § 8 Abs 2 RV schulde die ersatzberechtigte Partei zwar einen Betrag in Höhe des finanziellen Vorteils, den sie aus der Beendigung erlange. Nach Zweck und Systematik des Vertrags baue diese Bestimmung aber auf § 8 Abs 1 RV auf, weshalb ein Ausgleichsanspruch nur bei Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs durch die ersatzberechtigte Partei bestehen könne. Da die beklagte Partei keinen Anspruch nach § 8 Abs 1 RV geltend gemacht habe, scheide ein Anspruch der Klägerin nach § 8 Abs 2 RV aus.
[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, mit dem Eintritt der Klägerin in die Liquidation sei der Beendigungsgrund nach § 7 Abs 3 lit c RV eingetreten, der (nach § 1 Abs 2 des RV) auch auf den Einzelabschluss durchschlage. Damit seien beide Parteien ihrer Zahlungspflichten enthoben worden, soweit an deren Stelle nicht Forderungen gemäß §§ 8, 9 RV getreten seien. Nach § 8 Abs 1 RV sei zwischen der „kündigenden und solventen Partei“ als „ersatzberechtigte Partei“ und der „anderen Partei“ zu unterscheiden, wobei nur für die Erstgenannte ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch vorgesehen sei. Auch wenn der Begriff „solvente Partei“ Unschärfen zeige, sei aus der Gesamtbetrachtung des Vertrags klar erkennbar, dass der dort normierte Schadenersatzanspruch nur jener Partei zustehen solle, die keinen Anlass für die Auflösung des Vertragsverhältnisses gegeben habe, sodass die Klägerin nicht als „solvente bzw ersatzberechtigte Partei“ im Sinn des § 8 Abs 1 RV zu qualifizieren sei.
[12] Zur Frage, ob § 8 Abs 2 RV einen eigenständigen Anspruch der Klägerin als „andere Partei“ begründe, vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, § 8 RV differenziere schon in seiner Überschrift zwischen „Schadenersatz“ und „Vorteilsausgleich“ und ordne diese Ansprüche bestimmten Parteien zu. Ersterer stehe nur der „ersatzberechtigten Partei“, zweiterer der „anderen Partei“ zu. § 8 Abs 2 RV bestimme diesen Anspruch auf Vorteilsausgleich der „anderen Partei“ näher und begrenze ihn der Höhe nach zweifach, einerseits mit der Höhe des Vorteils, andererseits mit jener des Schadens „der ersatzberechtigten Partei“. Die Bestimmung sei vom Ausgleichsgedanken getragen und solle eine auch nach allgemeinem Schadenersatzrecht unerwünschte Bereicherung des Geschädigten verhindern. § 8 Abs 2 RV verweise auf § 9 Abs 2 RV, der vorsehe, dass eine Ausgleichszahlung gegen die ersatzberechtigte Partei nur dann zahlbar werde, soweit dieser keine Ansprüche aus irgendeinem rechtlichen Grund gegen die andere Partei zustehen. Dass von einem eigenen Anspruch der „anderen Partei“ die Rede sei, der auch unabhängig von der allfälligen Geltendmachung eines Schadenersatzes durch die „ersatzberechtigte Partei“ bestehe, ergebe sich aus diesem Wortlaut und aus § 9 Abs 2 letzter Satz RV, wonach die Ausgleichszahlung fällig werde, sofern die ersatzberechtigte Partei die dagegen zulässige Aufrechnung binnen eines angemessenen Zeitraums nicht erkläre. Die Regelung sei darauf ausgerichtet, der „anderen Partei“ die Geltendmachung einer Ausgleichszahlung auch für den Fall zu ermöglichen, dass die „ersatzberechtigte Partei“ keine Gegenforderung erhebe. Allerdings fehlten Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe die beklagte Partei einen über einen allfälligen Schadenersatzanspruch gegen die Klägerin hinausgehenden Vorteil erlangt habe oder erlangen hätte können, insoweit lägen sekundäre Feststellungsmängel vor. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht dieses Verfahrensergebnis mit den Parteien zu erörtern und diesen Gelegenheit zu geben haben, ihr Vorbringen zu dem nach § 8 Abs 1 RV zu berechnenden Schaden und Vorteil „der beklagten Partei“ zu ergänzen. Auf dieser Grundlage seien ergänzende Feststellungen zu treffen und der Ausgleichsanspruch der Klägerin zu beurteilen.
[13] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil der hier auszulegende Rahmenvertrag, insbesondere die Frage, ob eine bereits in Liquidation getretene Gesellschaft nach Beendigung des Vertrags aus diesem Grund einen eigenständigen Ausgleichsanspruchs im Sinn des § 8 Abs 1 und 2 in Verbindung mit § 9 Abs 2 RV geltend machen könne, auf zahlreiche andere Finanztermingeschäfte anzuwenden sei, und dazu höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
[14] Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung des abweisenden Ersturteils, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[15] Die Klägerin beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[16] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[17] Im Rekurs behauptet die beklagte Partei zusammengefasst eine Aktenwidrigkeit betreffend die Auslegung des § 8 Abs 2 RV durch das Berufungsgericht, eine Mangelhaftigkeit, weil es die Berufung mangels gesetzmäßiger Ausführung nicht inhaltlich behandelt hätte dürfen, und eine unrichtige rechtliche Beurteilung, weil die Liquidation der Klägerin aufgrund des Wortlauts der §§ 7 bis 9 des RV nicht von diesen Bestimmungen erfasst sei. Da die Rechtsfolge der Vertragsbeendigung nach § 7 Abs 3 lit c RV sich im Entfall künftiger Leistungsverpflichtungen erschöpfe, seien darüber hinausgehende Rechtsfolgen nach dispositivem Recht zu beurteilen, das keine Ersatzpflicht der vertragstreuen Partei im Sinn eines Anspruchs auf Ersatz des Erfüllungsinteresses kenne. Eine ergänzende Vertragsauslegung sei nicht geboten. Letztlich sei das vom Berufungsgericht gewonnene Auslegungsergebnis sittenwidrig, die §§ 864a, 879 Abs 3 und 915 Abs 2 ABGB seien auf das von der Klägerin zur Verfügung gestellte Vertragsformblatt anwendbar.
Hiezu wurde erwogen:
1. Aktenwidrigkeit:
[18] 1.1. Eine Aktenwidrigkeit wäre nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, wenn also der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolge dessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RS0043347). Die Aktenwidrigkeit besteht in einem entscheidungswesentlichen Widerspruch zwischen einer Tatsachenfeststellung und dem zu ihrer Begründung angeführten Beweismittel (RS0043284). Dieser Revisionsgrund läge nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht aufgrund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen oder rechtlichen Schlussfolgerungen in eine bestimmte Richtung gelangt (RS0043324).
[19] 1.2. Hier zitierte das Berufungsgericht § 8 Abs 1 und 2 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Rahmenvertrags auf den Seiten 17 f seiner Beschlussausfertigung völlig richtig. Allerdings legte es § 8 Abs 2 des RV in den Punkten 3.7.3 und 3.12 seines Beschlusses aufgrund eines offensichtlichen Missverständnisses rechtlich unrichtig aus, soweit es davon ausging, der Anspruch auf Vorteilsausgleich der „anderen Partei“ werde der Höhe nach zweifach begrenzt, nämlich einerseits mit der Höhe des Vorteils, andererseits mit jener des Schadens jeweils der „ersatzberechtigten Partei“. Wie die Rekurswerberin zutreffend ausführt und auch die Rekursgegnerin zugesteht, besteht nach dem eindeutigen und vom Berufungsgericht korrekt zitierten Wortlaut des § 8 Abs 2 RV diese doppelte Begrenzung tatsächlich darin, dass im Fall, dass die ersatzberechtigte Partei aus der Beendigung von Einzelabschlüssen einen finanziellen Vorteil erlangt, sie vorbehaltlich des § 9 Abs 2 der anderen Partei (hier also der Klägerin) einen Betrag in Höhe dieses Vorteils, höchstens in Höhe des Schadens der anderen Partei (also der Klägerin) schuldet. Eine Aktenwidrigkeit liegt darin nicht, dieser Umstand ist aber bei der rechtlichen Beurteilung entsprechend zu berücksichtigen.
2. Mangelhaftigkeit:
[20] 2.1. Es trifft zu, dass im Fall, dass in der Berufung keine Rechtsrüge ausgeführt wurde und das Berufungsgericht dessen ungeachtet in einem solchen Fall der Berufung Folge gibt, dieser Umstand vom Obersten Gerichtshof aufgrund entsprechender Rüge in der Revision aufzugreifen wäre (RS0043352 [T6, T12, T20]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
[21] 2.2. Soweit die Rekurswerberin zur Begründung pauschal auf ihr Vorbringen in der Berufungsbeantwortung verweist, ist dies unzulässig (RS0043616, RS0007029), darauf ist nicht einzugehen. Dass das Berufungsgericht von einer gesetzesgemäß ausgeführten Rechtsrüge der Berufung ausging, ist nicht zu beanstanden. Sekundäre Feststellungsmängel hatte es daher auch von Amts wegen wahrzunehmen (RS0114379), einer darauf abzielenden Rüge bedurfte es nicht. Die unrichtige Interpretation des § 8 Abs 2 des RV ist – wie schon im Zusammenhang mit der Aktenwidrigkeitsrüge aufgezeigt – im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge zu überprüfen und zu korrigieren, eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird dadurch nicht begründet.
3. Zum Inhalt des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrags:
[22] 3.1. Im Rekursverfahren ist nicht strittig, dass die Parteien eine Zins‑Swap‑Vereinbarung abgeschlossen haben. Es handelt sich dabei um einen vereinbarten Austausch zukünftiger Zinszahlungen in einer bestimmten Währung während eines festgelegten Zeitraums. Dies ist ein auf den Finanzmärkten weit verbreitetes Instrument, das es den Vertragsparteien ermöglicht, bestehende Zinsrisken zu steuern und an die individuellen Zinserwartungen anzupassen (10 Ob 18/21a mwN). Zu diesem Zweck werden – so auch hier – oftmals Rahmenverträge abgeschlossen, um eine standardisierte Vertragsgrundlage zu schaffen. Die jeweils geschuldeten Beträge berechnen sich anhand von unterschiedlich definierten Zinssätzen auf einen fiktiven Nominalbetrag, wobei der Verpflichtung der einen Partei ein Festzinssatz und jener der anderen Partei ein variabler, von einer Referenzgröße abhängiger Zinssatz zugrunde gelegt wird (Ewerz/Torggler, Beendigung und Abwicklung von Plain‑Vanilla‑Zins‑Swaps, RdW 2024, 8).
[23] 3.2. Dass die Parteien hier die Geltung des österreichischen Rahmenvertrags für Finanztermingeschäfte mit im einzelnen ausgehandelten Adaptierungen vereinbarten und dieser Rahmenvertrag infolge der darin vorgesehenen Rückwirkung auch auf den (telefonischen) Einzelabschluss vom 4. März 2004 anwendbar sein sollte, zieht im Rekursverfahren niemand mehr in Zweifel.
[24] 3.3. Den Einwand der arglistigen Irreführung durch die Klägerin bei Abschluss des Vertrags thematisiert die Rekurswerberin zwar nicht mehr ausdrücklich. Soweit sie ihn damit begründete, die Klägerin habe den anfänglich negativen Marktwert des Zins‑Swaps verschwiegen, ist aber der Vollständigkeit halber zur Pflichtenlage der Bank in Bezug auf vorvertragliche Beratungs‑ und Aufklärungspflichten nach dem (2004 noch anwendbaren) § 13 WAG 1996 auf die ausführliche Darstellung des Stands der Rechtsprechung in 3 Ob 191/17k zu verweisen. Demnach hat die Bank dann, wenn sie dem Kunden in der Doppelrolle aus einem Beratungsvertrag und einem von ihr initiierten und gestalteten Zins‑Swap‑Geschäft, das einen für den Kunden anfänglich negativen Marktwert aufweist, gegenübersteht, vor Abschluss des Zins‑Swap‑Geschäfts über den in ihrer Person bestehenden Interessenkonflikt (§ 35 Abs 5 WAG 2007) und damit über den schon anfänglich bestehenden negativen Marktwert, dessen Höhe, Bedeutung und Zustandekommen aufzuklären. Eine solche Doppelrolle der Klägerin aufgrund eines Beratungsvertrags in diesem Sinn wurde hier weder behauptet noch festgestellt. Die Initiative für den Abschluss des konkreten Zins‑Swap‑Geschäfts ging auch nicht von der Klägerin, sondern vom professionellen Berater der beklagten Partei aus, der die Vertragsgrundlagen durch Vorschlag des (adaptierten) österreichischen Standard-Rahmenvertrags für Finanztermingeschäfte maßgeblich mitgestaltete. Auch wenn Feststellungen zum behaupteten anfänglich negativen Marktwert des konkreten Zins‑Swap‑Geschäfts fehlen, lässt der Sachverhalt hier somit weder eine arglistige Irreführung durch die Klägerin noch eine Verletzung vorvertraglicher Beratungs- und Aufklärungspflichten nach dem WAG 1996 erkennen.
[25] 3.4. Damit ist im Hinblick darauf, dass nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen ein abweichender natürlicher Konsens der Streitteile nicht festzustellen war, für die Auslegung der Wortlaut des vereinbarten Rahmenvertrags maßgeblich.
4. Zu den Beendigungsmöglichkeiten des Rahmenvertrags:
[26] 4.1. Der hier vereinbarte Rahmenvertrag – der in den relevanten Punkten dem österreichischen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte entspricht – sieht zwei Beendigungsarten des Zins‑Swap‑Geschäfts vor, wobei diese auch auf zuvor erfolgte Einzelabschlüsse zurückwirken: Die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 7 Abs 1 und 2 RV) und die automatische Vertragsbeendigung (§ 7 Abs 3), wobei hier aufgrund der Liquidation der Klägerin unstrittig ausschließlich die automatische Vertragsbeendigung nach § 7 Abs 3 lit c des RV einschlägig ist.
[27] 4.2. Rechtsfolge dieser automatischen Beendigung ist nach § 7 Abs 4 der Entfall jeglicher Zahlungs- und sonstiger Leistungspflichten im Sinn des § 3 Abs 1 des RV, unabhängig davon, ob diese gleichtägig oder später fällig geworden wären. Die Beendigungswirkung umfasst sowohl den Rahmenvertrag als auch alle auf dieser Grundlage abgeschlossenen Einzelabschlüsse (Ewerz/Torggler, RdW 2024, 9). Allerdings sieht § 7 Abs 4 letzter Satz RV ausdrücklich vor, dass an die Stelle dieser Verpflichtungen Forderungen gemäß §§ 8 und 9 des RV treten.
[28] 4.3. Soweit die Rekurswerberin meint, nach dem Wortlaut des Rahmenvertrags seien die §§ 8 f bei Liquidation gar nicht anwendbar, ignoriert sie den insoweit eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs 4 letzter Satz des RV, der unterschiedslos alle Beendigungsgründe des § 7 Abs 3 RV, somit auch die Liquidation erfasst. Auch die Lehre hält die Bestimmungen der §§ 8 f RV im Fall der Liquidation für anwendbar (Fiedler, ÖBA 2024, 616; Ewerz/Torggler, RdW 2024, 8, je mwN) und bezeichnet die nach § 7 Abs 4 in Verbindung mit §§ 8 und 9 des RV erforderliche Verrechnung im Wege einer Ausgleichsforderung als „Liquidationsnetting“. Demnach seien die Bruttomarktwerte (positiv wie negativ) aller unter dem Rahmenvertrag gebündelten Einzelgeschäfte zu verrechnen und zu einer Ausgleichsforderung umzuwandeln (Fiedler, ÖBA 2024, 616; Ewerz/Torggler, RdW 2024, 8 [10]; Fuchs/Kammel, ÖBA 2010, 598 [601]). Im Beendigungszeitpunkt werden die Werte der bestehenden Einzelabschlüsse ermittelt, saldiert und zu einer einheitlichen Ausgleichsforderung zusammengefasst, wodurch es zu einer Gesamtabrechnung ähnlich wie bei der Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens eines Gesellschafters im Ausscheidungs‑ oder Liquidationsfall kommt. Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass ein Zins‑Swap einen im Zeitlauf veränderlichen Marktwert hat und einen (unkörperlichen) Vermögenswert darstellt (Ewerz/Torggler aaO, 11). Auch die beklagte Partei ging nach ihrem Vorbringen in erster Instanz selbst davon aus, dass in den Fällen des § 7 Abs 3 RV wie bei Liquidation keine Partei mehr zur Zahlung oder sonstigen Leistung verpflichtet sei, jedoch anstelle dieser Verpflichtung die Forderung gemäß §§ 8 und 9 RV treten sollte.
[29] 4.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass auch im Fall der Liquidation aufgrund des eindeutigen Wortlauts des letzten Satzes des § 7 Abs 4 RV die Bestimmungen der §§ 8 und 9 des RV (das in der Lehre sogenannte „Liquidationsnetting“) anzuwenden sind.
5. Zur Auslegung der §§ 8, 9 RV:
[30] 5.1. § 8 Abs 1 RV bezeichnet für den Fall der Beendigung die kündigende oder solvente Partei als ersatzberechtigte Partei, der ein vom Verschulden der anderen Partei unabhängiger Anspruch auf Schadenersatz zusteht. Dass ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin nicht insolvent war, die Liquidation und daher der Beendigungsgrund von ihr ausging und demgemäß die Klägerin nicht als ersatzberechtigte Partei im Sinn des § 8 Abs 1 RV anzusehen war, haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt; dies zieht im Rekursverfahren auch niemand mehr in Zweifel. Nach der Diktion des RV ist daher im konkreten Fall die beklagte die ersatzberechtigte Partei, die Klägerin hingegen andere Partei. Ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch nach § 8 Abs 1 RV steht der Klägerin nicht zu und ist daher auch nicht zu beurteilen.
[31] 5.2. Zu erörtern ist aber die Frage, ob die Klägerin als „andere Partei“ ihren Anspruch auf § 8 Abs 2 RV stützen kann. Erlangt die ersatzberechtigte Partei (hier die beklagte Partei) aus der Beendigung von Einzelabschlüssen insgesamt einen finanziellen Vorteil, sieht § 8 Abs 2 RV nämlich einen Ersatzanspruch der anderen Partei in Höhe des Vorteils der ersatzberechtigten Partei vor (dies vorbehaltlich § 9 Abs 2 RV). Dieser Ersatzanspruch ist jedoch mit der Höhe des Schadens der anderen Partei begrenzt. Die vom Berufungsgericht erwähnte doppelte Begrenzung eines derartigen Anspruchs ist daher richtigerweise in rechtlicher Sicht so vorzunehmen, dass bei korrekter Auslegung des § 8 Abs 2 RV ein etwaiger Ersatzanspruch der Klägerin als anderer Partei einerseits die Höhe des Vorteils der Beklagten als ersatzberechtigter Partei und andererseits die Höhe des Schadens der Klägerin als anderer Partei nicht übersteigen darf. Was die Berechnung des finanziellen Vorteils betrifft, finden nach § 8 Abs 2 RV die Grundsätze des § 8 Abs 1 RV über die Schadensberechnung entsprechend Anwendung.
[32] 5.3. Eine etwaige Ausgleichsforderung der Klägerin wäre daher nach den Anordnungen des § 8 RV in zwei Schritten zu ermitteln: Im ersten Schritt ist der Schadenersatzanspruch nach § 8 Abs 1 RV der beklagten als ersatzberechtigter Partei, im zweiten Schritt der Ausgleichsanspruch der anderen Partei nach § 8 Abs 2 RV, auf dieser Grundlage ist die Ausgleichsforderung zu ermitteln (Fiedler, ÖBA 2024, 616 [623]; Ewerz/Torggler aaO 11f).
[33] 5.4. Diese Berechnungsmodalität des § 8 Abs 1 und 2 RV legt bereits – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nahe, daraus abzuleiten, dass auch der Klägerin als anderer Partei tatsächlich ein solcher Anspruch auf Ausgleich unabhängig von erhobenen Ersatzforderungen der beklagten als ersatzberechtigter Partei zustehen soll. Jedenfalls ist aber der in § 8 Abs 2 RV ausdrücklich zitierte § 9 Abs 2 RV zu berücksichtigen, der davon spricht, dass eine Ausgleichsforderung gegen die ersatzberechtigte Partei nur zahlbar wird, soweit diese keine Ansprüche aus irgendeinem rechtlichen Grund gegen die andere Partei hat, und der eine erweiterte Aufrechnungsmöglichkeit der ersatzberechtigten Partei vorsieht. Diese Bestimmung wäre nach der im Rekurs nicht substanziiert in Zweifel gezogenen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts unerklärlich, würde es in keinem Fall einen Anspruch der anderen Partei, der sich nach § 8 Abs 2 RV ermittelt, geben können. Auch § 8 Abs 2 RV selbst weist in diese Richtung, weil danach die ersatzberechtigte Partei, hier also die Beklagte, vorbehaltlich § 9 Abs 2 der anderen Partei einen Betrag in Höhe ihres Vorteils schuldet.
[34] 5.5. Dass das Zusammenspiel der §§ 8 und 9 RV einen selbständigen Ausgleichsanspruch auch für die andere Partei, die aufgrund ihrer Liquidation für die Vertragsbeendigung verantwortlich ist, vorsieht, kann sich auch auf systemische Überlegungen stützen. Da § 8 Abs 1 letzter Halbsatz RV ohnedies vorsieht, dass ein finanzieller Vorteil, der sich aus der Beendigung von Einzelabschlüssen ergibt, als Minderung des im Übrigen ermittelten Schadens zu berücksichtigen ist, fehlt jede Rechtfertigung dafür, dass § 8 Abs 2 RV noch einmal nur eine bloße Vorteilsanrechnung bei Berechnung eines Ersatzanspruchs der ersatzberechtigten Partei und nicht auch einen eigenständigen Anspruch der anderen Partei vorsehen sollte.
[35] 5.6. Der Vollständigkeit halber ist auch auf die bei Beurteilung dieser Frage zu berücksichtigenden insolvenz- und aufsichtsrechtlichen Erwägungen zu verweisen (vglhiezu Fiedler, ÖBA 2024, 616). Die aufsichtsrechtliche Anerkennung von Netting‑Vereinbarungen richtet sichnach Art 295 bis 298 CRR (Capital Requirements Regulation‑Verordnung, – VO [EU] 575/2013). Zur Anerkennung durch nationale Aufsichtsbehörden muss die Vereinbarung daher unter anderem Voraussetzungen erfüllen:
Das Institut hat mit seinem Vertragspartner eine vertragliche Netting‑Vereinbarung geschlossen, die für alle erfassten Geschäfte eine einzige rechtliche Verpflichtung begründet, sodass das Institut bei Ausfall des Vertragspartners nur auf den Saldo der positiven und negativen Marktwerte der erfassten Einzelgeschäfte einen Anspruch hat oder zu dessen Zahlung verpflichtet ist (Art 296 Abs 2 lit a CRR). Der Vertrag enthält keine Klausel, die bei Ausfall einer Vertragspartei einer vertragserfüllenden Partei die Möglichkeit gibt, nur begrenzte oder gar keine Zahlungen in die Konkursmasse zu leisten, auch wenn die ausfallende Partei ein Nettogläubiger ist (sogenannte Ausstiegsklausel, Art 296 Abs 2 lit d).
[36] Wie Fiedler (aaO [624]) zutreffend erwähnt, wollten die Verfasser des Rahmenvertrags in § 8 Abs 2 RV sicherstellen, dass der Rahmenvertrag keine Klausel enthält, die bei Ausfall einer Vertragspartei einer vertragserfüllenden Partei die Möglichkeit gibt, nur begrenzte oder gar keine Zahlungen an die Konkursmasse zu leisten, auch wenn die ausfallende Partei ein Nettogläubiger ist. § 8 Abs 2 RV sollte eine Ausstiegsklausel ausschließen, die eine aufsichts‑ und insolvenzrechtliche Anerkennung des Netting‑Mechanismus gefährden würde. Auch im Insolvenzrecht besteht somit ein Interesse daran, die automatische Auflösung des Rahmenvertrags bei Insolvenz eines Vertragspartners unter gleichzeitiger Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche zuzulassen, um ein entsprechend geringeres Risiko bilanziell abzubilden (Perner in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 20 Rz 17). Insolvenzrechtlich ist die automatische Auflösung und darauffolgende Aufrechnung von Netting‑Vereinbarungen wie hier nach § 20 Abs 4 iVm § 25b Abs 2 IO daher zulässig (Fiedler, ÖBA 2024, 616 [622]). Ein Wertausgleich zwischen den Parteien dient somit auch der Hintanhaltung von Wertungswidersprüchen gegenüber dem Insolvenzrecht.
[37] 5.7. Warum die Beendigungsgründe der Insolvenz und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens strikt von der Liquidation abzugrenzen sein sollten, wird aus den Rekursausführungen nicht klar. Ein „Sanktionsgedanke“ lässt sich aus den Bestimmungen des Rahmenvertrags nicht ableiten. Die schadenersatzrechtliche Diktion in § 8 RV mag unglücklich sein. Mit Fiedler (aaO [624]) und Ewerz/Torggler (aaO [13]) ist aber davon auszugehen, dass kein zwingender Zusammenhang zwischen dem Schadenersatzanspruch nach § 8 Abs 1 RV und dem Vorteilsausgleich nach § 8 Abs 2 RV besteht. Letztere Bestimmung normiert vielmehr einen eigenen Anspruch, unabhängig davon, ob die „ersatzberechtigte Partei“ Ansprüche aus der Beendigung des Vertrags geltend macht (Ewerz/Torggler aaO [13]).
6. Zusammenfassend folgt:
[38] Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Zusammenspiel von §§ 8 und 9 des RV einen – in zweifacher Hinsicht der Höhe nach begrenzten – Ausgleichsanspruch auch der „anderen Partei“, die also wegen ihrer Liquidation die Vertragsbeendigung zu vertreten hat, unabhängig von Ersatzansprüchen der ersatzberechtigten Partei vorsieht. § 8 RV zielt nicht darauf ab, eine Vertragspflichtverletzung einer Partei zu sanktionieren, sondern (auch) bei Beendigungsgründen wie Insolvenz oder Liquidation eine Aufrechnung und einen Ausgleich offener Forderungen zu ermöglichen und damit eine Abwicklung des Vertrags ex nunc zu gewährleisten, womit ein Wertausgleich zwischen den Vertragsparteien bewirkt wird. Aus zivilrechtlicher Sicht sind die Regelungen als Rechtsgrundlage einer Aufrechnungsvereinbarung und eines verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruchs anzusehen. Nach Verrechnung kann ein Saldo daher grundsätzlich sowohl für die „ersatzberechtigte Partei“ als auch für die „andere Partei“ positiv sein.
7. Zur Geltungs‑ und Inhaltskontrolle nach § 864a und § 879 Abs 3 ABGB:
[39] 7.1. Nach der Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei der anderen bei Abschluss eines Vertrags stellt, gleichgültig, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in der Vertragsurkunde selbst aufgenommen sind, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftsatzart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat (RS0123499 [T2]; 4 Ob 117/14f). Eine Vertragsbedingung wird von jener Partei – als „Verwender“ – gestellt, die sie in den Verhandlungsprozess einbringt, also ihre Einbeziehung in den Vertrag begehrt (10 Ob 50/11t; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 864a Rz 36; Laimer in Klang3 § 864a Rz 6 mwN; vgl auch 1 Ob 214/17b). Der „Verwender“ muss diese AGB nicht selbst formulieren, sondern kann auch von dritter Seite entworfene Klauseln wie Vertragsformulare oder Ö‑Normen heranziehen (Laimer aaO mwN;vgl1 Ob 214/17b [Mustervertrag]).
[40] 7.2. Zur Qualifikation der Klauseln des Rahmenvertrags als AGB bzw Vertragsformblatt wird im Schrifttum teils darauf hingewiesen, die Rahmenverträge seien gerade im Verhältnis der Banken zueinander nicht von einer Vertragspartei „gestellt“, womit die AGB‑Definition nicht erfüllt werde (Fiedler, Der österreichische Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte, ÖBA 2024, 616 [623]). Auch das deutsche Schrifttum steht auf dem Standpunkt, dass es für die Qualifizierung des deutschen Rahmenvertrags als Allgemeine Geschäftsbedingungen – ungeachtet seiner vielfachen Verwendung – im Verhältnis der Banken zueinander regelmäßig an einem Verwender fehle, der der anderen Vertragspartei die Vertragsbedingungen „stellt“. Der überwiegende Teil gewerblicher Kunden sei mit nationalen und internationalen Rahmenverträgen zunehmend vertraut, besitze Erfahrungen im Handel mit mehreren Banken und fertige hauseigene Rahmenvertragsmusterdokumentationen an, sodass die Qualifikation des Musterrahmenvertrags als Allgemeine Geschäftsbedingungen ausscheide (Reiner/Scholl in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch § 94 Rn 356).
[41] 7.3. Hier war es nach den Feststellungen so, dass der Übermittlung eines Entwurfs des Rahmenvertrags durch die Klägerin vorausging, dass der Berater der Beklagten seinerseits bereits bei Anfrage um ein Angebot den österreichischen Standard-Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte (und damit auch dessen §§ 7–9) vorschlug und der Klägerin einen solchen aus einem ähnlichen Geschäftsabschluss zur Verfügung stellte. Als „Verwender“ des Rahmenvertrags war daher in Ansehung der hier relevanten Bestimmungen nicht die Klägerin, sondern die beklagte Partei anzusehen, von der dieser Vorschlag kam; keine Rede kann hingegen davon sein, die Klägerin habe den österreichischen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte als Vertragsformblatt der Beklagten „gestellt“. Die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Geltungs‑ und Inhaltskontrolle nach §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB ist daher zu verneinen, zumal es nur dem Gegner des „Verwenders“ zusteht, sich auf diese Bestimmungen zu berufen (vgl 1 Ob 214/17b; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 864a Rz 36; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar V5 § 864a ABGB Rz 5). Auch die Unklarheitenregel des § 915 Abs 2 ABGB ist aus diesem Grund nicht anwendbar (vgl RS0017992; Vonkilch in Klang3 § 915 ABGB Rz 38).
[42] 7.4. Wenn die beklagte Partei damit argumentiert, der Endigungsgrund der Liquidation treffe nicht gleichermaßen auf beide Vertragsparteien zu und daraus eine Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB ableiten möchte, fehlt es ebenso an einer erkennbaren Nachteiligkeit. Zwar mag die Liquidation einer Gebietskörperschaft praktisch ausgeschlossen sein, allerdings kommt eine einseitige willkürliche Liquidation der Klägerin zu einem von dieser gewählten Zeitpunkt nicht in Betracht. Die Frage, ob die ersatzberechtigte Partei auch im Fall gröbster oder vorsätzlicher Pflichtverstöße der anderen Partei wirtschaftlich an einen Vertrag gefesselt wäre, wenn ein Ausstieg aufgrund der drohenden Ausgleichszahlung nicht leistbar wäre, ist von rein theoretischer Natur und daher hier nicht zu erörtern. Ob die Klausel auch für diesen Fall anwendbar wäre, bedarf keiner vertieften Prüfung.
[43] 8. Damit war dem Rekurs keine Folge zu geben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht einerseits den Schaden der Klägerin als „anderer Partei“ und andererseits den Vorteil der Beklagten als „ersatzberechtigter Partei“ nach den Kriterien des § 8 RV zu ermitteln und auf Basis dessen einen allfälligen Ausgleichsanspruch der Klägerin zu bemessen haben.
[44] 9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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