OGH 5Ob125/24d

OGH5Ob125/24d3.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*, gegen die beklagte Partei M* GmbH & CO KG, *, vertreten durch Dr. Thomas Mondl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.412,42 EUR samt Anhang, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.812,14 EUR) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Februar 2024, GZ 50 R 172/23k‑113, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 20. Juli 2023, GZ 12 C 264/19i‑107, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00125.24D.0603.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger machte gegen die Beklagte Honoraransprüche für anwaltliche Leistungen geltend, die er im Auftrag der Rechtsvorgängerin der Beklagten erbrachte. Die Beklagte erhob zahlreiche Einwände und wandte mehrere Gegenforderungen kompensando ein.

[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur mehr) eine der von der Beklagten eingewandten Gegenforderungen in Höhe von 5.812,14 EUR. Die weiteren Ausführungen zum Verfahrensgang beschränken sich daher auf das für die Beurteilung dieser Aufrechnungseinrede Maßgebliche.

[3] Das Erstgericht erkannte zu Recht, dass die Klageforderung mit 23.926,40 EUR und die Gegenforderung mit 12.727,80 EUR zu Recht bestünden, die Beklagte daher schuldig sei, dem Kläger 11.198,60 EUR samt Anhang zu zahlen. Das Mehrbegehren in Höhe von 17.213,83 EUR samt Anhang wies es ab und einen Antrag der Beklagten auf Feststellung, dass dieser ein Schadenersatzanspruch in Höhe von 6.000 EUR gegenüber dem Kläger zustehe, zurück.

[4] Zu der den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Gegenforderung in Höhe von 5.812,14 EUR führte das Erstgericht aus, diese sei der Beklagten bereits im Verfahren AZ 85 C 40/19i des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (kurz: Vorverfahren) mit dem als Teilurteil in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. 2. 2020 zugesprochen worden. Der Kläger habe diese Gegenforderung nicht bestritten. Zwischen einer zur Aufrechnung eingewandten Gegenforderung und einer selbständigen Klage zur Durchsetzung derselben Forderung bestehe auch keine Streitanhängigkeit, unabhängig davon, ob die selbständige Klage oder die Kompensationseinrede zuerst eingebracht bzw erhoben worden sei.

[5] Beide Parteien erhoben Berufung. Die Berufung des Klägers richtete sich gegen die Abweisung des Mehrbegehrens in Höhe von 17.174,03 EUR, insbesondere gegen die Abweisung des entsprechenden Teilbegehrens wegen der Feststellung des Zurechtbestehens der Gegenforderung aus dem Vorverfahren in Höhe von 5.812,14 EUR. Als Berufungsgründe machte der Kläger diesbezüglich Nichtigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. In seiner Nichtigkeitsberufung stützte sich der Berufungswerber – zusammengefasst – darauf, dass die Rechtskraft des Teilurteils aus dem Vorverfahren nicht nur jeder selbständigen Einklagung der Gegenforderung, sondern auch ihrer einredeweisen Geltendmachung entgegen stehe. In seiner Rechtsrüge bestritt der Kläger das Vorliegen der materiell-rechtlichen Aufrechnungsvoraussetzungen der Fälligkeit und Gültigkeit. Die einzelnen Teile des dreigliedrigen Spruchs würden nicht selbständig rechtskräftig, sondern nur die sich daraus ergebende Entscheidung über das Klagebegehren. Das Vorverfahren sei aber nicht rechtskräftig abgeschlossen.

[6] Das Berufungsgericht verwarf die Berufung wegen Nichtigkeit und bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts mit einer Maßgabe. In Bezug auf die Gegenforderung aus dem Vorverfahren habe der Spruch zu lauten, dass die Klageforderung durch Aufrechnung mit der rechtskräftig festgestellten Forderung der Beklagten im Ausmaß von 5.812,14 EUR erloschen sei.

[7] Die Nichtbeachtung der Rechtskraft würde zwar Nichtigkeit bewirken. Nach der Rechtsprechung könne aber auch eine bereits rechtskräftig festgestellte Forderung als Gegenforderung eingewendet werden; die Entscheidung darüber habe sich freilich auf die dadurch bedingte Tilgung der Klageforderung zu beschränken. In einem solchen Fall sei bei Bestehen der Klageforderung (nur) auszusprechen, dass diese durch Aufrechnung mit der Gegenforderung erloschen sei. Ein Ausspruch über das „Zurechtbestehen“ der Gegenforderung habe wegen der insofern ohnehin bereits vorliegenden Entscheidung zu unterbleiben. Nachdem das Erstgericht ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass über die Gegenforderung bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei, habe es sich nur im Ausspruch geirrt und klar zum Ausdruck gebracht, dass es an den rechtskräftigen Ausspruch gebunden sei, weshalb keine Nichtigkeit vorliege und die Entscheidung mit einer Maßgabe zu bestätigen sei. Mit seiner Rechtsrüge zur Gegenforderung aus dem Vorverfahren sei der Kläger auf diese Ausführungen zu verweisen.

[8] Das Berufungsgericht erklärte die Revision über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO für zulässig. Es gebe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonachdie Aufrechnung mit einer bereits rechtskräftig zuerkannten Gegenforderung auch in einem Fall zulässig sei, in welchem – wie hier – in einem anderen Verfahren über die Gegenforderung als Klageforderung mit einem Teilurteil gemäß § 391 Abs 3 ZPO rechtskräftig abgesprochen worden sei, aber noch nicht über die dort eingewandten Gegenforderungen.

[9] Mit seiner Revisionbekämpft der Klägerdie Entscheidung des Berufungsgerichts über die Abweisung des Mehrbegehrens, soweit diese auf die Annahme der Tilgung der Klageforderung im Ausmaß der im Vorverfahren rechtskräftig zuerkannten Gegenforderung von 5.812,14 EUR zurückgeht; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[10] Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

[11] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil die vom Berufungsgericht – dem Kläger folgend – als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO erachtete Rechtsfrage aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zu prüfen ist.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Erfolg kann eine prozessuale Aufrechnungseinrede nur dann haben, wenn die Aufrechnung nach materiellem Recht zulässig ist. Die Voraussetzungen des § 1438 ABGB für die Kompensation, nämlich Gegenseitigkeit, Fälligkeit, Gültigkeit und Gleichartigkeit, müssen vorliegen. Überdies darf kein Aufrechnungsverbot bestehen (7 Ob 246/18d). Im Fall eines Kompensationsausschlusses ist die Aufrechnungseinrede abzuweisen, ohne dass über den Bestand oder Nichtbestand der Gegenforderung abgesprochen wird (RS0040726; RS0033992 [Aufrechnungsverzicht]).

[13] Für die Frage, ob eine Aufrechnung überhaupt möglich ist, ob also die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung erfüllt sind, kommt es auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung an (RS0120622). Dies hat auch für die Frage zu gelten, ob ein Aufrechnungsverbot entgegensteht, handelt es sich hier doch ebenfalls um eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Aufrechnung. Die These von der „Rückwirkung der Aufrechnung“ gilt ausschließlich im Zusammenhang mit verjährten Gegenforderungen (6 Ob 206/17p mwN).

[14] 2.1. Nach § 391 Abs 3 ZPO kannein Teilurteil über die Klageforderung gefällt werden, wenn der Beklagte mittels Einrede eine Gegenforderung geltend gemacht hat, die mit der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht in einem rechtlichen Zusammenhang steht. Ein solches Teilurteil ist als vollstreckbares Leistungsurteil über ein Zahlungsbegehren zu erlassen (vgl RS0040693; RS0040734).

[15] 2.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann eine bereits rechtskräftig festgestellte Forderung – mittels einer prozessualen Aufrechnungseinrede – als Gegenforderung im Verfahren eingewendet werden. In solchen Fällen hat das Gericht nicht mehr über den Bestand der Gegenforderung, sondern nur über die Aufrechenbarkeit und die dadurch bedingte Tilgung der Klageforderung zu entscheiden (RS0041017 [T2]). Bei Bestehen der Klageforderung ist daher (nur) auszusprechen, dass diese durch Aufrechnung mit der Gegenforderung erloschen ist; ein Ausspruch über das „Zurechtbestehen“ der Gegenforderung hat wegen der insofern ohnehin bereits vorliegenden Entscheidung zu unterbleiben (8 Ob 85/21i; 2 Ob 169/20x). Eine insofern unrichtige Formulierung des Spruchs ist, sofern keine Zweifel am Entscheidungswillen des Erstgerichts bestehen, berichtigungsfähig (2 Ob 169/20x).

[16] 2.3. Die Frage der Zulässigkeit der prozessualen Aufrechnungseinrede als Prozesshandlung ist eine Frage des Verfahrensrechts (zur prozessualen Aufrechnung als doppelfunktionale Prozesshandlung vgl etwa Deixler‑Hübner in Fasching/Konecny 3 III/2 § 391 ZPO Rz 23). Die unrichtige Beurteilung dieser Frage ist daher mit den auf Verfahrensfehler bezogenen Rechtsmittelgründen der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und nicht mittels Rechtsrüge zu bekämpfen. Mit der Rechtsrüge wird stets die unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend gemacht (RS0128767).

[17] In seiner Berufung machte der Kläger das Bejahen der Zulässigkeit der Aufrechnung mit der im Vorverfahren mit Teilurteil nach § 391 Abs 3 ZPO zugesprochenen Klageforderung als Nichtigkeit geltend und begründete dies mit einem Verstoß gegen die Rechtskraft dieses Teilurteils. Das Berufungsgericht hat diese Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit verworfen. Dieser Beschluss ist zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbar (RS0042981; RS0043405; RS0043796). Die behauptete Nichtigkeit ist diesfalls nicht mehr zu prüfen.

[18] Der Oberste Gerichtshof könnte auf die vom Kläger behauptete prozessuale Unzulässigkeit der Aufrechnungseinrede auch dann nicht eingehen, wenn diese – sollte die Auffassung des Klägers zutreffen – zwar keine Nichtigkeit aber einen Verfahrensmangel begründete; das unabhängig davon, ob die Ausführungen des Klägers in seiner Nichtigkeitsberufung (der Sache nach) überhaupt auch als Geltendmachung eines solchen Verfahrensmangels gesehen werden könnten. Nach ständiger Rechtsprechung können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371). Gleiches gilt, wenn der angebliche Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht einmal Gegenstand des Berufungsverfahrens war. Ein nicht geltend gemachter Mangel des Verfahrens erster Instanz kann mit der Revision nicht nachgetragen werden (RS0042963 [T30]).

[19] 2.4. Diese Beschränkung der Anfechtung der berufungsgerichtlichen Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass das Bejahen der prozessualen Zulässigkeit der Aufrechnungseinrede durch das Berufungsgericht als unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache iSd § 503 Z 4 ZPO geltend gemacht wird (vgl RS0043051 [T4]; RS0042963 [T55]; 5 Ob 64/19a ua).

[20] 2.5. In seiner Berufung bestritt der Kläger zwar auch die Fälligkeit und Gültigkeit der Gegenforderung und begründete dies mit der fehlenden Rechtskraft der Entscheidung über die Klageforderung aus dem Vorverfahren. Ob ein Prozesshindernis der Zulässigkeit einer (prozessualen) Aufrechnungseinrede entgegensteht, ist allerdings keine Frage der materiell-rechtlichen Fälligkeit oder Gültigkeit der Gegenforderung. Die Argumentation, beides fehle mangels gesonderter Rechtskraft der Feststellung der Klageforderung im Vorverfahren, übergeht außerdem die Tatsache und die Wirkungen des Teilurteils nach § 391 Abs 3 ZPO.

[21] 2.6. In seiner Revision wirft der Klägernun die Frage auf, ob die „Selbstexekution“ durch Aufrechnung mit einem Teilurteil nach § 391 Abs 3 ZPO zulässig sei, weil damit das Recht zur Aufschiebung nach § 42 Abs 1 Z 1 EO und der Einstellung nach § 39 Abs 2 Z 1 EO vereitelt werde, und „insofern“ auch die materiell‑rechtlichen Voraussetzungen für die Aufrechenbarkeit vorlägen. Inhaltlich zielt die Argumentation des Klägers aber nach wie vor auf die prozessuale Unzulässigkeit der Aufrechnungseinrede ab, die – wie gezeigt – nicht mehr aufgegriffen werden kann. Selbst wenn man die Ausführungen des Klägers als Behauptung eines zwar aus den Verfahrensgesetzen abzuleitenden, die Aufrechnung aber materiell-rechtlich hindernden Aufrechnungsverbots verstehen wollte, wäre diese Behauptung vom Prüfumfang in diesem Revisionsverfahren nicht umfasst. Ein allfälliges Aufrechnungsverbot ist nicht von Amts wegen, sondern nur über Einrede zu berücksichtigen (RS0033798 [§ 1440 ABGB, § 19 RAO]; Deixler‑Hübner in Fasching/Konecny 3 III/2 § 391 ZPO Rz 44). Losgelöst von der Frage des Neuerungsverbots war hierein solches materiell‑rechtliches Aufrechnungshindernis jedenfalls nicht Gegenstand der Rechtsrüge im Berufungsverfahren. Diese selbstständige Rechtsfrage wäre daher im Revisionsverfahren nicht zu prüfen (RS0041570 [T6, T8, T12]; RS0043338 [T13, T27]; RS0043352 [T31, T33]).

[22] 3. Die Revision zeigt damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf; sie war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[23] 4. Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt, sodass eine Kostenentscheidung unterbleiben kann.

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