OGH 5Ob100/24b

OGH5Ob100/24b18.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun‑Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin E*, vertreten durch Dr. Wolfgang Kogler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ * KG * als Antragsgegner(‑innen), darunter 2. J*, 6. E*, 7. A*, 8. Dr. G*, 9. Mag. V*, 10. A*, 11. Mag. (FH) I*, 12. Dr. S*, 13. Dr. K*, 14. R*, 15. T*, 16. F*, 17. A*, alle vertreten durch Dr. Margit Berger‑Schoeller, Rechtsanwältin in Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 2 iVm § 16 Abs 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. März 2024, GZ 39 R 291/23t‑15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00100.24B.1218.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52Abs 2WEG iVm § 62Abs 1AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Parteien sind die Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Wien.

[2] Die Antragstellerin ließ in der in ihrem Wohnungseigentum stehenden Wohnung die bestehende Gasetagenheizung samt Kombitherme entfernen und stattdessen am Flachdach des Hauses eine Wärmepumpe installieren.

[3] Die Antragstellerin stellte den auf § 16 Abs 2 WEG gestützten Antrag, die fehlende Zustimmung der übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer zur „Umwidmung eines Kamins und der Inanspruchnahme allgemeiner Teile der Liegenschaft für die Errichtung einer Wärmepumpe“ nachträglich zu ersetzen.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[7] 1. Nach § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt. Die Änderungen bedürfen der Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer, sofern die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer möglich ist. Unter den folgenden Voraussetzungen darf eine Zustimmung nicht verweigert und kann eine nicht erteilte Zustimmung gerichtlich ersetzt werden: Die Änderung darf nach Z 1 weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, besonders auch keine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses, noch eine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben. Werden für die Änderung auch allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, muss diese gemäß Z 2 überdies entweder der Übung des Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen.

[8] 2.1. Bei bestimmten im § 16 Abs 2 Z 2 zweiter Satz WEG aufgezählten Änderungen darf die Zustimmung wegen des Fehlens der Verkehrsüblichkeit und des wichtigen Interesses des Änderungswilligen jedenfalls nicht verweigert werden. Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird bei diesen privilegierten Maßnahmen also unwiderleglich vermutet.

[9] 2.2. Zu den privilegierten Änderungen iSd § 16 Abs 2 Z 2 zweiter Satz WEG gehört insbesondere die Errichtung von Beheizungsanlagen.

[10] Privilegiert ist dem Wortlaut nach nur die „Errichtung“ von Beheizungsanlagen, also die Herstellung oder Neuschaffung einer im Wohnungseigentumsobjekt bisher nicht vorhandenen derartigen Anlage (vgl 5 Ob 2134/96a zu § 13 Abs 2  Z 2 WEG 1975), nicht aber deren Umgestaltung insbesondere durch den Tausch des Heizungssystems. Gegen eine extensive, auch derartige Maßnahmen umfassende Auslegung dieses Ausnahmetatbestands spricht nicht nur der Grundsatz, dass Ausnahmebestimmungen grundsätzlich nicht ausdehnend auszulegen sind (RS0008903), sondern auch deren Zweck. Die Privilegierung des § 16 Abs 2 Z 2 WEG stellt nämlich darauf ab, dass die Ausstattung des Wohnungseigentumsobjekts mit bestimmten namentlich genannten Anlagen oder ähnlichen Einrichtungen ganz offenkundig entweder der Übung des Verkehrs oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers entspricht (5 Ob 2134/96a), sodass sich ein entsprechender Nachweis erübrigt. Dies kann jedoch dann nicht von vornherein angenommen werden und daher auch nicht als vom Willen des Gesetzgebers erfasst angesehen werden, wenn es sich nicht um die erstmalige Ausstattung eines Wohnungseigentumsobjekts mit solchen Einrichtungen handelt, sondern bloß um deren Änderung durch Umgestaltung.

[11] 2.3. Der Katalog des § 16 Abs 2 Z 2 WEG ist mit dem der privilegierten Mieterinvestitionen in § 9 Abs 2 Z 1, 4 und 5 MRG vergleichbar, sodass die Judikatur zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann; dies freilich mit der Maßgabe, dass die Rechtsstellung des dinglich berechtigten Wohnungseigentümers in Bezug auf derartige Veränderungen gegenüber dem bloß schuldrechtlich berechtigten Mieter verbessert werden sollte (5 Ob 173/19f).

[12] Aus dieser systematisch-teleologischen Berücksichtigung von § 9 Abs 2 MRG leiten Teile der Lehre ab, dass auch die den Erfordernissen der Haushaltsführung dienende Umgestaltung derartiger Einrichtungen unter die Privilegierung fallen (die Antragstellerin zitiert dazu Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, WEG5 § 16 WEG Rz 43, und Fidler, Elektromobilität im Wohnungseigentumsrecht, wobl 2017, 369 [377 f]).

[13] Der hier konkret zu beurteilende Austausch der bestehenden, durch fossile Brennstoffe betriebenen Heizanlage durch eine Wärmepumpe ist aber mangels Geltendmachung besonderer Umstände jedenfalls keine für die „Haushaltsführung“ erforderliche und in diesem Sinn notwendige Umgestaltung. Entgegen der diesen Umstand insbesondere durch die Formulierung des Antragsbegehrens verschleiernden Darstellung der Antragstellerin umfasst deren Änderungsvorhaben nicht allein die Errichtung einer Wärmepumpe, sondern den Tausch des Heizungssystems, also insbesondere auch die Entfernung der bestehenden (den Erfordernissen der „Haushaltsführung“ genügenden) Gasetagenheizung. Mehrere bauliche Veränderungen sind grundsätzlich in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen und nicht für sich zu beurteilen. Die gesonderte Beurteilung einzelner Änderungen wäre (nur) zulässig, wenn diese – anders als hier – in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen (5 Ob 222/19m mwN).

[14] 2.4. Maßnahmen der bloßen Umgestaltung einer bestehenden Beheizungsanlage sind nach alledem ebenso wenig von der Privilegierung des § 16 Abs 2 Z 2 WEG erfasst, wie der Tausch des Heizungssystems. In diesem Sinn hat der Fachsenat bereits ausgesprochen, dass es sich bei der Installation einer Fußbodenheizung anstelle von Radiatoren um keine iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG privilegierte Maßnahme handelt (5 Ob 13/17y). Er verwies dazu auf die Judikatur zur Parallelbestimmung des § 9 Abs 2 Z 1 MRG, wonach der Anschluss eines Kaminofens – zusätzlich zur bestehenden Heizung – nur zur Schaffung eines behaglicheren Raumklimas (5 Ob 232/16b) und die Errichtung einer eigenen Beheizungsanlage unter Abkoppelung von der funktionierenden Zentralheizung im Haus nicht § 9 Abs 2 Z 1 MRG zu unterstellen und daher keine privilegierten Maßnahmen seien. Gleiches gilt nach 5 Ob 33/16p für die Errichtung eines Kachelofens als zusätzliche Wärmequelle.

[15] In den – zu § 16 Abs 2 Z 2 WEG ergangenen –Entscheidungen 5 Ob 113/15a [Niedrigtemperatur‑Fußbodenheizung statt Hochtemperatur‑Fußbodenheizung] und 5 Ob 15/21y [Installation einer Fußbodenheizung] hat der Fachsenat im Zusammenhang mit der Umgestaltung bestehender Heizungsanlagen jeweils die Verkehrsüblichkeit und/oder das wichtige Interesse des Antragstellers geprüft und somit eine Privilegierung dieser bloßen Änderungsvorhaben implizit verneint.

[16] 2.5. Zusammengefasst ging das Rekursgericht daher von einem richtigen Verständnis des nach § 16 Abs 2 Z 2 zweiter Satz WEG privilegierten Tatbestands der Errichtung von Beheizungsanlagen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aus. Allein der Umstand, dass ein gleichgelagerter (oder ähnlicher) Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sein mag, bedeutet noch nicht, dass eine Rechtsfrage von der im § 62 Abs 1 AußStrG umschriebenen Bedeutung vorliegt. Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – der Streitfall anhand des Gesetzes und der von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze gelöst werden kann und gelöst wurde (5 Ob 27/21p [Rz 15] mwN).

[17] 3.1. Mangels Privilegierung erfordertdas Änderungsvorhaben der Antragstellerin somit den Nachweis der „Übung des Verkehrs“ oder ihres „wichtigen Interesses“ (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG).

[18] 3.2. Sowohl zur Verkehrsüblichkeit als auch zum wichtigen Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Was verkehrsüblich ist, bestimmt sich zunächst nach allgemeiner Lebenserfahrung und im Weiteren danach, ob die konkrete Änderung unter Berücksichtigung der bestimmten Beschaffenheit des betreffenden Hauses und seines Umfelds als üblich anzusehen ist. Bei Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Änderung kommt es demnach nicht auf eine allgemeine, generalisierende Betrachtung einer vom Standort abstrahierten Baupraxis an, sondern darauf, ob die konkret beabsichtigte Änderung in ihrer geplanten Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Beschaffenheit des Hauses, des Umfelds, des Ausmaßes des Eingriffs in die Bausubstanz sowie des Ausmaßes der Inanspruchnahme oder Umgestaltung allgemeiner Teile verkehrsüblich ist (RS0126244 [T2, T3]). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts ist insbesondere darauf abzustellen, ob die beabsichtigte Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen oder eine Steigerung des Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (RS0083341 [T2, T4]; RS0083345 [T1]).

[19] 3.3. Die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer dem § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung unter den Gesichtspunkten ihrer Verkehrsüblichkeit und/oder des wichtigen Interesses hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt. Solange dieser Ermessensspielraum nicht verlassen wird, liegt keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG vor. Nur in Fällen einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hat der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 169/18s mwN).

[20] Die Auffassung des Rekursgerichts, aus den Feststellungen des Erstgerichts bzw dem Vorbringen der behauptungs‑ und beweispflichtigen Antragstellerin zu allgemeinen Bestands- und Verkaufszahlen für Wärmepumpen und Gesetzesvorhaben zur Dekarbonisierung mit dem Ziel der Klimaneutralität, von denen nicht absehbar ist, ob überhaupt und wenn ja, wie und wann diese umgesetzt werden, lasse sich keine der nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG alternativ erforderlichen Voraussetzungen ableiten, ist keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Statistische Erhebungen und Verkaufszahlen sind für die Frage der Verkehrsüblichkeit von bestimmten Einrichtungen nicht aussagekräftig. Auf eine solche generalisierende Betrachtung einer vom konkreten Standort abstrahierten Baupraxis kommt es ja gerade nicht an (5 Ob 33/16p [Kachelöfen], 5 Ob 245/18t [Klimageräte]). Auch allgemeine Erwägungen zur Klimaentwicklung und der Notwendigkeit einer Energiewende vermögen den für eine Bejahung der Verkehrsüblichkeit bzw eines subjektiven wichtigen Interesses iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG erforderlichen Beweis konkreter Tatsachen nicht zu ersetzen (vgl 5 Ob 29/21v; 5 Ob 137/24v [jeweils Klimawandel]).

[21] 4. Der Revisionsrekurs war daher mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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